“Wirtschaft und Demokratie: Neue Zauberformel, bitte!”
Gestern habe ich die zunehmende Unzufriedenheit breiter Teile der Bevölkerungen der westlichen Industrieländer mit dem Zustand der Wirtschaft und den Folgen der Globalisierung diskutiert. Auch Thomas Fricke nimmt das Thema in seiner letzten Kolumne auf:
- “Womöglich liegt unser Problem genau darin: dass die Zauberformel versagt hat, nach der es allen gut geht, wenn es freie Märkte und Demokratie gibt. Jetzt haben wir überall kriselnde Märkte – und einen Boom derer, die behaupten, es wäre besser, autoritär durchzugreifen.”
- “Als Ende der Achtzigerjahre die Mauer fiel, schien entschieden, was für die Menschheit am besten ist. Da befand der Politologe Francis Fukuyama, dass sich Marktwirtschaft und Demokratie bald überall durchsetzen: das ‚Ende der Geschichte‘.”
- “Seit dieser Zeit sind gerade (Schwellen-)Länder in Krisen geraten, die sich allzu naiv für jenes gelobte Kapital aus dem Ausland öffneten – das dann auch schnell weg war, wenn’s zu heiß wurde. Seither gab es eine Währungskrise nach der anderen. Und eine große Finanzkrise, die von einer Branche ausging, in der die Märkte am freiesten spielen durften.” – bto: Hier ist ein guter Zeitpunkt, um mit den Anmerkungen zu beginnen. Diese Auswüchse sind doch nicht die Folge eines funktionierenden Marktes, sondern die Folge der Aushebelung von Marktmechanismen durch die Politik: Es wurden Zinsen immerwährend gesenkt – asymmetrisch, wie die BIZ schreibt – und Kapitalanforderungen gemindert. Damit wurden Banken gezwungen, immer mehr Risiken einzugehen, da sie, wenn sie nicht mitmachten, vom Markt verschwänden. Zugleich gab es die implizite Garantie des Staates, sie zu retten. Alles das, um mit Verschuldung einen Wohlstand vorzugaukeln. Es ist ein Märchen, dass die “freien” Märkte schuld sind. Es sind Märkte, in denen die Politik bewusst die Marktmechanismen ausgesetzt hat.
- “Seither sind dank freier Kreditmärkte die Schulden hochgeschossen, driften gerade in den Ländern Reich und Arm irre auseinander, wo die Märkte wie in den USA und Großbritannien am freiesten sind.” – bto: Das war so gewollt und beabsichtigt, um über die grundlegende Schwäche hinwegzutäuschen. Bekanntlich steckt die Verschuldung auch hinter der Vermögenspreisinflation. Siehe dazu meine Piketty-Kritik.
- “Unter den Ländern, die das große Kriseln seit 2008 am besten überstanden haben, sind – China, die Türkei und Saudi-Arabien, bis zum großen Ölpreiscrash auch Russland. In China wuchs die Wirtschaft seit dem Tiefpunkt der Krise um 45 Prozent, auch ohne Demokratie, in der Türkei (bis zum Frühjahr) um 35 und im autokratischen Saudi-Arabien um 33,7 Prozent.”
- “In Euroland waren es 7,6 Prozent. Nicht so richtig eindeutig gut für die Statistik zur demokratischen Überlegenheit.” – bto: inhaltlich richtig. Aber, die anderen konnten noch viel mehr Schulden machen! Daraus auf eine Überlegenheit zu schließen ist schon gewagt.
- “Da haben Autokraten manchmal sogar den Joker, schneller intervenieren zu können. Wenn Chinas Wirtschaft so viel besser durch die Finanzkrise kam, liegt das auch daran, dass Peking enorm schnell gigantische Konjunkturpakete auflegen konnte – während die Europäer sich in Schneckenrettung und viel Sorge um demokratische Kontrollen ergaben.” – bto: Das stimmt sicherlich.
- “Es geht darum, wirtschaftlich eine Menge wieder besser zu steuern und zu regulieren und eine weniger naive Globalisierung zu entwerfen. Und zum Beispiel dafür zu sorgen, dass kleinere Einkommen schneller wachsen als große. Oder Unternehmen zu dringenden Investitionen animiert werden, die sie aus Angst vor der Angst gerade unterlassen. Oder Banken weniger einfach Kredite zum Spekulieren vergeben können, um an den Finanzmärkten nicht neue Blasen entstehen zu lassen.” – bto: Es bedeutet, den einfachen Kredithahn zuzudrehen und wieder zu echter Marktwirtschaft zurückzukehren!!! Mit echtem Risiko und normalen Zinsen.
“Jetzt gilt es, den Beleg anzutreten, dass es für all das am besten ist, Regierungen zu haben, die frei gewählt und demokratisch kontrolliert schlauere Antworten entwickeln und umsetzen, als es Sprücheklopfer vorgaukeln.” – bto: selten so gelacht. Die Politiker scheuen sich seit 30 Jahren, das Richtige zu machen. Jetzt, wo alles noch viel schlimmer ist, und die Demografie voll zuschlägt – in Form von “alten” Mehrheiten – werden sie es erst recht nicht machen.
→ SPIEGEL ONLINE: “Wirtschaft und Demokratie: Neue Zauberformel, bitte!”, 5. August 2016