Früherer IMF-Chefökonom: Helikopter-Geld gegen Barbaren

Die NZZ interviewt den früheren Chefökonom des Währungsfonds Maurice Obstfeld, der, wie nicht anders zu erwarten, die Forderung nach direkter Staatsfinanzierung durch die Notenbanken bekräftigt. Täten sie es nicht, stünden „die Barbaren vor der Tür“. Klar, bei dieser Alternative kann man nur für die direkte Staatsfinanzierung sein:

  • „(Der) Handelskrieg (…) ist eine Belastung für die Weltwirtschaft und daher auch für die USA. (…) Die amerikanische Wirtschaft profitiert momentan noch von der Steuerreform des Jahres 2017 und von diversen staatlichen Ausgabenprogrammen. Letztere kurbeln die Wirtschaft aber nur kurzfristig an und sind keine Quelle für permanentes Wachstum.“ – bto: Es ist nachvollziehbar, dass Obstfeld für eine Beendigung des Handelskonfliktes eintritt. Andererseits ist es unrealistisch, haben wir es doch mit einer strukturellen Herausforderung zu tun.
  • „(Die amtierende US-) Regierung hat im Dienst eines kurzfristig höheren Wachstums die zentralen Herausforderungen vernachlässigt. Ich denke an den Klimawandel, die Infrastruktur, die Ausbildung der Arbeiter. Keines dieser Probleme wird angegangen. Auch nicht die Staatsverschuldung, das System der sozialen Sicherung oder die Krankenversicherung. Trumps Wirtschaftspolitik beschränkt sich auf die Kürzung der Steuern, die Erhöhung der Ausgaben und das Ankurbeln der Wirtschaft für die nächsten Wahlen.“ – bto: ein Strohfeuer oder aber der Versuch, die USA aus der Stagnation herauszuzwingen. Ich sprach von Reflation. Dass es nicht funktioniert hat, unterstreichen die deflationären Kräfte der Eiszeit.
  • „(…) früher agierten die USA als wirtschaftliche Führungskraft. Man sorgte dafür, dass andere Staaten gemeinsam und kooperativ agierten. (…) Kommt es erneut zu einer Krise und benötigt deren Bekämpfung eine globale Kooperation, wird es schwierig. Es braucht viel Zeit, bis Nationen einander vertrauen. Doch Vertrauen kann rasch erodieren – und die Trump-Regierung leistet hierzu ganze Arbeit.“ – bto: Vor allem braucht es die Unterstützung der US-Fed, wenn es darum geht, die Welt zu stabilisieren. Wenn die US-Regierung nicht zustimmt, geht das nicht. Deshalb sind Erpressungsszenarien im Krisenfall mehr als realistisch.
  • Zu den Programmen der US-Demokraten für die Wahl: „Es wäre ein Fehler, auf radikal linke Programme zu setzen. Eine solche Strategie wäre der sicherste Weg, um eine Wiederwahl von Trump zu ermöglichen. Die Herausforderung für jede Regierung besteht darin, eine Position zu finden zwischen komplett freien Märkten und staatlichem Interventionismus – wobei diese Position sowohl für Wachstum als auch für soziale Kohäsion sorgen muss.“ – bto: Wenn man liest, was vonseiten der Demokraten gefordert wird, ist es ein in der Tat wenig erfreuliches Szenario.
  • „Ab den 1990er Jahren bis zum Ausbruch der Finanzkrise haben sich viele Volkswirtschaften zu stark in die Richtung des Marktes bewegt. Sie schenkten den Nebenwirkungen von Wachstum, Technologie und Globalisierung zu wenig Beachtung. (…) Etwa an die Polarisierung in der Arbeiterschaft und die wachsenden Ungleichheiten bei Einkommen oder Vermögen. Aber auch an die Polarisierung zwischen urbanen, kosmopolitischen Gegenden und ländlichen oder kleinstädtischen Räumen. Das sind wichtige Themen, und sie haben negative Folgen; denken Sie an Trump oder den Brexit. Europa blieb bisher von Schlimmerem verschont. Doch die Barbaren stehen vor dem Tor. Die wirtschaftspolitischen Schwerpunkte müssen nun neu gesetzt werden (…).“ – bto: Ich denke bekanntlich auch, dass wir einen Wandel brauchen. Aber mich stört, dass er die Themen Geldordnung, Geldpolitik und Verschuldung nicht mit einem Wort erwähnt. Doch eine saubere Analyse gehört dazu.
  • „Ich rede nicht von einer Verstaatlichung der Wirtschaft oder einer schweren Hand des Staates beim Einsatz der Ressourcen. Das wäre freiheitsfeindlich, ineffizient und frustrierend für all jene, die aufsteigen wollen. (…) Es geht nicht nur um die Globalisierung, sondern generell um die moderne Wirtschaft. Ein Teil der Bevölkerung – und das gilt für viele Industrieländer – fühlt sich benachteiligt. Diese Leute finden, die Wirtschaftspolitik sei bisher vor allem darauf ausgerichtet gewesen, den ausländischen Staaten oder den einheimischen Eliten zu Reichtum zu verhelfen, und zwar auf ihre Kosten. Diese Verärgerung macht es Demagogen einfach, für alle Übel das Ausland, den Handel und die Migration verantwortlich zu machen. Wobei es hier nicht nur um ökonomische, sondern auch kulturelle Sorgen geht. Viele Menschen sehen die nationale Identität in Gefahr. Wirtschaftliche und kulturelle Sorgen sind eng miteinander verflochten.“ – bto: Wir haben natürlich das Problem der Globalisierungsverlierer in den Industrienationen, deren Gehälter unter Druck sind und die deshalb relativ zurückfielen. Wandern nicht nur Arbeitsplätze ab, sondern auch Menschen zu, um vor Ort um Ressourcen zu streiten, ist die Grundlage für Konflikte gelegt.
  • „Güter aus dem Ausland sind günstiger geworden und stehen heute in grösserer Zahl zur Verfügung. Dies hat aber auch Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Man kann sich die Globalisierung als eine Technologie vorstellen, die dazu führt, dass Produktion und Konsum effizienter werden. Wie jede neue Technologie verändert auch die Globalisierung die Verteilung der Einkommen. Entsprechend wichtig bleibt die soziale Mobilität. Zudem müssen die Leute in ihrer Arbeit wieder einen Wert erkennen und zu Selbstachtung finden. Das sind Dinge, die wir zu wenig ernst genommen haben.“ – bto: Die Voraussetzung dafür ist, dass man in Bildung investiert. Genau dies machen wir aber nicht. Um es mit Gunnar Heinsohn zu sagen, wir haben es mit einem immer größeren Teil „Unbeschulbarer“ zu tun.
  • „(…) ich glaube nicht, dass die Geldpolitik keinerlei Munition mehr hat. (…) Grundsätzlich steht den Notenbanken weiterhin auch die Möglichkeit von Anleihekäufen offen, wie dies die Europäische Zentralbank ja derzeit beweist. (…) Sie wirken weniger als früher. Je stärker man sie strapaziert, desto grösser werden die Nebenwirkungen und desto kleiner werden die positiven Effekte. (…) In einer künftigen Krise müssen aber auch die Politiker Verantwortung übernehmen. Darüber sollten sich die Regierungen schon heute Gedanken machen: Wie sorgt man dafür, dass eine fiskalpolitische Stimulierung produktiv wirkt, welche Bedürfnisse will man decken, wohin soll das Geld fliessen?“ – bto: Und genau dies passiert schon vor dem Hintergrund des ganzen Geschwafels von der Rolle der Notenbanken beim Kampf gegen den Klimawandel.
  • „Wenn der Staat seine Mittel produktiv einsetzt, erhöhen seine Investitionen das Potenzialwachstum. Das verbreitert die Steuerbemessungsgrundlage und erleichtert die Schuldenlast. Ich denke etwa an Investitionen in eine grüne Wirtschaft, für eine bessere Bildung oder für ein effizienteres Gesundheitswesen. Zudem haben wir sehr niedrige Zinsen. Das verringert die Zinsenlast, selbst bei wachsender Verschuldung. Hier kann auch die Geldpolitik eine wichtige Rolle spielen, indem sie die Zinsen niedrig hält. Derzeit müssen wir uns über Inflation ja kaum Sorgen machen. Gefragt sind neue Ideen.“ – bto: Das ist doch die knappe Zusammenfassung dessen, was jetzt kommt. Wir haben ein gutes Ziel und können es den Bürgern so erklären. Es ist einfach eine brillante Ausrede für die unkonventionellen Maßnahmen und es wird schwerfallen, diese zu kritisieren.
  • „Die Idee von Helikoptergeld wirkt auf viele Leute angsteinflössend. Aber es würde funktionieren. Und wenn es Werkzeuge gibt, die funktionieren, sollte man darüber nachdenken, wie sie auf sichere Weise eingesetzt werden könnten. Denken Sie daran: Wenn es uns im Falle eines dramatischen Abschwungs nicht gelingt, Gegensteuer zu geben, hat dies dramatische politische Konsequenzen. Diese Folgen wären weit gravierender als unsere derzeitigen Bedenken zur geldpolitischen Unabhängigkeit oder zu den Grenzen des Staatshaushalts.“ – bto: Und wenn dann noch jemand sagt, bto sei alarmistisch!
  • „Natürlich gibt es Nebenwirkungen. Die einzelnen Notenbanken haben aber kaum Einfluss auf das Niedrigzinsumfeld. Die global sehr tiefen Realzinsen sind ein Resultat globaler Faktoren. (…) Es gibt ganz offensichtlich einen Überschuss von Ersparnissen gegen­über Investitionen. Hinzu kommt die allgegenwärtige politische Verunsicherung. Das führt zu einer höheren Nachfrage nach sicheren Vermögenswerten.“ – bto: Am Montag habe ich gezeigt, dass diese Argumentation auf wackeligen Füßen steht.
  • „MMT ist eine gefährliche Doktrin. Kurzfristig mag eine monetäre Finanzierung möglich sein und eine positive Wirkung haben. Aber sie ist kein Ersatz für langfristige Strukturreformen. Irgendwann kommt es zur Inflation. Und unter Inflation leiden die Einkommensschwachen und die Mittelklasse am meisten. Für mich erscheint die MMT wie eine linke Version der angebotsorientierten Wirtschaftstheorie. Letztere gibt ebenfalls vor, man könne alles haben, was man wolle: Steuern senken und gleichzeitig die Schulden verringern. Nun heisst es bei den Verfechtern der MMT: Man kann Geld drucken und damit ein Gesundheitswesen, einen Green New Deal und vieles andere finanzieren. Doch Ressourcen sind begrenzt. Man kann nicht alles haben.“ – bto: Doch wo ist der Unterschied zwischen dem notenbankfinanzierten Green Deal und MMT? Eben. Ich denke, es geht nur darum, durch massive Inflationierung die reale Schuldenlast deutlich zu verringern. Und deshalb wird es gemacht werden.

nzz.ch (Anmeldung erforderlich): “‘Die Barbaren stehen vor dem Tor’: Warum sich der frühere IMF-Chefökonom vor der nächsten Krise fürchtet”, 13. November 2019