STELTERS MAILBOX: Drücken Sie sich um eine Bilanz Ihrer Prognosen?
„Sehr geehrter Herr Stelter,
früher haben Sie Bilanz Ihrer Jahresprognosen gezogen. Diesmal waren Sie wohl so schlecht, dass Sie sich nicht trauen – oder?
Mit freundlichen Grüßen“
Klares Feedback kann man da nur sagen (im Original war die Mail noch hämischer). Nein, ich will mich nicht drücken. Meine Prognosen, von denen ich immer betont habe, dass sie nur den Zufall durch den Irrtum ersetzen, erschienen bisher bei der WirtschaftsWoche. Die Zusammenarbeit ist bekanntlich im letzten Jahr etwas abrupt und bedauerlich geendet, weil meine Kolumne zunächst ohne Ankündigung nicht veröffentlicht wurde und erst auf mein Nachfragen hin als inhaltlich nicht akzeptabel abgelehnt wurde.
Hier die strittige Kolumne, die dann nur bei bto erschien:
Er ist übrigens der zweitmeistgelesene Beitrag auf bto mit immerhin 178 Kommentaren. Dies ist kein Zeichen für Qualität, zeigt aber zumindest, dass das Thema einen Nerv getroffen hat.
Hätte ich noch bei der WiWo publiziert, wären Rückblick und Ausblick dort natürlich erschienen. Da das nicht der Fall ist, also heute die Bilanz. Ich drücke mich nicht, sehe ich doch Prognosen auf die kurze Frist ohnehin als wenig sinnvoll an.
Ausgangslage 2019
Jede Prognose wird naturgemäß unter dem Eindruck des angelaufenen Jahres gemacht. Deshalb zur Erinnerung: „2018 war es fast unmöglich, eine Anlageform zu finden, die einen positiven Ertrag erbracht hat. Über 90 Prozent der möglichen Geldanlagen, die die Deutsche Bank in ihrer jährlichen Studie über den langfristigen Ertrag verschiedener Vermögensklassen analysiert, haben 2018 zu Verlusten geführt. Das schlechteste je gemessene Ergebnis seit dem Jahr 1901. Das bis dato schlechteste Jahr war 1920 mit 84 Prozent. Nicht mal während der Großen Depression, der Weltkriege und der Finanzkrise war es an den Finanzmärkten so schwer, Geld zu verdienen wie in diesem Jahr.“ So meine Zusammenfassung vor einem Jahr.
Die zu der offensichtlich falschen Einschätzung führte: „Offensichtlich haben wir 2018 eine Trendwende erlebt. Der von den Notenbanken inszenierte und finanzierte künstliche Aufschwung an den Finanzmärkten und (deutlich schwächer!) in der Realwirtschaft nähert sich dem unvermeidlichen Ende. Ein Ende, welches schmerzhaft offenlegen wird, dass keine der Ursachen von Finanz- und Eurokrise bereinigt wurde. Im Gegenteil sind die Probleme heute noch größer als vor 10 Jahren. 2019 dürfte uns diesem Ende einen großen Schritt näherbringen.“ Eine Aussage, die, wenn man auf die Börsen blickt, offensichtlich nicht zutrifft.
Die Notenbanken haben auch alles dafür getan, dass es gut verläuft. Beginnend mit den zwei Wenden der Fed (vor einem Jahr Abkehr von der Zinserhöhung, im letzten Herbst QE 4, wenn auch unter anderem Namen) und der Wiederaufnahme der Wertpapierkäufe durch die EZB als eine der letzten Amtshandlungen von Mario Draghi. Hätte man eigentlich wissen können.
Die Thesen im Einzelnen
Doch nun zu den Thesen im Einzelnen. (Nachzulesen im Original hier:→ Meine Top-Thesen für 2019)
- Der Handelskrieg verlagert sich auf Europa: Meine Erwartung, dass der Handelskrieg des Donald Trump sich in diesem Jahr auch auf Europa verlagern würde, war (glücklicherweise!) falsch. Damit null Punkte.
- Chinas Wirtschaftswachstum fällt weiter: Diese Erwartung traf zu. Ebenso die Erwartung, dass China nicht in eine Krise stürzt, der Umbau der Wirtschaft aber eine schwere Aufgabe bleibt. Kein Wunder, dass die Politik zum Jahresende die Geldschleusen doch wieder mehr geöffnet hat. China war damit wie erwartet nicht die Zugmaschine für die Weltwirtschaft, was sich auch an der Konjunkturentwicklung in Deutschland zeigt. Ein Punkt.
- USA und Europa fallen in die Rezession: Offensichtlich falsch. Deutschland ist als schwächstes Land der EU knapp an einer offiziellen Rezession vorbeigeschrammt aber andere Länder wie Frankreich tragen das Wachstum. Auch in den USA hält sich die Wirtschaft besser als gedacht. Null Punkte.
- Die Deflation kehrt zurück: Deflation haben wir zwar noch nicht gesehen. Aber die Erwartung, dass die Inflationsängste an den Märkten verschwinden und die Notenbanken statt Zinserhöhungen auf weitere geldpolitische Maßnahmen zur Rettung von Weltwirtschaft und Finanzmärkten umstellen, war so falsch nicht. Ich würde mir da einen Punkt geben.
- Krise bei Unternehmensanleihen: Eindeutig null Punkte. Dazu kam es nicht. Ich denke aber, mit Blick auf die enorm gestiegene Verschuldung der Unternehmen vor allem in den USA, ist die Gefahr nicht gebannt. Klarer Fall von Timingproblem also. Zur Erinnerung: Seit 2009 ist das Volumen an BBB Bonds in den USA um fast 230 Prozent auf nunmehr 2500 Milliarden US-Dollar angewachsen. Gut 1000 der 2500-Milliarden-Dollar-Anleihen, die noch mit BBB geratet sind, haben einen Verschuldungsgrad auf Junkbond-Niveau, müssten also eigentlich ihr Rating verlieren. Noch können Unternehmen und Ratingagenturen die Illusion aufrechterhalten, alles sei bestens. Kommt es zu einer Welle an Herabstufungen, drohen massive Kursverluste im Anleihebereich. GE war in diesem Jahr das auch von mir diskutierte Beispiel.
- Die US-Börse fällt weiter: Völlig falsch. Null Punkte. Der Grund liegt auf der Hand, die Öffnung der Geldschleusen und die Aktienrückkäufe. Hätte man vermutlich sehen können. Habe ich aber nicht. (Zu meiner Ehrenrettung merke ich an, dass meine positive Sicht auf Russland und UK, die ich in anderen Beiträgen geäußert habe, nicht so falsch war.)
- Der Dollar fällt: Ebenfalls falsch. Der US-Dollar hat sich – zur Überraschung nicht nur von mir – deutlich besser gehalten und gegenüber den meisten Währungen weiter hinzugewonnen. Null Punkte.
- Gold hingegen steht vor einem (relativ) guten Jahr: Richtig. Gold hat von weiter sinkenden Zinsen und dem dumpfen Gefühl, dass was nicht gut läuft, profitiert. Ein Punkt.
- Cash als bestes Investment: Falsch. 100 Prozent Aktien, am besten noch auf die FANGS konzentriert, wäre richtig gewesen. Ebenso griechische Aktien und Bonds. Null Punkte.
- Die CDU verliert weiter: Richtig, wenngleich es bei der Europawahl noch glimpflich ausging. Richtig war auch die Erwartung, dass Manfred Weber nicht Kommissionspräsident wird (aber das war ja eine einfache Vorhersage!). Ein Punkt.
Trübe Bilanz: Nachdem ich im Jahr zuvor mehr als 50 Prozent richtig lag, war das Ergebnis für 2019 eher bescheiden: 40 Prozent Treffer. Besonders schmerzlich (aus dem Blickwinkel des Prognostikers!) war die außerordentlich gute Entwicklung an den Börsen und die anhaltende Stärke des Dollars.
Spielt es überhaupt eine Rolle?
Alle Arten von Prognosen für die Entwicklung von Wirtschaft und Kapitalmärkten auf die Sicht von zwölf Monaten sind pures Glückspiel. Wie schon der vielzitierte John Maynard Keynes wusste: Die Börsen können länger falsch liegen, als man Geld hat, gegen sie zu wetten. Deshalb freue auch ich mich über die gute Entwicklung an den Börsen des letzten Jahres, weil sie sich auch in meinem Portfolio niedergeschlagen hat.
Zur Erinnerung: Trotz aller Sorgen um die Stabilität des Finanzsystems, die Zukunft des Euro und der Weltwirtschaft bleibe ich bei meiner sehr einfachen, möglichst kostengünstigen Allokation auf:
- Aktien – global verteilt, idealerweise nach BIP.
- Immobilien – idealerweise auch regional diversifiziert, dies geht u. a. über REITS und Immobilienaktien.
- Gold – und auch Goldminen.
- Liquidität/Anleihen – zum Parken von Liquidität zur Sicherung vor Bankenkrisen.
Daraus ergibt sich automatisch auch eine währungsmäßige Diversifikation aus dem Euro.
Ich erinnere auch daran, dass es mit dem Timing an den Börsen so eine Sache ist. Selbst wenn man Dinge richtig einschätzt, kann man viel zu früh dran sein. Deshalb lohnt es nicht, zu früh auf bestimmte Entwicklungen zu setzen.
Dennoch macht es Sinn, sich über die Entwicklung des kommenden Jahres Gedanken zu machen. Nimmt man die Übung ernst und sieht sie nicht nur als ein Marketinginstrument, schärft es den Blick auf die Märkte. Wenn man dann noch akzeptiert, dass es meist nur eine Verschiebung einer Entwicklung auf der Zeitschiene ist, nicht unbedingt eine falsche Sicht, kann man durchaus Nutzen für die eigene Portfolioallokation ziehen.
Meine Thesen für 2020
Deshalb habe ich mich entschlossen – in vollem Bewusstsein in einem Jahr erneut hämische Mails zu bekommen – meine Erwartungen – nicht Prognosen! – für 2020 zusammenzufassen. Nicht zu verwechseln mit meinen Thesen zur wirtschaftlichen Entwicklung im kommenden Jahrzehnt. Diese sind Gegenstand der kommenden Folge meines Podcasts am nächsten Sonntag!
Hier also Stelters Thesen für 2020:
- Börsen enttäuschen: Ja, ich klinge wie eine Schallplatte mit einem Sprung. Ich denke aber, nach einem Jahr wie 2019, in dem die Börsen – namentlich die Wall Street – faktisch ausschließlich von der billigen Liquidität und Aktienrückkäufen getragen wurde und die Gewinne der Unternehmen stagnierten/rückläufig waren (je nach Quelle), ist es schwer, nochmals eine Schippe drauf zu legen. Ausschließen will ich einen Melt-up-Boom nicht. Ich würde ihn aber zur Reduktion von Positionen nutzen und denke, am Jahresende werden wir auf ein turbulentes Jahr zurückblicken ohne nennenswerte Gewinne. Einen Crash an der Wall Street halte ich durchaus für möglich. Der Stress am Repo-Markt ist ein ernsthaftes Warnsignal, dass etwas faul ist. Japan und Europa sollten relativ (!!) besser abschneiden.
- Wirtschaft stabilisiert sich: Die Kehrtwende der Notenbanken, die (temporäre) Ruhe im Handelskrieg, die lockere Fiskalpolitik und der Wahlkampf in den USA sind positive Rahmenbedingungen für eine robuste, wenn auch nicht beeindruckende Konjunkturentwicklung. Auch in Deutschland stabilisiert sich die Lage. Das heißt, wir schrammen an einer Rezession vorbei – aber nur dann, wenn das Crash-Szenario ausbleibt.
- Die Inflation bleibt niedrig: Wie schon in der Vergangenheit, wird die Inflation enttäuschen. Gemeint ist dabei die offizielle Konsumenteninflation. In einzelnen Bereichen werden wir vor allem staatlich ausgelöste Preissteigerungen erleben (CO2 etc.) und auch in einzelnen Vermögensmärkten werden die Preise weiter steigen. In Summe bleiben wir aber in einem Umfeld, das den Notenbanken die offizielle Begründung liefert, auf dem Gaspedal zu bleiben.
- Der Dollar wird schwächer: Vorletztes Jahr habe ich richtigerweise eine Stärke des Dollars erwartet, letztes Jahr zu Unrecht eine Schwäche. Ich bleibe bei meiner Meinung, dass der Dollar 2020 schwächer wird, vor allem getrieben von der Tatsache, dass die Fed eben doch nicht aus der Politik des billigen Geldes aussteigen kann. Diese Schwäche des Dollars trägt übrigens zu einer Stabilisierung der Weltkonjunktur bei.
- Gold wieder schwächer: Deshalb dürfte Gold auch in den Bärenmarkt zurückfallen. Trotz gelegentlicher Unruhe und anhaltenden Notenbankkäufen dürfte Gold schwächer notieren. Dies sollte allerdings keinen Investor kümmern, da Gold ja einen Versicherungscharakter im Portfolio hat.
- Die Schuldenblase platzt noch nicht: Im letzten Jahr habe ich wie besprochen vor den erheblichen Risiken im Markt für Unternehmensanleihen gewarnt und eine Krise prognostiziert, die nicht kam. Stimmt die Einschätzung, dass wir keine Rezession bekommen und die Fed bei der lockeren Politik – faktisch QE 4 – bleibt, dann dürfte es auch 2020 noch mal gut gehen. Platzt sie – und das ist das Problem mit diesen Prognosen, da sie eine reine Timing-Frage sind – könnte sie Rezession und Börsencrash auslösen.
- Die GroKo hält: Da keiner der Akteure einen Nutzen davon hat, die Koalition platzen zu lassen, wird sie uns bis zum Ende der regulären Legislaturperiode erhalten bleiben. Nicht, dass sich daraus was Gutes für das Land ergibt.
- Klimaaktionismus boomt: Verglichen mit dem, was Politik und Medien, angetrieben von einer zunehmend marktwirtschaftsfeindlichen Klimabewegung, im kommenden Jahr veranstalten werden, war 2019 nur ein kleines Vorspiel. Der vermutliche Höhepunkt steht uns 2020 bevor. Eine wahre Flut an „Klimanotstandserklärungen“ von Städten (und Bundesländern?) wird folgen, gepaart mit einer Flut an Einzelmaßnahmen, die mehr oder weniger sinnvoll sind und nicht zusammenpassen. Auf EU-Ebene wird es die Agenda der Kommission bestimmen und die Grundlage für den nächsten Schritt legen: die Einbindung der EZB zur Finanzierung des Ganzen. Dies dürfte allerdings noch nicht 2020 passieren.
- Donald Trump wird wiedergewählt: Immer, wenn ich Nachrichten in Deutschland über Donald Trump höre, muss ich an die Harvard-Studie denken, die aufgezeigt hat, dass nirgendwo in Europa und den USA so schlecht über Donald Trump berichtet wird, wie bei uns. (→ Nirgends kommt Trump schlechter weg als im deutschen Fernsehen) Das passt in das Bild der Oxford-Studie zur Einseitigkeit der hiesigen Medien. (→ Zur Wirkung der Medien in Deutschland) Deshalb muss man aufpassen, mit der Beurteilung seiner Wahlchancen. Je nachdem, wer demokratischer Kandidat wird, kann es gut sein, dass Trump es nochmals schafft. Bis dann müsste die Börse aber durchhalten. Käme es zu einer deutlichen Korrektur und gar einer Rezession in den USA, wäre für ihn Schluss.
- Der Brexit kommt: Ende Januar tritt Großbritannien aus. Ich denke, wir werden ein Jahr mit heftigem Auf und Ab erleben, abhängig von der gerade aktuellen Meldung über den Stand der Verhandlungen zu einem Vertrag zwischen Großbritannien und der EU. Es wird viel Drama und Theater geben – und am Ende einen Deal. Das Pfund wird am Ende höher stehen als heute, allerdings nach einem sehr volatilen Jahr.
Die große Schuldenkrise kommt vielleicht nicht im Jahr 2020. Aber sie wird kommen und vermutlich gerade dann, wenn ich sie nicht erwarte. Denn trotz dieser grundsätzlich guten Aussichten für 2020 dürfen wir nicht vergessen, dass die Weltwirtschaft und das Weltfinanzsystem keineswegs auf einem stabilen Fundament stehen. Im Gegenteil wird das System von billigem Geld und weiter wachsenden Zentralbankbilanzen stabilisiert, während die Schulden immer weiter wachsen, die Zombifizierung zunimmt (wenn auch von vielen Ökonomen bestritten), die Produktivitätsfortschritte enttäuschen und der demografische Wandel, für den niemand vorgesorgt hat, mit voller Wucht zuschlägt. Genießen wir es also, so lange es hält.
Soweit für heute bei STELTERS MAILBOX. Schreiben Sie mir!