Bei den Staats­finanzen gibt es viel mehr als Schwarz und Weiß

Die Politik hat sich durch ihre Handhabung der Staatsfinanzen nicht mit Ruhm bekleckert. Die deutsche Ökonomenzunft macht es nicht besser. Die Statements fallen verlässlich in das bekannte Raster der politischen Präferenz. Für die einen gefährdet die Schuldenbremse Deutschlands zukünftigen Wohlstand. Für die anderen ist sie dessen Garantin.

Beide Lager haben recht. Es wäre ein guter Start, wenn alle Seiten die Fakten anerkennen würden.

Es ist unstrittig, dass wir einen erheblichen Sanierungsbedarf für unsere analoge und digitale Infrastruktur haben, der aus den laufenden Budgets schwer zu finanzieren ist. Es ist aber ebenso richtig, dass dies keine Folge der Schuldenbremse ist, sondern Folge einer Politik, die trotz Rekordeinnahmen und geringen Zinskosten, die Mittel lieber in den Ausbau des Sozialstaats statt in Investitionen gesteckt hat.

Wir brauchen also mehr Geld, aber wir müssen auch bei den laufenden Ausgaben neue Prioritäten setzen. Wenn schon Schulden, dann muss die Mittelverwendung klar und verbindlich geregelt werden.

Ebenso zutreffend ist die Feststellung, dass die Investitionen in den Klimaschutz vor allem den kommenden Generationen nutzen, weshalb es keineswegs falsch ist, hier über Schulden zu agieren. Umgekehrt stimmt aber auch, dass wir Klimaschutz auf eine Art betreiben, die maximal teuer ist.

Wir setzen nicht auf Preissignale und Innovationskraft

Das liegt nur zum Teil daran, dass wir bereits viel verbessert haben – nimmt man beispielsweise den gesunkenen CO2-Ausstoß relativ zur Wirtschaftsleistung. Die Maßnahmen, mit denen man anfängt, sind typischerweise die effizientesten.

Das Problem liegt aber darin, dass wir auf politische Steuerung und Vorgaben statt auf Preissignale und Innovationskraft setzen. Wir sollten tatsächlich über einen Klima-Schulden-Fonds nachdenken. Die Mittel daraus sollten nach Effizienz- und Effektivitätsgesichtspunkten verteilt werden – gerne unter direkter Beteiligung der Wirtschaft.

Zu sehr schwarz-weiß denkt auch, wer glaubt, die Schuldenbremse einzuhalten garantiere nachhaltige Staatsfinanzen. In Wahrheit hat unser Staat in den vergangenen Jahrzehnten Versprechen für künftige Leistungen – Rente, Pensionen, Gesundheitsversorgung – abgegeben, aber nicht entsprechend vorgesorgt.

Faktisch, also nicht bilanzierte künftige Lasten eingeschlossen, beläuft sich die Verschuldung auf ein Vielfaches des Bruttoinlandsprodukts, rechnen Finanzministerium und EU-Kommission in ihren Tragfähigkeitsberichten vor. In den kommenden Jahren werden diese latenten Verpflichtungen zu echten Zahlungen führen. Spätestens dann dürfte die Schuldenbremse Geschichte sein. Nicht besser sieht es in den Staaten aus, mit denen wir uns eine Währung teilen.

Strenge Schuldenbremse ergibt in unserer Währungsunion keinen Sinn

Womit wir beim wichtigsten Argument zugunsten höherer Staatsschulden wären, das interessanterweise keinen Platz in der öffentlichen Diskussion findet. Mag es noch sinnvoll sein, solide Staatsfinanzen anzustreben, wenn man eine eigene Währung hat, so ist das in einer Währungsunion nur dann gegeben, wenn es alle tun.

Dem war nicht so, dem ist nicht so, und wer glaubt, es würde künftig so sein, ist naiv. Wer hierzulande spart, mag edle Motive haben, schadet sich aber selbst. Wenn Politiker dann sogar argumentieren, wir müssten gerade wegen der unsoliden Finanzen der anderen sparen, um so den Euro zu sichern, verkennen sie die fatale Anreizwirkung. Der Euro hat mehr mit der Lira als mit der Mark gemein, höchste Zeit, dass wir uns dieser Realität annähern.

Wir brauchen einen dritten Weg: Konsolidierung der Staatsfinanzen vor allem im Sozialbereich. Abkehr von ineffizienter und ineffektiver Klimapolitik, die wir uns so oder so auf Dauer nicht leisten können. Reform der Schuldenbremse mit einer sauberen Definition dessen, was „Investition“ ist, zwingend überprüft durch eine unpolitische Instanz wie beispielsweise den Bundesrechnungshof.

Vor allem müssen wir endlich über das Thema reden, welches viel mehr als die Schuldenbremse über unseren künftigen Wohlstand entscheidet: Wie bekommen wir endlich wieder höhere Wachstumsraten? Denn nichts löst unsere Herausforderungen leichter.

→ handelsblatt.com: „Bei den Staatsfinanzen gibt es viel mehr als Schwarz und Weiß“, 11. Dezember 2023