“Trump könnte scheitern, bevor er richtig anfängt”
Dieser Kommentar erschien bei WirtschaftsWoche Online:
Gelingt dem baldigen US-Präsidenten Donald Trump der Ausbruch aus der Stagnation oder droht der Weltwirtschaft ein Zinsschock? Die Chancen stehen 50 zu 50 – bestenfalls.
„Herr Stelter, nur selten habe ich Sie so inkonsistent argumentieren sehen“, schreibt mir ein Stammleser mit Blick auf meine Einschätzung vor der US-Wahl, dass es, sollte Trump gewinnen, zu einer Reflationierung kommen könnte, welche die säkulare Stagnation – die Eiszeit – überwindet. Ein anderer erinnerte daran, dass es in den letzten 30 Jahren auch in Japan mehr als ein Konjunkturprogramm gegeben habe. Ohne Erfolg. Was sei da schon eine Billion Dollar, die Donald Trump ausgeben wolle?
Beide Einwände sind berechtigt. In der Tat lehrt die Erfahrung der letzten Jahre, dass es eben nicht so einfach ist, die ökonomische Stagnation zu überwinden. Dies liegt zum einen an den fundamentalen Faktoren, also der stagnierenden bzw. schrumpfenden Erwerbsbevölkerung und den schwachen Produktivitätszuwächsen. Zum anderen an den Folgen der Überschuldung, die ihrerseits wie ein Mühlstein auf der Realwirtschaft liegt: wenig Nachfrage, insolventes Bankensystem und nicht bereinigte Fehlinvestitionen sowie Überkapazitäten sind die Stichworte.
Hinzu kommen die aufgeblähten Vermögenswerte, die auf eben dieser Verschuldung basieren und eine Gerechtigkeitsdebatte befeuern. Alles Ingredienzien für wenig Wachstum, zunehmende politische Spannungen und perspektivisch erhebliche Vermögensverluste. Daran ändert auch die Wahl von Donald Trump zunächst nichts. Sie könnte – Betonung: könnte! – jedoch ein Game Changer sein.
Am Scheideweg
In der Tat stehen wir an einem Scheideweg: Gelingt Trump die Reflationierung, höheres Wachstum und damit das Entwerten der Schulden (und damit auch der Vermögen) oder beschleunigt seine Politik den Niedergang, weil sie über steigende Zinsen den Schuldnern den Todesstoß gibt? Ein Szenario, das schon vor Monaten als Margin Call für die Weltwirtschaft an dieser Stelle beschrieben wurde: Schuldner müssen Vermögenswerte verkaufen, um ihren Verpflichtungen nachzukommen, und diese Verkäufe bringen die Vermögenspreise und damit andere Schuldner unter Druck, was zu einer sich selbst beschleunigenden Abwärtsbewegung und letztlich zum Crash führt.
Wie groß das Potenzial für einen Crash ist, ist ebenfalls bekannt. Alle Vermögenswerte sind zu Perfektion bepreist, weshalb die Fed auch so mit dem Zinsschritt zögert. Wenn überhaupt, sind auf Jahre nur maue Renditen drin, und zwar in dem optimistischen Fall, dass es keinen erneuten Crash gibt.
Steigen die Zinsen in den USA, haben wir diesen Margin Call nicht nur in den USA, sondern global. Alle Zinsen würden in einem solchen Umfeld nach oben gezogen werden, weil die USA nach wie vor der globale Trendsetter sind. Zu viele Länder und Unternehmen sind in US-Dollar verschuldet, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) schätzte Ende 2015 den Betrag von Dollar-Krediten an Nicht-Banken außerhalb der USA auf 9,8 Billionen. Steigen die Dollar-Zinsen und damit auch der Dollar, kommen diese Schuldner unter massiven Druck. Wehren sich die nationalen Notenbanken gegen die Dollaraufwertung, müssen sie ebenfalls die Zinsen deutlich erhöhen und bringen damit die Schuldner und die Realwirtschaft von anderer Seite unter Druck.
Auch bei uns in Europa würden die Zinsen steigen. Zwar könnte die EZB einer Dollaraufwertung entspannt zuschauen, weil die Fremdwährungsverschuldung kein so großes Problem ist, höhere Importpreise die Inflation befördern, und schließlich der Export befeuert würde. Ganz entziehen kann sich Europa einer von den USA ausgehenden Zinssteigerungstendenz, jedoch nicht, wie schon die Entwicklung der letzten Tage zeigt. Überall stiegen trotz der fortlaufenden Interventionen der EZB die Zinsen. Und nicht nur das: Die Zinsaufschläge von Staatsanleihen von Krisenländern wie Italien gegenüber Bundesanleihen sind ebenfalls gestiegen. Immerhin auf das höchste Niveau seit 2014. Ein klares Zeichen für zunehmenden Stress im Finanzsystem, ein Symptom für einen Margin Call also.
Käme es dazu, hätten wir nicht nur die nächste Phase der Eurokrise, sondern gleich eine weltweite deflationäre Depression im Stile der 1930er-Jahre. Der Verfall des chinesischen Renminbi in den letzten Tagen ist auch in dieser Hinsicht ein Stresssignal: Er wirkt direkt deflationär auf die Welt wegen der fallenden Exportpreise und nährt zugleich protektionistische Instinkte. Nicht nur bei der neuen US-Administration.
Quadratur des Kreises
Dieses Szenario zu verhindern und zugleich die US-Wirtschaft wie beabsichtigt zu reflationieren, gleicht einer Quadratur des Kreises. Es müsste gelingen, die Zinsen trotz Infrastrukturprogramm, Steuersenkungen und gestiegenen Inflationserwartungen im Zaum zu halten. Wie in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen strenge Kapitalmarktregulierungen tiefe Zinsen trotz hohem Nominalwachstum garantierten. Das wäre die von führenden Volkswirten seit Jahren herbei gesehnte „finanzielle Repression“, durch die die Schulden relativ zum Bruttoinlandsprodukt gesenkt und die Gläubiger auf schleichende Weise enteignet werden.
In den 1950er-Jahren haben Kapitalverkehrskontrollen und ein sehr limitiertes Angebot an Geldanlageinstrumenten die finanzielle Repression ermöglicht. Auch heute bedürfte es ähnlicher Instrumente. Dass die Regierenden bereit sind, in diese Richtung zu gehen, zeigt alleine schon die Diskussion zum Thema Bargeldverbot. Die Notenbanken müssten ebenfalls eine sehr aktive Rolle spielen und die Zusage machen, die Zinsen unter allen Umständen unten halten. Es ist umstritten, ob sie es könnten.
Ich denke, mit der Zusage, alles zu einem bestimmten Preis zu kaufen, könnte es ihnen gelingen. Das wäre natürlich verbunden mit dem Verlust der Unabhängigkeit der Notenbanken. Aber seien wir ehrlich: Der ist schon jetzt absehbar. Zu sehr haben sie sich zu Erfüllungsgehilfen unwilliger und unfähiger Politiker gemacht, und nicht nur Donald Trump fordert mehr Einfluss. Dabei dürfte er, sobald im Amt, nicht mehr auf höhere Zinsen drängen, sondern auf die umfassende und nachhaltige Garantie tiefer Zinsen.
Würde es funktionieren?
Bleibt die Frage: Würde es überhaupt etwas bringen? Schließlich kann auch Donald Trump an den grundlegenden Problemen Demografie und Produktivität nichts ändern. Seine Haltung zur Zuwanderung könnte das Problem verschärfen. Andererseits ist die Beschäftigungsquote der 25- bis 54-jährigen Amerikaner in den letzten Jahren deutlich gefallen. Bringt er mehr von diesen Menschen wieder in den Arbeitsmarkt, hilft dies den Betroffenen – seiner Kernzielgruppe in den Wahlen – und dem kurz- und langfristigen Wachstumspotenzial der US-Wirtschaft. Die Produktivität der US-Wirtschaft würde von Investitionen in die Infrastruktur unzweifelhaft profitieren.
Protektionismus wäre in diesem Szenario übrigens nur konsequent, würden doch sonst vor allem China und Deutschland von dem Programm profitieren. Statt darüber zu jammern, sollten wir in Europa eher darüber nachdenken, ein ähnliches Programm – Investitionen, tiefe Zinsen, finanzielle Repression – aufzulegen und der neuen US-Regierung so den Protektionismus ausreden. Die Erfolgswahrscheinlichkeit des Trumpschen Programms wäre umso höher, je mehr Regionen der Welt mitmachen.
Gelänge dies in Verbindung mit tiefen Zinsen, könnte es also funktionieren. Höheres Nominalwachstum und damit ein „schöner Schuldenabbau“ („beautiful deleveraging“) wie es der Hedgefonds-Manager Ray Dalio nennt, wären die Folgen.
Aktienquote reduzieren
Für unsere Assetallokation ändert diese Analyse grundsätzlich nichts. Wir können uns nicht einseitig auf eines der Szenarien ausrichten, stehen die Chancen doch bestenfalls 50 zu 50. Wir brauchen Inflations- und Deflationsschutz. Cash, Gold, Aktien und Immobilien bleiben das Gebot der Strategie. Kurzfristig würde ich mich jedoch zu einer meiner seltenen taktischen Empfehlungen hinreißen lassen: Aktienquote reduzieren. Die Märkte haben die Reflation, die ich vor der Wahl skizziert hatte, bereits gespielt.
Doch ist nicht nur der Erfolg, wie diskutiert, höchst unsicher. Auch die Realisierung steht noch in den Sternen. Angesichts der hohen Bewertung von (US-)Aktien ein guter Grund, Gewinne mitzunehmen. Viel Raum nach oben gibt es nicht mehr. Aber viel nach unten.
→ WiWo.de: “Trump könnte scheitern, bevor er richtig anfängt”, 17. November 2016