“Ein Traum von einem Land”
Wie wird Deutschland im Jahr 2040 aussehen? Eines kann man mit Sicherheit sagen: Wir werden ein altes Land sein. Die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20 bis 66 Jahre) wird nach Berechnung des Statistischen Bundesamtes von heute 51,8 Millionen – je nach Zuwanderungsszenario bis 2050 – auf 43,2 bis 47,4 Millionen schrumpfen. Schon bis 2030 verlieren wir 2,6 bis 3,5 Millionen potenziell Erwerbstätige. Frankreich und Großbritannien werden uns bis 2050 in Bezug auf die leistungsfähige Bevölkerung und nach Wirtschaftskraft überholen. Die Folgen unseres Bevölkerungsrückgangs sind erheblich, sinkt doch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, während die Kosten der alternden Gesellschaft wahrhaft explodieren.
Die Konsequenzen dieser demografischen Entwicklung hängen fundamental davon ab, welche Entscheidungen wir in den kommenden Jahren treffen. Zugegeben, wir hätten schon in den letzten Jahren vorbeugen müssen und haben das versäumt. Statt die guten zehn Jahre vor der Corona-Krise zu nutzen, um Renten-, Gesundheits- und Sozialsysteme zukunftsfest zu machen, haben die Regierungen seit 2005 daraufgesetzt, mit immer großzügigeren Leistungsversprechen Wählerstimmen zu gewinnen – ohne zu bedenken, dass damit die Systeme der Alterssicherung noch größere Finanzierungslücken bekommen. Die „schwarze Null“ entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein Märchen der Politik.
Noch können wir handeln, um einen Kurswechsel zu bewirken. Eine Richtungsänderung setzt aber voraus, dass wir in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion ein grundlegendes Verschieben der Schwerpunkte vornehmen: weg von immer neuen Wegen der Wohlstandsverteilung, hin zur Frage der Wohlstandssicherung.
Zugegebenermaßen bin ich skeptisch, ob uns dieser Kurswechsel gelingt. Zu dominant sind die Themen Sozialstaatsausbau (überwiegend in unterschiedlichen Formen von bedingungslosem Grundeinkommen), Steuererhöhungen und Umverteilung, Regulierung von wirtschaftlicher Aktivität und privaten Entscheidungen bis zur Rettung des Weltklimas. Es droht die Gefahr, die eigenen ökonomischen Grundlagen aus dem Blick zu verlieren und aufzugeben.
Deshalb gebe ich statt eines Szenarios für 2040, wie von FOCUS erfragt, zwei. Das erste ist das Szenario des „Weiter-so“, das zweite, dass Szenario „Kurswechsel“.
Wie Italien nur ohne Dolce Vita
Nach der Corona-Rezession setzte sich die Meinung durch, dass der Staat viel weitgehender in die Wirtschaft eingreifen müsse. Gerade mit Blick auf die große Herausforderung des Klimawandels herrschte Konsens, dass wir nun, nachdem wir bewiesen haben, dass wir unser Leben für ein übergeordnetes Ziel einschränken können, dies erst recht für die weitaus größere Herausforderung tun könnten.
Die Politik verschärfte die Klimaschutzziele deutlich und setze auf eine Mischung aus Steuererhöhungen und direkter Regulierung. Verbrennungsmotoren wurden – wie schon zuvor die Ölheizung – verboten. Bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeugen gab man eine nach dem Schadstoffausstoß gestaffelte Rest-Nutzungszeit vor. Die Förderung der Elektromobilität konzentrierte sich auf Klein- und mittelgroße Fahrzeuge. Das sich daraus ergebende beschleunigte Schrumpfen der inländischen Automobilproduktion wurde als bedauerliche Nebenwirkung eines unumgänglichen Umbaus der Wirtschaft angesehen. Mit großzügigen Programmen, die sich an den Regelungen des Kohleausstiegs orientierten, wurden die sozialen Härten für die betroffenen Arbeitnehmer aufgefangen.
Zugleich investierte man viel Geld in neue Klimatechnologien. Allen voran in die als vielversprechend angesehene Wasserstoff-Technologie, wo Deutschland bereits Mitte der 2020er-Jahre globaler Technologieführer wurde. Leider gelang es dann nicht, diesen Vorsprung zu kommerzialisieren, weil die USA und vor allem China mit weitaus mehr Ressourcen und einer konsequenten Massenfertigung Kostenvorteile erzielten. Wie schon bei der Solarindustrie bleiben Deutschland im Jahre 2040 nur noch kleine Reste einer Branche, die mit viel Subventionen zunächst hierzulande entwickelt wurde. Trotz dieses letztlich enttäuschenden Ergebnisses betont die Politik, dass wir mit unserer Entwicklung der Welt gedient hätten, würde doch die Wasserstoffwirtschaft den globalen CO2-Ausstoß deutlich senken.
Wegen der enormen finanziellen Anstrengungen für den Kampf gegen den Klimawandel – auch sichtbar an immer höheren Stromkosten – und der rückläufigen Steuereinnahmen aufgrund des Verlustes hoch bezahlter Industriearbeitsplätze konnte der Staat nicht, wie nach der Corona-Krise versprochen, in die Infrastruktur des Landes investieren. Zum Teil wurde das auch als nicht mehr erforderlich angesehen, so zum Beispiel im Straßenbau, war es doch erklärtes Ziel, den Fahrzeugbestand deutlich zu reduzieren. In anderen Bereichen wie der Bildung scheiterte es schlichtweg am Geld, mussten Gemeinden doch noch jahrelang die Kosten der Corona-Krise abtragen.
Auch auf europäischer Ebene gab es Enttäuschungen. Der Einstieg in die Schulden- und Transferunion, im Sommer 2020 auf dem ersten Höhepunkt der Corona-Krise beschlossen, erfüllte die Erwartungen nicht. Statt zu einer verstärkten Konvergenz zwischen den Staaten zu führen, wuchs die Unzufriedenheit. Die Empfängerländer beklagten, zu wenig zu bekommen. Die Transferländer, allen voran Deutschland, stießen immer mehr an die Grenze der Leistungsfähigkeit. Die Niederlande zogen bereits 2030 die Notbremse und verließen die EU – auch ermutigt durch die Entwicklung in Großbritannien. Nach dem doppelten Schock von Corona und Brexit in der zweiten Hälfte der 2020er-Jahre wuchs Großbritannien deutlich schneller und wird immer mehr als liberales Gegenbild zur EU angesehen.
Die größte Enttäuschung für die Deutschen war aber, dass trotz ihrer Bereitschaft mehr Transfers für die EU zu leisten, die anderen Staaten immer unverhohlener auf die Hilfe der EZB setzen. In Kombination mit den Maßnahmen zum Klimaschutz und dem einsetzenden demografischen Wandel war eine Rückkehr der Inflation die Folge. Da höhere Finanzierungskosten den hoch verschuldeten Staaten der Eurozone nicht zuzumuten waren, hielt die EZB die Zinsen tief. Die Deutschen, die eine besondere Vorliebe für Sparbuch, Bankkonto und Lebensversicherungen haben, traf dies hart. Der Wert der über Jahrzehnte aufgebauten Ersparnisse sank deutlich. Die Politik reagierte auf diese Entwicklung mit einer höheren Besteuerung von Immobilienbesitzern, weil diese „unberechtigt von der Inflation profitierten“. Dabei waren Immobilien schon durch die bundesweite Einführung eines Mietendeckels, die alleinige Belastung der Eigentümer mit den erhöhten CO2-Abgaben und den Rückgang der Bevölkerung unter Druck. In Regionen mit besonders schlechter demografischer Entwicklung wird die öffentliche Infrastruktur aufgegeben.
Kein Wunder, dass Altersarmut, das große Thema Anfang der 2020er-Jahre, als sie noch keine nennenswerte Rolle spielte, im Jahre 2040 weit verbreitet ist. Renten und Pensionen halten mit den Preissteigerungen nicht mit, die private Vorsorge wird weniger wert. Dies, obwohl bereits nach der Bundestagswahl 2021 beschlossen wurde, die Beitragsbemessungsgrenze abzuschaffen, alle Bürger zu verpflichten, in die Sozialkassen einzubezahlen und dabei alle Einkünfte herangezogen wurden. Zu groß ist die Lücke zwischen den abgegebenen Versprechen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Landes.
Die Steuer- und Abgabenquote erreicht immer neue Höchststände, trotz der Tatsache, dass der Staat immer größere Defizite macht, um seinen Verpflichtungen nachzukommen. Hier wenigstens profitiert auch Deutschland von der Zinspolitik der EZB.
Angesichts der seit Jahren stagnierenden Wirtschaft – Folge der schrumpfenden Erwerbsbevölkerung, unzureichender Produktivitätszuwächse und Belastungen der Wirtschaft durch Eingriffe der Politik – sehen immer mehr junge Menschen die Zukunft außerhalb Deutschlands. Es wandern relativ zur Alterskohorte so viele aus wie noch nie. Profiteure dieser Entwicklung sind die Schweiz, Großbritannien und vor allem die USA.
Derweil geht es in der öffentlichen Debatte des Jahres 2040 in Deutschland vor allem um die Umverteilung des verbliebenen Wohlstands. Die Wünsche der Älteren, die mit großem Abstand die bedeutendste Wählergruppe stellen, stehen im Mittelpunkt der Politik. Die Bereitschaft, mit Reformen die wirtschaftlichen Grundlagen zu stärken, ist schon vor Jahren geschwunden. „Für uns langt es ja noch“ ist die überwiegende Haltung im Land. Die gesellschaftlichen und sozialen Spannungen nehmen immer mehr zu. Deutschland im Jahre 2040 entspricht damit Italien im Jahre 2020. Ein Land, das von der Substanz lebt, zu echten Reformen nicht in der Lage ist und der Jugend zunehmend eine Perspektive verweigert. Nur das Dolce Vita werden wir bis dahin nicht von den Italienern gelernt haben.
Kurswechsel möglich
Soweit muss es nicht kommen. Wir haben es in der Hand, den Kurs unseres Landes zu ändern. Und dabei dürfte es leicht sein, sich auf eine Vision für Deutschland zu einigen: Deutschland soll auch im Jahre 2040 ein glückliches, wohlhabendes und gerechtes Land sein, in dem sozialer Friede herrscht, der Wohlstand gerecht verteilt wird und das seinen Verpflichtungen in Europa und der Welt nachkommt.
Wer würde sich diesem Traum nicht anschließen wollen? Doch mit dem Träumen ist es nicht getan. Wir müssen heute die richtigen Weichenstellungen vornehmen, damit der Traum auch eine Chance hat, Realität zu werden. Vor allem müssen wir die Schaffung und Sicherung von Wohlstand wieder in den Vordergrund stellen.
- Das Land professioneller managen
Zunächst müssen wir feststellen, dass wir unser Land nicht professionell managen. Das wurde in der Corona-Krise mehr als offensichtlich: Behörden mit rückständiger Technik, komplizierte Prozesse, Bürokratie. Es beginnt aber schon grundlegender mit der Rechnungslegung des Staates. So arbeiten die Politiker mit einer simplen Einnahmen- Ausgabenrechnung, erstellen also keine ordentliche Bilanz. Es gibt keine systematische Erfassung der Vermögenswerte. Hätten wir diese, wäre in den letzten Jahren sofort sichtbar geworden, dass unser Staat zu wenig in die Infrastruktur des Landes investiert hat. Selbst die Schulden des Staates sind – so die Bundesbank in einem Kommentar –, nicht vollständig zu erfassen. Wir brauchen eine ordentliche Buchführung für den Staat inklusive Sozialversicherungen, um die Wirkung politischer Entscheidungen besser beurteilen zu können. Investitionen – ob nun in die Digitalisierung, Schulen oder klassische Infrastruktur – mehren das Vermögen, Leistungsversprechen wie Mütter- und Grundrente mindern das Vermögen. Hier für Transparenz zu sorgen, mag den Politikern nicht gefallen, würde aber die Qualität der Entscheidungen deutlich erhöhen.
Ebenso qualitätssteigernd wäre es, wenn wir bei allen Entscheidungen die Neben- und Folgewirkungen durchdenken. Systemisches Denken ist hier die Losung. Diese Ansätze werden bereits seit den 1970er-Jahren angewandt, um wichtige Entscheidungen vorzubereiten. In der Politik hingegen dominieren Vorgehensweisen, die oftmals nur auf die direkte Wirkung schauen, was zur Folge hat, dass wir in eine Interventionsspirale rutschen. Weil die erwünschte Wirkung nicht eintritt, werden immer weitere Maßnahmen ergriffen, die wiederum zu vorher nicht durchdachten Nebenwirkungen führen. Konkret können wir das in Deutschland beispielsweise in der Wohnungspolitik und beim Kampf gegen den Klimawandel beobachten.
In die gleiche Richtung geht das systematische Lernen von anderen. Wir haben in Deutschland einen ausgeprägten Hang, alles von Grund auf selbst entwickeln zu wollen. So hat Finnland seit gut zehn Jahren eine funktionierende elektronische Patientenakte, während bei uns die Einführung zäh anläuft. In Estland kann man außer Hochzeit und Immobilienerwerb alle Interaktionen mit dem Staat online abwickeln, in Berlin hingegen wartet man monatelang auf einen Termin, um einen neuen Personalausweis zu beantragen.
Es dürfte unstrittig sein, dass wir, wenn wir hier nicht rasch handeln, keine Chance haben, die Zukunft zu gewinnen.
- Wohlstand sichern
Neben den Instrumenten geht es natürlich auch um Inhalte. Wir müssen nach Jahren der Verteilungsdiskussionen wieder über die Sicherung und Schaffung von Wohlstand nachdenken. Dabei geht es vor allem darum, die Folgen des demografischen Wandels aufzufangen. Die zentralen Treiber für Wohlstand sind die Zahl der Erwerbstätigen und deren Produktivität, also wie viel BIP sie pro Kopf erwirtschaften. Desto mehr Menschen arbeiten und je produktiver sie sind, desto mehr kann sich eine Gesellschaft leisten.
Zum einen müssen wir eine Antwort auf den Rückgang der Erwerbsbevölkerung haben. Die gute Nachricht ist, zumindest für die nächsten zehn Jahre genügen einfache Maßnahmen, um den Rückgang aufzufangen: Eine Erhöhung der Erwerbsquote am Anteil der Bevölkerung ist relativ leicht zu erreichen. Mittelfristig kommen wir an einer Erhöhung des Renteneintrittsalters und einer Verlängerung der Jahresarbeitszeit nicht herum. Doch selbst das klingt schlimmer, als es in der Praxis ist. Zum einen steigt die Lebenserwartung erfreulicherweise immer weiter an und die Arbeitszeiten in Deutschland liegen weit unter dem Niveau anderer Staaten.
Ebenso wichtig ist, Maßnahmen zur Steigerung der Produktivität umzusetzen. Dies beginnt bei einer Erhöhung der privaten und öffentlichen Investitionen und geht über eine Verbesserung des Leistungsniveaus des Bildungswesens bis hin zu einer Forschungs- und Entwicklungsinitiative. Seit Jahren sind die Produktivitätszuwächse in allen Industrieländern rückläufig, in Deutschland stagniert die Produktivität seit Jahren sogar. Dies bedeutet, dass der zu verteilende Kuchen nicht wächst, während auf der anderen Seite die Ansprüche auf Kuchen wachsen. Will man die unweigerlichen Verteilungskämpfe abmildern, muss alles darangesetzt werden, die Produktivität zu steigern. Japan ist in dieser Hinsicht ein interessantes Beispiel. Obwohl die Erwerbsbevölkerung seit Jahren sinkt, konnte das BIP stabilisiert werden durch einen weit überdurchschnittlichen Anstieg der Produktivität pro Erwerbstätiger. Wesentlicher Hebel dafür ist weitgehende Automatisierung und der Einsatz von mehr Robotern, was für alternde Gesellschaften eine große Chance ist. Dies sollten auch wir so sehen, statt Automatisierung als große Bedrohung zu empfinden und – wieder einmal! – neue Steuern zu fordern.
Wichtige Voraussetzung für höhere Investitionen der Unternehmen ist eine Entlastung von den Corona-bedingten Schulden. Statt hier Belastungen beizubehalten, sollte der Staat auf die Forderungen verzichten und sie über einen sehr langen Zeitraum abschreiben.
Generell müssen wir uns darauf einstellen, nachhaltig mehr in das Land zu investieren, nur so sichern wir den Wohlstand auch in Zukunft und können die Versprechen für eine alternde Gesellschaft weitgehend einhalten, ohne die junge Generation zu überlasten.
- Wohlstand intelligent nutzen
Natürlich sollten wir den Wohlstand auch intelligent nutzen. Herausforderungen gibt es genug, vor allem die Themen globale Armut, Klimawandel und Sanierung der EU.
Mit Blick auf Armut und Migration brauchen wir einen Ansatz, der die Hilfe vor Ort in den Vordergrund stellt. Weder die EU noch Deutschland werden in der Lage sein, dem Migrationsdruck aus dem Nahen Osten und Afrika durch eine einfache Öffnung der Grenzen oder einer Fortsetzung der derzeitigen ungesteuerten Zuwanderung standzuhalten. Besser wäre es, in den Hauptzuwanderungsländern Ausbildungszentren zu eröffnen. Dort würden neben einer Berufsausbildung auch Sprach- und Integrationskurse angeboten. Diese wären die Voraussetzung für eine legale Zuwanderung nach Deutschland.
Für die Klimapolitik in Deutschland brauchen wir einen veritablen Neustart. Unser bisheriges Vorgehen unterstreicht eindrücklich die Folgen der Interventionsspirale, ist teuer, verzettelt sich in Einzelmaßnahmen und bewirkt wenig. Dabei wird agiert, als würde Geld keine Rolle spielen, geht es doch um ein gutes Ziel.
Dabei müssen auch im Klimaschutz die Grundsätze von Effizienz und Effektivität gelten. Vor allem auch der Grundsatz der Budgetrestriktion. Wir haben nicht unendliche Ressourcen, die wir darauf verwenden können. Wir müssen in das Land investieren, um die Sozialsysteme einigermaßen finanzierbar halten. Deshalb sollten wir einen festen Prozentsatz des BIP definieren, den wir jährlich bereit sind, auf den Klimaschutz zu verwenden und ausgehend davon die Maßnahmen identifizieren, bei denen wir pro eingesetzten Euro den höchsten Effekt erzielen. Voraussetzung ist ein ehrlicher Kassensturz mit Blick auf die bisherige Klimapolitik und ein undogmatischer Neustart. Machen wir hingegen weiter wie bisher, drohen nicht nur hohe Kosten, sondern auch ein Verfehlen der ambitionierten Ziele.
Letztlich gilt es, die EU grundlegend zu reformieren. Die EU und vor allem die Eurozone leiden unter schwachem Wachstum, zunehmender wirtschaftlicher und politischer Divergenz und zu hohen Schulden von Staaten und Privatsektoren. Die bisherige Antwort der Politik durch weitere Integration und höhere Umverteilung die Union am Laufen zu halten, muss in die Sackgasse führen. Wir wissen aus eigener Erfahrung in Deutschland (Länderfinanzausgleich), dass solche Mechanismen Unterschiede eher verfestigen als verringern. Statt also in diese Richtung zu gehen, sollte Deutschland auf eine Lösung der Schuldenprobleme auf europäischer Ebene drängen und dabei auch selbst Staatsschulden auf europäische Ebene verlagern. Ein europäischer Schuldentilgungsfonds würde allen Staaten helfen und vor allem der Tatsache Rechnung tragen, dass es nicht möglich sein wird, die Sozial- und Finanzpolitik aller Staaten zu vereinheitlichen oder gar zu zentralisieren.
- Wohlstand richtig verteilen
Kommen wir zum letzten Kernpunkt der Analyse: Verteilung des Wohlstands und Finanzierung der öffentlichen Ausgaben. Die Diskussion um die Gerechtigkeit der Einkommens- und Vermögensverteilung hat nicht erst seit Corona an Intensität gewonnen. Dabei muss man Folgendes feststellen: Nach der (erheblichen) Umverteilung durch den Staat sind die Einkommen in Deutschland auch im internationalen Vergleich recht gleich verteilt. Bis Corona hat die Ungleichheit hier sogar abgenommen, weil die Einkommen in den unteren Gruppen schneller gewachsen sind.
Bei den Vermögen sieht das anders aus. Hier ist die Verteilung deutlich ungleicher als in den anderen Ländern der Eurozone. Analysiert man dies genauer, stellt man fest, dass die Reichen in Deutschland nicht reicher sind als jene in Italien und Frankreich. Ganz anders die Situation b Rest der Bevölkerung. Diese verfügt über deutlich weniger Vermögen und dies erklärt auch, weshalb die deutschen Privathaushalte im Vergleich zu den Nachbarn über geringere Vermögen verfügen. Dies liegt zum einen an Renten- und Pensionsansprüchen. Rechnet man diese mit ein, ist die Vermögensungleichheit in Deutschland deutlich geringer.
Es liegt aber auch daran, dass die Deutschen weitaus weniger Immobilien und Aktien besitzen als die Nachbarn. Hier ist anzusetzen und wir müssen den Eigentumserwerb fördern.
In die ähnliche Richtung geht der Vorschlag, einen „Staatsfonds“ aufzulegen – nur staatlich organisiert, auf keinen Fall durch Politiker verwaltet! – der wie der norwegische Staatsfonds international diversifiziert anlegt. Mit Blick auf die bisher sehr enttäuschende Rendite der deutschen Auslandsinvestitionen ist dies dringend angezeigt. Wir sollten auch darüber nachdenken, für jeden Bürger hier eine Starteinlage zu leisten, um so das Problem der Altersarmut zu bekämpfen und zugleich die Ersparnisse vor der absehbaren Inflation zu schützen.
Letztlich brauchen wir einen Umbau des Steuer- und Abgabensystems. Das heutige System belastet den Faktor Arbeit überproportional. Mit Blick auf die Entwicklung der Erwerbsbevölkerung ist es unerlässlich, Arbeit so attraktiv wie möglich zu machen. Zugleich ist die Finanzierung der Sozialkassen in der heutigen Form weder fair noch zukunftsfähig. Notwendig ist eine teilweise Integration in das Steuersystem mit dem Ziel, die Grenzbelastung zu senken, aber auch das Abgabenniveau insgesamt. Mit Blick auf die Verschuldung Deutschlands relativ zu den anderen Staaten der Eurozone und die absehbare Monetarisierung von Schulden durch die EZB ist eine Entlastung der Bürger angezeigt.
Wir haben es in der Hand
Wir sehen, der Reformbedarf ist erheblich und tiefgehend. Dabei erhebe ich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit. Viele weitere Themen sind relevant und werden entsprechend in die Diskussion gebracht. Stichworte wie „Digitalisierung“, „Entbürokratisierung“ und „Modernisierung der Wirtschaft“ fallen regelmäßig zu Recht. Diese stehen nicht im Widerspruch zum hier dargelegten Programm, sondern sind wichtige Bestandteile.
Die bevorstehende Bundestagswahl, von den Politikern in vorhersehbarer Routine „zur wichtigsten der Geschichte“ erklärt, hat in der Tat entscheidende Bedeutung. Gelingt es, die hier postulierten Ziele und Vorschläge in die Diskussion zu bringen und damit einen Gegenpunkt zum vorherrschenden Trend zu setzen oder nicht? Entscheiden wir uns für eine Fortsetzung der gegenwärtigen Politik, dürfte der Traum von einem wohlhabenden und gerechten Land im Jahr 2040 ein Traum bleiben. Unweigerlich kommen wirtschaftlicher Niedergang, soziale Konflikte und das Verfehlen der Ziele im Klimaschutz.
Fordern wir unsere Politiker also heraus! Spiegeln wir die Wahlprogramme an diesen Forderungen, hinterfragen wir Aussagen und Versprechen der Politik intensiver und genauer als bisher, machen wir Vorschläge, wie es besser geht. Vor allem sprechen wir mit unseren Mitbürgern. Denn nur wenn die Öffentlichkeit anders (hinter-)fragt, haben wir eine realistische Chance, das bessere der beiden Szenarien für 2040 zu realisieren.