Rogoff erklärt Krise für beendet – oder doch nicht?
Die FINANZ und WIRTSCHAFT bringt ein Interview mit Kenneth Rogoff, Professor für Volkswirtschaft in Harvard und früher Chefökonom des IWF. Bekannt wurde er durch seine Forschungen zur Finanzkrise und seiner Befürwortung der Abschaffung von Bargeld, um noch negativere Zinsen durchzusetzen. Hier spricht er über seine Sicht auf die Weltwirtschaft im Jahre 2018:
- “Unsere Forschungen ergeben, dass es nach einer tiefen, systemischen Krise meist acht bis zehn Jahre dauert, bis sich die Konjunktur erholt. Das war dieses Mal nicht anders. Eine Dekade nach der Krise normalisiert sich die Wirtschaft, und wir kommen in eine Phase, in der Produktivität und Investitionen in den nächsten Jahren überdurchschnittlich wachsen.” – bto: Hier hatte ich gleich einen Hänger. Würden die Forschungen nicht auch zeigen, dass in den zehn Jahren die Bilanzen des privaten (und öffentlichen) Sektors saniert wurden, was diesmal nicht der Fall ist. Spielen die Schulden keine Rolle mehr?
- “Entscheidend ist, dass die globalen Investitionen steigen. Nach einer langen und tiefen Flaute lässt sich hier eine Belebung beobachten. Die Frage ist nun, ob der Aufwärtstrend bei den Investitionen anhält. Setzt er sich fort, ist das ein gutes Zeichen, dass die Wirtschaft nachhaltig an Dynamik gewinnt.” – bto: Ja, das würde ich auch sagen, doch was ist mit der Last der Schulden?
- “Finanzkrisen hinterlassen in den ökonomischen Daten charakteristische Spuren. Die letzte Krise passt dabei ziemlich gut ins Gesamtbild: Wie meistens hatten die Ursachen mit dem Häusermarkt zu tun, worauf das Bankensystem erschüttert wurde und eine lange, beschwerliche Erholung folgte. Was dieses Mal jedoch heraussticht, ist die Schuldenkrise in Europa. Sie hat dieser Finanzkrise eine zusätzliche Dimension gegeben.” – bto: Und wie wurde diese “gelöst”?
- “In den meisten Ländern ist das Bankensystem heute recht gesund und weniger fragil als 2007. Weniger gut sieht es hingegen bei der Finanzierung von Wachstum aus. Die Regulierungsdichte im Bankensektor hat sich derart vergrössert, dass viele kleine und mittelgrosse Unternehmen Mühe haben, Kredit aufzunehmen. Eine viel bessere Lösung als die aktuelle Situation wäre deshalb der Ansatz der Stanford-Ökonomin Anat Admati und ihres deutschen Kollegen Martin Hellwig, die für weniger Regulierung, aber mehr Eigenkapital bei den Banken plädieren.” – bto: Das sehe ich genauso. Doch ist es sehr unpopulär, weil gefürchtet wird, es hätte negative Auswirkungen auf die Kreditvergaben. Und wir brauchen doch unseren nächsten Schuss.
- “China ist der Topkandidat, um im Zentrum der nächsten grossen Finanzkrise zu sein. (…) In der chinesischen Wirtschaft bestehen jedoch weiterhin grosse Ungleichgewichte, weil sich das Land zu stark auf Exporte und Investitionen verlässt. Zudem ist es schwer abhängig von Krediten. Kommt es in China zu finanziellen Schwierigkeiten oder nur schon zu einer Verlangsamung des Kreditwachstums, ist die Gefahr einer Krise daher gross.” – bto: Er betont aber auch, dass die chinesische Regierung mehr Hebel hat, gegenzusteuern.
- “Wenn sich das Wachstum in den USA, in Deutschland, Frankreich und Nordeuropa künftig aber erheblich beschleunigt, könnte das zu einem globalen Zinsanstieg führen. Die Frage ist dann, was mit einem Land wie Italien passiert, wenn es an dieser Expansion nicht teilhat. Italien könnte dann sogar in eine klassische Schuldenkrise rutschen wie Lateinamerika in den Achtzigerjahren. Auch damals nahm das Wachstum in den wohlhabenden Teilen der Welt markant zu, wodurch die globalen Realzinsen stiegen. Das hatte zur Folge, dass Staaten wie Brasilien, Argentinien und Mexiko ihre Schulden nicht mehr finanzieren konnten. Dieses Problem hat Italien zurzeit aber nicht, weshalb sich kaum jemand darüber sorgt.” – bto: weil alle denken, dass die EZB die Italiener niemals im Stich lässt. So wird es auch sein und koste es, was es wolle.
- Jetzt kommt der wirkliche Hammer des Interviews: “Stimulusprogramme wie Quantitative Easing waren in den USA ein reines Täuschungsmanöver. Diese QE-Programme konzentrierten sich vorab auf den Kauf von US-Staatsanleihen, womit Geld bloss innerhalb des Staatsapparats von der Notenbank zum Schatzamt transferiert wurde. Es wird die Wirtschaft deshalb auch nicht beeinträchtigen, wenn das Fed die QE-Programme mit dem Abbau der Bilanz rückgängig macht.” – bto: Hm, ist es nicht so, dass durch den Kauf der Anleihen die Zinsen gedrückt wurden und damit der Privatsektor in andere Teile des Finanzmarktes gedrängt wurde, was dort die Preise trieb?
- “Quantitative Easing wirkt in der Eurozone anders als in den USA. Das QE-Programm zu stoppen, wird für die EZB zur enormen Herausforderung, denn es ist eine Subvention des Südens durch den Norden. Spanien, Portugal und Italien erhalten unter dem Tisch massive Kredite von Deutschland und Frankreich. Wenn die EZB das Programm nun zurückfährt, braucht es deshalb einen Ersatz, zum Beispiel eine Art Eurobond.” – bto: Ach, wie schön klingen die Sirenen. Transferunion wir kommen.
- Doch offensichtlich sieht auch Rogoff, dass die Krise keineswegs überwunden ist: “Negative Zinsen werden in den nächsten zehn Jahren zum Werkzeugsatz jeder Zentralbank gehören. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen ist ihre Wirkung jedoch begrenzt, weil grosse Marktakteure Bargeld horten können. Das lässt sich aber einfach ändern: Physisches Geld in Form von Münzen und Banknoten verliert in der Realwirtschaft zusehends an Bedeutung. Das wird es Regierungen erleichtern, grosse Banknoten abzuschaffen oder Depositen von Bargeld zu besteuern.” – bto: Ich gebe dem 200-Euro-Schein auch nicht mehr lange.
→ FINANZ und WIRTSCHAFT: “Rogoff: ‚China ist im Zentrum der nächsten Krise‘“, 19. Januar 2017