Der Crash kam und er ist noch nicht vorbei (II)

Vor zehn Jahren erschien das Buch “Der Crash kommt” von Max Otte. Er bat mich, das Buch anlässlich des Jubiläums für eine Publikation aus seinem Hause zu besprechen. Gelesen hatte ich es bis dato nicht. Hier nun meine Einordnung des Buches und auch mein Fazit nach nunmehr fast 40 Jahren Beschäftigung mit dieser Thematik. Angesichts der Länge des Beitrages in zwei Folgen. Der erste Teil erschien gestern, hier nun Teil 2. 

Die Krise macht Pause

Schaut man nüchtern auf die Entwicklung der letzten zehn Jahre, so muss man konstatieren, dass alles, was Max Otte in seinem Buch anprangert, trotz des Fastzusammenbruchs unserer Wirtschafts- und Finanzordnung, weiter fortbesteht – und zwar schlimmer als je zuvor:

  • Die Folgen der Globalisierung sind nicht bewältigt. Die Einkommensschere bewegt sich in den meisten Industrieländern – Ausnahme ist Deutschland – auseinander. Der deflationäre Druck hat sich durch die Überinvestitionen in China und dessen Rohstofflieferanten (Brasilien, Südafrika, Chile, …), sowie den Markteintritt weiterer Länder (Indien, Vietnam, …) noch verstärkt.
  • Die demografische Entwicklung schlägt, wie von Otte angesprochen, verstärkt zu. Trotz Null- und Negativzinses steigt die Sparquote in den betroffenen Ländern an. Vieles spricht dafür, dass die tiefen Zinsen den Anreiz zum Sparen sogar noch erhöhen.
  • Die Europäische Union verhält sich wie eine kältere Version des von den Eagles besungenen Hotels California. Man darf zwar eintreten, an einen Austritt jedoch nicht denken. Immer repressiver wird versucht, ein Projekt zu verteidigen, welches sich immer mehr von den Bürgern entfernt hat. Der Euro existiert nur noch dank der Interventionen der EZB, die jedoch die grundlegenden Probleme der Eurozone nicht lösen kann. Um auf Dauer funktionsfähig zu sein, müssen die faulen privaten und öffentlichen Schulden abgetragen werden und die nicht wettbewerbsfähigen Länder den Euro verlassen. Eine Anpassung innerhalb des starren Korsetts des Euro ist offensichtlich nicht möglich, wie nicht nur Griechenland, sondern auch Italien, Portugal und Frankreich zeigen.
  • Die Verschuldung ist weltweit massiv weiter gestiegen. Dabei nimmt die Produktivität neuer Schulden immer mehr ab. Führte in den 1960er-Jahren in den USA ein Dollar neuer Schulden zu rund 60 Cents zusätzlichem BIP, so liegt der Wert heute bei unter zehn Cents. Dahinter steht auch die zunehmend unproduktive Verwendung neuer Schulden. Statt die Mittel in neue Maschinen und Produkte zu investieren, werden sie vor allem zum Kauf von vorhandenen Vermögensgegenständen, am liebsten Immobilien, verwendet. Dadurch steigen zwar die Vermögenswerte, jedoch das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft erhöht sich nicht. In der Folge wachsen dann die Vermögen relativ zum Volkseinkommen, was Kritiker wie Thomas Piketty jedoch übersehen. Nur in einem Geld- und Finanzwesen wie dem heutigen können Banken aus dem Nichts Geld schaffen, in dem sie Kredite vergeben. Durch diese Kreditvergabe ermöglichen sie erst den Anstieg der Vermögenspreise, die wiederum weitere Verschuldung gestatten.[1] Da die Schulden jedoch letztlich immer aus dem laufenden Einkommen bedient werden müssen, wächst die Last auf der Realwirtschaft trotz Niedrigstzins. Es ist absehbar, dass das Spiel nicht ewig weitergeht.
  • Das Bankensystem ist zumindest in Europa nicht saniert. Die italienischen Banken leiden unter faulen Krediten im Volumen von (mindestens) 18 Prozent des italienischen BIP, was faktisch bedeutet, dass sie pleite sind. Die deutschen Banken stehen ebenfalls nicht solide da, vor allem die Deutsche Bank dreht auch heute noch ein großes Rad mit Derivaten und die Bilanz ist für Außenstehende nicht zu durchblicken. Zum Zeitpunkt, an dem dieser Beitrag verfasst wurde, stand die Bank zumindest unter erheblichem Druck der Kapitalmärkte.

Doch auch in den anderen Ländern steht es nicht gut um die Banken. Die Verschuldung ist hoch und die Tiefstzinspolitik der Notenbanken unterminiert die Profitabilität zusätzlich.

Zu guter Letzt sind die Notenbanken mit ihrem Latein zunehmend am Ende. Sie haben zwar noch einmal erfolgreich die Instrumente der letzten dreißig Jahre angewendet, doch bei Nullzins und nach dem Aufkauf eines großen Teils der verfügbaren Staats- und Unternehmensanleihen ist das Potenzial für weitere Maßnahmen begrenzt. Beim diesjährigen Treffen der Notenbankexperten in Jackson Hole wurde deshalb offen über die Alternativen diskutiert. Neben den Überlegungen die Bargeldnutzung einzuschränken, mit dem Ziel, leichter negative Zinsen durchsetzen, ging es vor allem um die direkte Finanzierung der Staaten durch die Notenbanken, damit diese die Nachfrage ankurbeln und so die Stagnation – ich nenne es die Eiszeit – zu überwinden. Idealerweise soll den Staaten über Helikopter-Geld der Notenbanken Geld geschenkt werden, um neben der Stimulanz der Nachfrage auch die Inflation anzureizen.

Dies alles unterstreicht eindrücklich, der Crash kam und die Ursachen nicht beseitigt wurden. Stattdessen entschieden sich die Verantwortlichen für die falsche Medizin und erhöhten auch noch die Dosis in ihrem Kampf gegen die Symptome der Krankheit Krise. Die Folge: Die Probleme werden immer größer. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Phase der Krise ausbricht. Die Krise macht nur Pause und wird mit voller Wucht zurückkehren.

Sollte es Max Otte am Ende so ergehen wie Paul C. Martin? Dessen Analysen lesen sich auch heute noch als zutreffend, trotzdem hat es die Politik geschafft, das System über einige Krisen zu retten. Immer weiter stieg die Verschuldung, immer langsamer erholte sich die Realwirtschaft. Und ein Blick nach Japan zeigt, dass es mit der Verschuldung durchaus noch weiter deutlich nach oben gehen kann. Schaut die Krise von 2009 in ein paar Jahren auch nur wie ein Stolperer auf dem ewigen Aufwärtstrend aus, wie der Börsenkrach von 1987? Ich bezweifle es – obwohl auch ich mich schon ein paar Mal im Timing geirrt habe. Ich denke, zu viele Zeichen sprechen für eine Endphase der Entwicklung:

  • Die Verschuldung hat immer weniger Wirkung auf die Realwirtschaft.
  • Länder, die vor zehn Jahren noch erhebliches Verschuldungspotenzial hatten, allen voran China, haben dieses schon ausgeschöpft.
  • Die Zinsen liegen schon bei null, jetzt geht es nur noch mit massiven Eingriffen wie einem Bargeldverbot, was das Vertrauen der Öffentlichkeit in das Geldwesen erschüttern kann.
  • Der politische Konsens innerhalb und zwischen den Ländern erodiert zunehmend. Damit wächst die Wahrscheinlichkeit von Protektionismus und auch von Austritten aus dem Euro.
  • Die demografische Entwicklung schlägt nun mit voller Kraft zu, die Erwerbsbevölkerung schrumpft in Europa ab jetzt.

Verglichen mit 2009 war 1987 ein Lüftchen. Alles spricht dafür, dass 2009 ein Lüftchen ist, gemessen an dem, was uns 20xx bevorsteht. Bis dahin bleiben wir in einer Eiszeit gefangen, aus der es nur wenige Auswege gibt:

  • den deflationären Kollaps mit Pleiten, Konkursen und ungeordneten Austritten aus dem Euro;
  • einen geordneten Schuldenschnitt, finanziert mit Steuern und Vermögensabgaben, verbunden mit einer geordneten Neustrukturierung des Euro;
  • eine deutliche Inflation.

Da die vierte Option – ein Wachstumswunder –unrealistisch ist, muss man sich persönlich darauf einstellen und Vorsorge treffen.

Empfehlungen stimmen noch immer

Max Otte hat sich vor zehn Jahren nicht nur mit seiner Prognose unter Gesichtspunkten des Timings aus dem Fenster gelegt, sondern auch noch sehr konkrete Hinweise zur Geldanlage gegeben. Dabei hebt er sich wohltuend von der heute populären Crashliteratur ab. Er erweckt niemals den Eindruck, die alleinige Lösung für das Problem des Vermögenserhalts in der Krise zu haben. Er empfiehlt auch keine Streuobstwiesen und Whiskysammlungen, wie es einige der „Experten“ sogar im SPIEGEL tun durften. Deshalb sind seine Empfehlungen gerade auch für kleinere und mittlere Vermögen auch heute noch aktuell.

Natürlich war es nicht konsequent von Otte, trotz seiner Warnung vor Banken auch einige Banken in seiner Empfehlungsliste zu haben. Gerade die von ihm gelobte Royal Bank of Scottland erwies sich als Flop erster Güte. Nur dank Staatshilfe konnte die Bank überleben, und auch heute noch steckt sie in erheblichen Schwierigkeiten. Doch trotz dieses Fehlgriffs dürften Anleger, die seinen Überlegungen folgten, heute relativ gut dastehen:

  • Seine Warnung vor Zertifikaten, geschlossenen Fonds, Kunst, Schmuck und anderen Sammlerstücken gelten nach wie vor. Zwar haben sich Kunst und einige Sammlerstücke wie Autos in den letzten Jahren gut entwickelt. Dies widerspiegelt jedoch vor allem die Geldflut der letzten Jahre. Im Zuge der nächsten Krise dürften Käufer für diese Dinge jedoch fehlen.
  • Die Warnung vor Schulden gilt ebenfalls weiterhin. Es ist zwar richtig, dass Schulden so billig wie noch nie sind und die Notenbanken es auf eine massive Inflationierung absehen. Dennoch kann eine deflationäre Entwicklung nicht ausgeschlossen werden. Niemals darf eine Situation entstehen, in der man verkaufen muss.
  • Auch in Zukunft liegt das Heil in einer disziplinierten Diversifikation auf Aktien, Immobilien, Gold und Liquidität/Anleihen. Mit seiner Warnung vor Anleihen lag Otte zwar falsch, weil die Zinsen nochmals deutlich gefallen sind. Heute ist jedoch klar, dass Anleihen nur noch ertragsloses Risiko darstellen. Wenn überhaupt dienen sie der Wertaufbewahrung, wenn man dem Geld auf dem Bankkonto nicht traut (richtig!) und nicht alles bar vorhalten möchte. Aktien gehören in jedes Portfolio, obwohl sie schon sehr teuer geworden sind, wiederum als Folge der Geldpolitik. Wie Otte würde ich hierbei auf Qualitätswerte setzen und den gesamten Finanzsektor ausklammern. Immobilien gehören ebenfalls in das Portfolio, sollten aber kein Klumpenrisiko darstellen. Bei den meisten Deutschen stellt die Immobilie den größten Besitz dar. Dies ist angesichts der Möglichkeit des Staates, über Besteuerung zuzugreifen, und der demografischen Entwicklung keine intelligente Strategie. Gold wiederum gehört physisch in jedes Portfolio, und dass es noch nicht die von Otte prognostizierten 2000 US-Dollar erreicht hat, ist eher ein Kaufargument.
  • Alleine die Empfehlung aus dem Euro in andere Währungen wie den Schweizer Franken, den Singapurdollar und die norwegische Krone zu diversifizieren, hat sich für die Leser des Buches gelohnt. Der Euro stand bei über 1,60 Schweizer Franken vor der Krise. Heute ist es schwerer geworden, aus den Währungen zu flüchten. Vielleicht wird das britische Pfund nach einer weiteren Abwertung interessant? Letztlich befinden sich jedoch alle Papierwährungen in einem Wettlauf zu ihrem intrinsischen Wert von null. Da bleibt nur noch Gold als ultimatives Zahlungsmittel.

Ein Aspekt der Geldanlage hat seit 2006 deutlich an Bedeutung gewonnen: die Kosten. Im heutigen Umfeld von Nullzins und fast Nullertrag in allen Vermögensklassen ist es besonders wichtig, auf die Kosten der Geldanlage zu achten. Die offenen und verdeckten Kosten erreichen bei traditionellen Anbietern nicht selten drei Prozent des Vermögens. Hier gilt es, durch einen Wechsel zu günstigeren Anbietern die Kosten der Geldanlage zu drücken.

Machen Sie ihr Haus wetterfest

“Der Crash kommt” war vor zehn Jahren ein visionäres Buch mit einem guten Gefühl für das Timing. Die Analyse, die Max Otte damals zu der Überzeugung geführt hat, der Crash stünde bevor, trifft heute in allen Dimensionen noch mehr zu als damals. Dies ist eine furchtbare Erkenntnis, die uns alle sehr besorgen muss. Die Politik hat sich dazu entschlossen, das Spiel mit immer mehr Einsatz und immer größerer Aggressivität fortzusetzen. Ihr Ziel ist es, das bittere Ende so weit wie möglich in die Zukunft zu schieben. Dabei steigt die Fallhöhe mit jedem Tag und der Schaden wird immer größer.

Seit 1988 beschäftige ich mich mit den Auswüchsen unserer Wirtschaft auf Pump. Immer wieder habe ich gedacht, dass dies der letzte Crash wäre, der das System bereinigt. Immer wieder wurde ich überrascht: Es ging eine Runde weiter. Alle Crash-Bücher habe ich gelesen, selber auch das eine oder andere verfasst. Immer dachte ich, es käme ein Crash, der das System bereinigt und einen Neustart erlaubt. Zunehmend beschleicht mich der Gedanke, wir könnten es diesmal so weit treiben, dass es keinen Neustart mehr gibt und dass die nächste – oder ist es die übernächste? – Krise zum Ende des Systems führt, das ich für das Beste halte, zum Ende des Kapitalismus. Da bin ich ganz Schüler von Paul C. Martin und Gunnar Heinsohn, die überzeugend darlegen, dass es sich eigentlich um den Debitismus handelt. Ein System, das aus dem Schuldendruck heraus immer produktiver wird und damit immer mehr Wohlstand schafft. Erst der Eingriff von Politikern und Notenbanken hat das System krankgemacht. Schulden wurden gemacht, ohne die Bereitschaft, diese durch eine Mehrleistung zu bedienen. Der Konkurs als disziplinierendes Element wurde für viele Bereiche außer Kraft gesetzt. Banken sollten eine Wohlstandsillusion finanzieren, ohne jegliches Risiko für die eigene Existenz. Vor allem sollten sie es Politikern ermöglichen, Wohltaten zu verteilen, ohne die eigentliche Grundlage dafür zu haben. Nun, wo die Folgen dieser Abkehr von ur-kapitalistischen Regeln offensichtlich werden, bedauert die Politik lauthals Markt- und Kapitalismusversagen, um noch mehr in das System einzugreifen. Die Krise als Folge von politisch herbeigeführtem Marktversagen wird so zum Vorwand für noch mehr Interventionen der Politik. Weniger Freiheit, weniger Wohlstand und letztlich weniger Demokratie werden die Folge sein. In seinem Buch “Der Crash kommt” warnte Max Otte auch hiervor. Vergeblich.


[1] Siehe ausführlich: Daniel Stelter, Die Schulden im 21. Jahrhundert, Frankfurt 2014

-> Der Crash kam und er ist noch nicht vorbei (I)