„Wie Deutschland seinen Wohlstand verschleudert“
Dieser Beitrag erschien bei manager magazin online. Eigentlich hätte ich ihn auch “Bilanz von 10 Jahren Merkel” nennen können. Natürlich unvollständig, weil nur auf die ökonomischen Aspekte beschränkt. Dazu hätte ich lediglich neben den hier genannten Punkten auf den Reformstillstand verweisen müssen und die Tatsache, dass wir den wirtschaftlichen Aufschwung vor allem dem schwachen Euro und dem Investitionsboom der Schwellenländer verdanken. Nicht der Politik der Regierung.
Als der Ökonom Thomas Piketty im Herbst letzten Jahres seine Forderung nach radikaler Umverteilung im Bundeswirtschaftsministerium vortrug, war der Hausherr Sigmar Gabriel (SPD) sichtlich begeistert. Es spiele keine Rolle, ob die Thesen des Franzosen richtig oder falsch seien. Politisch relevant seien sie allemal.
Diese kleine Anekdote zeigt gut, woran Deutschland krankt. Wir konsumieren, statt in die Zukunft zu investieren. Wir geben uns einer Wohlstandsillusion hin und denken, wir könnten „alles schaffen“. Die Flüchtlingskrise, die Energiewende, die Rettung des Euros, die Umstellung unsere Wirtschaft auf neue Technologien und letztlich den Übergang zu einer schrumpfenden Gesellschaft mit immer mehr Alten.
Das Problem ist: Jede einzelne dieser Herausforderungen kostet Billionen. In Summe zu viel – selbst für eine noch starke Volkswirtschaft wie die unsere. Nicht nur die Kosten sind enorm. Wir müssten jeweils investieren, statt zu konsumieren. Doch wir tun das Gegenteil. Investitionen legen die Grundlage für künftigen Wohlstand, Konsum verbraucht vorhandenen Wohlstand.
Energiewende: Vernichtung von Milliardenvermögen
In Wirklichkeit schwächt diese Vermögensvernichtung eine ganze Branche und erschwert den Übergang zu wirklich neuen Technologien mehr, als dass sie ihn erleichtert. Die gleichzeitige Förderung der alternativen Energien war nichts anderes als ein gigantisches Subventionsprogramm, von dem vor allem die chinesischen Solaranbieter profitiert haben. Für den Standort Deutschland bedeutet sie dauerhaft deutlich höhere Energiekosten. Die Belastung für Unternehmen und Verbraucher wird auf eine Billion geschätzt. Diese Billion ist Konsum und fehlt an anderer Stelle. Wie weit Industrien für erneuerbare Energien davon wirklich profitieren, vor allem am Standort Deutschland, bleibt abzuwarten.
Flüchtlinge: die Milliardenkosten einer verschenkten Chance
Mindestens eine Million zumeist junger Flüchtlinge nehmen wir in diesem Jahr auf. Ein Ende der Völkerwanderung ist nicht abzusehen. Inklusive Familiennachzug werden schon jetzt Zahlen von bis zu 10 Millionen Flüchtlingen bis 2020 gehandelt. Vor einigen Wochen habe ich an dieser Stelle vorgerechnet, was passieren müsste, damit die Zuwanderung zu einem Gewinn für beide Seiten wird. Für die Flüchtlinge und auch für uns.
Der entscheidende Hebel ist dabei, den Anteil der produktiven Flüchtlinge möglichst hoch zu bekommen. Bei einem Anteil von 50 Prozent Flüchtlingen, die wir in Arbeit bekommen, wäre die Bilanz schon neutral. Die Mehrkosten würden durch einen Mehrertrag kompensiert. Schaffen wir es hingegen nicht, haben wir es mit jahrzehntelangen finanziellen und sozialen Belastungen zu tun. (passend dazu nun auch die ersten Medlungen die von erheblichen Steuererhöhungen ausgehen.)
Die Wirtschaftsforschungsinstitute freuen sich über die positive Wirkung der Flüchtlingskrise auf das BIP 2016. Verpflegung, Kleidung und Unterkunft führen zunächst zu Mehrnachfrage und damit mehr Wirtschaftsleistung. Doch auch dies ist nur Konsum. Wahre Investitionen wären deutlich höher – und eben nicht ohne drastische Einschnitte an anderer Stelle und Steuererhöhungen zu finanzieren. Doch davor schreckt die Politik zurück. Ein weiteres Beispiel für kurzfristige Optimierung zulasten künftiger Generationen.
Ungelöste Eurokrise
Die Flüchtlingsthematik beherrscht die Medien und verdrängt die anderen ungelösten Probleme Europas. Henrik Müller betont zu Recht den Zusammenhang zwischen Eurokrise und Fluchtwelle. In den letzten Jahren ist nicht zuletzt wegen der völlig verfehlten deutschen Euro-Politik in Europa viel politischer Goodwill verloren gegangen. Zielsicher haben wir uns nach „unten links“ manövriert, also den politischen und finanziellen Schaden für uns maximiert. Alles immer begleitet von der völlig irrigen Annahme, wir seien die Nutznießer des Euros. Dass dem nicht so ist, kann man hier nachlesen.
Nun haben sich die Gewichte verschoben. Nicht wir können den anderen sagen, wie es geht, sondern wir brauchen die anderen. Griechenland wird den Schuldenschnitt bekommen, im Gegenzug für Auffanglager auf den Inseln. Europa wird die Schuldenunion bekommen, die teuerste für uns denkbare Variante, als Gegenleistung für eine etwas solidarischere Verteilung der Flüchtlinge. Gemeinsam werden wir die Politik des Sparens endgültig beerdigen für ein weiteres Leben auf Pump. Kombiniert mit der Bankenunion wird das für uns ein teurer Spaß. Bei einer Billion Euro, wie von mir noch vor Kurzem geschätzt, wird es nicht bleiben. Auch diese Billion ist letztlich Konsum, egal wie sie uns von der Politik verkauft wird. Damit sind wir schon bei mehr als drei Billionen Euro die wir in den kommenden Jahrzehnten verbrauchen.
Wer zahlt unsere Renten?
Weitere Billionen wird die Versorgung einer immer älteren Gesellschaft verschlingen. Nirgendwo wurde für diese Kosten vorgesorgt. Studien rechnen vor, dass es enormer Kraftanstrengungen bedarf, um die Staatsfinanzen unter Kontrolle zu halten. Noch stehen wir in Deutschland relativ zu anderen Ländern recht gut da. Wenn wir unsere Ausgaben für Renten, Pensionen und Gesundheitsleistungen für Alte auf dem derzeitigen Niveau des BIP einfrieren, können wir eine Explosion der Staatsschulden vermeiden. So die Berechnung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), angestellt vor der Rentenreform der Großen Koalition.
Pro Kopf gerechnet sind das angesichts explodierender Rentnerzahlen natürlich schlechte Nachrichten. In der Praxis wird es auf Rentenkürzungen, Steuererhöhungen und mehr Schulden hinauslaufen. Auch dies ist wiederum Konsum und ein Anspruch auf das Volkseinkommen, welches wir erarbeiten, in Billionenhöhe. Finanzieren wir alles mit Schulden, so erwartet die BIZ für 2040 einen Schuldenstand von über 300 Prozent des BIP. Überschlägig also ein Anstieg um sechs Billionen. Auch dies für Konsum, nicht für die Sicherung künftigen Wohlstands.Diese Zahlen unterstreichen nochmals die vergebene Chance einer ungesteuerten Zuwanderung, die nicht nach Qualifikation unterscheidet und die erforderlichen Integrationsinvestitionen nicht tätigt. Statt die Last der alternden Gesellschaft zu mindern, droht eine Verstärkung der Verteilungskonflikte.
Deutschland vor gefährlichen Verteilungskämpfen
Der VW-Skandal sollte es dem letzten Skeptiker vor Augen führen. Die deutsche Wirtschaft ist dominiert von der Automobilindustrie, die vor erheblichen Herausforderungen steht. Technologischer Wandel, neue Wettbewerber und verändertes Konsumentenverhalten sind Herausforderungen, die wir bewältigen können. Sicher ist dies allerdings nicht. Die Tatsache, dass ein weltweit führendes Unternehmen wie Volkswagen zur Manipulation gegriffen hat, zeigt, wie groß die technologische Herausforderung ist. Selbstfahrende Autos und der Verlust der Rolle als Statussymbol bei künftigen Generationen können die Industrie mehr als erschüttern. Zeit, neue Branchen zu entwickeln. Doch damit tun wir uns schwer.
Was wir bräuchten, wäre eine Investitionsoffensive von privater und öffentlicher Seite. Stattdessen fallen die Ausgaben für Investitionen seit Jahren kontinuierlich. Unternehmen investieren lieber in den Märkten der Zukunft, der Staat konzentriert sich auf Konsum statt Investition. Der Verfall des Bildungswesens tut ein weiteres.
Wir können vieles – aber nicht alles gleichzeitig.
→ manager-magazin.de: „Wie Deutschland seinen Wohlstand verschleudert“, 14. Oktober 2015