Interview mit BUSINESSINSIDER: “Auch wir sind ein Euro-Verlierer”
Es war eine produktive Woche bei bto, deshalb ausnahmenweise noch am Freitagnachmittag das Ergebnis eines Interviews mit BUSINESSINSIDER am 30 Mai 2018:
“Es waren nur wenige Auszüge aus einer noch unveröffentlichten Autobiografie. Doch sie reichten, um die Gemüter zu erhitzen. Der Euro sei ein „deutscher Käfig“, hieß es dort. Und: Deutschland habe seine Auffassung dessen, was seine Rolle in Europa sein solle, nach dem Ende des Nationalsozialismus nicht geändert. Statt mit militärischen Mitteln versuche es, dem Rest nun wirtschaftlich seinen Willen aufzuzwingen.
Paolo Savona, der Verfasser dieser Zeilen, ist einer der angesehensten Ökonomen Italiens und einer der harschesten Kritiker der europäischen Einheitswährung. Auch wegen ihm ist Italien in eine Regierungskrise geschlittert. Die populistischen Koalitionspartner Lega und Fünf Sterne hätten Savona gern zum Finanzminister gemacht. Mit ihm hätten sie gern eine Front gegen Brüssel gebildet. Das lehnte Staatspräsident Sergio Mattarella strikt ab. Die Regierung kam nie zustande.
In Deutschland haben Savonas Aussagen verwundert. Den Euro wollte anfangs nicht Deutschland, sondern Frankreich. Hätte die deutsche Bevölkerung abstimmen dürfen, wäre der Euro vermutlich durchgefallen. Zu beliebt war die gute, alte D-Mark, die für Stabilität und Wohlstand stand. Immerhin: Der Euro hat sich gemacht. Drei Viertel der Deutschen gaben im Oktober 2017 an, die Einheitswährung sei eine gute Sache für ihr Land. Damit liegt Deutschland mehr als zehn Prozent über dem europäischen Durchschnitt. In Italien etwa glaubt nicht einmal die Hälfte, dass der Euro eine gute Sache sei.
Euro als Zwangskorsett für unterschiedliche Wirtschaften
Kein anderes Land habe so viel vom Euro profitiert wie Deutschland. Solche Sätze hat Daniel Stelter schon zur Genüge gehört. Der Unternehmensberater und Betreiber des Wirtschaftsblogs think beyond the obvious behauptet das Gegenteil. Deutschland, sagt er BUSINESS INSIDER, zähle zu den Verlierern des Euro.
Früher war die D-Mark die stabilste Währung Europas. Die Bundesbank bestimmte, wo es währungspolitisch hinging. Deutschlands Handelspartner folgten zähneknirschend oder werteten ab, um die heimische Wirtschaft so wieder wettbewerbsfähiger zu machen. Das änderte sich mit der Einführung des Euro. Plötzlich war die Bundesbank nicht mehr als eine Filiale der mächtigen Europäischen Zentralbank EZB und Deutschlands Bundesbankpräsident nur noch einer von vielen Entscheidungsträgern.
Der Euro presste unterschiedliche Wirtschaften mit unterschiedlichen Traditionen und Bedürfnissen in ein Korsett. „Die EZB musste einen Mittelweg gehen, der für alle Länder der falsche war“, sagt Stelter. Für Deutschland seien die Zinsen der EZB zu hoch gewesen, für andere Länder dagegen zu niedrig.
Deutschlands Wirtschaft hatte Anfang der 2000er-Jahre zu kämpfen, wurde vielerorts zum „kranken Mann Europas“ gestempelt. In D-Mark-Zeiten hätte die Bundesbank abwerten können. Stattdessen war die Politik gezwungen, Strukturreformen durchzuführen und Lohnkosten zu senken. Das tat die Schröder-Regierung mit den Hartz-Gesetzen. „Der Euro hat die Rezession verlängert“, sagt Stelter. „Hätte die Bundesbank abwerten können, wären die Hartz-Reformen unter Umständen nicht nötig gewesen.“
Dank der Hartz-Reformen gelang es der deutschen Wirtschaft, günstiger zu produzieren. Die Exporte zogen an, die Wirtschaft nahm Fahrt auf. Der „kranke Mann Europas“ wurde zum „Musterknaben“. Der Nachteil: Für Deutsche wurden Importe und Urlaube in der Eurozone teurer. Die Finanzkrise warf die Bundesrepublik nur kurz zurück. Schneller als andere Euroländer fand Deutschland auf den Wachstumspfad zurück. So gut wie die Bundesrepublik steht aktuell kaum ein anderes Euroland da.
Geht Italien pleite, ist Deutschland dran
Stelter sieht diese Entwicklung kritisch. „Durch den Euro ist die deutsche Wirtschaft viel exportabhängiger geworden“, sagt er. „Wir sind dadurch viel erpressbarer geworden.“ Tatsächlich geht ein Großteil der deutschen Exporte ins europäische Ausland und dort oft in Länder, die sich, angestachelt durch günstige Zinsen, übernehmen. Länder wie Griechenland, Portugal und Italien verschulden sich immer weiter. Die notwendigen Kredite erhalten sie dabei oft ausgerechnet von Geldgebern jenes Landes, dem sie soeben erst die Waren abgekauft haben: Deutschland. „Der Euro ist ein Subventionsprogramm für die deutsche Exportindustrie“, sagt Stelter. „Wir bezahlen diese Subventionen selbst.“
Die größten schuldenfinanzierten Auswüchse endeten jäh mit der Finanzkrise 2008. Seitdem wird immer klarer. Südeuropäische Wirtschaften können mit Deutschland nicht mithalten. Zudem leiden Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien und Italien unter ihren immens hohen Schulden. Viele private Gläubiger haben sich längst zurückgezogen. Oft sind öffentliche Geldgeber eingesprungen. Damit steht auch fest: Geht eines der Länder pleite, dürfte das die Eurozone ins Chaos stürzen und Deutschland gleich mit.
Beispiel Italien: „Das Land wird seine Schulden nicht mehr zurückzahlen können“, sagt Stelter. „Entweder kommt es zu einem Schuldenerlass, einer Schuldenvergemeinschaftung oder einer Schuldenstreckung unter Teilnahme der EZB — oder aber Italien erklärt den Bankrott.“ Für Italien sei die Pleite durchaus eine sinnvolle Option. Das Land könne durch einen Austritt aus der Eurozone abwerten und seine Wirtschaft über Nacht wieder wettbewerbsfähig machen, glaubt der Ökonom. Deutschlands Bürger blieben dagegen auf einem Berg wertloser Forderungen sitzen.
Stelters Ausblick für die gesamte Eurozone ist nicht viel rosiger. „Angesichts von mindestens drei Billionen fauler Schulden in Europa ist sicher, dass Deutschland als Hauptgläubiger einen großen Teil der Verluste tragen wird“, sagt der Ökonom. „Das heißt, dass die deutschen Sparer und Steuerzahler für den Schaden aufkommen müssten. Ein Euro-Profiteur ist Deutschland also sicher nicht.“”