Bank für Inter­natio­nalen Zahlungs­ausgleich warnt vor Inflation – und die Noten­banken nicht

Folgender Kommentar von mir erschien bei manager magazin:

Im heute erschienenen Annual Economic Report warnt die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich vor einer epochalen Trendwende: Nachdem sie seit vierzig Jahren rückläufig war, droht eine Phase (deutlich) höherer Inflation. Denn die Notenbanken, die sich dem entgegenstellen sollten, werden es nicht tun.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), gerne auch als Notenbank der Notenbanken bezeichnet, gehört zu den unbequemen Mahnern im öffentlichen geldpolitischen Diskurs. Seit Jahrzehnten warnt sie vor der Politik des immer billigeren Geldes, erkannte frühzeitig das Risiko der Weltfinanzkrise und mahnt seither vor den Folgen der fortgeführten Manipulationen im Finanzsystem: Häufung von Finanzkrisen, Abhängigkeit von Vermögenspreisblasen und zunehmende realwirtschaftliche Zombifizierung. Es lohnt deshalb, sehr genau zuzuhören, wenn die Basler Experten sich zu Wort melden.

Corona als historische Krise

Natürlich konnten auch die Ökonomen der BIZ nicht die Corona-Krise vorhersagen. Sie sind aber vermutlich am besten qualifiziert, um die finanzpolitischen Implikationen der Epidemie und vor allem der wirtschaftspolitischen Krisenmaßnahmen zu beurteilen.

Zunächst loben die Experten die Reaktionen von Staaten und Notenbanken: Angesichts eines Einbruchs der wirtschaftlichen Aktivität, der schwerer gewesen sei als in der Großen Depression und zudem im Unterschied zur Finanzkrise wirklich global war, gab es keine andere Möglichkeit, als durch eine massive Intervention das Schlimmste zu verhindern. Immerhin sei die Wirtschaft in einigen Ländern hochgerechnet auf das Jahr in einem Quartal um 25 bis 40 Prozent eingebrochen.

Die Interventionen waren notwendig, weil das Finanzsystem aufgrund der Politik des billigen Geldes in den Jahren seit der Finanzkrise – so die BIZ – immer anfälliger wurde. Dies lag zum einen an der deutlich gestiegenen Verschuldung des Nicht-Finanzsektors, vor allem der Unternehmen in den USA und in Europa und zum anderen an dem “aggressive risk taking” in den Finanzmärkten. Gemeint ist die Bereitschaft, hohe Preise für Aktien und Anleihen zu bezahlen, illiquide Investments mit kurzfristigen Krediten zu finanzieren und eine – nicht nur bei Hedge-Fonds – zunehmende Spekulation auf Kredit. Ein Umstand, auf den man bei der Beurteilung der Krise gar nicht deutlich genug hinweisen kann.

Die BIZ attestiert den Banken, in einem besseren Zustand als vor der Finanzkrise und nicht direkt ein Krisenherd zu sein, aber sie bemängelt deren schwache Kapitalbasis – eine Folge der Politik des billigen Geldes vor allem in der Eurozone – weswegen sie sich schwertun, ausreichend neue Kredite zu vergeben.

Rote Linien mussten überschritten werden

Deshalb war es richtig, dass die Notenbanken, ohne zu zögern, intervenierten und dabei, wie es die BIZ ausdrückt, bisherige „rote Linien“ überschritten. Es waren nicht die Zinssenkungen, die dabei halfen, sondern die Rolle des „Lenders of last resort“ – des letzten Kreditgebers.

Man könnte auch sagen, es war eher die Rolle des “Buyers of last resort”, des Einzigen, der noch bereit war, zu kaufen. Dies galt vor allem im Anleihenmarkt, wo die Investoren sich zum ersten Mal seit Langem wieder die Frage stellten, ob denn die Schuldner überhaupt in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen. In nicht wenigen Fällen wäre diese Frage schon vor den mit Corona verbundenen deutlichen Gewinnrückgängen angebracht gewesen. Nach Gewinnrückgängen von bis zu 50 Prozent erst recht. Kein Wunder, dass die Notenbanken bisherige Qualitätsanforderungen fallenließen und im großen Stil die Papiere von Unternehmen aufkauften, die in Zukunft vor der Herausforderung stehen werden, die (viel zu hohen) Schulden abzubauen. Bei nicht wenigen dürfte das nur durch Gläubigerverzicht möglich sein.

Richtig war nach Auffassung der BIZ auch, dass die Staaten in bisher ungesehenen Umfang Geld in die Realwirtschaft gepumpt haben. Dabei lief es vielerorts, nicht nur in Deutschland, über Kreditgarantien des Staates, mit denen Banken dazu ermuntert werden sollten, den Unternehmen über die Krise zu helfen. Italien hat Garantien über fast 40 Prozent des BIP abgegeben, gefolgt von Deutschland und Japan.

Kommt es zu den unvermeidlichen Konkursen, wird die Politik nach Einschätzung der BIZ vor der Herausforderung stehen, eine Restrukturierung der Schulden zu organisieren, ohne dabei die erforderliche strukturelle Anpassung zu verhindern – ein Seitenhieb mit Blick auf die seit Jahren immer mehr zunehmende Zombifizierung der Wirtschaft.

Zunehmend wird aber klar, dass es nicht damit getan ist, Kredite zu garantieren. Immer mehr kommt es zu direkten finanziellen Transfers an Unternehmen und Haushalte. An der Spitze liegen hier die USA mit direkten Staatsausgaben in der Größenordnung von über zwölf Prozent des BIP, gefolgt von Japan und Deutschland.

Inflation als Risiko (und Chance)

Kurzfristig verhindern bzw. mindern die Interventionen von Staaten und Notenbanken den deflationären Schock der Krise. Ein Zusammenbruch der Vermögenspreise und damit eine Konkurswelle wurden ebenso abgewehrt wie ein breiter Rückgang des Preisniveaus. Damit besteht gute Hoffnung, dass es bei einer schweren Rezession bleibt und wir von einer Depression verschont werden.

So positiv die BIZ die kurzfristigen Maßnahmen zur Krisenbekämpfung sieht, so besorgt äußern sich die Experten über die mittelfristigen Folgen. Es droht die Umkehr des seit fast 40 Jahren andauernden Trends zu immer geringeren Inflationsraten und Zinsen. Die Pandemie schädigt die Produktivität nachhaltig: So können beispielsweise Restaurants, Hotels und Fluggesellschaften aufgrund der Anforderungen des „Social Distancings“ weniger Kunden bedienen. Globale Wertschöpfungsketten werden auch nach der akuten Phase der Corona-Krise geschädigt bleiben. Unternehmen werden mehr auf regionale Produktion setzen, Staaten auf die nationale Produktion bestimmter Güter bestehen und beide mehr Lagerhaltung betreiben.

Die Folge: Wir werden mehr Kostendruck sehen, der sich vorerst in geringeren Gewinnmargen, perspektivisch in höheren Preisen, niederschlagen dürfte. Dies vor dem Hintergrund eines Szenarios, das sich laut BIZ am ehesten mit der Situation nach dem Zweiten Weltkrieg vergleichen lässt: hoch verschuldete Staaten, mehr staatlicher Einfluss in der Privatwirtschaft und eine Abkehr von der Globalisierung.

Trotz der sich daraus ergebenden inflationären Tendenzen dürften die Staaten Druck auf die Notenbanken ausüben, die Zinsen tief zu halten, um so die Schulden tragbar zu halten und über eine schleichende Entwertung der Schulden durch Inflation die Schuldenlast relativ zum BIP abzubauen. Dass es bereits in diese Richtung geht, zeigt sich an zunehmenden Rufen nach „monetärer Staatsfinanzierung“, also der direkten Finanzierung der Staaten durch die Notenbanken.

Egal, aus welchen noch so edlen Motiven diese ins Spiel gebracht wird – zum Beispiel für den Kampf gegen den Klimawandel –, befürchtet die BIZ einen breiten Vertrauensverlust in die „Geldwirtschaft eines Landes“. Gemeint sind die Währung und alle Institutionen, die für den Wert der Währung stehen. Vor allem sollten die Notenbanken die hart erarbeitete Glaubwürdigkeit als Hüterin der Kaufkraft des Geldes nicht leichtfertig verspielen, sind doch Krisenmaßnahmen wie die heute ergriffenen nur deshalb möglich und wirksam, weil dieses Vertrauen der Öffentlichkeit und Finanzmärkte in die Notenbanken besteht.

Sich dem Druck der Politik, mehr Inflation zuzulassen, entgegenzustellen, dürfte laut BIZ eine der größten Herausforderungen für die Notenbanken in den kommenden Jahren sein. Gelingt es den Notenbanken nicht, droht die Rückkehr der Inflation.

 Die Illusion der unabhängigen Notenbanken

Offiziell kann die BIZ nur warnen und es bleibt ihr nicht viel mehr, als daran zu appellieren, keine Politik der Inflationierung zu befolgen. Was sie aber nicht benennt, sind die Alternativen. Denn bei zu hohen Schulden bleiben nur: Pleiten/Schuldenrestrukturierungen und Vermögensabgaben, die nichts anderes als eine anders organisierte Pleite sind. Ebenso möglich wäre die Monetarisierung der Altschulden über die Notenbankbilanzen, wie an dieser Stelle angeregt.

Es ist anzunehmen, dass die Politik diese Wege scheut und die auf dem Papier bestehende Unabhängigkeit der Notenbanken in den kommenden Jahren auch offiziell aufgegeben wird. Die EZB verfolgt schon seit Langem andere Ziele als nur der Geldwertstabilität. Die Bank of Japan ist längst der Finanzier des Staates, die Bank of England spart sich in Folge der Corona-Krise den Umweg über die privaten Banken und überweist das Geld direkt an die Regierung und die US-Fed hat sich in eine unumkehrbare Abhängigkeit von den Kapitalmärkten und damit letztlich der Politik begeben. Alle gemeinsam schauen sie in den Abgrund, direkte Folge der Geldpolitik der letzten Jahrzehnte, die immer höhere Verschuldung, Vermögenswerte und Spekulation erst ermöglicht hat.

Kombiniert man diese nüchterne Analyse mit den Sorgen der BIZ über eine „Zeitenwende“ bei der Inflation kann man nur zu der Schlussfolgerung kommen: Alles spricht für diese Wende und damit die eindrucksvolle Rückkehr der Inflation.

Erhebliche Verwerfungen werden die Folge sein. Denn auch wenn die Notenbanken die Realzinsen tief halten werden, dürften die Nominalzinsen steigen. Hatten wir in den letzten Jahrzehnten geringe Konsumentenpreisinflation und hohe Vermögenspreisinflation bekommen wir nun das Gegenteil: deutlich höhere Inflation in der Realwirtschaft und erhebliche Verluste bei Finanzvermögen. Große Verlierer dabei: die Deutschen mit ihrer Vorliebe für Konto, Sparbuch, Riester-Rente und Lebensversicherung.

manager-magazin.de: “Warum die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich vor Inflation warnt”, 30. Juni 2020