Heiner Flassbeck: “Stelter hat keine Ahnung”

Ich weiß, dass ich nichts weiß. Da halte ich es mit Cicero, der sich wiederum auf den griechischen Philosophen Sokrates berief. Ich stelle Themen zur Diskussion, nehme Feedback auf und an und versuche dazuzulernen. Das gilt für meine Bücher, meinen Blog und erst recht für den Podcast.

„Keine Ahnung zu haben“ ist natürlich eine sehr harte Formulierung mit Blick auf meine Person, vor allem, wenn sie aus so berufenem Munde kommt, wie dem von Professor Heiner Flassbeck, immerhin von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von Januar 2003 bis Ende 2011 Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung in Genf. Die Chancen stehen also gut, dass Flassbeck richtig liegt mit seiner Einschätzung meiner Person.

Wie komme ich überhaupt darauf? Nun, Flassbeck hat sich so im Interview mit mission money geäußert. Ein Leser wies mich darauf hin:

youtube.com: „Heiner Flassbeck: Was Ökonomen und Politiker nicht kapieren!”

Also habe ich es mir angeschaut und mir gedacht, es lohnt vielleicht, meine Einschätzung anzupassen. Denn schließlich sollte ich aufhören, „dummes Zeug“ zu verbreiten.

Bevor ich zu dem – vermeintlichen – Widerspruch zwischen Flassbeck und mir komme, zunächst die Bereiche, in denen wir bestens übereinstimmen.

  • Minute 26: „Mittlerweile“ wisse man, dass es besser gewesen wäre, die Hilfszahlungen über das Finanzamt zu leisten. Nun, lieber Herr Flassbeck, ich wusste das bereits im März 2020.  Schön, dass Sie diese Einschätzung nun auch teilen. → Künstliches Koma für die Wirtschaft
  • Minute 32: Steuererhöhungen mit Blick auf die Staatsschulden sind falsch. Wie Leser meiner Bücher – “Coronomics”, “Ein Traum von einem Land” – und Hörer des Podcasts wissen, halte ich Steuererhöhungen nicht nur für unnötig, sondern für absolut dämlich. Im Gegenteil, die Abgaben sollten gesenkt werden. Ich halte auch nichts von der „schwarzen Null“, wie seit Jahren immer wieder beschrieben. → Die “schwarze Null” ist keine Leistung, eine Lüge und eine große Dummheit
  • Minute 35: Vertrauen in die Marktwirtschaft beim Klimaschutz. Dazu brauchen wir Preissignale und dann „wird es die Marktwirtschaft“ schon lösen. Richtig. Genau dies ist immer meine Kritik an der Klimapolitik gewesen, dass diese über Einzelmaßnahmen und Staatswirtschaft agiert, statt auf den Markt zu setzen. Nachzulesen auf diesem Blog und im Traum von einem Land”. Übrigens auch verbunden mit einer Korrektur für die unteren Einkommensgruppen, wie das zu geschehen hat, steht auch dort.
  • Minute 38: Flassbeck hält wie ich nichts vom Grundeinkommen. Danke. Hier hätte Flassbeck ja mal erwähnen können, dass wir beide einer Meinung sind.

Kommen wir also zu dem Bereich, in dem ich „keine Ahnung habe“: Gleich zu Beginn des Gespräches geht es um Schulden und um Sparen. Der Moderator sagt dabei, ich hätte gesagt „Schulden bringen kein Extra-Wachstum“ und Flassbeck meint daraufhin, ich hätte „keine Ahnung“ und sollte „gleich die Klappe halten“. (ca. Minute 5). Inhaltlich kommen dann zwei Argumente:

  1. Es können nicht alle sparen – jemand muss Schulden machen.
  2. Man muss nicht auf die Veränderung der Schulden blicken, sondern auf die Veränderung der Nettoschulden – also nach der Veränderung der Vermögen, da Schulden immer auch Vermögen sind (zwei Seiten der Medaille)

Stammleser können hier also aufhören zu lesen und zu Punkt 3 springen (wo Flassbeck und Stelter wirklich auseinander liegen) , weil sie wissen, dass ich an dieser Stelle keine Nachhilfe von Flassbeck brauche. Für alle anderen hier die Erklärung:

1.     Es können nicht alle sparen – jemand muss Schulden machen.

So ist es. Ich habe darauf im Zusammenhang mit meiner Kritik an den deutschen Handelsüberschüssen und der schwarzen Null immer wieder hingewiesen. Beispielsweise hier:

Deutschland wirtschaftet wie die Eichhörnchen

“Exportweltmeister” – ein teurer Titel!

Daraus:

Wenn ein Land einen Außenhandelsüberschuss erzielt, bedeutet dies zwangsläufig einen Export von Ersparnissen ins Ausland. Entweder in Form von Krediten oder aber in Form von Direktinvestitionen im Ausland. Um das zu erklären, tue ich mal so, als ob es keinen Außenhandel gäbe. In diesem Fall bestünde die Volkswirtschaft aus den privaten Haushalten, den Unternehmen und dem Staat. Jeder dieser Sektoren kann sparen oder Schulden machen bzw. Eigenkapital erhöhen. Die Summe der Finanzierungssalden der drei Sektoren ist per Definition null. Normalerweise sparen die privaten Haushalte, während die Unternehmen ein Defizit haben, weil sie investieren und dabei auf Finanzierung angewiesen sind. Das, was die Unternehmen nicht brauchen, leiht sich dann der Staat. Sparen die Haushalte mehr, als Unternehmen und Staat sich leihen wollen, kommt es zu einer Rezession und die Angleichung erfolgt über sinkende Einkommen und Ersparnis oder höhere Staatsdefizite. Es ist in einer geschlossenen Volkswirtschaft, also einer Welt ohne Außenhandel, nicht möglich, „zu viel“ zu sparen. Es kommt zu einem Ausgleich.

Anders ist das, wenn man als weiteren Sektor das Ausland mit einführt. So kann es sein, dass ein Land Ersparnisse aus dem Ausland importiert oder eigene Ersparnisse exportiert. Die Summe der Finanzierungssalden der nun vier Sektoren, private Haushalte, Unternehmen, Staat und Ausland ist ebenfalls zwingend null. Wichtig zu wissen ist zudem, dass ein Nettokapitalimport aus dem Ausland zwangsläufig ein genauso großes Handelsdefizit bedeutet und umgekehrt ein Handelsüberschuss immer auch einen Nettokapitalexport in gleicher Höhe bedingt.

Schauen wir uns die Zahlen für Deutschland für genauer an:

  • Finanzierungssaldo der privaten Haushalte: 4,8 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP). Das bedeutet, alle Haushalte zusammen haben netto im Volumen von 4,8 Prozent des BIP gespart.
  • Finanzierungssaldo der Unternehmen: 3,2 Prozent vom BIP. Also ebenfalls eine Nettoersparnis.
  • Finanzierungssaldo Staat: 0,6 Prozent vom BIP – die berühmte „schwarze Null“.

Wäre Deutschland eine geschlossene Volkswirtschaft, befänden wir uns in einer schweren Krise. Es würde massiv Nachfrage, immerhin im Volumen von 8,6 Prozent des BIP fehlen, weil wir alle sparen. Doch von Krise ist keine Spur! Das verdanken wir dem Ausland, wohin wir unsere überschüssigen Ersparnisse von 8,6 Prozent vom BIP exportiert haben. Dies bedeutet aber zugleich, dass das Ausland im Volumen von 8,6 Prozent des deutschen BIP mehr Waren aus Deutschland gekauft als nach Deutschland exportiert hat. Der Titel des Exportweltmeisters gilt folglich für Waren und für Ersparnisse gleichermaßen.

Wir sehen also, die Ersparnisse und die Verschuldung müssen übereinstimmen, wie Flassbeck sagt und auch ich. Flassbeck weist dann daraufhin, dass es eben ein großes Problem ist, dass die Unternehmen in Deutschland auch Nettosparer sind, statt zu investieren. Auch dies ist mir nicht nur bekannt, sondern ich kritisiere dies und schlage im “Traum von einem Land” und anderswo regelmäßig vor, Maßnahmen zu ergreifen, dies zu ändern.

Industrie auf der Flucht aus Deutschland

Doch zurück zur Problematik der hohen inländischen Ersparnis. Diese treibt die Ersparnis ins Ausland – Spiegelbild der Handelsüberschüsse – und dort legen wir unser Geld ausgesprochen schlecht an. Dabei ist es irrelevant, ob nun die Ersparnisse zu den Handelsüberschüssen oder die Handelsüberschüsse zu den Ersparnissen führen, eine unter Ökonomen heftig geführte Diskussion. Die Verzinsung ist schlecht und zugleich geben wir Schuldnern das Geld, die mehr oder weniger solide sind.

Klar ist, dass es uns nichts bringt, Geld im Ausland zu verlieren. Besser, mehr im Inland zu investieren, vor allem, weil es sich auch noch besser verzinst!

Wir brauchen also dringend ein Programm für mehr Investitionen im Inland:

Der Staat muss von der schwarzen Null abrücken – deren falschen Charakter ich seit Jahren betone – und entsprechend mehr im Inland investieren (statt weiter mehr zu konsumieren)! Er würde mehr von den Ersparnissen der Privathaushalte absorbieren und damit sogar einen kleinen Effekt auf die Zinsen haben.

Die Unternehmen müssen aufhören, Netto-Sparer zu sein und ebenfalls mehr im Inland investieren. Anders als bei privaten Haushalten, die im Schnitt immer sparen sollten, ist es bei Unternehmen als Sektor normal, dass sie mehr investieren und sich dazu Kapital von den Sparern besorgen, egal ob als Eigen- oder Fremdkapital. Sie sollten also einen negativen Finanzierungssaldo haben und hatten das in der Vergangenheit auch, wie diese Abbildung zeigt:

Quelle: KfW, Destatis; BWS steht für Bruttowertschöpfung

Die Ursachen liegen auf der Hand:

  • Unattraktive Steuerbelastung.
  • Schlechte und zunehmend verfallende Infrastruktur.
  • Rückstand bei Digitalisierung und Mobilfunk
  • Absehbar schlechte demografische Entwicklung.
  • Verfall des Bildungswesens
  • Falsche politische Prioritäten mit mehr Dirigismus.
  • Technologieskepsis, investitions- und innovationsfeindliches Klima.

Was ist also zu tun?

  • Mehr staatliche Investitionen in bessere Infrastruktur, Digitalisierung führen auch zu mehr privaten Investitionen.
  • Staatliche Förderung von Innovation.
  • Umstellung der Besteuerung der Unternehmen, um Investitionen besonders zu begünstigen, also keine generelle Steuersenkung, sondern Anreize zu Investitionen in Sachvermögen, aber auch Forschung und Entwicklung.
  • Weniger Regulierung und Bürokratie.
  • Eine nachhaltige Klimapolitik mit planbaren Kosten, wettbewerbsfähigen Energiepreisen und Verstand.
  • Bekenntnis der Politik zur freien Marktwirtschaft und Investition statt Konsum.

Da dies nicht absehbar ist, dürfte der Ersparnisüberhang in Deutschland weiter bestehen bleiben – zumindest bis zu dem Punkt, an dem die De-Industrialisierung so weit vorangeschritten ist, dass die Exporte deshalb fallen. Keine schönen Aussichten.

Fazit zum Punkt 1 von „keine Ahnung“:  Auffallend ist, es gibt keinen Widerspruch zwischen Flassbeck und Stelter.

2.     Man muss nicht auf die Veränderung der Schulden blicken, sondern auf die Veränderung der Nettoschulden. Also nach der Veränderung der Vermögen, da Schulden immer auch Vermögen sind (zwei Seiten der Medaille).

Kommen wir zum zweiten Punkt, nämlich meiner Aussage, dass „Schulden kein Extra-Wachstum bringen“. Was hier vom Moderator angesprochen wird, sind verschiedene Berechnungen, die ich auf meiner Website diskutiert habe. Unter anderem:

Schulden schaffen kein echtes Wachstum

Und hier:

Zur abnehmenden Wirkung von Schulden

Daraus:

 

Die Darstellung zeigt nichts anderes, als dass die Verschuldungsquoten nach oben gehen. Sie wachsen schneller als das BIP, was verschiedene Ursachen hat. Entscheidend dürfte sein, dass die neuen Schulden nicht ausreichend realwirtschaftlich investiert werden, sondern eher zum Kauf vorhandener Assets (dazu gehören auch eigene Aktien der Unternehmen).

Womit wir auch schon bei einem weiteren Missverständnis in dem Gespräch mit Flassbeck sind. Er spricht von Staatsschulden, ich spreche von Gesamtschulden. Und bleibe bei meiner Auffassung, dass die Verschuldung durchaus eine Rolle spielt und zudem einen negativen Effekt auf die Realwirtschaft hat. Denn – so gering die Zinsen auch sein mögen – letztlich müssen sie real erwirtschaftet werden oder aber führen zu weiterer Verschuldung. Übrigens: Auch die Produktivität der Staatsschulden nimmt ab, eben weil sie zumeist aufgenommen werden, um Konsum zu finanzieren.

Noch kurz zu dem „Netto-Effekt“, den Flassbeck betont. Zunächst stimmt es natürlich, dass den Schulden immer Vermögen entgegenstehen. Und noch besser: Die steigende Verschuldung wirkt nicht nur direkt in Form von Schulden = Vermögen, sondern über den Leverage-Effekt noch überproportional.

Ich habe das früher mal so erklärt:

Das funktioniert so: Nehmen wir an, Sie könnten sich eine Aktie zu 100 Euro kaufen, die eine sichere Dividende von 10 Euro pro Jahr bezahlt. (Ja, in der heutigen Zeit undenkbar, aber dazu kommen wir gleich!). Setzen Sie für den Kauf nur Eigenkapital ein, erzielen Sie eine Rendite von 10 Prozent. Attraktiver wäre es, sich 100 Euro von der Bank zu leihen und gleich zwei Aktien zu kaufen. Gibt die Bank sich mit fünf Prozent Zinsen zufrieden, gehen 5 Euro an die Bank und 15 Euro bleiben bei Ihnen. Macht 15 Prozent Rendite. In der Praxis dürfte die Bank noch großzügiger sein und sich mit nur 20 Prozent Eigenkapital zufriedengeben. Sie können sich also zu Ihren 100 Euro noch 400 Euro von der Bank leihen und fünf Aktien kaufen. Von den 50 Euro Dividende gingen dann 20 Euro an die Bank (5 Prozent auf 400) und Ihnen blieben 30 Euro! Eine Rendite von dreißig Prozent auf das eingesetzte Eigenkapital.

Nun merken auch andere, was für ein gutes Geschäft das ist und geben sich mit Renditen unter 30 Prozent zufrieden, zahlen also mehr für die Aktie. Steigt der Kurs auf 140 Euro, haben Sie nicht nur einen schönen Kursgewinn erzielt, sondern auch wieder erheblich mehr Eigenkapital. Ihre zur Beleihung zur Verfügung stehende „Margin“ erhöht sich dadurch auf 300 Euro (100 plus 200 Kursgewinne). Zwar ist die Dividendenrendite von 10 auf nur noch 7 Prozent gefallen. Doch liegt sie damit immer noch über dem Zinssatz der Bank. Sie leihen sich weitere 840 Euro und kaufen dazu. Dann haben Sie 11 Aktien im Wert von 1540 Euro und Schulden von 1240 Euro. Die Rendite auf Ihr Eigenkapital von 300 Euro sinkt zwar auf 16 Prozent, der Gesamtüberschuss (Dividende minus Zinsen) wächst allerdings von 30 auf 48 Euro. Es lohnt sich, solange mehr Schulden aufzunehmen, wie die Dividendenrendite über dem Zinssatz der Bank liegt. Man spricht vom Hebeleffekt (Leverage).

Das war in den letzten 30 Jahren ein sicheres Geschäft. Die Zinsen sanken von über 10 Prozent auf heute null und die Banken gaben sich mit immer weniger Margin zufrieden. Alle Assetpreise haben davon profitiert: Aktien, Anleihen, Immobilien, Kunst. Die Kreditvergabe der Banken zum Kauf von vorhandenen Assets hat sich in diesem Zeitraum vervielfacht.

Im Ergebnis steigen Vermögenswerte überproportional an. Hinzu kommt, dass von dem Preisanstieg alle profitieren. Wird eine Wohnung zu einem höheren Preis pro Quadratmeter verkauft, steigt der Wert aller Wohnungen im Haus, in der Straße und in der Stadt.

Ein banaler Zusammenhang, den der Links-Ökonom Thomas Piketty übersieht, wenn er den Anstieg der Vermögen relativ zum BIP heftig bedauert. Nachzulesen übrigens in meinem Buch → “Die Schulden im 21. Jahrhundert”

Die Frage ist nur: Sind die Schulden deshalb „unproblematisch“, weil ja die Vermögen diesen entgegenstehen? Natürlich nicht. Wir haben ja gesehen, dass die Stabilität des Finanzsystems mit immer höherem Verschuldungsgrad abnimmt. Die Gefahr von Unfällen wächst, was die Notenbanken zu immer größeren und häufigeren Interventionen zwingt. Denn der Leverage-Effekt wirkt auch umgekehrt und da besonders brutal.

Es ist also nicht ganz so einfach: Schulden lasten auf der Realwirtschaft, die Vermögen, die den Schulden gegenüberstehen, mögen eine Zeit lang schneller wachsen als die Schulden, aber das erhöht die Instabilität. Hinzu kommen noch so Kleinigkeiten wie die Tatsache, dass Schuldner und Gläubiger verschiedene Subjekte sind und es deshalb schon zu Problemen kommen kann.

Nun spricht Flassbeck nur von Staatsschulden. Da kommt er zum Schluss, dass „sie letztlich keine Rolle spielen“. Da bin ich so lange dabei, wie es sich um Staaten mit eigener Währung handelt. Sobald Staaten keine Autonomie mehr haben, was die Währung betrifft, wie im Euro, spielt es schon eine Rolle. Das weiß Flassbeck auch, weshalb er zu einer höheren Verschuldung in ganz Europa rät und natürlich die EZB in der Pflicht sieht. Selbst da gehe ich mit, allerdings sehe ich die Verteilungswirkung zwischen den Staaten – genauer zwischen den Bürgern – und diese kritisch.

3.     Wo Flassbeck und Stelter wirklich auseinander liegen

Jetzt muss ich selbst beweisen „keine Ahnung“ zu haben, waren doch Punkt 1 und 2 nicht geeignet, diese Schlussfolgerung zuzulassen.

Damit kommen wir zum Flassbeck-Mantra: Wir müssen endlich die Löhne erhöhen, damit wir nicht mehr so einseitig vom Export abhängen und um so die Binnenkaufkraft zu stärken. Dazu folgende Gedanken:

Wir haben in den letzten Jahren vor Corona Millionen von Menschen in den Arbeitsmarkt integriert. Das war ein enormer Erfolg.

Dabei stagnierten seit Jahren die Produktivitätszuwächse, genau gesagt, ist die Produktivität nicht gestiegen.

Nachdem das erfolgt ist, begannen, wie zu erwarten, die Löhne zu steigen. Das stellte das DIW fest. → Ungerechtes Deutschland? Ein tieferer Blick auf die Daten

Wir haben also davon profitiert, dass die Löhne nicht so stark gestiegen sind, um die Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren und als dies gelang, stiegen die Löhne auch.

Also doch: Geringverdiener schließen zur Mitte auf

Flassbeck geht es aber um etwas anderes. Er will, dass die Löhne steigen, damit die Binnenkaufkraft wächst und zugleich die Exporte sich verteuern und damit der Exportüberschuss sinkt.

Steigende Binnenkaufkraft könnten wir übrigens alleine auch dadurch schaffen, dass der Staat die Steuer- und Abgabenbelastung senkt. Dann hätten wir zwei Fliegen mit einer Klappe: einen Staat, der Schulden macht und Bürger, die mehr ausgeben können. Auch dies ein Vorschlag im Traum von einem Land.

Das mit dem Exportüberschuss senken durch eine Verteuerung sehe ich bekanntlich skeptischer. Denn wir haben es ja nicht nur mit Italien, Griechenland & Co. zu tun, sondern mit der Welt. Und gegenüber China beispielsweise müssen wir uns in den kommenden Jahren fitter machen. Ja, nicht so sehr über Löhne, mehr über Innovation und Produktivität.

Dennoch sind wir selbst bei diesem Thema nicht so weit auseinander. Ich plädiere halt eher für Abgaben und Steuerentlastung.

Gut nachzulesen sind die Thesen von Flassbeck in diesem Beitrag, den ich wie üblich kommentiere:

Flassbeck macht es sich zu einfach: Löhne hoch alleine ist keine Lösung

Auch seine Sicht zu Staatsschulden ist nicht falsch, auch das habe ich erläutert:

Hat Flassbeck recht, dass Staatsschulden egal sind?

Wobei mir das Gespräch mit Professor Beyer da zu denken gegeben hat:

Staatsschulden: So ein­fach ist es nicht trotz Tiefst­zinsen

Was bleibt? Abgesehen von einer gewissen Irritation angesichts der Wortwahl von Flassbeck ein weitgehender Konsens – der schon vor dem Interview bei mission money bestand – und der Dissens, dass es nur mit Lohnsteigerungen getan ist. Die kommen ohnehin, wie wir wissen, allein aufgrund der demografischen Entwicklung.