Best of bto 2020: Coronomics – wer soll das bezahlen?
Dieser Kommentar von mir erschien im März 2020 bei manager magazin:
Kürzlich habe ich an dieser Stelle eine Umsatzausfallzahlung durch das Finanzamt vorgeschlagen, um den Selbstständigen und Unternehmen in Deutschland rasch und unbürokratisch durch die Krise zu helfen. Diese Idee fand viel Zuspruch und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass es der effizienteste, fairste und schnellste Weg wäre, die akute Krise zu überwinden.
Kritik kam aus zwei Richtungen:
- Zum einen kam der berechtigte Einwand, dass Handelsunternehmen dieses Instrument missbrauchen könnten, indem sie den garantierten Umsatz vom Staat annehmen, aber keine Ware einkaufen und so fast alles als Gewinn ausweisen. Dieser Einwand ist sehr ernst zu nehmen, wissen wir doch aus Anreizsystemen, dass es immer wieder findige Köpfe gibt, die solche Lücken ausnutzen. Deshalb müsste man folgende Ergänzung an dem Gesetz vornehmen: Wenn ein Unternehmen einen Teil oder den gesamten Umsatzausfallzuschuss des Staates behält, darf der Gewinn sich wie der Umsatz nur auf dem Niveau des Vergleichsjahres bewegen. Erzielt ein Unternehmen einen höheren Gewinn, so wird die Differenz zu 100 Prozent besteuert. Damit gibt es auch einen Anreiz, Mitarbeiter nicht zu entlassen.
- Die zweite Kritik kam aus einer anderen Richtung: Es wäre doch wohl nicht zu vertreten, den Unternehmen auch noch den Gewinn zu garantieren. Dieser Einwand kam von Nicht-Unternehmern, die meist keine Vorstellung davon haben, wie gering die Margen und Gewinne der meisten Unternehmer sind. Auf meinem Blog habe ich dazu mal das Beispiel eines Restaurants aus Berlin dargestellt. Bei einem Umsatz von rund 600.000 Euro im Jahr und immerhin 13 Mitarbeitern, bleiben den zwei Eigentümern nach Steuern jeweils nur rund 25.000 Euro in der Tasche. Nun wahrlich kein hohes Gehalt, wenn man an die erheblichen persönlichen Risiken (Haftung für Miete etc.) und die langen Arbeitszeiten denkt. So zeigt diese Reaktion neben geringem wirtschaftlichem Verständnis vor allem die ausgeprägte Neidkultur hierzulande.
Angesichts der großen Schwierigkeiten, den Firmen die Hilfe zukommen zu lassen, der erheblichen Bürokratie und dem Fokus auf Darlehen sowie Staatsbeteiligungen ist die Unsicherheit bei den Unternehmen groß, dass der Schaden für die Wirtschaft deutlich höher sein wird als beim Modell einer einfachen Auszahlung über das Finanzamt. Vor allem führt es uns in eine staatlich dominierte Wirtschaft, die wir uns nun wirklich nicht wünschen sollten.
Die Beträge, um die es geht, sind gigantisch und werden jeden Tag größer. Werden für Deutschland Verluste von rund 700 Milliarden vom BIP erwartet, dürfte die Belastung für den deutschen Staatshaushalt am Ende noch höher liegen. Erste Schätzungen gehen in die Größenordnung von bis zu 1500 Milliarden Euro.
Was zur Frage führt: Wer soll das bezahlen?
Spare in der Zeit …
Unsere Politiker werden nicht müde zu erklären, der deutsche Staat wäre gut vorbereitet, hätte doch die solide Finanzpolitik die Staatsschulden gesenkt und damit die Voraussetzung geschaffen, in der Krise massiv intervenieren zu können. Dies stimmt bei nüchterner Betrachtung nur bedingt, denn unsere Politiker haben nicht gespart, sondern die Zinsersparnis von immerhin 436 Milliarden Euro von 2008 bis Ende 2019 nur nicht völlig ausgegeben. Dies bedeutet nicht, dass der deutsche Staat nicht in der Lage wäre, heute durch entsprechende Ausgaben die Situation zu stabilisieren, es gehört aber zur vollen Wahrheit anzumerken, dass wir noch deutlich bessergestellt wären, wenn wirklich gespart worden wäre.
Ausgegeben wurde das Geld für Konsum – Mütterrente, Rente mit 63, Grundrente, etc. – und nicht für Investitionen. Die Folge: Der deutsche Staat müsste in den kommenden zehn Jahren 450 Milliarden Euro zusätzlich ausgeben, um “Investitionslücken” zu schließen. Das bedeutet nichts anderes, als Investitionen nachzuholen, die unsere Politiker trotz übervoller Kassen versäumten, weil sie das Geld für andere Zwecke ausgaben. Um es in Perspektive zu setzen: Diese 450 Milliarden entsprechen mehr als 50 Prozent der Steuereinnahmen eines Jahres (rund 800 Milliarden 2019) und nicht ganz 50 Prozent der jährlichen Ausgaben für Soziales (rund 1000 Milliarden 2019).
An diesen erschreckenden Zahlen ändert auch die Corona-Krise nichts. Wir müssen immer noch dringend in unsere Zukunftsfähigkeit investieren. Wir haben es mit einer Politik zu tun, die die guten Jahre nicht dazu genutzt hat, das Land wirklich zukunftsfähig zu machen.
Dies bedeutet, wir stehen vor einer weiteren Phase des „Sparens“. Ein eklatanter Fehler. Es droht ein Szenario, in dem Steuern und Abgaben steigen, während gleichzeitig die Unternehmen sparen, um die in der Krise aufgelaufenen Schulden abzutragen und der Staat noch mehr als in den letzten 15 Jahren an den dringend erforderlichen Investitionen spart. Dies ist das Rezept für tiefes Wachstum, zunehmende Verteilungskonflikte und vor allem ein Anreiz für Unternehmen im Ausland, statt im Inland zu investieren.
Dies würde nicht nur das Wachstum auf Jahre hinaus belasten, sondern auch die Zukunftsfähigkeit des Landes weiter mindern. Schon heute liegt Deutschland bei den Themen Digitalisierung und Mobilfunkabdeckung weit zurück. Auch die fehlgeschlagene Energiewende belastet die Wirtschaft erheblich, zahlen wir doch die höchsten Strompreise Europas. Diese Themen sind dringend anzugehen und erfordern deutlich mehr und nicht weniger Investitionen.
Damit nicht genug. Würde Deutschland die Politik der letzten Jahre fortsetzen wollen, so ginge dies nur mit weiterhin hohen Handelsüberschüssen. Dies erklärt sich so: Die Summe der Ersparnisse der Sektoren einer Wirtschaft – Staat, private Haushalte und Unternehmen – muss immer null ergeben. Sparen also beispielsweise die privaten Haushalte, müssen sich Unternehmen und/oder Staat entsprechend verschulden. In der Praxis gibt es das Ausland noch als weiteren Sektor, der als Schuldner einspringen kann, wenn im Inland zu viel gespart und zu wenig investiert wird. Doch auch dann ergibt sich in Summe ein Wert von null.
Es ist mehr als fraglich, dass die anderen Länder der Welt (und auch der Eurozone!) nach diesem wirtschaftlichen Schock bereit sein werden, Handelsüberschüsse Deutschlands auch nur annähernd in dieser Größenordnung zu akzeptieren. Schon vor der Corona-Krise stand Deutschland mit Handelsüberschüssen von über acht Prozent des BIP heftig in Kritik. Protektionistische Maßnahmen der USA waren zu befürchten.
Übersetzt bedeutet dies: Wir müssen im Inland mehr Geld ausgeben – entweder die privaten Haushalte über mehr Konsum und/oder Staat und Unternehmen über mehr Investitionen. Eine Rückkehr zur Austeritätspolitik kann in diesem Umfeld nicht funktionieren.
Dies spricht für das genaue Gegenteil dessen, was üblicherweise bei uns diskutiert wird: geringere Abgaben für die Bürger und Unternehmen, deutliche Anreize für Investitionen der Unternehmen und des Staates. Vor allem bedeutet das auch, dass die Unternehmen von den Schulden, die sie im Zuge der Krise aufnehmen mussten, entlastet werden müssen.
Was nicht sein darf …
Das führt zu der Frage, wer denn die Kosten des Krisenmanagements tragen soll. Die Beträge sind erheblich. Nehmen wir an, dass Hilfen des Staates und Steuerausfälle sich auf 1000 Milliarden Euro belaufen, entspricht das rund 30 Prozent des Vor-Krisen-BIP. Die offizielle Staatsverschuldung Deutschlands würde von rund 60 Prozent des BIP auf 90 Prozent steigen.
Ungeachtet der Tatsache, dass Austerität zu einem massiven Konflikt mit unseren Handelspartnern führen wird, dürfte sich die politische Diskussion schon rasch um die Themen “Solidarität” und höhere Steuern “für starke Schultern” drehen. Getragen ist dies, von einer öffentlichen Wahrnehmung, die “Deutschland als extrem ungerecht” wahrnimmt. So das Ergebnis einer SPIEGEL-Umfrage kurz vor der Corona-Krise. Da tröstet es wenig, dass der SPIEGEL seine Leser dahingehend aufklärt, dass ihre Wahrnehmung mit Bezug auf die Einkommensverteilung falsch ist. Nach Umverteilung geht es bei uns nämlich mehr als gerecht zu.
Politiker werden angesichts der vor allem von den Medien geschaffenen Wahrnehmung des „ungerechten Deutschlands“ nicht darum herumkommen, die Steuern für einige Teile der Bevölkerung zu erhöhen. Allein schon, um zu beweisen, dass sie handlungsfähig sind. Zwar ist diese Strategie gerade mit Blick auf den internationalen Kontext falsch. Aber das hat noch nie einen Politiker daran gehindert, etwas zu machen.
Wenn nun also schon höhere Steuern, dann bitte auf eine Art und Weise, die die Wachstumskräfte stärkt und nicht hemmt. Es sollte versucht werden, die Art der Finanzierung der öffentlichen Aufgaben neu zu ordnen. Dabei sollten Einkommenssteuern eher sinken und die kleineren und mittleren Einkommen von Abgaben entlastet werden. Im Gegenzug wäre es dann denkbar für wirklich große Einkommen – also jenseits des Niveaus der heutigen Reichensteuer – die Sätze zu erhöhen.
Zugleich wäre der Anteil der Steuereinnahmen, der auf die Besteuerung von Vermögen zurückgeht, zu erhöhen. Neben der Einführung der Vermögenssteuer wäre dies vor allem eine Neufassung der Erbschaftssteuer, um auch den Übergang von Betriebsvermögen zu erfassen. Bei entsprechend tiefen Sätzen und der Möglichkeit, jährlich ein Dreiunddreißigstel des vereinfacht berechneten Erbschaftssteuerbetrages zu bezahlen (simulierter Erbgang), wäre dies auch für die Familienunternehmen tragbar, nachdem sie sich von den Folgen der Corona-Krise erholt haben.
Deutsche Spezialität: der Lastenausgleich
Dies wären – wie gesagt – Möglichkeiten den Schaden durch die Steuerpolitik für das Wirtschaftswachstum gering zu halten. Ich selber halte davon wenig. Bevor ich darauf eingehe, weshalb diese Politik auch im internationalen Kontext äußerst dumm wäre, noch ein kurzes Wort zu einer deutschen Spezialität – dem Lastenausgleich. Rufe danach stehen schon im Raum:
Diese einmalig festgesetzte und über mehrere Jahre abzahlbare Abgabe hat in Deutschland eine gewisse Tradition. Nach der Hyperinflation der 1920er-Jahre und nach dem Zusammenbruch des Zweiten Weltkrieges gab es derartige Sonderabgaben.
Die Dimensionen sind erheblich. Wenn beispielsweise 1.000 Milliarden Euro auf diesem Wege eingenommen werden sollen, entspricht dies rund acht Prozent des Vermögens der Deutschen vor der Krise, dass auf 12.500 Milliarden Euro geschätzt wurde. Da zweifellos mit großzügigen Freibeträgen gearbeitet wird – das berühmte “Häuschen”, das man nicht besteuern möchte und das Betriebsvermögen, was geschützt werden sollte – sind wir bei den großen Vermögen rasch bei Abgabesätzen von 20 Prozent und mehr.
Problematisch bei dieser Vorgehensweise sind verschiedene Faktoren. So dürften die Vermögenspreise selbst nach Überwindung der akuten Krise in Deutschland deutlich unter dem Vor-Krisen-Niveau liegen. Viele Unternehmen und andere Schuldner dürften unter Druck sein, Schulden abzubauen und dafür Vermögenswerte zu verkaufen. Hier würden entsprechende Steuern den Verkaufsdruck zusätzlich beschleunigen und zugleich die Nachfrage dämpfen. Zu beobachten war dies beispielsweise in den 1920er-Jahren, als die Einführung der Hauszinssteuer auf Immobilien die Preise deutlich unter Druck setzte.
Wäre Deutschland isoliert und gäbe es keinen Haftungsverbund in der Eurozone und kein Weltwährungssystem, das vor einem einschneidenden Umbruch steht, wäre das auch kein Problem. So aber sitzen wir beim Euro mit anderen Nationen in einem Boot, die eine ganz andere Tradition mit dem Umgang mit solchen Krisen haben.
Ich erinnere mich an zwei Erlebnisse am Höhepunkt der Finanzkrise. Damals habe ich – in meiner Rolle als Partner der internationalen Unternehmensberatung The Boston Consulting Group – ranghohe Manager in ganz Europa getroffen, um Lösungsansätze für die Eurokrise zu diskutieren. Bei der Idee eines Schuldentilgungsfonds für Europa, der mit Mitteln aus einem Lastenausgleich getilgt wird, lachte der Finanzvorstand eines der größten italienischen Unternehmen nur und meinte: „Warum sollten wir das tun, solange die Provinzen bezahlen.“ Gemeint waren die anderen Länder Europas. Der Vertreter eines französischen Großkonzerns schüttelte den Kopf und meinte nur: „Das lösen wir wie immer, mit Inflation.“
Die privaten Haushalte sind sowohl in Frankreich und Italien deutlich vermögender als die Privathaushalte hierzulande. Beide Staaten könnten ihre Schulden durch Vermögensabgaben deutlich reduzieren. Sie machen das aber nicht. So liegt auch die Erbschaftssteuer in Italien signifikant unter dem hiesigen Niveau. Da stellt sich die Frage, ob es vernünftig ist, allein auf Solidität zu setzen, wenn die Partner, mit denen man eine Währung teilt, dies nicht wollen und nach der Krise wohl definitiv nicht mehr können?
Ich denke nicht. Ich halte es sogar für ausgesprochen dumm. Vermögensabgaben, hohe Einkommenssteuern und ähnliche Maßnahmen führen nur dazu, dass wir Deutsche im Vergleich zu unseren Nachbarn deutlich ärmer sind.
Doch mehr Schulden?
Die Alternative: Wir lassen die Schulden einfach stehen. Zusätzlich macht der Staat jedes Jahr so viele neue Schulden, dass die Schuldenquote relativ zum BIP stabil bleibt. Damit können die Ausgaben weiter steigen. Es wird allerdings nötig sein, den Anteil der Konsumausgaben des Staates zugunsten der Investitionen zurückzufahren. Mit einer Schuldenquote von 90 Prozent wäre Deutschland noch weit unter dem Niveau anderer Industrieländer, die bereits vor der Krise auf oder über 90 Prozent lagen.
Japan lebt seit Jahren mit Staatsschulden jenseits von 200 Prozent des BIP. Finanziert werden die Defizite überwiegend von der japanischen Notenbank, die mittlerweile zum größten Gläubiger des Staates geworden ist. Dieses japanische Szenario wird Europa auch bekommen. Egal wie sehr sich Deutschland da sträuben mag. Seit dem Weggang der Briten haben die Südländer auch in der EU das Sagen, nicht nur in der Eurozone.
Statt wie ein Geisterfahrer zu agieren, der in einer Welt, die auf Inflationierung und Notenbankfinanzierung zusteuert, weiter auf Sparen und Steuern setzt, sollten wir uns so aufstellen, dass wir das Beste für Deutschland herauszuholen. In einer Welt mit zu vielen Schulden ist es keine gute Idee, Gläubiger zu sein, habe ich an dieser Stelle immer wieder erklärt. In einer Welt, die auf die Notenpresse setzt, ist es keine gute Idee, Sparer zu sein, mag ich ergänzen.
Coronomics – die neue Wirtschaftsordnung nach Corona kommt. Ob wir es nun wollen oder nicht. Wie diese ausschaut, ist Thema in den kommenden Wochen. Nächste Woche geht es um Corona-Bonds und die bessere Alternative.
→ manager-magazin.de: “Coronomics – wer soll das bezahlen?”, 28. März 2020