Staatsschulden: So ein­fach ist es nicht trotz Tiefst­zinsen

Mitte Februar habe ich mit Professor Jens Südekum in meinem Podcast u. a. über das Thema der Staatsschulden und die nicht gegebene Notwendigkeit einer Rückkehr zur schwarzen Null gesprochen.

Ein Sparhaus­halt ist Unsinn

Der Podcast hat eine breite Resonanz ausgelöst. Über 100 Kommentare auf diesen Seiten und viele E-Mails. Einige haben mir auch vorgeworfen, meine freiheitlichen Ideale über Bord geworfen zu haben.

Schon bevor der Podcast mit Professor Südekum ausgestrahlt wurde, habe ich mit einem Vertreter einer anderen Sichtweise gesprochen. Christian Bayer ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Direktor des Instituts für Makroökonomik und Ökonometrie an der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Seine Ansichten werden in der morgigen Folge zu hören sein.

Auf Professor Bayer kam ich neben seinen Aktivitäten bei Twitter vor allem über einen Beitrag, den er gemeinsam mit Professor Philip Jung von der Technischen Universität Dortmund in der F.A.Z. Ende letzten Jahres veröffentlicht hat. Die Highlights zur Einstimmung auf morgen:

  • “Das Haushaltsdefizit für dieses Jahr dürfte für den Bund bei fast 7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. (…)  Bei solchen Summen kann einem schnell mulmig werden, und mancher fragt sich, ob wir zukünftigen Generationen dadurch nicht eine hohe Bürde auferlegen (…) Tatsächlich war das Argument der Belastung zukünftiger Generationen politisch vor einer Dekade so konsensfähig, dass der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit das Grundgesetz um eine ‘Schuldenbremse’ erweitert hat.” – bto: Es ging darum, den kommenden Generationen keine Lasten zu hinterlassen. Da das Geld aber nur noch in den Konsum geflossen ist und nicht ausreichend in Investitionen, wie oft gezeigt, wurde die kommende Generation jedoch auch so belastet – höher, würde ich sagen.
  • “Doch in den vergangenen Jahren mehren sich nicht nur politisch, sondern auch wissenschaftlich die Stimmen, die sagen, dass dieser Fokus auf Generationengerechtigkeit unbegründet und nur ein Scheinargument sei, mit dem notwendige Investitionen behindert würden. Vor allem zwei Argumente werden vorgebracht: Erstens ein theoretisches, das die intergenerationale Umverteilungswirkung von Schulden grundsätzlich verneint. Zweitens ein praktisches, das auf die derzeit extrem günstigen Finanzierungskonditionen des Staates zurückgreift.” – bto: Das Erste habe ich auch schon verwendet. Beim Zweiten bin ich angesichts der Unsicherheit über die Zinsentwicklung skeptisch. Ich würde ein drittes ergänzen: Im Euro macht es wenig Sinn, weil die anderen Schulden machen und wir letztlich die Kosten daraus mittragen müssen.
  • “So schrieben exemplarisch für die erste Sichtweise kürzlich die Ökonomen Holger Sandte und Adalbert Winkler in ihrem Artikel ‘Die Mär von der Belastung der jungen Generation’ in der ‘Zeit’, dass Staatsschulden überhaupt nicht zwischen Generationen, sondern nur innerhalb ein und derselben Generation umverteilten, denn ‘die Schulden des Staates sind die Vermögen der Haushalte und Unternehmen. Beides wird vererbt, nicht nur die Schulden.’” – bto: zwar an andere Personen, aber richtig, so kann man das sagen. Dachte ich immer.
  • “Dabei macht diese Art der Argumentation zwei kritische Vereinfachungen. Erstens verwendet sie einen groben Generationenbegriff, der Hundertjährige und Neugeborene in einen Generationentopf wirft, und zweitens vergisst sie, dass der Erwerb von Staatsschulden im Gegensatz zum Zahlen von Steuern freiwillig erfolgt. Das heißt, dass Haushalte sich durch den Kauf von Staatsschulden besserstellen müssen, als wenn sie sich nicht an der Finanzierung der Staatsausgaben beteiligt hätten.” – bto: Das stimmt, wobei man hier auch sagen kann, dass die Erwartung der Besserstellung nicht unbedingt immer erfüllt wird, zehrt doch die Inflation am Ertrag.
  • “Werden Staatsausgaben durch Steuern finanziert, so beteiligen sich heute Junge und Alte entsprechend ihrem Anteil am Steueraufkommen. Werden Staatsausgaben durch neue langfristige Schulden finanziert, so haben die Alten, jedenfalls aus egoistischem Motiv, keine Veranlassung, sich an der Finanzierung zu beteiligen, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Rückzahlung nicht erleben und die meisten Menschen ohnehin im Alter kein weiteres Vermögen aufbauen. (…) Die Jungen sind es also, die heute mit Konsum- und Investitionsverzicht die Staatsausgaben in der Erwartung finanzieren, dafür in der Zukunft kompensiert zu werden, wenn sie selbst alt sind. Werden in der Zukunft Staatsschulden oder Zinszahlungen fällig und müssen durch Steuern finanziert werden, erleben dies die heute Alten nicht mehr. Die heute Jungen sind alt, und es gibt eine neue Generation von Jungen, welche die fälligen Steuern zusammen mit den dann alten heutigen Jungen tragen müssen. Relativ zur Steuerfinanzierung stellen sich die heute Alten besser und die zukünftige Generation schlechter. So führt Schuldenfinanzierung zu einer Umverteilung zwischen den Generationen.” – bto: Das erklärt, warum in der älter werdenden Gesellschaft bei uns Staatsschulden wieder populärer werden.
  • “Vereinfacht gesagt, kommt es bei Staatsschuldenfinanzierung nur dann nicht zu einer intergenerationalen Umverteilung, wenn auch die heutigen Alten Staatsschulden aufkaufen, in der Absicht, sie an die morgen lebende Generation zu vererben, und zwar exakt in der Höhe, in der diese dann zusätzliche Steuern zahlen müssen. In diesem Spezialfall, den Ökonomen nach seinem Entdecker David Ricardo (1820) ‘Ricardianische Äquivalenz’ nennen, gibt es zwischen Schulden- und Steuerfinanzierung tatsächlich keinen Unterschied und auch keine intergenerationale Umverteilung. An dieser Stelle sei die Nebenbemerkung erlaubt, dass es im historischen Kontext nicht ohne Ironie ist, wenn heute manche Vertreter einer sonst eher keynesianisch geprägten Wirtschaftspolitik implizit auf das ricardianische Argument zurückgreifen. Denn Ricardianische Äquivalenz gilt seit den Arbeiten des Ökonomen Robert Barro in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts als wichtigstes Argument gegen die Wirksamkeit schuldenfinanzierter keynesianischer Konjunkturpolitik. Wenn nämlich Steuer- und Schuldenfinanzierung äquivalent sind, dann kann es keinen Vorteil darin geben, in Rezessionen ‘deficit spending’ zu betreiben.” – bto: Auch das ein interessantes Argument, wobei man festhalten muss, dass es auch darauf ankommt, in welcher Währung sich ein Staat verschuldet und ob er sie mit der “Inflationssteuer” abträgt.
  • “Anhänger der These, dass Schulden keine intergenerationale Wirkung hätten, ignorieren aber nicht nur die beschriebene Umverteilung durch das Verschieben von Steuerlasten zwischen Generationen, sondern auch die sogenannte Zusatzlast der Besteuerung. Steigt zum Beispiel die Steuer auf Arbeit, wird sich mancher entscheiden, weniger zu arbeiten. Dadurch geht das Einkommen um mehr zurück als den Betrag der fälligen Steuern. (…) Typischerweise steigt die Zusatzlast überproportional mit der Höhe der Steuer, weshalb es ratsam ist, überraschende Mehrausgaben wie für eine Pandemie möglichst gleichmäßig über die Zeit zu strecken, also tatsächlich über Schulden zu finanzieren. Dies heißt aber im Umkehrschluss, dass dadurch eben auch zukünftige Generationen an den Kosten der heutigen Krise beteiligt werden. Mit anderen Worten: Wir vererben nicht nur Schulden und Vermögen, sondern auch möglicherweise kostspielige Verteilungskonflikte.” – bto: Und das wirklich in einer massiven Art und Weise, da bei uns auch immer über Steuern zu Finanzierung nachgedacht wird – siehe das Programm der Grünen – und weniger über die Geldpolitik.
  • “Wie sehr die Zusatzlast der Besteuerung tatsächlich auf zukünftige Generationen verschoben wird, hängt zentral am Zins und an der Wachstumsrate der Volkswirtschaft, so dass das gegenwärtig niedrige Zinsniveau, wie erwähnt, ein zweites Argument für Schuldenfinanzierung liefern kann. Typischerweise tilgen Staaten nämlich ihre Schulden nie, sondern lösen stets alte durch neue Schulden ab. Ist der Zins größer als die Wachstumsrate, würde die Staatsschuld relativ zum Bruttoinlandsprodukt explodieren, wenn auch die jährlich anfallenden Zinsen mit neuen Schulden beglichen würden. Um es in der Terminologie unserer ‘neuen Normalität’ auszudrücken: das Verhältnis von Zins zur Wachstumsrate legt quasi den ‘R-Wert’ der Staatsschulden fest. Liegt R über eins, wachsen die Schulden exponentiell an. Irgendwann muss man dann ‘einen Lockdown machen’, also Steuern erheben, um zumindest die Zinsen auf die Schulden zu bedienen – zu dann deutlich höheren steuerlichen Zusatzlasten. In dieser Konstellation erscheint es also ratsam, den Schuldendienst nicht auf ultimo zu verschieben.” – bto: genau das, was wir in Italien in den letzten 20 Jahren beobachten mussten.
  • “Auch wenn Deutschland in den vergangenen zwei Dekaden eine relativ günstige wirtschaftliche Entwicklung genommen hat, darf man diese nicht zwingend extrapolieren. (…) Wie kann man aus ökonomischer Sicht Risiko sinnvoll einpreisen? Eine Möglichkeit, die Risikoprämie angemessen abzuschätzen, kann darin bestehen, nicht auf den Zins von sicheren Staatsanleihen, sondern auf die Rendite von Aktienmärkten zu schauen. Die Erträge dort sind schließlich mit der gleichen Art von Unsicherheit verbunden wie Aussagen über die zukünftige Zusatzlast der Besteuerung. Anders als Zinsen auf Staatsanleihen sind die Aktienrenditen über die vergangenen Dekaden kaum gefallen und liegen noch immer über der Wachstumsrate der Volkswirtschaft. Dieses aus fiskalischer Sicht ungünstigere Verhältnis von risikoangepasstem Zins zur Wachstumsrate würde nahelegen, dass der Staat aus Vorsichtsgründen die in der Pandemie aufgelaufenen Schulden zügig abbaut, weil unter marktgerechter Bewertung der Risiken die Zusatzlasten der Besteuerung doch nicht verschwinden, wenn man sie in die Zukunft schiebt.” – bto. Ich ergänze zwei Punkte. a) Die wahren Schulden sind ja deutlich höher als die ausgewiesenen. b) Wir können wegen der Demografie davon ausgehen, dass es einen Anstieg der Zinsen geben wird.
  • “Daher sind Anleger bereit, Staatsanleihen trotz niedrigerer Rendite in ihre Portfolios aufzunehmen. Dies führt dazu, dass der Staat, nicht nur weil er Risiken trägt, mit niedrigeren Zinsen kompensiert wird, sondern auch dafür, dass er dem Markt Liquidität bereitstellt. Die so vom Staat erzielte Liquiditätsprämie vergütet einen echten Mehrwert, das vom Staat produziert Gut ‘Liquidität’.” – bto: Das fand ich einen sehr wichtigen Gedanken, weil es bedeutet, dass es auch ein Mindestniveau an Schulden gibt, das sich positiv auswirkt.
  • “Je mehr Liquidität durch die Ausweitung des Angebotes an Staatsanleihen zur Verfügung gestellt wird, desto höher wären zunächst die Einnahmen, fiele nicht gleichzeitig die Liquiditätsprämie. Dementsprechend gibt es ein Volumen an Staatsschulden, das die Einnahmen aus der Bereitstellung von Liquidität maximiert. Es gibt also im Vergleich zu dieser Menge ein Zuviel und ein Zuwenig an Staatsschulden. Werden zu wenige Staatsschulden angeboten, fehlen dem privaten Sektor Liquidität und dem Staat Einnahmen. Als Dauerzustand belastet so eine starke Verknappung von Staatsanleihen alle Generationen. Bis zu dem die Einnahmen maximierenden Punkt gibt es keinen intergenerationalen Konflikt.” – bto: Vieles spricht dafür, dass die Staatsschulden in Deutschland – die offiziellen – vor Corona zu tief waren.
  • “Gerade weil die Zinsen auf Staatsschulden heute so niedrig sind, erscheinen dann viele mögliche Investitionsprojekte des Staates als lohnend und gegebenenfalls sogar trotz Schuldenfinanzierung als eine Entlastung zukünftiger Generationen. Aber auch hier gelten die zuvor gemachten Punkte: Der risikolose Zinssatz auf Staatsschulden ist nicht der richtige Zinssatz, um Investitionen des Staates zu bewerten, die auch mit Risiken verbunden sind und meist noch viel illiquider sind als private Investitionen.” – bto: Auch Unternehmen sollten nicht nur deshalb investieren, weil das Geld billig ist!
  • “(…) wenn wir heute notwendige Investitionen durchführen müssen, um den Klimawandel zu verlangsamen, kann es gut sein, dass die nachfolgenden Generationen noch höhere Investitionssummen stemmen müssen, weil sie gleichzeitig den CO2-Ausstoß weiter senken und die Folgen der Erderwärmung abfedern müssen. Dann will man ihnen vielleicht nicht noch die Zusatzlast der Besteuerung aufbürden und eben deshalb die heutigen Investitionen nicht mit Schulden finanzieren.” – bto: Die Besteuerung erfolgt dann in Form von Inflation.
  • Fazit: “Es macht in der Gesamtschau weder Sinn, Staatsschulden zu verteufeln und sie aus dem Spektrum sinnvoller Politikoptionen zu nehmen, noch ist es hilfreich, diese Verteilungswirkungen zu verneinen oder als vernachlässigbar darzustellen.”

faz.net: “Wer kommt für die Rekordschulden auf?”, 27. Dezember 2020