„Lasst uns optimistisch sein!“
Einem regelmäßigen Leser meiner Kolumnen wäre es kaum zu verübeln, mich für einen pessimistischen Menschen zu halten. Diesem Eindruck möchte ich am Ende eines Jahres, das zu kritischen Kommentaren tatsächlich viel Anlass bot, mit einer positiven Botschaft entgegen treten: Noch nie ging es der Menschheit so gut wie jetzt! Der Großteil der Menschheit genießt eine nie da gewesene Lebenserwartung und Lebensqualität. Die Financial Times brachte es so auf den Punkt: Nathan Rothschild, immerhin der zweitreichste Mensch der Weltgeschichte, war trotz seines Reichtums „ärmer“ als wir alle es heute sind. Er hatte keine Antibiotika und starb mit 58 Jahren an einer Blutvergiftung. In seinem Leben hat er weder Eisenbahn, Auto und Flugzeug genutzt, noch Filme gesehen oder telefoniert. Dinge, die für immer mehr Menschen in der Welt eine Selbstverständlichkeit sind.
Diese Betrachtungsweise sollten wir nie aus den Augen verlieren, wenn wir über die wirtschaftlichen Perspektiven nachdenken und diskutieren. Wir können sicher sein, dass es in hundert Jahren der Menschheit wiederum besser gehen wird als heute. Gerade auch die demografische Entwicklung wird sich bis dahin stabilisiert haben und Regionen, die zurzeit unter den durchaus kriegerischen Folgen eines starken Bevölkerungswachstums leiden, werden bis dahin dank geringerer Geburtenraten einen Zuwachs des Wohlstandes pro Kopf erzielen.
Ein Szenario für 2016
Die Beschlüsse des Weltklimagipfels in Paris machen mir Mut, einmal das gesamte Jahr 2016 mit einer anderen Brille zu betrachten. Zum ersten Mal sieht es so aus, als würde die Welt sich wirklich daranmachen, eine für die gesamte Menschheit bedeutende Aufgabe konzertiert und konsequent anzugehen. Die Umstellung unserer CO2-intensiven Wirtschafts- und Lebensweise auf ein nachhaltiges Fundament könnte den Anstoß geben für die nächste Phase der wirtschaftlichen Entwicklung. Folgt man der Theorie der langen Wellen der Konjunktur (sogenannte Kondratieff-Wellen), könnten wir damit den Aufschwung für die nächsten Jahrzehnte anstoßen – und das einmal, ohne zuvor die Welt mit Kriegen in Not und Elend gestürzt zu haben. Völlig neue Industrien und Technologien werden vorhandene Branchen und Unternehmen schöpferisch zerstören und den Weg frei machen für ein neues Wirtschaftswunder. Das mag utopisch klingen, ist aber realistischer, als wir uns das heute denken. Statt das Vorhandene zu bewahren, sollten wir mit voller Kraft auf das Neue setzen.
Auch mit Blick auf unsere anderen ungelösten Probleme – Flüchtlings- und Eurokrise, zunehmender Terrorismus, verstärkte kriegerische Auseinandersetzungen und Zeichen des Verfalls in der EU – könnte es ganz anders kommen, als ich bisher – warnend – gedacht und geschrieben habe.
Wenn wir die Probleme anpacken, statt sie zu verschieben, könnte 2016 nicht nur ein gutes Jahr werden, sondern eines der Wende zum Besseren in der Welt. Ein paar Argumente und Gedanken dazu:
Roboter und Automatisierung werden uns das Leben weiter erleichtern. Es wird immer mehr möglich sein, Aufgaben von Computern und Maschinen erledigen zu lassen. Statt einen Fachkräftemangel zu beklagen, freuen wir uns über die Lösung unserer demografischen Probleme. Maschinen erhalten unseren Wohlstand und erlauben auch der „Sandwich“-Generation der Babyboomer ein Alter in Wohlstand und Sicherheit.
Um diesen Wandel zu erleichtern, investieren Staaten und Unternehmen massiv in Innovation, Infrastruktur und Bildung. Finanziert werden diese Ausgaben durch die Notenbanken der westlichen Welt, nachdem sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die derzeitige Rettungspolitik nur den Finanzmärkten nutzt, sie die säkulare Stagnation als Folge des technologischen Wandels und der Überschuldung der Welt aber nicht überwinden kann. Die direkte Finanzierung dieser Investitionen ist der Tabubruch, der ohnehin bevorsteht. Dann doch lieber in zukunftsorientierte Projekte.
Die Wirtschaft in Europa und den USA wird so die seit 2007 andauernde Krise überwinden. Die Arbeitslosigkeit sinkt und das westliche Wirtschaftsmodell gewinnt seine ursprüngliche Attraktivität zurück. Die EU nutzt die Erholung zu den nötigen Reformen, um durch mehr Bürgernähe und Möglichkeiten der politischen Einflussnahme wieder zu einer breiten demokratischen Legitimation zu finden. Großbritannien erkennt doch den Nutzen Europas und stimmt für einen Verbleib in der EU.
In der Eurozone wird endlich eine Schuldenrestrukturierung vorgenommen, wobei die unbedienbaren Schulden von Staaten und Privaten, ebenfalls unter Mitwirkung der EZB, umgeschuldet und erlassen werden. Zur dauerhaften Stabilisierung der Eurozone und zur weiteren Integration einigen sich die Staaten auf die Einführung einer Fiskalunion mit gemeinsamen Sozialstandards.
Die Erholung im Westen strahlt auf die Weltwirtschaft aus. China nutzt die Erholung, um den Umbau der Wirtschaft voranzubringen und die faulen Schulden zu bereinigen. Die Rohstoffexporteure von Brasilien bis Südafrika werden durch die anziehende Nachfrage aus Europa und den USA ebenfalls stabilisiert.
Die bessere wirtschaftliche Entwicklung macht es für die Staaten Europas leichter, die Folgen der Flüchtlingskrise zu teilen. Nachdem Deutschland sich einer Lösung der Eurokrise mithilfe der EZB nicht widersetzt hat und selbst bei der Schuldenrestrukturierung auf Forderungen verzichtet hat, einigt man sich in Brüssel auf eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik mit einer Verteilung der Flüchtlinge auf alle Länder der EU. Deutschlands verfehlte Europolitik wäre damit zu Ende.
Die Integrationspolitik ändert sich ebenfalls. Deutlich schneller und konsequenter als heute werden die Flüchtlinge in Arbeit gebracht und Sprachkenntnisse vermittelt. Zugleich macht Europa klar, dass unsere Werte und unser Rechtssystem für jeden gelten, der hier leben möchte. Damit wird Integration zu einer Verpflichtung für beide Seiten. Parallelgesellschaften wie in den Vororten von Paris und Berlin Neukölln gehören damit der Vergangenheit an. Sie werden nicht mehr toleriert.
Doch damit nicht genug. Statt dem zunehmenden Verfall im Nahen Osten weiter zuzuschauen oder diesen gar mit militärischen Aktionen zu verstärken, packen wir das Problem an der Wurzel.
Zum einen bedeutet dies, Saudi-Arabien klar zu machen, dass es angesichts leerer Kassen und dauerhaft tiefer Ölpreise nicht mehr die finanziellen Ressourcen hat, den IS und den Terror zu finanzieren. Sollte Saudi-Arabien die Finanzierung des Terrors nicht beenden, kommt es zu Handelsembargos und der Beschlagnahme des saudischen Auslandsvermögens. Mit anderen Ländern, die im Verdacht stehen, den Terror zu unterstützen, verfährt der einige Westen genauso.
Parallel zur Unterbrechung der Finanzierung des Terrors startet der Westen ein Wiederaufbauprogramm für die Region. Ein Marschallplan, verbunden mit Direktinvestitionen, schafft Arbeit und reduziert damit die Attraktivität des Terrors. Perspektive für junge Menschen statt Waffen, lautet die Parole.
Schön wäre es
Was muss passieren, dass diese utopisch anmutenden Gedanken wahr werden? Wirtschaftliche Stärke ist der Dreh- und Angelpunkt für Wohlstand und Frieden. Nur dann sind wir in der westlichen Welt geeint und in der Lage, die Herausforderungen zu meistern. Zu lange schon dauert die Krise an. Schon zu lange mangelt es unseren Politikern an dem Mut und der Gestaltungskraft, die Krise zu überwinden. Es genügt nicht, in der Flüchtlingsfrage voranzugehen. Denn da geht es um die Folgen, nicht die Ursachen der Krise.
Deutschland muss sich öffnen für die Lösung der Euro- und Schuldenkrise und damit die Grundlage schaffen für eine Wende. Natürlich ist es nicht gut, wenn wir die Notenbanken als Bad Banks missbrauchen, um die Folgen des jahrzehntelangen Schuldenbooms zu bereinigen. Die Alternativen scheinen jedoch so unpopulär, dass die Politik sie nicht geht, wie wir in den letzten sechs Jahren beobachten konnten.
Deshalb müssen wir unseren Politikern ein Signal geben, dass wir reifer sind, als sie vielleicht denken. Beim Klima-Gipfel in Paris scheint das funktioniert zu haben. Mit einem „Weiter so“ wollte keiner der Staatenlenker vor seine Wähler treten. So sollte das auch für die künftigen Euro-Gipfel gelten. Mittlerweile müsste klar sein, dass bei einem „Weiter so“ die Krise chronisch wird, die EU zu verfallen droht und wir nicht in der Lage sein werden, unsere Nachbarschaft zu befrieden. Das „Schluss jetzt“ würde bedeuten, dass wir bereit wären, die Konsequenzen der Monetarisierung unserer Schulden zu tragen. Ich selbst bin dafür – vor allem, weil die Monetarisierung ohnehin kommen wird. Dann lieber rasch, bevor der Schaden noch größer wird.
→ manager-magazin.de: Lasst uns optimistisch sein!, 15. Dezember 2015