Schulden bewältigen: Die SZ träumt vom Wachstum
Wir wissen, dass die Süddeutsche Zeitung (SZ) eine klare Linie verfolgt: eher geneigt, die deutsche Verpflichtung zu finanzieller Solidarität zu betonen – innerhalb Europas, aber auch bezüglich Ärmeren aus anderen Regionen – und offen für höhere Steuern bei uns, um dies zu finanzieren. Zugleich wirkt die SZ auch immer beruhigend, so beim Thema Schulden. Denn es könnte ja sein – so denke ich zumindest –, dass auch die Leser der SZ plötzlich zu dem Schluss kommen, dass es doch nicht so leicht sein könnte, für andere die Zeche zu übernehmen.
Die Kernaussagen:
- “Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die Staatsschulden der USA allein dieses Jahr von gut 100 auf 130 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Im Euro-Sorgenstaat Italien erwartet der IWF einen Anstieg auf 155, in Griechenland auf 200 Prozent. (…) Kommt es zu Staatspleiten und Hyperinflation, die Währungen und Ersparnisse der Bürger zerstören?” – bto: Die Antwort darauf muss lauten, nein. Alles andere ist eine für die SZ unmögliche und damit undenkbare Antwort.
- “Die Industriestaaten haben Extremsituationen wie Corona in der Vergangenheit häufiger ganz gut bewältigt, ohne Schaden zu nehmen. (…) Anfang des 19. Jahrhunderts vervielfachten sich die britischen Staatsschulden auf mehr als 200 Prozent der Wirtschaftsleistung – so hoch wie bald wohl Griechenlands Verbindlichkeiten. (…) Die Briten schlugen mit ihren Alliierten nicht nur Napoleon, sie entgingen auch einer Staatspleite. Ein wichtiger Grund dafür: ihre wirtschaftliche Aktivität. Großbritannien wurde zum Vorreiter der Industrialisierung, die Europa nie gesehenes Wachstum bescherte. Während vor 1750 kein europäischer Staat nennenswert wuchs, vervierfachte sich die britische Wirtschaftsleistung bis 1840. Spanien dagegen, durch die Ausplünderung Südamerikas reich an Gold und Silber, vernachlässigte die wirtschaftliche Aktivität und taumelte von einer Staatspleite zur nächsten.” – bto: Die Schlussfolgerung lautet Wachstum, und zwar ein erhebliches.
- “Bis Ende des Krieges gegen Hitler-Deutschland türmte sich der britische Schuldenberg auf 270 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch der amerikanische schwoll auf 130 Prozent an (…) Damals ging keiner der beiden Staaten pleite, nicht mal die Inflation schoss hoch. Entscheidend war, dass die Zinsen niedrig blieben, die die Regierungen für ihre Verbindlichkeiten zahlen mussten. (…) Sind die Zinsen niedriger als das Wirtschaftswachstum, kann sich ein Staat verschulden, ohne unterzugehen.” – bto: In Italien ist das in den letzten 20 Jahren nicht gelungen!
- “So könnte es auch diesmal gelingen, da die Zinsen seit Längerem niedrig sind. Zwischen 1800 und 2011 erlebten die Industriestaaten im Übrigen 26 Episoden mit hohen Schuldenbergen, von denen 23 ohne Drama endeten. (…) Probleme entstehen in Staaten, die sich nicht ausreichend in ihrer eigenen Währung Geld leihen können (…) Gefährdet sind etwa Schwellenländer – und Eurostaaten wie Italien, das schon vor Corona Schulden von 135 Prozent drückte. Während die USA und Deutschland auch in der aktuellen Krise als sichere Häfen wahrgenommen werden, ist dies bei Südeuropa anders.” – bto: Man muss darauf hinweisen, dass die Wachstumsraten in diesen Fällen auch deutlich höher waren als heute.
- “‘Sollten die Zinsen in Südeuropa rapide steigen, könnte der Euroraum als Ganzes ins Wanken kommen, und damit die Stabilität Deutschlands’, warnt der Schuldenforscher Christoph Trebesch. ‘Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass Europa nun gemeinsam handelt – auch durch die einmalige Ausgabe von Gemeinschaftsanleihen.’ Dies stoppt den Anstieg der Zinsen, die Wetten auf Südeuropas Pleite.” – bto: Da haben wir es wieder. Durch die Übernahme von Schulden durch uns, sollen die Zinsen tief gehalten werden. Doch was macht denn die EZB die ganze Zeit? Genau, sie hält die Zinsen niedrig, doch es genügt nicht. Das Wachstum ist noch geringer.
- “Die Industriestaaten schrumpfen die Schuldenberge, wenn ihre Wachstumsrate über den Zinsen bleibt. Aber klar ist auch: Dafür gibt es Voraussetzungen. Die erste ist eben ein gewisses Wachstum. Dafür bedarf es zunächst eines Wiederaufbauplans, und dann grundsätzlicherer Bemühungen. Italien etwa wuchs in den vergangenen Dekaden oft kümmerlich. Hier werden in Zukunft mehr Anstrengungen nötig sein (…).” – bto: So, jetzt wird es aber spannend. Der “Wiederaufbauplan” soll was denn bitte wieder aufbauen? Seit wann erhöhen Konjunkturprogramme das Wachstumspotenzial? Wissen wir nicht, dass das Wachstumspotenzial Italiens bei ungefähr null Prozent liegt wegen demografischer Entwicklung und fehlender Produktivitätszuwächse? Ah ja, da braucht es dann ‘grundsätzlicherer Bemühungen’.” – bto: Was damit gemeint ist, bleibt im Dunkeln. Denn wir dürfen ja nicht mitreden bei der Verwendung von Mitteln oder gar Reformen durchsetzen.
- “Die Zinsen fallen in den Industriestaaten seit Jahrzehnten. (…) Alternde Gesellschaften sparen mehr, reife Industriegesellschaften wachsen weniger, digitale Firmen brauchen nicht so viele Fabriken und Maschinen.” – bto: Und wie passt diese Feststellung zum Optimismus, sich aus der Krise herauszuwachsen?
- “Die Notenbanken stehen zudem bereit, in größerem Umfang Staatsanleihen aufzukaufen. Auch das stabilisiert die Lage der Staaten. Für Schulden, die bei der Notenbank statt bei Investoren liegen, fordert keiner höhere Zinsen.” – bto: Richtig und deshalb wird es in diese Richtung gehen und im Euroraum eine massive Vermögensverschiebung zwischen den Ländern geben.
- “Aber gefährdet diese Operation nicht die Notenbanken selbst? Die Notenbanken der USA, der Eurozone, Großbritanniens oder Japans begeben sich gerade eindeutig in noch tieferes Wasser, als sie es zur Abwehr der Finanzkrise 2008 taten. Wuchsen ihre Bilanzen damals auf 20 Prozent der Wirtschaftsleistung, könnten sie im Jahresverlauf 2021 bis auf 60 Prozent anschwellen (…). Die Schweizerische Notenbank operiert seit Jahren mit einer Bilanzsumme von über 100 Prozent, ohne dass jemand ernsthaft ihre Stabilität anzweifelt. Für Japan gilt ähnliches.” – bto: a) Die Schweizerische Notenbank finanziert aber nicht nur bankrotte Eurostaaten, sondern kauft Realvermögen in Form von Aktien. Ich finde schon, dass man das erwähnen sollte. b) Japan ist ein homogenes Land, großer Unterschied zum Euroraum!
- “Aktuell sind die Voraussetzungen günstig, dass es auch dann nicht zu hoher Inflation kommt, sobald sich die Volkswirtschaften von Corona erholt haben. Faktoren wie die Globalisierung drücken schon seit den 1990er-Jahren die Inflationsraten. Wegen der internationalen Konkurrenz können Firmen schwerer ihre Preise erhöhen als vorher – und Arbeitnehmer schwerer ihre Löhne. Dass sich Produktpreise via Amazon & Co. inzwischen weltweit vergleichen lassen, drückt die Preise weiter.” – bto: was nun? De-Globalisierung, Zerfall von Wertschöpfungsketten, staatliche Regulierung, demografischer Wandel, Verbote wegen Klimawandel, … die Liste ließe sich verlängern. Vieles spricht für Inflationsdruck.
- “Schuldenberge und Notenbanken-Noteinsätze müssen nicht zu Staatspleiten und Hyperinflation führen. Jedenfalls, wenn Europas Staaten zusammenstehen – und sich auch nachhaltig um ihr Wachstum kümmern. Und: Wenn Regierungen und Notenbanken zwar unabhängig agieren, aber in die gleiche Richtung – gegen die Krise. Genauso eine Krisenbewältigung stellten die deutschen Verfassungsrichter mit dem Urteil diese Woche allerdings infrage.” – bto: Klartext, die Notenbanken sollen die Staaten finanzieren, es gibt die “Hoffnung” auf Wachstum, völlig unfundiert, woher es kommen soll und wie “Zusammenstehen” – lies: deutsches Steuergeld für andere Länder – daran etwas ändern soll.
→ sueddeutsche-de: “Wie der Abstieg vom Schuldenberg gelingt”, 8. Mai 2020