“Die endlose Euro-››Rettung‹‹ wird teuer”
Dieser Kommentar von mir erschien bei WirtschaftsWoche Online:
Jens Weidmann will also EZB-Präsident werden. Das Handelsblatt stellte dazu richtig fest: „Es spricht einiges für den 50-Jährigen: Er hat als Ökonom und Geldpolitiker einen hervorragenden Ruf, ist als ehemaliger Wirtschaftsberater von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) politisch gut vernetzt. Und: Als einziges großes Euroland stellte Deutschland noch nie den EZB-Präsidenten.“
Dennoch wage ich heute schon die Prognose: Weidmann wird es nicht werden. Nicht, weil ihm die Kompetenz fehlen würde und auch nicht, weil er Deutscher ist. Der Grund ist ein anderer: Er darf es nicht werden, weil seine geldpolitischen Überzeugungen mit dem kurz- und mittelfristigen Weiterbestehen des Euro nicht vereinbar sind. Langfristig wird der Euro wegen seiner Konstruktionsmängel ohnehin nicht überleben.
Zeit kaufen kann ausschließlich die EZB und allein die EZB könnte ein halbwegs geordnetes Ende des Euro organisieren. Dazu müsste man allerdings alle ordnungspolitischen Grundsätze über Bord werfen und Maßnahmen ergreifen, im Vergleich zu denen die bisherigen Interventionen der EZB harmlos erscheinen. Undenkbar, dass dies mit Jens Weidmann möglich wäre. Selbst die Bundesregierung dürfte hinter den Kulissen seine Bewerbung hintertreiben, weil die Verantwortlichen genau das wissen und darauf hoffen, dass der große Knall des Zerfalls des Euro von der EZB noch aufgeschoben werden kann. Koste es, was es wolle.
Der Euro funktioniert nicht
Wir haben es mit zwei grundlegenden Problemen in der Eurozone zu tun: einer sehr hohen Verschuldung der Privatsektoren einiger Länder, hohen Staatsschulden in anderen und hohen Gesamtschulden in den meisten. Zum anderen hat der Boom in den heutigen Krisenländern und Frankreich dazu geführt, dass die Lohnstückkosten deutlich gestiegen sind, während sie in Deutschland stagnierten und erst in letzter Zeit wieder zulegten. Damit hat sich die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands innerhalb der Eurozone deutlich verbessert, was es den anderen Ländern so schwer macht, aus eigener Kraft die Rezession zu überwinden und vor allem, die (untragbare) Schuldenlast abzubauen.
Notwendig wären eine Verringerung der zu hohen staatlichen und privaten Schulden, eine Sanierung der Banken und eine deutliche Anpassung der Lohnkosten nach unten in den Krisenländern.
Nichts davon ist in den vergangenen Jahren erfolgt. Der IWF hat vorgerechnet, dass es statt einer Konvergenz eine zunehmende Divergenz der Wirtschaften gegeben hat. Im Klartext: Der Euro funktioniert nicht.
Italien dürfte der Knackpunkt sein
Dennoch halten die Politiker krampfhaft am Euro fest. Gerade Deutschland wird bis zur Selbstaufgabe alles für den Euro tun. Zum einen, wegen unserer Geschichte, zum anderen, weil wir der Illusion unterliegen, der Euro würde unserer Wirtschaft nützen. Eine These, die man angesichts der explodierenden Target2-Forderungen durchaus hinterfragen muss. In Wahrheit ist der Euro ein Subventionsprogramm für unsere Exportindustrie, welches wir selber bezahlen.
Leider wurde die deutsche Politik, für ihre Weigerung, die Probleme der Eurozone grundlegend anzugehen, kurzfristig sogar belohnt. Tiefe Zinsen und ein schwacher Euro befeuern die Konjunktur und machen es leicht, ein schwarze Null auszuweisen. Eine falsche Wirklichkeit, aus der wir schmerzhaft erwachen werden.
Anders sieht es in Italien aus. Das Land steckt seit der Einführung des Euro in einer Dauerkrise, und wenngleich diese viele Ursachen hat, ist es politisch attraktiv, die Ursache am Euro und der deutschen Exportpolitik festzumachen. Der Regierung von Lega und Cinque Stelle können wir dahin gehend dankbar sein, dass sie die Illusion der erfolgreichen Eurorettung beendet hat. Die Krise ist wieder da.
Vorbereitung tut not!
Zwar dürften die Italiener auf erfolgreiche Erpressung der anderen Eurostaaten setzen und mehr Schulden und vermutlich auch Transfers herausschlagen. Zugleich hat die EZB bereits so viele italienische Staatsanleihen gekauft und die Zinsen so tief gedrückt, dass es noch Jahre dauern würde, bis sich höhere Zinsen auf Staatsanleihen im Budget bemerkbar machen. Italien hat also Zeit.
Mittelfristig spricht viel für den Austritt des Landes, einfach weil die Probleme zu groß sind und ohne einen Schuldenschnitt und eine Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit mittels einer schwächeren eigenen Währung eine nachhaltige Erholung undenkbar ist. Erfolgt dies ungeordnet, wäre eine unsteuerbare Kettenreaktion die Folge. Der Euro wäre Geschichte.
Das wäre zweifellos einer der größten Schocks in der Geschichte der Weltfinanzmärkte. Die Deutsche Bank rechnet mit einer Abwertung der wieder eingeführten Währungen in einer Größenordnung von rund vierzig Prozent für Spanien, Griechenland, Italien und Portugal und einem Verlust der neuen Deutschen Mark von rund zehn Prozent gegenüber dem Dollar. Hier wäre die Ursache die unvermeidliche schwere Rezession hierzulande. Was das für Anleger bedeuten würde, habe ich hier schon 2015 diskutiert: Was wäre wenn der Euro platzt?
Die EZB-Lösung?
Um einen chaotischen Zerfall zu vermeiden, muss man bereit sein, ungewöhnliche und radikale Maßnahmen zu ergreifen. Selbst wenn am Ende des Prozesses eine verkleinerte Eurozone stehen soll, ist der Weg dahin intelligent zu managen. Dabei muss es aus Sicht der Politiker darum gehen, die faulen Schulden aus der Welt zu schaffen, ohne dass die Gläubiger durch diesen Abbau der Schulden etwas verlieren. Zumindest dürfen sie nicht merken, dass sie etwas verloren haben.
Im kleinen Stil kennen wir das durch die schleichende Inflation. Selbst bei den tiefen Inflationsraten in Deutschland verlor die D-Mark zwischen 1948 und 1999 rund 75 Prozent der Kaufkraft. Entsprechend entwerteten sich Schulden und Forderungen. Auch heute könnten (deutlich) höhere Inflationsraten helfen, die Schuldenlast zu reduzieren, doch gibt es angesichts der demografischen Entwicklung und der Globalisierung trotz der intensiven Bemühungen der EZB keine nennenswerte Geldentwertung. Was hingegen steigt, sind die Preise von Vermögenswerten.
Also wird es aggressivere Maßnahmen geben und auf diese müssen wir uns einstellen. Die EZB wird immer mehr in die Rolle des einzigen Garanten der Eurozone rutschen. Spätestens bei der nächsten durch eine Rezession oder anders ausgelösten heißen Phase der Eurokrise, wird die EZB Wege suchen und finden, um diese Krise mit weiteren Interventionen zu unterdrücken.
Wer glaubt, dass dies durch die Verträge der Europartner verhindert wird, ist meines Erachtens naiv. Vor die Wahl gestellt, dass Projekt laut knallend untergehen zu lassen oder aber außergewöhnliche Maßnahmen der EZB zu tolerieren, werden die Politiker aller Staaten der Eurozone schweigen. Dabei hilft, dass die Masse der Bevölkerung ohnehin nicht mehr durchblickt, was da mit ihren Ersparnissen passiert.
Konkret müssen wir uns auf folgendes Szenario einstellen: Die EZB kauft in noch größerem Umfang Staatsanleihen, aber auch private Schulden in der Eurozone auf, vorzugshalber von Banken. Letztere verpacken dann auch Problemkredite in extra Wertpapiere, für die die jeweiligen Staaten bürgen und deshalb als „risikofrei“ von der EZB gekauft werden können.
Damit wandert ein immer größerer Brocken der faulen Schulden aus den Büchern der privaten Gläubiger auf die Bilanz der EZB. Kritiker werden die EZB zurecht als „Bad Bank“ schmähen, aber passieren dürfte sonst nichts. Es kommt auch nicht unbedingt mehr Geld in den Umlauf, weil es zunächst nur ein Tausch von Assets ist. Die privaten Gläubiger halten dann statt Staatsanleihen etc. eben eine Forderung gegen die EZB. Das eigentliche Geld haben die Banken ja schon vorher geschaffen, als sie dem Staat und den privaten Schuldnern Kredit gewährt haben. Betreibt man die Käufe lange genug, können drei bis fünf Billionen Euro so auf den Büchern der EZB landen.
Und damit faktisch verschwinden. Denn die EZB kann diese Forderungen einfach zinslos stellen oder gar offiziell annullieren. Letzteres hatten die vorerst vereitelten Koalitionäre in Italien bereits in die Diskussion eingebracht, mit ihrer Forderung 250 Milliarden Schulden durch die EZB zu erlassen. Angesichts der Dimensionen, vor denen wir stehen, wäre das allerdings zu wenig.
Ist das nicht verbotene Staatsfinanzierung? Ja, das ist es. Doch es wäre nicht der erste Vertrag, den die Euroretter brechen würden, im Dienst der übergeordneten Sache.
Schon heute findet „Monetarisierung“ statt
Wie flexibel die EZB ist, hat sie bereits in den letzten Jahren bewiesen. So sah sie wochenlang tatenlos zu, als die griechische Notenbank, quasi die örtliche Zweigstelle der EZB, den Banken über die sogenannte Emergency Liquidity Assistance (ELA) mehr als 40 Milliarden an frischem Geld gab, mit denen diese griechische Staatsanleihen kauften, um sie wiederum gleich als Sicherheit für weitere Kredite von der Notenbank weiterzureichen. Direkte Staatsfinanzierung. Nichts anderes.
So war es auch in Irland. Weitgehend unkommentiert in den Medien und unbemerkt von der breiteren europäischen Öffentlichkeit wurde 2013 die Zentralbank zur direkten Staatsfinanzierung genutzt. Immerhin in einem Umfang von rund 20 Prozent des irischen BIP. Die Notenbank kaufte bis zu 40 Jahre laufende Anleihen, die zunächst tilgungsfrei sind. Die Zinsen, die der Staat noch zahlen muss, werden umgehend als Gewinn wieder an denselben ausgeschüttet. Die FINANCIAL TIMES durchschaute das Treiben und brachte es auf den Punkt: “Das ist lupenreine ‚monetäre Staatsfinanzierung‘.“
Der EZB-Rat nahm das Treiben der irischen Zentralbank „zur Kenntnis“. Die Iren haben damit völlig autonom mehrere Milliarden an „Geld“ geschaffen, indem sie es dem Staat geliehen haben. Euro übrigens.
Monetarisierung von Staatsschulden gibt es also schon. Es bemerkt niemand so recht und deshalb dürfte man zum deutlich größeren Projekt übergehen. Der Monetarisierung der genannten drei bis fünf Billionen Euro.
Mit Jens Weidmann wäre das nicht zu machen. Und deshalb wird er den Job auch nicht bekommen. Ich bedaure dies, habe ich ihn doch nicht nur als sehr kompetent, sondern vor allem auch als sehr sympathisch kennengelernt.
Die Nebenwirkungen sind bedrohlich
Diese Politik hätte den Vorteil, dass sie ohne großen Aufruhr umgesetzt werden könnte und im optimistischen Fall ohne Auswirkung auf den Geldwert bliebe. Das Geld ist ja bereits im Umlauf. Kritiker wenden ein, dass es der Einstieg in Weimarer Verhältnisse ist und eine erneute Hyperinflation droht. Das kann sein, vor allem dann, wenn es nicht bei der einmaligen Bereinigung bleibt, sondern die Staatsfinanzierung zum Dauerzustand wird.
Angesichts der Alternativen – chaotischer Eurozerfall und gigantische offene Vermögensverluste – dürfte die Politik in der Eurozone sich in diese Richtung entwickeln. Man wird das Experiment starten und hoffen, dass es wie von den Befürwortern – prominentester Vertreter ist der ehemalige Chef der britischen Finanzaufsicht Adair Turner – ohne Inflation über die Bühne geht. Kommt es doch zur Inflation, wird man die Schuld bei den Notenbankern sehen.
Was die Vermögenssicherung nicht einfacher macht. Wir müssen uns einstellen auf (wahlweise und in Kombination):
- einen ungeordneten Zerfall der Eurozone, verbunden mit massiven Forderungsausfällen.
- Vermögensabgaben zur Tilgung von Schulden oder aber zur Herstellung von „Gerechtigkeit“ nach einem Zerfall oder hoher Inflation.
- eine weitere Explosion der Preise von Vermögenswerten aller Art aus Furcht vor der Geldentwertung.
- eine weitere lange Phase der Krisenverschleppung mit europäischen Transfers, die zwar die grundlegenden Probleme nicht lösen, dem Euro aber Zeit kaufen.
Deshalb kann die Empfehlung nur lauten, möglichst viel der Ersparnisse außerhalb der Eurozone und der EU zu investieren. Allein schon aufgrund der demografischen Entwicklung steht der Kontinent vor einem relativen Niedergang, der durch die falsche Politik beschleunigt wird. In einer Zeit, in der alle Anstrengungen auf die Bewältigung des demografischen Wandels konzentriert sein müssten (Stichworte: Produktivitätssteigerung, Automatisierung, Bildung, qualifizierte Zuwanderung), verschwendet die politische Führung Energie und Ressourcen auf die Verteidigung eines Status quo, der nicht zu verteidigen ist. Kein gutes Umfeld für unser Geld.
→ wiwo.de: “Die endlose Euro-››Rettung‹‹ wird teuer”, 31. Mai 2018