Es geht um Schuldenübernahme – um nichts anderes
Dieser Kommentar von mir erschien bei manager magazin:
Nun haben sich die Finanzminister der Eurozone auf ein umfassendes Paket geeinigt, um „Solidarität“ zu beweisen. 500 Milliarden sollen dazu mobilisiert werden. Corona-Bonds gibt es vorerst nicht. Die Betonung liegt auf „vorerst“.
Der Druck, Schulden weiter zu vergemeinschaften, hält an. „Weiter“ deshalb, weil die EZB schon seit zehn Jahren fleißig dabei ist, indem sie in immer größerem Umfang – und seit Beginn der Corona-Krise losgelöst von früheren Beschränkungen – Anleihen aufkauft. Die Haftung liegt bei den Steuerzahlern aller Euro-Mitgliedsstaaten – je nach Kapitalanteil der nationalen EU-Zentralbanken bei der EZB. Deutschland ist also mit einem Anteil von 21,5 Prozent, Frankreich mit 16,6 Prozent, Italien mit 13,8 Prozent und Spanien mit 9,7 Prozent dabei, um nur die größten Aktionäre zu nennen. Fällt Italien aus, steigt der deutsche Anteil auf 25 Prozent, würde Spanien dann ebenfalls nicht mehr zahlen wollen, auf 28 Prozent. Weigern sich die Staaten der EU, die zwar Aktionäre der EZB sind, aber nicht den Euro verwenden, Verluste zu übernehmen, liegt der Anteil Deutschlands in diesem Szenario bei 38 Prozent. Kauft die EZB nun bis Jahresende für 1.000 Milliarden weitere Wertpapiere – vor allem in den Krisenländern der EU – bedeutet dies nichts anderes als 380 Milliarden Euro zusätzliche potenzielle Verluste für Deutschland.
Das Theater für zehn Milliarden?
Angesichts dieser Zahlen muss man zunächst fordern, dass die Politik ehrlich ist und die erheblichen Verpflichtungen, die nichts anderes sind als ein Verschieben von Vermögen zwischen Ländern der Eurozone, transparent macht. Wir sind bereits in einer Schuldenunion. Und dies, weil die Politik sich seit Jahren hinter der EZB versteckt, statt die Probleme des Euro offen anzugehen.
Besserung ist nicht in Sicht. So meinte Franziska Brantner, die europapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, diese Woche im Deutschlandfunk, dass gemeinsame Anleihen kein Risiko für Deutschland darstellten, weil dafür 27 Mitgliedsstaaten haften würden. Zudem könnte die EU ja eigene Steuern erheben, um diese Anleihen zu bedienen.
Abgesehen davon, dass die Erhebung von EU-Steuern in den Sternen steht, ging es bei den gewünschten Corona-Anleihen nicht um Anleihen der EU, sondern um gemeinsame Anleihen der Euromitgliedsstaaten. Verhandelt hat nämlich die sogenannte „Eurogruppe“ der Finanzminister der Staaten, die Mitglied im Euro sind, und es ging auch um Euro-Bonds, nun mit anderem Namen. Dafür aber haften nicht 27 Mitgliedsstaaten, sondern nur die, die im Euro sind. Die Anteile haben wir oben gesehen. Und selbst wenn – wie jetzt diskutiert – wirklich auf Ebene der EU-Anleihen ausgegeben werden, mag es zwar auf dem Papier so aussehen, als würden 27 Staaten gleich haften, faktisch bleibt der Löwenanteil bei wenigen Staaten, vor allem Deutschland. Das Problem wird also politisch verharmlost und kleingeredet.
Um die Zinsersparnis kann es bei den gemeinsamen Anleihen nicht gehen. Da die EZB ohnehin unbegrenzt kauft, dürfte die Zinsdifferenz bei rund einem Prozentpunkt liegen, macht bei einem Kredit von 100 Milliarden nur eine Milliarde pro Jahr aus. Ein Betrag, der selbst für Italien keine Rolle spielt. Bei realistischeren 1.000 Milliarden wären es auch nur 10 Milliarden Euro pro Jahr. Da könnten die stärkeren Länder die Zinsen übernehmen.
Da stellt sich die Frage, warum so ein Theater, wenn es doch nur um 10 Milliarden pro Jahr geht.
Staatsschuldenkrise 2.0
Brantner ließ durchscheinen, worum es wirklich geht. Sie betonte, dass Länder wie Italien keine weiteren Schulden machen könnten, weil ihre Schulden schon zu hoch seien. Deshalb wäre es falsch, diesen Ländern nun mit weiteren Krediten helfen zu wollen. So geht im Prinzip auch die Argumentation der meisten Ökonomen, auch jener, die wie Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft ihre Meinung geändert haben und nun vehement für Euro-/Corona-Bonds eintreten.
Doch wenn ein Land keine weiteren Schulden verkraftet und es sich dann gemeinsam mit anderen Ländern Geld leiht, wer soll dann für die Tilgung aufkommen? Genau, eine Tilgung muss dann von den anderen Ländern geleistet werden. Und zwar nicht von 27, sondern von denjenigen Ländern in der Eurozone, die das noch können.
Werfen wir einen Blick auf die Schuldenstände vor Corona (Quelle: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung/OECD, 2019):
Niederlande: 66 %
Finnland: 69 %
Deutschland: 70 %
Irland: 75 %
Österreich: 90 %
Spanien: 115 %
Belgien: 118 %
Frankreich: 122 %
Portugal: 138 %
Italien: 147 %
Griechenland: 193 %
Griechenland können wir gleich außen vorlassen, weil schon heute ein großer Teil der Schulden von den anderen Eurostaaten gehalten werden (direkt und indirekt) und mit langen Tilgungsfristen versehen ist.
Ansonsten kann man festhalten: Jedes Land, was mit über 100 Prozent Schulden relativ zum BIP in diese Krise gegangen ist, wird auf ein Schuldenniveau katapultiert, das nur durch die anhaltende Finanzierung durch die Notenbank – wie in Japan – nachhaltig ist. Denn der Zuwachs der Schulden wird bei mindestens 30 Prozent des BIP liegen. Hinzu kommt, dass in diesen Ländern auch abseits der akuten Corona-Finanzierung laufende Defizite und erhebliche ungedeckte Verbindlichkeiten bestehen.
Diese hohen Schuldenstände haben nichts mit der Corona-Epidemie zu tun. Es war der bewusste Entscheid der Politiker und Bürger dieser Länder, eine solch hohe Staatsverschuldung zu akzeptieren. So gibt Frankreich deutlich mehr für den Erhalt der Infrastruktur aus als Deutschland.
Wenn nun also Staaten, die für immerhin 37 Prozent des Kapitals der EZB aus den Euromitgliedsländern stehen, nicht mehr in der Lage sind, ihre Schulden ordentlich zu bedienen, fällt die Last auf die anderen Staaten. Deutschland stünde dann für weit über 60 Prozent der Schulden gerade.
Damit wir das nicht merken, wird das Problem auf der Zeitachse geschoben. Langlaufende Anleihen sollen dazu führen, dass die Inflation das Geld entwertet und dass die heutigen Entscheidungsträger lange vergessen sind. Schon seit Jahren arbeitet gerade auch die deutsche Politik nach dieser Methode und erzählt beispielsweise von der „gewinnbringenden“ Rettung Griechenlands, obwohl wir real gerechnet erheblich bezahlen.
Um es klar zu sagen: Jede gemeinsame Schuldenaufnahme dient nur dazu, zu verschleiern, dass die Lasten zwischen den Ländern verschoben werden – insbesondere nach Deutschland. Deshalb bin ich – wie letzte Woche hier ausgeführt – lieber für eine echte Schenkung. Wenn wir heute mehrere Hundert Milliarden Euro an die Krisenländer verschenken, ist das allemal besser, als es versteckt zu tun und dafür keinen Goodwill zu bekommen. Noch besser wäre es natürlich, außer dem Geldgeschenk in den Ländern zu investieren. So hätten wir wenigstens die Chance, mit dieser Maßnahme einen Gewinn zu erwirtschaften.
Gerecht ist es nicht
Kritiker haben mir geschrieben, dass es doch nicht gerecht sei, den anderen Ländern in diesem Umfang Geld zu geben, wo doch die privaten Haushalte so viel vermögender sind als hierzulande. Das stimmt. So sind nach Daten der Credit Suisse die Privathaushalte in Italien mit einem Vermögen pro BIP von 5,5, in Spanien von 5,3 und in Frankreich von 5,0 deutlich vermögender als die deutschen mit rund 3,8. Diese Werte sind nicht durch die Verteilung der Vermögen beeinflusst.
Wenn nun Italien über eine – bereits bei uns leidenschaftlich von linken Politikern und Ökonomen geforderte – Vermögensabgabe das Vermögen der Bürger vom 5,5-Fachen des BIP auf den Faktor 4 senken würde und wir auch noch annehmen, dass durch die Corona-Krise das Vermögen um 0,5 gesunken ist, ließen sich so Einnahmen in Höhe von 100 Prozent des BIP generieren. Die italienischen Privathaushalte wären nach dieser – zugegebenermaßen überschlägigen – Rechnung danach immer noch vermögender als die deutschen und die Staatsschulden lägen auf einem Niveau unterhalb der deutschen Staatsschulden. Auch Frankreich und Spanien könnten so leicht die eigene Staatsverschuldung deutlich senken.
Dies wird nicht kommen. Ebenso wenig wie eine Angleichung der Renteneintrittsalter und der Rentenniveaus. Auch hier schneiden wir Deutschen nicht besonders gut ab. Stattdessen werden wir eine weitere Auseinanderentwicklung an sozialen Standards erleben und über gemeinsame Anleihen finanzieren. So den Plan der spanischen Regierung, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzuführen, und zwar nicht für die Dauer der Krise, sondern für immer. Wer das finanzieren soll, dürfte nach der Diskussion klar sein.
Fonds zum „Wiederaufbau“
Die Eurogruppe hat sich darauf geeinigt, die Idee des französischen Finanzministers Bruno Le Maire zu verfolgen, einen Fonds zum „Wiederaufbau“ der europäischen Wirtschaft einzurichten. Er soll Teil oder Anhängsel des siebenjährigen EU-Haushalts werden, der gerade beraten wird. Auch hier sollen gemeinsame europäische Anleihen ausgegeben werden – und das wären auch wirklich EU-Anleihen im Unterschied zu dem, was die Eurogruppe bisher diskutiert hat. Damit ist klar, worum es geht: anderen Staaten Geld zu schenken, wiederum verpackt in Anleihen. Denn – wie gezeigt – die Schuldentragfähigkeit erfordert ein Umverteilen der Schulden, will man keine neue Schuldenkrise riskieren.
Von „Wiederaufbau“ zu sprechen, ist ohnehin falsch, da es sich um eine Pandemie und nicht um einen Krieg handelt und es eben keine Zerstörungen von Maschinen und Anlagen gegeben hat. Deshalb wird es deutlich schwerer sein, über Konjunkturprogramme die Wirtschaft wieder zu beleben. Im Fokus dürften eher Schuldenerlasse für den Privatsektor stehen.
Wenn man das finanzieren möchte, gibt es nicht viele Optionen:
- Die Staaten belasten den Privatsektor mit Vermögensabgaben. In Deutschland populär, in den anderen Ländern nicht. Deshalb wären wir hier Geisterfahrer, wenn wir diesen Weg gingen.
- Wir geben gemeinsame Anleihen aus. Diese bezahlen am Ende die Staaten, die mit geringerer ausgewiesener Staatsverschuldung ins Rennen gehen. Das ist nicht gerecht und entspricht einer Verschiebung von Vermögen zwischen Ländern.
- Wir geben Anleihen aus und lassen diese von der EZB kaufen und auf mehrere Hundert Jahre zins- und tilgungsfrei stellen.
Meine Meinung: Die letztgenannte Option dürfte angesichts der unweigerlichen und gigantischen Monetarisierung die einzig aussichtsreiche sein. Deutschland sollte sie akzeptieren und so Solidarität beweisen. Und das offen und ehrlich.
Mein neues Buch “CORONOMICS: Nach dem Corona-Schock – Neustart aus der Krise” erscheint am 30. April 2020.
→ manager-magazin.de: “Ungerecht, aber unvermeidlich”, 11. April 2020