“Die Provinzen werden’s schon bezahlen”
Dieser Kommentar von mir erschien bei Cicero Online:
Die EU-Kommission hat den Haushalt Italiens nicht gebilligt, erstmals in ihrer Geschichte. Doch dahinter verbirgt sich hauptsächlich Theater. Denn die italienische Regierung hat weiterhin alle Trümpfe in der Hand. Die Hauptlast wird wieder ein anderes europäisches Land tragen.
Italien beherrscht die Schlagzeilen. Erstmals hat die EU-Kommission den Etatentwurf einer Regierung nicht gebilligt, sondern zur Überarbeitung zurückgeschickt. Drei Wochen hat die Regierung aus Populisten unterschiedlicher Richtungen nun Zeit, einen besseren Entwurf vorzulegen. Die Finanzmärkte blicken deshalb immer nervöser auf Italien. Die Zinsen für dortige Staatsanleihen steigen, der Euro kommt wieder unter Druck. Die Angst vor einer „erneuten“ Eurokrise geht um. Überraschen kann das allerdings nur jene naiven Beobachter, die wirklich dachten, die Politiker hätten in den vergangenen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht oder jene, die denken, wenn das Geld nichts mehr koste, verschwänden dann auch die Probleme. Beides ist falsch.
Egal, welches Theater die Akteure in Rom, Brüssel und Berlin in den nächsten Wochen aufführen: Am Ende wird wiederum ein Ergebnis im traditionell italienischen Sinne stehen. Die europäischen Provinzen werden schon bezahlen, wie noch immer in der römischen Geschichte. Zu stark ist die Verhandlungsposition der Italiener. Zu schwach die unserer Politiker, die sich selbst zehn Jahre nach Beginn der Eurokrise weigern, nüchtern über Kosten und Nutzen des Euro nachzudenken. So werden die Deutschen, die gemessen am Pro-Kopf-Vermögen deutlich ärmer als die Italiener sind, wieder einmal die Dummen sein. Selber schuld.
1. Italien ist ein reiches Land
Die Italiener gehören zu den vermögendsten Haushalten in Europa. Nach Daten des französischen Reichtumsforschers Thomas Piketty liegt das Vermögen in Italien bei rund 590 Prozent des Volkseinkommens, bei uns bei 450 Prozent. Nach Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) liegt das Medianvermögen der privaten Haushalte in Deutschland bei 60.000 Euro, in Italien bei 150.000 Euro. Hintergrund ist neben der Tatsache, dass Italien es schaffte, keinen Krieg zu verlieren, vor allem der deutlich verbreitetere Immobilienbesitz.
2. Italiens Staat hat hohe offizielle Schulden
Bekannt ist, dass der italienische Staat seit Jahren unter hohen Schulden leidet. Trotz erheblicher Sparbemühungen in den letzten Jahren – das Land hat mehr gespart als wir in Deutschland – ist die Schuldenquote weiter gestiegen. Dies lag vor allem an einem zu geringen Wirtschaftswachstum. Mit 132 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat das Land die zweithöchsten Schulden im Euroraum. Zum Vergleich: Bei uns werden die offiziellen Schulden in diesem Jahr unter 60 Prozent vom BIP sinken. Andererseits zeigen Länder wie Japan mit Staatsschulden von mehr als 200 Prozent, dass so eine hohe Last tragbar ist. Es kommt auf das Verhältnis von Schulden, Zinsen und Wachstum an. Je höher das Wirtschaftswachstum und je tiefer die Zinsen, desto höher können die Schulden sein.
3. Italien hat weniger Schulden als Deutschland
Staaten bilanzieren nicht wie Unternehmen, was dazu führt, dass die Politiker die wahre Verschuldung des Staates leicht verschleiern können. So gehört der deutsche Staat nach einer Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu den Ärmsten der Welt. Einem geringen staatlichen Vermögen – wir haben keinen Staatsfonds, keine Rohstoffe, nur noch wenige staatliche Unternehmen und eine zunehmend überalterte Infrastruktur – stehen in Deutschland erhebliche Schulden des Staates gegenüber. Zwar ist die offiziell ausgewiesene Verschuldung gering. Die verdeckten Verpflichtungen des Staates für Pensionen sind aber erheblich und dabei hat der IWF die Verpflichtungen aus dem formell separaten Renten- und Sozialsystem nicht einmal mitgerechnet. Anders ist das in Italien, wie die Stiftung Marktwirtschaft schon vor einiger Zeit vorgerechnet hat. Zählt man die verdeckten Verbindlichkeiten mit ein, hat Italien Schulden in Höhe von 107 Prozent des BIP (richtig: die künftigen Einnahmen übersteigen die Ausgaben!) und Deutschland von über 160 Prozent. Schuld an unserer relativ schlechteren Position ist eine Politik, die sich an der „schwarzen Null“ berauscht und dafür die Infrastruktur verfallen lässt und im Gegenzug unfinanzierbare Versprechungen für die Zukunft abgibt.
4. Italien hat ein Wachstumsproblem
Hinter dem Aufschwung der euro-kritischen Parteien in Italien steht ein handfestes ökonomisches Problem. Noch immer liegt die Wirtschaftsleistung des Landes deutlich unter dem Vor-Euro-Krisenniveau von 2008. Die Italiener erleben eine Rezession, die länger andauert und tiefer greift als die Wirtschaftskrise in den dreißiger Jahren. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Neben einem völlig verkrusteten Arbeitsmarkt, grassierender Bürokratie und Korruption ist es auch das Gerüst des Euro, das es der Wirtschaft so schwer macht, wieder auf die Beine zu kommen. Während der Euro für unsere Wirtschaft viel zu schwach ist, was den Exportboom weiter befeuert, ist er für Italien noch zu hoch. Auch innerhalb der Eurozone hat das Land massiv an Wettbewerbsfähigkeit verloren, weil die Lohnsteigerungen nach der Euroeinführung wie in den Jahren zuvor weitergingen und es nicht mehr möglich war über Inflation und regelmäßige Abwertungen die Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen.
5. Italiens Banken sind insolvent
Damit in engem Zusammenhang steht die Lage der italienischen Banken. In einem Umfeld ökonomischer Stagnation ist es nicht verwunderlich, dass immer mehr Unternehmen Probleme bekommen. Da die Banken es sich aber nicht leisten können, die Kredite für diese Unternehmen abzuschreiben, einigt man sich stillschweigend darauf, so zu tun, als wäre alles in Ordnung. Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Zombifizierung. Unternehmen bleiben am Leben, können aber nicht mehr investieren und innovieren, weil die Banken selber Zombies sind, die sofort insolvent wären, wenn sie diese Kredite abschreiben. Das belastet aber auch die noch gesunden Teile der Wirtschaft. Zum einen müssen gesunde Unternehmen mit Zombies in den Wettbewerb treten, die nicht auf den Gewinn, sondern nur auf Liquidität achten. Zum anderen geben Banken weniger Kredite, weil ihre Mittel in den Zombies gebunden sind.
6. Italien könnte die Probleme leicht lösen
Angesichts der erheblichen Vermögen der italienischen Privathaushalte ließen sich das Problem der Staatsverschuldung und die notwendige Rekapitalisierung der Banken leicht bewerkstelligen. Einmalige Vermögensabgaben und die Beteiligung der Vermögen oberhalb von 100.000 Euro – so wie es die EU eigentlich vorsieht – bei der Sanierung von Banken sind nicht nur möglich, sondern angesichts des relativen Wohlstands im Land eigentlich angezeigt. Nicht gelöst wäre damit allerdings das Problem der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit im Euroraum. Hier müsste die Politik entsprechende Reformen durchführen, vor allem zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes.
7. Sparmaßnahmen sind unpopulär
Wenig verwunderlich dürfte sich eine solche Politik als wenig populär herausstellen. Auch die vorigen Regierungen wurden nicht zuletzt deshalb abgewählt, weil die Bürger die Sparpolitik satthatten. Also ist es politisch höchst rational, sich einen anderen Weg zu suchen. Eben die Provinzen in Europa, die für die Rechnung aufkommen sollen. Dazu bietet sich der Euro als Sündenbock an und die EU und die Eurozone als ideale Feindbilder. Je mehr man sich als italienischer Politiker gegen diese beiden stellt, desto höher der Zuspruch. Mit Blick auf die anstehenden Europawahlen ein eindeutiger Anreiz für die italienischen Regierungsparteien, den Konflikt zu suchen.
8. Italien hat erhebliches Erpressungspotenzial
Eigentlich ist Italien in einer starken Position. Nicht nur, dass Italien viel größer ist als Griechenland und damit ernsthaft das Ganze Projekt Euro in Schwierigkeiten stürzen kann. Die italienische Regierung hat zusätzlich mehrere Trümpfe in der Hand:
- Eigentlich kann sie das Problem im Land selber lösen, das heißt, sie hat immer noch die Option, darauf zurückzugehen. Dies reduziert die Einflussmöglichkeiten von Brüssel und Berlin erheblich.
- Sie hat einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung, und gerade für viele aus der jungen Generation sind Euro und EU keine Verheißung mehr.
- Pläne für die Einführung einer Parallelwährung – dem elegantesten Weg für einen Euroaustritt – liegen bereits länger vor und es wäre kaum verwunderlich, wenn die Vorbereitungen dafür hinter den Kulissen nicht schon weit vorangeschritten sind.
- Die Verbindlichkeiten Italiens im Rahmen des Target-2-Systems sind auf über 470 Milliarden Euro angewachsen. Sollte das Land austreten, dürfte diese Summe verloren sein. Verluste, die vor allem Deutschland zu tragen hätte.
- Ein chaotischer Zerfall der Eurozone hätte erhebliche Konsequenzen und würde Europa und wohl die Welt in eine tiefe Rezession stürzen.
Was kann Europa tun?
Angesichts der Verhandlungslage ist klar, wer am Ende nachgeben wird. Die EU und die Euroländer. Natürlich wird man diesen Kompromiss so verkaufen und verpacken, dass unsere Politiker weiter behaupten können, alles sei bestens. Vielleicht verspricht Italien, in Zukunft wieder mehr Migranten an Land zu lassen oder es wird vereinbart bestimmte Ausgaben in der Rechnung einfach nicht mehr zu berücksichtigen. Staatsdefizit vor „bad stuff“ als weitere Stufe der Täuschung der Öffentlichkeit. Alles das natürlich nach einer weiteren schlaflosen Nacht in Brüssel, um den dummen Wählern den Eindruck zu geben, es wäre wirklich hart gerungen worden.
So zahlen am Ende wie schon im alten Rom die Provinzen: Das Ende ist damit allerdings auch absehbar. Die Eurozone wird immer mehr zu einem Schuldenklub. Die französischen Regierungen haben noch nie ernsthaft ans Sparen gedacht – und gehören zu den wenigen Staaten, die noch ärmer sind als wir Deutschen (sind aber als Privathaushalte deutlich vermögender!) – Spanier, Portugiesen, Griechen und Iren werden sich fragen, weshalb sie sparen sollen, wenn es doch die Italiener nicht tun. Flankiert werden wird das von einer anhaltend großzügigen Geldpolitik der EZB, der ohnehin keine andere Wahl bleibt, als die Zinsen bei null zu halten, will sie den Euro erhalten. Die Folgen dieser Politik sind ebenfalls klar:
- nachhaltig steigende Schulden im Euroraum;
- dauerhafte Sicherung der günstigen Finanzierung der Staatsdefizite durch die EZB;
- anwachsender Bestand an Staatsanleihen in der Bilanz der EZB;
- Gefahr steigender Inflation im Euroraum aufgrund eines zunehmenden Vertrauensverlustes in das Geld (An den Vermögenspreisen ist das schon heute zu beobachten.);
- Zunehmender Druck auf die EZB, mit den Staatsschulden aus der EZB-Bilanz „intelligent umzugehen“. Nicht zufällig hat die amtierende italienische Regierung schon die Idee eines Schuldenerlasses durch die EZB ins Gespräch gebracht.
Der große Verlierer ist …
So oder so läuft es auf eine Entwertung der Schulden – und damit auch der Forderungen hinaus. Entweder über Inflation oder eben über Bilanztricks der EZB. Alternativen haben wir nicht mehr, hat doch die Politik in den vergangenen zehn Jahren schon auf Zeit gespielt, statt das Problem zu lösen.
Wahr ist aber auch, dass dieses Vorgehen eine erhebliche Verteilungswirkung zwischen den Mitgliedsländern der Eurozone hat. Entlastet werden staatliche und private Schuldner (Banken), belastet werden relativ jene Staaten, die solider gewirtschaftet haben und Sparer, die ihr Geld überwiegend in Geldvermögen sparen. Im Klartext: Gewinner sind die Staaten und die Bevölkerungen von Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, … – und der große Verlierer ist der deutsche Bürger. Unser Staat profitiert kaum von der Entschuldung und hat stattdessen einen enormen Rückstau an Investitionen in Infrastruktur, Bundeswehr, Digitalisierung und so weiter. Wir selbst verlieren Geld durch tiefe Zinsen und Inflation. Selber Schuld kann man da nur sagen. Von wegen „reiches Land“!