“Schauspiel der Illusionisten”

Mein Kommentar erschien bei Cicero.de:

Was Angela Merkel mit IWF-Chefin Christine Lagarde über Griechenland besprochen hat, soll vertraulich bleiben. Klar aber ist: Die griechische Odyssee nimmt kein Ende. Es ist eine politische Illusionsschau auf Kosten der Steuerzahler.

Illusionisten sind Zauberkünstler, die mit besonders großen Requisiten arbeiten. So gesehen sind in Brüssel, Athen, Frankfurt und den übrigen Euro-Hauptstädten die Meister-Illusionisten am Werk, wenn es um das Thema Griechenland geht. Nicht nur wird mit großen Requisiten gearbeitet (Rettungsschirme, Garantien, Reformversprechen), sondern es werden verschiedene Bühnen bespielt. Publikum: die Öffentlichkeit in den Geberländern, in Griechenland und den anderen Krisenländern des Euroraums. Die weltweiten Finanzmärkte sind weitere Adressaten der Vorstellung. Jeder Zielgruppe wird das passende Schauspiel geboten. Ziel ist, die Macht der Illusionisten zu erhalten – die Rechnung bezahlt das Publikum, also wir alle.

Schauspiel für die Geberländer

Gleich zu Beginn der Eurokrise wurde die No-Bail-out-Regel, wonach kein Euroland für die Schulden eines anderen Landes eintreten muss, gebrochen. Seither stellt die Politik die Rettung Griechenlands und die Unterstützung anderer Krisenländer als „alternativlos“ und als in unser aller Interesse liegend dar. Verbunden mit der Behauptung, es entstünden für den deutschen Steuerzahler keine Kosten. Sämtliche der drei Aussagen sind falsch:

Denn ein Bankrott Griechenlands wäre nicht mit dem Ende des Euro verbunden. Ein Staatskonkurs ist unangenehm, aber historisch nicht einmalig. Nirgendwo steht geschrieben, dass ein Staat, der seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann oder will, zugleich auch die Währung verliert.

Einen Staatsbankrott Griechenlands zu verhindern, war im Interesse der Banken der Geberländer, insbesondere der französischen und der deutschen. Französische Banken bauten zwischen März 2010 und Ende 2014 über 50 Milliarden Euro an Forderungen gegen das Land ab, deutsche Banken mehr als 20 Milliarden. An die Stelle der privaten Gläubiger sind die Staaten, allen voran Deutschland getreten. Im Falle eines Staatsbankrottes hätten wir sicherlich Banken in Deutschland retten müssen, die Kosten wären aber nur ein Bruchteil gewesen.

Eine Pleite Griechenlands hätte die Kapitalmärkte mit Blick auf Portugal und Italien deutlich skeptischer gemacht und auch dort einen Schuldenschnitt ausgelöst. Angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Misere in diesen Ländern ist die These keineswegs zu gewagt, dass es ihnen heute nach einem solchem Schuldenschnitt besser erginge. So kann Portugal die zweithöchste Gesamtverschuldung in der Eurozone (nach Irland) mit einer schrumpfenden Bevölkerung und geringer Produktivität, niemals aus eigener Kraft bewältigen. Italien ist in der längsten Rezession der Geschichte gefangen und das Pro-Kopf-Einkommen liegt unter dem Niveau von 1995. Das ist nicht in unserem Interesse, verstärkt es doch die Spannungen im Euroraum.

Augenwischerei für Bürger

Da die Bürger spüren, dass hier Illusionisten am Werke sind, wird zeitgleich eine weitere Illusion vorgeführt. Angeblich soll uns die Rettung Griechenlands nichts kosten. Bisher wären es nur Darlehen und es gäbe auf keinen Fall einen Schuldenschnitt. Formal ist das auch richtig, weil man dem Publikum nicht so laut erzählt, zu welchen Konditionen die Kredite vergeben werden. Da die Zinsen jedoch deutlich tiefer und die Zahlungsziele deutlich länger sind als marktüblich, liegt die effektive Schuldenlast nicht bei rund 170 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, sondern wohl eher bei 70 Prozent. Also auf deutschem Niveau. Und unser Finanzminister weiß das sehr wohl. Geben Sie einem Freund einen Kredit zu ungewöhnlich günstigen Konditionen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Ihnen das Finanzamt unangenehme Fragen stellt. Wir haben also bereits Geld verloren und verlieren weiterhin jeden Tag Geld, weil es real weniger Wert ist, als uns die Politik erzählt.

Fazit: weder war es eine Rettung Griechenlands (sondern der Banken), noch alternativlos, noch umsonst. Obwohl immer größere Teile des Publikums die Illusion durchschauen, geht das Schauspiel weiter. Mindestens bis nach der Bundestagswahl. Nutznießer sind nur die Illusionisten selbst, die mit dem Märchen der gelungenen Eurorettung vor das Wahlvolk treten.

Das Schauspiel für Griechenland

Doch auch die griechischen Politiker liefern ein Schauspiel für  das eigene Volk und die Bevölkerung der Geberländer ab: Der eigenen Bevölkerung wird ein perfekter Sündenbock für die schlechte wirtschaftliche Lage und unpopuläre Reformen präsentiert. Nicht nur kann man damit vom eigenen Versagen ablenken, man kann auch die Grundlage dafür legen, dass man die eigene Klientel weiterhin beglücken kann. Laut Ifo-Institut wurden die Rettungsmilliarden für Griechenland so verwendet: ein Drittel für den laufenden Konsum, ein Drittel zur Finanzierung der Kapitalflucht aus dem Land und ein Drittel, um die privaten Geldgeber – also die Banken der anderen Länder – zu retten. Zwei Drittel des Geldes wurde also in Griechenland genutzt. Zum einen, um die Kapitalflucht der Vermögenden zu finanzieren, zum anderen um weiterhin über die eigenen Verhältnisse zu leben.

Mit Blick auf die Bevölkerung der Geberländer wird auf die umfangreichen Reformen verwiesen (was stimmt, diese waren deutlich größer als bei uns im Rahmen der Agenda 2010) und auf die fatalen Folgen der Sparpolitik (was ebenfalls stimmt, hat doch die drastische Kürzung der Staatsausgaben die Wirtschaftskrise massiv verstärkt). Daraus werden Forderungen nach weiteren Hilfen zu erleichterten Konditionen abgeleitet.

Fazit hier: Für die griechische Regierung ist es höchst attraktiv einen ausländischen Schuldenbock zu haben, der dennoch ein laufendes Defizit deckt und so ein Leben über die eigenen Verhältnisse ermöglicht. Nur 60 Prozent der Griechen sehen im Euro mittlerweile einen Fehler. Ein Wert, der angesichts der objektiv schweren Krise des Landes nur überraschen kann.

Das Schauspiel für die anderen Krisenländer

Spätestens seit dem Brexit-Votum ist klar, dass es sich bei der EU um eine europäische Version des von den Eagles besungenen Hotels California handelt. Man darf niemals abreisen. Genauso wie die EU am Beispiel Großbritanniens ein Schreckensexempel statuieren will, dient Griechenland als abschreckendes Beispiel für Portugal, Spanien und Italien. Der dortigen Bevölkerung muss vor Augen geführt werden, wie drastisch die Folgen sein können, wenn man seine Hausaufgaben nicht macht.

Deshalb ist es auch so bedeutend, dass Griechenland im Euro bleibt, da ein durchaus zu erwartender deutlicher Aufschwung der Wirtschaft nach einem Austritt aus dem Korsett des Euro zur Nachahmung einladen würde. Schon jetzt zeigt der Boom in Großbritannien, wie wenig von der Angstmache aus Brüssel zu halten ist.

Ohne Euro ginge es den Ländern deutlich besser. Gemäß einer neuen Studie läge die Wirtschaftsleistung ohne Euro und Sparpolitik in Griechenland, Irland, Portugal, Spanien und Italien heute auf dem Niveau von 2008. Tatsächlich liegt sie 18 Prozent tiefer.

Fazit: Um von den negativen Folgen des Euro für diese Länder abzulenken und um das Alternativszenario eines Austritts aus dem Euro möglichst unattraktiv zu machen, muss Griechenland im Euro und zugleich unter der Kuratel der Geldgeber gehalten werden. Nebenbei erleichtert das auch den Regierungen der Krisenländer die Arbeit. Sie haben neben dem Beispiel Griechenland auch noch den Sündenbock EU.

Das Schauspiel für die Finanzmärkte

Die größte Bühne für die Illusionisten in Regierungen und EZB sind die Finanzmärkte. Hier spielt eine ganz andere Musik. Die Investoren wissen natürlich, dass die Schulden Griechenlands niemals zurückgezahlt werden und dass Portugal, Italien und perspektivisch Spanien und Frankreich pleite sind. Sie wissen auch, dass das politische Projekt des Euro zunehmend an seine wirtschaftlichen Grenzen stößt und es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Illusionen vor den Bevölkerungen nicht mehr tragen. Dennoch müssen die Finanzmärkte an Bord gehalten werden. Dies macht vor allem die EZB.

Die Existenz des Euro wird von der EZB demonstrativ gesichert, durch das Versprechen zu tun, „was immer“ erforderlich ist. Negativzins und Aufkauf von Wertpapieren dienen nur dazu, den Märkten zu verdeutlichen, dass sich eine Spekulation gegen den Euro nicht lohnt. Die Munition der EZB ist (fast) unendlich.

Weitere Pleiten wie in Griechenland werden nicht zugelassen. Die EZB kauft dazu Staatsanleihen auf, um die Zinsen so tief zu drücken, dass die Finanzierung der Staaten gesichert bleibt. Daran ändert der leichte Zinsanstieg der letzten Wochen nichts. Sollte es sichtbar zu Spannungen an den Märkten kommen, steht die EZB bereit. Wie auch die Euroretter in Brüssel und den Hauptstädten wird die EZB vor weiteren Regelbrüchen nicht zurückschrecken, wenn es der politischen Sache dient. Übrigens wäre die Griechenlandkrise über Nacht vorbei, würde die EZB auch griechische Anleihen unbegrenzt aufkaufen. Eine echte Lösung wäre es natürlich nicht.

Fazit: Die Finanzmärkte spielen nur zu gerne mit. Garantieren EZB und Politik doch weitgehend risikolose Gewinne. Wann immer die Sorgen um die Zukunft des Euro zunehmen, lohnt sich ein Einstieg in die Märkte, weil dann Politik und Notenbank handeln. Wie schon bei der “Griechenland-Rettung” stehen die Gewinner also fest.

Keine Illusion hält ewig

Wir wissen, dass der Zauberer die Frau nicht wirklich zersägt. Genauso wissen wir, dass weder die Eurozone noch Griechenland wirklich gerettet wurden. Beschränken sich die finanziellen Folgen der Zaubershow auf das Eintrittsgeld, wird die Rechnung der politischen Illusionsshow in die Billionen gehen. Kosten für die Bevölkerungen Europas, nur damit die Illusionisten ihr Spiel möglichst lange fortsetzen können. Diese haben zu große Angst, den Bevölkerungen die Wahrheit zu sagen: Wir brauchen großzügige Schuldenschnitte und eine Neuordnung des Euro.

→  Cicero.de: “Schauspiel der Illusionisten”, 23. Februar 2017