Euro: Alle schauen nach Frankreich, doch aus Italien kommt die Bedrohung
In den letzten Wochen habe ich an dieser Stelle verschiedene Szenarien für die Zukunft der Eurozone diskutiert. Zur Erinnerung die zwei wichtigsten Beiträge:
→ Was passiert, wenn der Euro platzt
→ Noch eine Studie zum Ende des Euro
Nun ein Blick auf die Risiken, wie sie die Kapitalmärkte wahrnehmen, und danach ein tieferer Blick nach Italien. Zunächst die FINANZ und WIRTSCHAFT:
- “Seit etwa einem halben Jahr steigen die Zinsdifferenzen innerhalb der Eurozone wieder. (…) Droht ein Szenario wie im ersten Semester 2012, als viele Anleger auf den Zerfall des Euro wetteten?” – bto: Wenn überhaupt kann man es doch nur als Beweis dafür sehen, dass die Politik der letzten Jahre auf Problemunterdrückung statt -lösung gesetzt hat.
- “Eine Wiederholung ist unwahrscheinlich. Im ersten Semester 2012 konnte die Unsicherheit nur so stark werden, weil die EZB damals noch keine Garantie für die Übernahme der Staatsanleihen abgegeben hatte. Die Anleger mussten damit rechnen, dass sie bei einem Bankrott eines Euro-Mitglieds tatsächlich hohe Verluste einstecken würden. Heute steht die EZB nach wie vor hinter ihrer Garantie.” – bto: Es gibt keine Pleiten mehr, weil die EZB faktisch sozialisiert.
- “Gleichwohl darf man die erhöhten Zinsdifferenzen in der Eurozone nicht ignorieren. Der EZB-Ökonom Roberto de Santis hat versucht, die Gründe dahinter anhand der Beispiele Frankreich und Italien besser zu verstehen. Er kommt zu interessanten Ergebnissen.” – bto: Es wird immerhin von der EZB analysiert.
Redenominationsrisiko in Italien
- “Wenn negative politische Ereignisse das Überleben des Euro direkt gefährden, spricht de Santis von einem Redenominationsrisiko, das heisst, es besteht eine Wahrscheinlichkeit, dass der Euro in einem bestimmten Land durch eine neu eingeführte, abgewertete Währung ersetzt wird.” – bto: Und das wäre, wie wir in den Studien gesehen haben, massiv!
- “Wenn sie das Überleben des Euro nicht direkt bedrohen, spricht de Santis von einem politischen Risiko.” – bto: unangenehm, aber nicht tödlich.
- “In Italien ist das Redenominationsrisiko stark gestiegen. Es erreicht mittlerweile wieder eine Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent. (…) Das ist beunruhigend, wenn auch wenig überraschend. Italien ist einer der grössten Verlierer der Währungsunion.” – bto: Das stimmt, weshalb Italien auch wirklich das entscheidende Land sein dürfte.
Politisches Risiko in Frankreich
- “In Frankreich ist das Redenominationsrisiko vernachlässigbar. Offenbar rechnen die Anleger nicht mit einem Sieg von Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen. Warum steigt die Zinsdifferenz gegenüber Deutschland trotzdem an? Anscheinend sehen die Anleger ein erhöhtes politisches Risiko. Sie glauben, dass Frankreich unter Emmanuel Macron weiter stagnieren wird, weil keine Mehrheit für Reformen vorhanden ist.” – bto: Und das ist doch eine sehr berechtigte Überlegung.
- “So ist alles möglich: eine Wahl von Le Pen wie eine schnelle Verminderung der Zinsdifferenz nach einer Niederlage Le Pens. Es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Die Zinsdifferenz steigt, obwohl Le Pen verliert. Dann wäre das Gleichgewicht zwischen Deutschland und Frankreich noch stärker bedroht, als es ohnehin schon ist.” – bto: Das unterstreicht, dass der Druck im Kessel steigt.
Doch nun zu dem 20-Prozent-Kandidaten Italien. Dort ist eine breite politische Stimmung gegen EU und Euro zu vermerken.
Lega Nord und Cinque Stelle wollen raus
SPIEGEL ONLINE berichtet über den neuen Chef der Lega Nord, Matteo Salvini:
- “Matteo Salvini, 44 Jahre alt, ist ein Mann der rüden Töne. Der Euro ist für den Italiener ‚ein Verbrechen gegen die Menschheit‘, die EU gehört ‚abgerissen‘ (…).” – bto: Man darf dabei nicht vergessen, wie schlecht es Italien wirtschaftlich geht.
- “Drei von vier ‚Wenn heute Wahltag wäre‘-Umfragen der vergangenen Tage und Wochen zeigen die 5-Sterne-Protestbewegung an der Spitze. Dahinter, durch die Abspaltung linker Gruppen etwas abgerutscht, kommen die Sozialdemokraten. Dann aber liegen mit zwölf bis 13 Prozent die (…) Forza Italia und die Lega von Salvini schon ziemlich gleichauf. (…) 5 Sterne, Lega, Forza und dazu die Postfaschisten kommen zusammen locker über 50 Prozent. Die Frage ist dann nur noch, ob sie sich einig werden.” – bto: Das unterstreicht, wie groß der Frust der Bevölkerung ist.
Armut ein echtes Problem
Womit klar ist, dass wir es in Zukunft mit einer Regierung zu tun bekommen, die ihren Wahlsieg auf Anti-EU und Anti-Euro aufbaut. Das besorgt auch die FT, die das Anwachsen der Populisten analysiert:
- “(…) if Five Star succeeds, it may partly be because it has persuaded struggling Italians (…), especially in the south, that their social safety net will be dramatically extended. Five Star has vowed to roll out a measure that offers the tantalising prospect of up to €780 a month to all residents who qualify, calling it the ‚citizens’ income‘. It is an ambitious, expensive and probably fanciful anti-poverty plan, but it could help tip the scales in its favour.” – bto: Hier herrscht wirklich Armut.
- “Five Star is dangling its policy in front of voters as aggressively as it can. Alessandro Di Battista, one of its most prominent leaders, stood in the main square of Ragusa this month to sell the plan. ‚An entire manufacturing system is dying,‘ he told the crowd, lamenting the advent of ‚automation‘ and ‚robotics‘.” – bto: In einem Beitrag in der letzten Woche hat sich die FT übrigens für ein Grundeinkommen ausgesprochen. Thematisiere ich noch in den kommenden Tagen.
- “Istat, Italy’s statistical agency, says about 4.6m Italians — out of a population of almost 60m — were already living in absolute poverty in 2015, a 2.5-fold increase compared with the 1.8m Italians in the same condition in 2007. The broader measure of people at risk of poverty or social exclusion has risen by 2.2m to 17.5m people over the same period, according to Eurostat, the commission’s statistics bureau.” – bto: Daran ist natürlich nicht nur der Euro schuld. Aber er hat dazu beigetragen.
Italien bleibt das Land, von welchem die größte Bedrohung für den Euro ausgeht und es fällt schwer sich vorzustellen, wie man das Land innerhalb des Euro und ohne Schuldenschnitt und Bankensanierung retten möchte.
Anhaltende Kapitalflucht
Das sehen auch die Italiener so, die weiterhin ihre Ersparnisse aus dem Land schaffen. Dafür leiht dann die Bundesbank mehr Geld. Die Verbindlichkeiten aus TARGET2 liegen jetzt bei 25 Prozent des BIP.
Quelle: zerohedge.com
- “(…) while we are told that record T2 balances are pure accounting values and should be viewed as a benign by-product of the decentralized implementation of the asset purchase program (APP) rather than renewed capital flight, and while Draghi refers to them as a form of solidarity within the European system, in a letter to Italian EU politicians Draghi also maintained that such debts should be settled in full should Italy decide to leave the euro. So, the number matters and represents a liability.“ – bto: Ich weiß, dass dies von einigen Lesern dieser Seiten ganz anders gesehen wird. Dennoch ist es ein Krankheitssymptom.
→ FINANZ und WIRTSCHAFT: “Wie die Märkte die Zukunft des Euros sehen”, 24. März 2017
→ SPIEGEL ONLINE: “Italiens gefährlichster Populist”, 30. März 2017
→ FT (Anmeldung erforderlich): “Five Star leads the way in Italian poverty politics”, 30. März 2017