„Deutschland, hör auf zu träumen!“

Richtig: Deutschland, hör auf zu träumen! Vor allem hör auf, dich selber reicher zu sehen, als du bist. Wohin man auch schaut, verspielen wir unseren Wohlstand.

Doch in diesem Beitrag in der ZEIT kommt ein alter Bekannter zu Wort, der bekanntlich eher einseitige Thesen zum Thema Eurorettung und Rolle Deutschlands spielt. Heiner Flassbeck habe ich schon mehrfach an dieser Stelle kritisch hinterfragt. Immer wieder lesenswert bleibt: Flassbeck versus Stelter. Nun darf er erneut seine Thesen einem breiten Publikum vortragen. Dabei hatte die ZEIT zuletzt durchaus vernünftige Beiträge zum Thema Euro gebracht.

Schauen wir uns mal an, wie man die Lage auch sehen kann:

  • „Deutschland träumt. Es träumt von einer Welt, in der alle Menschen und alle Institutionen solide wirtschaften und genau mit dem Einkommen auskommen, das sie haben. Vor allem der Staat, der schon hohe Schuldenberge angehäuft hat, soll sich bescheiden.“ – bto: Da fängt es schon an. Niemand sollte so denken. Ich träume von einer Welt, in der Schulden zu produktiven Zwecken gemacht werden bzw. mit der festen Absicht, diese durch entsprechendes Mehrprodukt zu bedienen.
  • „Was der Träumer von der heilen Welt ohne Schulden vergisst, ist die einfache Tatsache, dass das Auskommen mit dem eigenen Einkommen für die meisten Menschen heißt, dass sie weniger ausgeben, als sie einnehmen, sie sparen.“ – bto: Zunächst heißt es, mit dem eigenen Einkommen auskommen. Flassbeck hätte recht mit seiner Kritik, wenn er verstehen würde, dass in unserem kreditbasierten Geldsystem nur ein Wachstum der Geld- = Schuldenmenge sicherstellt, dass die Schuldner als Gesamtheit die Zinsen verdienen können. Doch soweit kommt er mit seiner Kritik gar nicht
  • „Ersparnisse aber, die auf der Bank liegen, sind nicht nur unrentabel, weil heutzutage der Zins nahe Null ist, sie haben auch bei ihrer Entstehung schon einen Geburtsfehler gehabt. Sie haben dem Wirtschaftskreislauf Mittel entzogen, die eigentlich gebraucht worden wären, um Einkommen und Gewinne zu generieren.“ – bto: Die Ersparnisse machen bekanntlich den allerkleinsten Anteil am Geldangebot aus. Wenn wir aber in Flassbecks einfachem Kreislaufmodell bleiben, so ist es richtig, dass diese Ersparnisse von anderen für Ausgaben, idealerweise Investitionen, genutzt werden müssen, die dann wiederum Kapitalstock und künftigen Wohlstand sichern.
  • „Offenbar muss die Bank jemanden finden, der bereit ist, einen Kredit aufzunehmen und das Geld auszugeben, am besten zu investieren, damit die Ersparnisse produktiv für die Volkswirtschaft eingesetzt werden können.“ – bto: genau. Problem?
  • In Deutschland aber sind alle großen Sektoren per Saldo Sparer. Wer macht die Schulden?bto: Ist es so falsch, wenn eine alternde, demnächst schrumpfende Volkswirtschaft für das Alter vorsorgt? Ist es falsch, wenn Unternehmen angesichts dieser Entwicklung nicht mehr in Deutschland investieren, sondern im Ausland? Für Flassbeck jedenfalls ja.
  • Deutschland braucht das Ausland in großem Stil zum Schuldenmachen. In diesem Jahr braucht Deutschland 250 Milliarden Euro neue Schulden im Ausland, um seinen Traum vom Sparen und der schwarzen Null bei einem ganz geringen Wachstum verwirklichen zu können.“ – bto: Das ist natürlich nicht ganz richtig. Wenn Unternehmen im Ausland investieren, so ist ihr Eigenkapital in diesen Ländern, aber es sind nicht ihre Schulden. Ansonsten beschreibt Flassbeck hier den bekannten Zusammenhang zwischen Handelsüberschuss und Kapitalexport. Ich bin übrigens mit ihm einer Meinung, dass es nicht smart ist, Waren auf Kredit an ohnehin schon überschuldete Schuldner zu liefern.
  • „Deutschland, glaubt man seinen Politkern, schützt seine zukünftigen Generationen durch seine Sparsamkeit, aber es missbraucht nach der gleichen Logik die zukünftigen Generationen anderer Länder.bto: wie immer ein Kern Wahrheit, aber maßlos übertrieben. Denn wenn wir Direktinvestitionen im Ausland tätigen, schaden wir dortigen Menschen nicht. Im Gegenteil. Soweit es sich um Schulden handelt, werden die ohnehin nicht bedient. Entweder kommt es zu Pleiten oder zu Inflation. Der Einzige, der bei dem Spiel verliert, sind wir. Statt die anderen Länder zu bedauern und zu kritisieren, sollte er die deutsche Bevölkerung bedauern und den richtigen Rat geben.
  • „Deutschland muss das Sparen entzaubern und den Bürgern erklären, dass auch in Deutschland Schulden gemacht werden müssen.“ Da die Unternehmen es nicht machen: „Da der Staat Geld am Kapitalmarkt aufnehmen kann, ohne dass es ihn etwas kostet, muss er vorübergehend zum wichtigsten Investor werden.“ – bto: Also, er will (wieder einmal!) Konjunkturprogramme. Doch diese Schulden belasten uns auch. Wenn sie zinsfrei sind, so müssen sie doch später bedient und umgeschuldet werden. Flassbeck will also künftige deutsche Generationen belasten. Was mich wundert: Wenn er es schon als Problem sieht, weshalb schlägt er nicht höhere Unternehmenssteuern vor
  • Generell dürfen wir nicht den Eindruck erwecken, es gebe einen Kuchen in Deutschland, der nun auf mehr Menschen aufgeteilt werden muss, wenn Flüchtlinge ins Land strömen. Das ist politisch gefährlich und ökonomisch falsch. Deutschland muss einen größeren Kuchen backen und das gelingt derzeit nur, wenn der Staat bereit ist, über den Schatten der schwarzen Null zu springen.“ – bto: Der Kuchen wir temporär größer durch Mehrnachfrage auf Kredit. Doch die Gesamtbilanz wird schlechter. Das wäre so, als würde man sein Haus beleihen, um auf eine Weltreise zu gehen. In dem Jahr der Reise fühlt man sich reicher. Danach nicht mehr
  • Dazu muss der Staat in all den Bereichen investieren, in denen heute gravierender Nachholbedarf besteht. Das gilt für Bildung, für ökologische Vorsorge und den Ausbau der Infrastruktur. Wer das tut, erreicht gleich zwei Dinge: Er investiert in die Zukunftsfähigkeit des Landes, entlastet damit zukünftige Generationen und er hilft dabei, den Handelspartnern Luft zum Atmen und zu einem Abbau ihrer Schulden zu geben.“ – bto: ganz schön viel auf einmal. Nachholbedarf: einverstanden. Entlastung künftiger Generationen?? Doch nur, wenn man die Schulden später annulliert! Handelspartner: Glaubt er im Ernst, dass davon Frankreich und Italien gerettet werden? 

Fazit Flassbeck: „Die deutschen Arbeitsplätze sind gefährdet, weil die Handelspartner den Weg in eine weiter zunehmende Verschuldung stoppen müssen und die deutschen Ersparnisse sind gefährdet, weil derjenige, der sich mit allen Mitteln gegen steigende deutsche Importe wehrt, es auch mit der Rückzahlung seiner Schulden gegenüber Deutschland nicht so ernst nimmt.“

Dem Fazit stimme ich zu 100 Prozent zu  nur nicht der von ihm verordneten Medizin. Er springt wieder zu kurz:

  1. Er müsste konsequent sagen, dass unsere Forderungen an das Ausland schon verloren sind und wieder diese nur erhöhen.
  2. Er müsste darauf hinweisen, dass wir diesen Verlust entweder durch Pleiten oder Inflationierung realisieren werden und die Politik auf Zweites setzt.
  3. Er müsse erklären, dass dies die Folge einer jahrzehntelangen Schuldenwirtschaft ist, die ursächlich von Notenbanken und Staaten angetrieben wurde und
  4. dass wir nur deshalb nicht mehr solide wirtschaften können, weil der Point of no Return schon vor Jahren überschritten wurde.
  5. Er müsste ehrlich sagen, dass er davon ausgeht, dass die neuen Schulden nie bedient werden und wer den Verlust am Ende trägt.

Ich bleibe bei meiner Unterstützung der Helikopter-Geldpolitik und der Lösung über die EZB-Bilanz aus der Erkenntnis heraus, dass wir nichts Besseres hinbekommen werden. Flassbeck sollte das offen ansprechen, statt nur nebulöse Umverteilungsmaßnahmen vorzuschlagen, bei denen die Kosten und deren Verteilung völlig im Unklaren bleiben.

ZEIT ONLINE: „Deutschland, hör auf zu träumen!“ 26. November 2015

Kommentare (7) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Ewald Kroiss, LL.M.
    Ewald Kroiss, LL.M. sagte:

    Die Staatsschulden der westlichen Laender werden realistischer Weise nicht zurueckgezahlt, da es sich bei der Verschuldung um eine Exponentialfunktion handelt, die bekanntlich stetig steigt und ins Unendliche geht. Die Bundesregierung hat dies erkannt, ergo keine Neuverschuldung mehr. Dies muss staerker gewuerdigt werden. Die Regierungen haben allerdings, und darauf hat die Bundesbank auch bereits mehrfach hingewiesen, die Zeit des QE nicht oder nicht genuegend fuer Reformen genutzt, um die Geldstroeme wieder zur Bildung des Kapitalstocks zu nutzen. Es bleibt also, dem ist absolut zuzustimmen, nur der Weg ueber die EZB-Bilanz. Ohne Zentralbanken koennte sich ein Grossteil der Staaten nicht mehr finanzieren.

    Mfg
    EK

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  2. Travelbum
    Travelbum sagte:

    “Ich bin übrigens mit ihm einer Meinung, dass es nicht smart ist, Waren auf Kredit an ohnehin schon überschuldete Schuldner zu liefern.”
    Für die Exporteure ist es mehr als smart: SIE bekommen ihr Geld. Das “Ausfallrisiko” trägt der dt. Michel. Umverteilung vom Feinsten – aber der dt. Michel glaubt noch ER sei Exportweltmeister. Dabei ist er nur Zahlmeister.

    Antworten
  3. Johannes
    Johannes sagte:

    Des “Pudels Kern”.

    “Flassbeck hätte recht mit seiner Kritik, wenn er verstehen würde, dass in unserem kreditbasierten Geldsystem nur ein Wachstum der Geld- = Schuldenmenge sicherstellt, dass die Schuldner als Gesamtheit die Zinsen verdienen können. Doch soweit kommt er mit seiner Kritik gar nicht.”

    Viele – und vor allem Politker – verstehen diese Zusammenhänge nicht. Für sie kommt das Geld von der (Zentral)Bank, wie der Strom aus der Steckdose. Und Kredite werden aus den Ersparnissen der Sparer ausgereicht, so wie der Zitronenfalter die Zitronen faltet…

    Instinktiv ahnen viele Menschen in Deutschland wohin die Entwicklung steuert und handeln nach dem Leitsatz: “Spare in der Zeit, so hast du in der Not”. Schlecht für den “Konsum”… und das kreditbasierte Geldsystem…

    Antworten
    • Karl F.
      Karl F. sagte:

      “Instinktiv ahnen viele Menschen in Deutschland wohin die Entwicklung steuert und handeln nach dem Leitsatz: „Spare in der Zeit, so hast du in der Not“. ”

      Deshalb auch die Frage von herrn Stelter:
      Ist es so falsch, wenn eine alternde, demnächst schrumpfende Volkswirtschaft für das Alter vorsorgt?

      Es ist einfach unfassbar, wie “Weltökonomen” wie Herr Flassbeck über solche Zusammenhänge hinweg gehen. Persönliche Vorsorge zu betreiben, damit eventuell auch die Nachfolgegeneration wenigstens ein Bisschen entlastet wird, das gibt es im Weltbild der Neo-Keynesianer (und als solchen muss man Flassbeck bezeichnen) nicht.

      Antworten
  4. Udo Glittenberg
    Udo Glittenberg sagte:

    Hier noch ein Zitat aus Bill Mitchells gestrigem Kommentar zur jüngsten geldpolitischen Entscheidung der EZB (Friday lay day – Eurozone, lessons have not been learned):

    “The ECB would make an almost instant contribution to growth if it posted out a ‘package of euros’ to every unemployed person in Europe. That fiscal intervention would immediately stimulate sales and possibly provide the basis for some crowding in of private investment spending.”
    http://bilbo.economicoutlook.net/blog/?p=32488

    Antworten
  5. Udo Glittenberg
    Udo Glittenberg sagte:

    Der Ruf nach Helikopter-Geld wird lauter …

    65 Economists Call for QE for People in the Eurozone
    • Citizens can join the movement for QE for People by signing up here.
    • Economists can join the call by endorsing the campaign here.
    http://www.qe4people.eu/65_economists_support_qe_for_people

    Und hier noch der Hinweis auf den NZZ-Gastkommentar vom 16.02.2015 zu Helikoptergeld
    “Bares für Bürger
    Die Nationalbank sollte ihr Geld direkt an die Bürger verteilen. So liesse sich der Konsum gezielt beeinflussen. Von Michael Malquarti, Banque Syz.”
    Michael Malquarti ist Vizepräsident der in Genf ansässigen Banque Syz.
    http://www.nzz.ch/meinung/debatte/bares-fuer-buerger-1.18484005

    Lieber Herr Stelter,
    Sie haben wieder denkwürdig kommentiert.
    Ich kann nur sagen: weiter so …
    Gut, dass es Ihre Stimme gibt, mit der Sie sich unermüdlich zu Wort melden.
    Beste Grüße
    Udo Glittenberg

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