Best of 2015: „Die wahren Gründe der Wirtschaftskrise“

Nicht alle Leser gehen jeden Tag auf bto, was natürlich bedauerlich ist. Immerhin gibt es werktags zwei Beiträge zu aktuellen Themen aus der Wirtschaft. Deshalb zum Jahreswechsel eine kleine Auswahl der Highlights aus 2015. Bei der Sichtung habe ich festgestellt, wie zeitlos viele Beiträge sind. 

Dieser Beitrag erschien bei Cicero online:

Staaten und Privatleute machen so viele Schulden wie nie zuvor. Das hat zwar in der Vergangenheit gut funktioniert und sogar zur Vermögenssteigerung geführt. Die Notenbanken stabilisierten das System mit immer billigerem Geld. Doch der Schaden für die Weltwirtschaft wird nur immer größer.

Eigentlich leben wir im besten aller denkbaren Wirtschaftssysteme. Keine Wirtschaftsform ist so wie der Kapitalismus in der Lage, Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien und die Lebensqualität zu steigern. Kein anderes System gibt dem Individuum so viel Freiheit, etwas aus seinem Leben zu machen. Wer daran zweifelt, der muss nur nach Nordkorea sehen oder die Reste der untergegangenen DDR betrachten.

Nicht Kapital, Schulden bestimmen das System

Dabei ist Kapitalismus der falsche Begriff. Denn in Wahrheit regiert nicht das Kapital unser Wirtschaftssystem, sondern die Schulden. Schulden sind zunächst einmal nichts Schlechtes. Vergeben Banken Kredite, schaffen sie neues Geld aus dem „Nichts“, wie hier vor einigen Wochen erläutert. Werden diese Kredite gegen entsprechende Sicherheit vergeben, stehen dem neu geschaffenen Geld immer ausreichende Vermögenswerte entgegen. Beabsichtigt der Schuldner zudem den Kredit durch künftige Erträge zu bedienen, ist die Welt in Ordnung.

Kredite werden vergeben an solide Schuldner, die Willens und in der Lage sind, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen. Diese produktiven Schulden führen also zu einer Mehranstrengung und damit letztlich zu mehr Wachstum in der Wirtschaft. Das Verhältnis dieser produktiven Schulden zum Bruttoinlandsprodukt ist deshalb über Zeit recht stabil. Zahlen für England beweisen dies: Die Ausleihungen an die produktiven Sektoren – also die Nicht-Finanzunternehmen, die in Maschinen und Anlagen investieren oder neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln – blieben stabil bei 25 Prozent des BIP.

Wenn der Schwanz mit dem Hund: Das Ponzi-System

Problematisch wird es erst, wenn Kredite an Schuldner vergeben werden, die nicht die Absicht haben, diese Kredite aus künftigen Einkommen zu bedienen. Dies ist zum einen der Staat, der für gewöhnlich nie Schulden tilgt, sondern die bestehende Schuldenlast verlängert und erhöht. Zum anderen sind das Privatleute, die darauf hoffen, Tilgung und Zinsen aus der Wertsteigerung des gekauften Assets leisten zu können.

Der verstorbene Wirtschaftswissenschaftler Hyman Minsky sprach in diesem Fall von „Ponzi-Finanzierung“. Wie in dem nach Charles Ponzi bezeichneten Betrugssystem geht es nur so lange gut, wie sich neue Geldgeber finden. Sobald kein neues Geld mehr zufließt, fliegt der Schwindel auf und das System bricht zusammen.

Beide Formen der unproduktiven Verschuldung funktionieren ziemlich lange. Bei Staaten sehen wir Schuldenstände von über 100 Prozent des BIP (in Japan gar über 200 Prozent) als unproblematisch an, im privaten Bereich hat die Inflation der Vermögenspreise die Schuldner immer wieder rausgehauen. Ein sicheres Spiel also?

Banken geben nur zu gerne Kredite gegen solide Sicherheiten, vor allem Immobilien. Hierbei kommt mit den zunehmenden Schulden ein interessanter Kreislauf in Gang. Schulden führen zu Mehrnachfrage und damit höheren Immobilienpreisen, die dann wiederum als Sicherheit für noch mehr Schulden dienen. Wer Assets besitzt, wird reich, weil die Vermögenspreise nach oben gehen. Wer Assets auf Schulden gekauft hat, wird noch schneller reich.

Nicht durch Zufall hat jeder vierte der 400 reichsten US-Amerikaner mit „Investments“ sein Vermögen gemacht. Je mehr Kredite in die unproduktiven Sektoren fließen, desto ungleicher wird auch die Vermögensverteilung, wie sie von Thomas Piketty und anderen kritisiert wird. Dabei sind die Vermögen nur das Symptom, die Schulden die wahre Ursache. Der von Piketty bemängelte Anstieg der Vermögen in den letzten 30 Jahren lässt sich alleine aus der Entwicklung der Immobilienpreise erklären.

Wirtschaften auf Kredit

Die Politik leistet dabei tatkräftig Schützenhilfe. Zum einen war es den Politikern sehr recht, die Wirtschaft durch mehr Schulden zu beleben. Vor allem nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Eintritt Chinas in den Weltmarkt kamen die Einkommen der Mittelschicht im Westen deutlich unter Druck. Gut also, wenn man stagnierende Einkommen mit steigenden Immobilienpreisen und günstigen Krediten kompensieren konnte.

Zum anderen haben die Notenbanken in jeder Krise asymmetrisch reagiert. Die Zinsen wurden rasch gesenkt, jedoch nicht wieder ausreichend erhöht. Über Jahre hinweg waren Schulden zu billig, eine Einladung zum Wirtschaften auf Kredit. In der Tat sind die Schulden in den unproduktiven Sektoren – also Konsumentenkredite, Hypotheken und Bausektor – in den letzten Jahrzehnten in der westlichen Welt massiv gestiegen.

Welches Niveau diese Art der Finanzierung erreicht hat, zeigen wiederum Zahlen am Beispiel Englands. Seit 1990 haben sich die Hypotheken und Kredite an Immobilien- und Finanzunternehmen von 33 Prozent des BIP auf nun 98 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) verdreifacht.

Deutschland ist hier eine der wenigen Ausnahmen, was auch erklärt, weshalb Immobilien bei uns im internationalen Vergleich noch recht günstig sind, von einigen regionalen Märkten wie München einmal angesehen.

Auch dieses Ponzi-Schema muss enden

Wie alle Ponzi-Schemen, findet auch dieses ein Ende. Die kontinuierliche Wertsteigerung von Assets kann nur dann funktionieren, wenn es immer weitere Nachfrage zu nochmals höheren Preisen gibt. Dies wird zum einen von der demografischen Entwicklung bestimmt, zum anderen von der Bereitschaft der Banken, noch mehr Kredite zu gewähren und der Schuldner, diese Kredite auch aufzunehmen.

2008 sah es so aus, als ob das Schuldengebäude zusammenbricht. Der Rückgang der Immobilienpreise brachte die Banken sehr rasch in Nöte. Sie stellten fest, dass sie zu großzügig waren. Sie erlitten erste Verluste, die Sicherheiten fielen im Wert und sie hielten sich mit neuen Krediten zurück.

In der Folge kamen die Immobilienpreise mehr unter Druck, immer mehr Kredite waren nicht mehr ausreichend besichert. Erste Notverkäufe setzen ein und es begann eine Abwärtsspirale, die drohte das ganze Finanz- und Bankensystem in den Abgrund zu ziehen.

Den Notenbanken gelang es erneut, durch nochmals billigeres Geld und den direkten Aufkauf von mehr oder weniger werthaltigen Wertpapieren, das System zu stabilisieren. Die Staaten sprangen ein, starteten Konjunkturprogramme und ließen es zu, dass die Defizite größer wurden. In der Folge wuchs die Verschuldung überall weiter, entgegen den offiziellen Verlautbarungen.

Die Gesamtverschuldung in fast allen Ländern liegt heute deutlich über dem Niveau von 2008. Deutschland steht hierbei besser da, aber nur weil sich andere verschuldet haben, um deutsche Exportwaren zu kaufen.

Fehlinvestitionen ziehen China nach unten

Die größte Rettung für das System, welches auf immer mehr Nachfrage und damit Schulden angewiesen ist, kam aus China. In nur sieben Jahren haben sich die Schulden von Staat und Privaten in China auf 28 Billionen US-Dollar vervierfacht. Die Wirtschaft wuchs im selben Zeitraum um rund 5 Billionen. Rund 6,8 Billionen US-Dollar sollen dabei sprichwörtlich in den Sand gesetzt worden sein: für Städte, in denen niemand wohnt, und Fabriken, die niemand braucht.

Dieser enorme Boom trieb die ganze Weltwirtschaft voran, doch auch hier gilt der Grundsatz, dass es nicht ewig weiter gehen kann. China leidet unter der enormen Schuldenlast und Überkapazitäten und Fehlinvestitionen führen zu fallenden Preisen für Vermögenswerte und Waren. Die Preise für Rohstoffe fallen ebenfalls, weil der größte Kunde weniger nachfragt und die Lieferanten in der Erwartung der ewigen Fortsetzung des Booms die Kapazitäten erweitert haben.

Damit steht die Weltwirtschaft vor einem sehr schwierigen Szenario: schwachem Wachstum und fallenden Preisen, Deflation genannt. Diese Deflation ist aber tödlich für jedes Ponzi-Schema, was definitionsgemäß auf stetig wachsende Nachfrage zu steigenden Preisen angewiesen ist. Dies wissen auch die Finanzmärkte, die angesichts der offensichtlicher werdenden Probleme in China in den letzten Wochen auf Tauchstation gegangen sind.

Perverse Optimisten

Sucht China das Heil tatsächlich in einer deutlichen Abwertung der eigenen Währung und wird damit zum Exporteur von Deflation in die Welt, gibt es wirklich Grund zu erheblicher Sorge. Dann könnte das Ponzi-Schema, in dem wir es uns in den letzten Jahren gemütlich gemacht haben, zusammenbrechen. Der inflationären Geld- und Vermögensvermehrung folgt die deflationäre Geld- und Vermögensvernichtung.

Doch auch hier gibt es Hoffnung. Die Optimisten erinnern an die Krisen der letzten Jahrzehnte und erwarten auch dieses Mal, dass die Notenbanken mit nochmals billigerem Geld – Negativzinsen haben wir ja bereits in einigen Märkten – und die Staaten mit noch mehr Verschuldung, wenn nötig direkt von den Notenbanken finanziert, den Kollaps erneut verhindern und die Vermögenspreise auf neue Höhen katapultieren. Wenn nötig, sollen die Notenbanken uns allen Geld überweisen, dass sogenannte „Helikopter-Geld“. Allemal besser, als das Geld den Banken zu geben, finde ich.

Dennoch ist diese Sicht pervers. Wir bekämpfen eine Krise, die ihre Kernursache in zu billigem Geld und in zu vielen und zu unproduktiven Schulden hat, die nicht mehr ordentlich bedient werden können, mit noch mehr Geld und noch mehr Schulden. Dabei werden die Krisen jedes Mal größer als die vorangegangenen.

Wer also auf die erneute „Rettung“ durch die Notenbanken setzt, nimmt bewusst die Fortsetzung und damit Vergrößerung unseres Ponzi-Schemas in Kauf. Damit wächst der Schaden weiter an. Der Preis, den wir alle am Ende dafür zahlen müssen, dürfte erheblich sein.

→ Cicero.de: „Die wahren Gründe der Wirtschaftskrise“, 31. August 2015