Der Krieg ist nur einer der Gründe für die hohe Inflation

Zweistellige Inflationsraten sind weder in den USA noch in der Euro-Zone auszuschließen. Viele Ökonomen dürften froh sein, mit dem Krieg in der Ukraine eine Erklärung für den von ihnen nicht vorhergesehenen Preisanstieg zu haben. Dabei stiegen die Preise schon vor dem russischen Angriff: im Februar auf Jahresbasis um 7,9 Prozent in den USA und um 5,9 Prozent in der Euro-Zone.

Vor allem keynesianisch-orientierte Ökonomen verkennen die Bedeutung des Geldmengenwachstums für die Inflationsentwicklung. Keynesianer sehen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage als die entscheidende Größe für Produktion und Beschäftigung an.

Dabei darf es niemanden wundern, dass sich Wachstumsraten der Geldmenge M3 von über 40 Prozent in den USA und 18 Prozent in der Euro-Zone seit Februar 2020 in den Preisen niederschlagen.

Zu M3 zählen unter anderem Bargeld, Einlagen auf Girokonten sowie Geldmarktpapiere und Schuldverschreibungen. Eine stark anziehende Geldmenge kann Volkswirten zufolge auf mittlere bis lange Sicht Anzeichen für eine steigende Inflation sein.

Obwohl die Inflation viele Ökonomen überrascht hat, halten sie an der Vorstellung fest, dass sie vorübergehend sei, und warnen vor einer Straffung der Geldpolitik. Für diese Sicht spricht das abnehmende Wachstum der Geldmengen.

Politik verstärkt Trend zu höheren Preisen

Allerdings gewinnen andere Inflations-Erklärungsansätze an Bedeutung: Angespannte Arbeitsmärkte erzeugen Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer und damit höhere Löhne, die Kosten von Energie und Rohstoffen als Produktionsfaktoren steigen spürbar, auch – aber nicht allein – wegen des Krieges.

Die Nachfrage nach Bankkrediten zieht an, vor allem in den USA. Die Alterung der Gesellschaft führt zu einer höheren Abhängigkeitsquote, und der Trend zur Globalisierung ist nicht nur gestoppt, sondern kehrt sich um.

Ist es für eine Notenbank sinnvoll, sich gegen solche Inflationstendenzen zu stemmen? Historisch gesehen lautet die Antwort: Ja. Von 1973 bis 1975 stiegen die Preise in Großbritannien um 57 Prozent, in der Bundesrepublik nur um 21 Prozent, obwohl der Ölpreisschock beide Länder traf. Die Bundesbank hat damals früher und konsequenter gegengehalten.

Leider spricht nichts dafür, dass die Europäische Zentralbank (EZB) sich an diesem Vorbild orientieren wird. Dagegen spricht eine Geldpolitik, die mehr auf die günstige Finanzierung von Staatsdefiziten als auf die Stabilität der Währung ausgerichtet ist.

Die Politik verstärkt den Trend zu höheren Preisen noch. Ständig werden neue Ausgabenprogramme auf Kredit beschlossen und den Bürgern die Kosten der Energiewende immer offener aufgebürdet. So mag die Wärmepumpenpflicht ab dem Jahr 2024 zu einem geringeren Energiebedarf führen, doch woher sollen die Fachkräfte kommen, um die erforderliche Zahl von Anlagen einzubauen?

Das Ergebnis ist Stagflation: Die Nachfrage nach vielen Gütern sinkt, weil der Privatsektor netto weniger Geld zur Verfügung hat. Die Preise steigen dennoch, weil das, was nachgefragt werden muss, knapp ist. Wie praktisch, wenn man dann alles auf den Krieg in der Ukraine schieben kann. In Wahrheit ist es die Politik, die zu einer Verarmung der Mitte führt. Das ist kein Programm für soziale Stabilität.

handelsblatt.com: “Der Krieg ist nur einer der Gründe für die hohe Inflation”, 1. April 2022