Uscitalia: Die Stimmen der anderen
Heute Morgen hatten wir meinen Kommentar aus der letzten Woche zu den Vorgängen in Italien. Was da passiert, ist nicht wirklich überraschend, finde ich, umso überraschender, dass es so viele Leute überrascht hat. Hier Auszüge aus ein paar Kommentaren zu dem Thema, die ich noch interessant fand.
Zunächst blickt die Welt etwas genauer hin:
- „Potenziell am meisten Sprengkraft hat ein Passus des Koalitionsvertrags, der als erster Schritt Richtung Parallelwährung verstanden werden könnte. Die entsprechende Formulierung in dem 57 Seiten dicken Schriftstück mit der Überschrift „Contratto per il governo del cambiamento“ (Pakt für eine Regierung des Wandels) ist zwar bewusst schwammig gehalten, doch kündigen die Radikalkoalitionäre an, dass öffentliche Verbindlichkeiten im Inland künftig mit Schuldscheinen statt mit Euro bezahlt werden könnten.“ – bto: Das ist der Schritt in Richtung Parallelwährung, den man gar nicht genug loben kann. Es ist einfach smart und bringt die neue Regierung in eine starke Verhandlungsposition. Kein Wunder, dass die anderen Länder toben. Frankreich offen, Deutschland verdeckt, wobei ich dabei großzügig annehme, dass es unsere Regierung auch versteht.
- “Mit anderen Worten: Wenn der italienische Staat ausstehende Rechnungen zum Beispiel bei Handwerkern oder Lieferanten hat, bekommen sie unter Umständen keine Euro, sondern Schuldtitel, teilweise auch IOU (für englisch ‚I owe you‘) oder in Italien Mini-BOTs (das sind kurz laufende Kredite des italienischen Schatzamts) genannt.“ – bto: Und weil man damit Steuern zahlen kann, sind sie die besten denkbaren Zahlungsmittel.
- „Sollte Rom tatsächlich dazu übergehen, Handwerkerrechnungen mit kurz laufenden Schuldverschreibungen und Ähnlichem zu begleichen und nicht mit der offiziellen Währung des Landes, wäre das zumindest ein weiterer Kanal fürs Schuldenmachen, wenn nicht gar der Einstieg in ein zweites Zahlungsmittel, das fortan in der drittgrößten Volkswirtschaft des Euro-Raums kursieren würde.“ – bto: Streichen wir doch „wenn nicht gar“. Es ist genau das.
- „Die Reaktion der Kapitalmärkte ließ nicht lange auf sich warten. Der Mailänder Aktienindex verlor am Freitag 1,5 Prozent und damit stärker als andere Börsen. Die Kosten für die Kreditaufnahme des Landes stiegen. Zum Ende der Handelswoche musste Rom für zehnjährige Staatsanleihen 2,2 Prozent Zinsen bieten (…). Noch Anfang Mai musste auch Italien Investoren nur 1,7 Prozent bieten, massiv unterstützt durch die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB), die den Rentenmarkt seit Jahren stützen.“ – bto: Was zeigt uns diese Reaktion? 1. Dass die Börse vermutlich bald zulegen wird, denn das Programm der Regierung wird auf jeden Fall die Konjunktur beflügeln, da es Keynes pur ist. 2. Die Finanzmärkte erwarten, dass die EZB kauft und die anderen Europäer – allen voran Deutschland – sich erpressen lassen. Denn sonst würden die Märkte kollabieren und das tun sie ja nicht!
- „Dennoch ist es noch ein weiter Weg bis zur ersten Parallelwährung in der Euro-Zone – und noch ein viel weiterer Weg zu einer erfolgreichen Parallelwährung, die dem Euro Konkurrenz macht. Solche Konstruktionen haben nämlich ein Problem: Lauten sie auf Euro, sind sie keine Parallelwährung, sondern nur eine weitere Art der Staatsverschuldung, lauten sie auf Lira oder einen anderen Namen, ist kaum zu erwarten, dass jemand sie freiwillig nimmt: Außerhalb Italiens wären die Titel nichts wert, könnten also kaum zum Einkauf von Roh- und Grundstoffen genutzt werden.“ – bto: Eine interessante Einschätzung finde ich. Ich denke, auf Euro lautende BoTs können mit einem Federstrich Lire-BoTs werden. Zum anderen müssen die außerhalb Italiens auch nichts wert sein, wichtig ist, dass man mit ihnen Steuern zahlen kann. Immer verdrängt schlechteres Geld gutes Geld. In Italien dürfte bald nur noch mit BoTs gezahlt werden.
- „Und auch im Inland wäre es bei allen Erfahrungen der Vergangenheit fraglich, ob sie die öffentliche Verwaltung langfristig eins zu eins in Euro umrechnen und verbuchen würde. „Wenn sich die Empfänger der Mini-BOTs oder wie die Papiere auch immer heißen mögen, nicht darauf verlassen können, dass sie von jedermann im Land akzeptiert werden, wird sie kein Lieferant und kein Handwerker annehmen“, erklärt Krämer.“ – bto: Er würde sie nehmen, wenn er damit Steuern bezahlen kann. Und die Kunden würden sie nehmen, um damit zu bezahlen, weil sie sie loswerden wollen. Dann wird der Euro nur noch zur Wertaufbewahrung genommen.
- „Aus Sicht vieler Volkswirte weist ein Großteil des Regierungsprogramms von Lega und Fünf Sterne in die falsche Richtung beziehungsweise geht an den wahren Problemen des Landes vorbei. ‚Italien hat eine schlechte Verwaltung und ein schwaches Rechtssystem, was den Unternehmen das Leben schwer macht‘, benennt Commerzbank-Volkswirt Krämer zwei der Probleme. Entscheidungen von Behörden und Gerichten dauern oft Jahre.“ – bto: Das stimmt. Es zu ändern, scheint unmöglich zu sein oder Jahre zu dauern. Die Bevölkerung hat allerdings nach Jahrzehnten stagnierender Wirtschaft keine Geduld und Hoffnung mehr.
- „Wenige Ökonomen haben Zweifel daran, dass Italien grundlegende Reformen und auch kreative Lösungen braucht, um aus seiner Misere herauszukommen. Die extrem hohe Staatsverschuldung ist die Spitze des Eisbergs. Tatsächlich sind die Verbindlichkeiten nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch in Relation zur Bevölkerung immens.“ – bto: Die „kreative Lösung“ ist die Schuldenannullierung über die EZB-Bilanz.
- „Obwohl Italien mehr als 20 Millionen Einwohner weniger hat als Deutschland, sind die Schulden um mehr als 300 Milliarden Euro höher. Auf jeden Italiener kommen allein öffentliche Verbindlichkeiten in Höhe von 38.000 Euro, verglichen mit 23.700 Euro in Deutschland. Je Arbeitnehmer türmt sich die Schuldenlast sogar beinahe auf 100.000 Euro.“ – bto: wobei Italien die verdeckten Verbindlichkeiten für Renten und Pensionen in den vergangenen Jahren deutlich reduziert hat, im Unterschied zu Deutschland!
Die FINANCIAL TIMES wirft auch einen Blick auf die BoTs:
- “Conventional BoTs are electronic book-entry securities but the mini-BoTs would be printed, reportedly using the state lottery’s ticket presses, and the designs have been selected. Private parties would not be obliged to accept mini-BoTs as payment. While mini-BoTs would almost certainly trade at a discount in the marketplace, the paper (or book entries) could be used to settle tax debts or pay public-sector entities at the mini-BoTs’ par value.” – bto: was natürlich einen Anreiz bietet, sie anzunehmen, zumindest in Höhe der erwarteten Steuerlast.
- “(…) Lega Nord and the Five Star Movement, continue to insist that mini-BoTs would not be a parallel currencyor a backdoor way to add to the national debt. (…) Mini-BoTs, they say, are simply a way of creating a transferable record of (future) tax receipts.” – bto: Ökonomisch ist es natürlich was anderes und das wissen alle Beteiligten.
- „Since the mini-BoTs would not be currency, transfers from account to account or hand to hand would not be subject to the €3,000 legal limiton cash payments within Italy. That would be convenient for anyone whose business could be more easily carried out with large cash, sorry, mini-BoT transactions. Mini-BoTs, then, would stimulate the vibrant informal sector of Italy’s economy.” – bto: was natürlich auch die Frage aufwirft, ob das wirklich so schlecht ist. Schließlich liegt die italienische Wirtschaft am Boden.
- “The Eurocrats believe mini-BoTs will be a veiled way to finance populist deficit spending. If that is permitted, the establishment thinking goes, the conventionally minded eurozone voting public would rebel at the debasement of their currency. The populist retort would be that Italian compliance with orthodoxy has led to stagnation and youth unemployment.” – bto: Das fasst doch sehr schön zusammen, weshalb der Euro nicht funktionieren kann.
- “(…) the big profits would go to those who would buy mini-BoTs from pensioners and state creditors at a discount, say 20 or 30 per cent. They will then sell the quasi-currency to deep-pocketed buyers of Italian goods and services, or property and equities. There would also be an internal redistribution. Roughly speaking, northern Italian industry and skilled workers would receive the value of export subsidies, and payments to southern Italian pensioners and state employees would get haircuts.” – bto: Das mag so sein. Sicherlich werden die Mini-BoTs schnell die „guten“ Euro verdrängen.
- “If mini-BoTs are introduced on a large scale, political strains would eventually force either Italy or Germany out of the euro. Having done its damage, the mini-BoT scheme would ultimately be wound up.” – bto: Die Frage ist, ob es wirklich „damage“ wäre oder nicht viel mehr das erzwungene Ende eines Projektes, das auf einen immer lauteren Krach zuläuft?
Ambroise Evans-Pritchard beschäftigt sich derweil mit der Reaktion aus Deutschland:
- “The German establishment has reacted with fury to a leaked plan by the Lega and the Five Star ‚Grillini‘ to overthrow the disciplinary architecture of the euro project, warning that it kills off any chance of German assent to shared debts or tentative fiscal union.” – bto: Das ist ja fast so, als könnten wir den Italienern dankbar sein, dass sie noch größeren Blödsinn verhindern, wie ihn deutsche Volkswirte, auch Clemens Fuest, Nachfolger des großen Hans-Werner Sinn propagieren.
- “Prof Fuest said the original draft text prepared by the two radical parties exposed their ideological reflexes and fatally damaged trust, even if the final text is being toned down. ‚It has confirmed people’s worst fears and had a very bad impact in Germany. How can you have a shared deposit insurance (for banks) with a government like that in Italy? It is just unthinkable,‘ he said.” – bto: was mich zu der Frage führt, ob er wirklich so naiv war anzunehmen, diese Maßnahmen wären geeignet, die Eurokrise zu überwinden?
- “Whether the fall-out from ‚Italexit‘ really could be contained is an open question. Many think contagion would spin out of control. Furthermore, it is the express intention of some Lega-Grillini hardliners to force Germany to leave the euro by making it unworkable. They would retaliate by issuing a parallel currency within the eurozone and sending troops into the Bank of Italy if necessary. This vastly complicates the picture.” – bto: Nein, das macht es deutlich.
- “Willem Buiter, Citigroup’s chief economist and a former UK rate-setter, says weaker EMU central banks are little more than currency boards. They can go bankrupt and are not ‚credible counterparties‘. He argues that the ECB may ultimately have to suspend funding lines to ‚irreparably insolvent‘ central banks in order to protect itself.” – bto: Das führt mich natürlich zu der Frage, was das für die Bundesbank bedeutet? Wir wissen es: 1.000 Milliarden Euro Forderungen entpuppen sich als das, was sie sind. Wertlos.
- “Hans-Werner Sinn, a celebrated economist at Munich University, said there is no mechanism for Germany to retrieve the vast sums that it has sunk into the eurozone, including the €923bn of Target2 credits owed to the Bundesbank. ‚We will never get the money back. It is already lost,‘ he said.” – bto: ja, 12.000 Euro pro Kopf der hier lebenden Bevölkerung! Super, Frau Merkel.
- “Prof Sinn said the structure is equally unworkable for Europe’s North and South, leaving both in a state of smouldering resentment. “There is no possible solution to this. The catastrophe is happening. This is going to lead to the destruction of Europe, to say it bluntly. It will also bring AfD (Right-wing populists) to power in Germany,” he told The Daily Telegraph.” – bto: So klar hat er es in Deutschland, glaube ich, noch nicht gesagt. Ich denke, er hat recht.
Ich bleibe dabei: Wir können den Italienern dankbar sein, dass sie das Schauspiel der Euroretter beenden.
→ welt.de: “Italien: Neue Regierung will Verbindlichkeiten mit Schuldscheinen bezahlen”, 19. Mai 2018
→ ft.com (Anmeldung erforderlich): “March of Italy’s mini-BoTs may split the euro”, 18. Mai 2018
→ telegraph.co.uk: “Italy’s insurgents enrage Germany and risk ECB payment freeze “, 17. Mai 2018