Kommt der große Produktivitätsschub?
Verschiedentlich habe ich auf die Bedeutung des Produktivitätswachstums für die weitere wirtschaftliche Entwicklung verwiesen. Angesichts einer schrumpfenden Bevölkerung ist es unerlässlich, das BIP pro Kopf zu steigern, wenn man wirtschaftliches Wachstum erzielen möchte. Ohne Wachstum wird es nicht möglich sein, die Schulden und die gemachten Versprechen zu bedienen. Ein guter Teil des schwachen Wachstums seit 2007 lässt sich alleine aus der stagnierenden/rückläufigen Erwerbsbevölkerung und den immer geringeren Produktivitätszuwächsen erklären. Empfohlen seien an dieser Stelle :
→ The post-recession slowdown is structural
→ Poor productivity in developed economies appears to be structural
→ „US productivity slips for the first time in three decades“
→ „US productivity slips for the first time in three decades“
Dabei war das weltweite Produktivitätswachstum 2013 gar negativ, was sehr schlechte Nachrichten für Schuldner ist. Wir können nicht mehr aus den Problemen herauswachsen: → „Die Sorgen-Formel der Zukunft“
Heute nun eine Erinnerung an dieses Thema aus einem Interview von GoldmanSachs mit Robert Gordon, dem anerkannten Wachstumsforscher aus den USA, der mit seinen pointierten Thesen ein skeptisches Szenario für die Zukunft entwirft. Es spricht wenig dafür, dass wir mit einem baldigen Produktivitätsschub rechnen können. Die Innovationen sind zwar gewaltig, schlagen sich aber nicht wie früher in steigender Arbeitsproduktivität nieder.
Dabei hält er fest, dass die Produktivitätszuwächse in den letzten elf Jahren geringer waren als zum bisherigen Tiefpunkt in den 1970er-Jahren. Damals war der Rückgang des Zuwachses leicht zu erklären. Die Wirkung der Innovationen aus dem späten 19. Jahrhundert nahm immer mehr ab. Elektrischer Strom, der Verbrennungsmotor, das Telefon, die Medizin und die Nebeninnovationen wie Autobahnen, der Flugverkehr und Klimaanlagen waren ebenfalls alle realisiert. Kein Wunder, dass das Wachstum nachließ.
Zwischen 1980 und 2005 haben wir dann Papier durch Computer ersetzt. Auch dies ergab nochmals einen Schub für die Produktivität, dieser war aber kürzer und letztlich nicht so fundamental. Jetzt nutzen wir zwar Computer, deren Wirkung ist aber schon realisiert.
Natürlich liegt es auch an der Art, wie wir messen. Viele Fortschritte – zum Beispiel bessere Luft- und Wasserqualität – fließen nicht in die BIP-Berechnung ein. Doch sie steigern unseren Wohlstand ohne Frage. Für unsere Zwecke – die Generierung von Nominaleinkommen zur Bedienung von Nominalschulden – ist es jedoch schlecht. Natürlich kann man die Definitionen ändern, indem man Drogen und Prostitution mit aufnimmt in die BIP Berechnung. Viel bringen tut dies allerdings nicht.
Gordon geht davon aus, dass die Produktivitätszuwächse in den USA in den kommenden zehn Jahren bei 1,2 Prozent p. a. liegen werden, was zwar über den 1,0 der letzten Jahre liegt, aber dennoch unter dem langjährigen Schnitt. Dies bedeutet auch nachhaltig tiefes Wachstum. Die Ursachen: zunehmende Ungleichheit, schlechtere Bildung, abnehmende Arbeitszeiten, steigende Kosten für die Versorgung einer älteren Gesellschaft.
Quintessenz von Gordon: Wir können nicht auf ein Produktivitätswunder hoffen, um uns rauszuhauen.
Oder doch?
Es gibt nämlich auch eine andere Sicht, von der die FINANZ und WIRTSCHAFT berichtet:
- “Im Dezember 1938 hielt Alvin Hansen, Präsident der American Economic Association (AEA), eine Rede, deren Inhalt in letzter Zeit wieder aufgenommen wurde. Er behauptete, die grosse Zeit des Wachstums sei vorbei, und die USA stünden vor einer Periode der «säkularen Stagnation».” – bto: wie heute Larry Summers.
- “Es folgte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Phase des überschäumenden Wirtschaftswachstums. Man sprach von einem «Wirtschaftswunder». Noch schlimmer: Hansen lag auch in Bezug auf die unmittelbare Vergangenheit vollkommen falsch. Die Dreissigerjahre waren ein Jahrzehnt der Innovation und des hohen Produktivitätsfortschritts. Eine neue Schätzung kommt sogar zum Schluss, dass die technologische Innovation von 1930–41 deutlich höher war als in der Zeit des Wirtschaftswunders (1949–66).” – bto: das wundert mich nicht. Schon für mein Buch Accelerating out of the Great Recession, zu deutsch → Nach der Krise ist vor dem Aufschwung haben wir historische Unternehmensbeispiele analysiert. In der Tat gab es einen enormen Innovationsschub: Buchungsautomaten von IBM, Nylons von Dupont, und vieles mehr!
- “Die Schätzung stimmt mit den Ergebnissen von Alexander Field überein. Field schrieb in seinem Buch «The Great Leap Forward» , dass nicht der Zweite Weltkrieg die USA aus der Depression befreit habe, sondern dass das ausserordentliche Produktivitätswachstum entscheidend war.” – bto: da bin ich nicht so sicher. Ich denke der Krieg hat auf der Nachfrageseite sehr geholfen.
bto: dennoch ist es gut möglich, dass wir uns auch heute irren und Robert Gordon wie Alvin Hansen als unbegründeter Pessimist in die Geschichte eingeht. Nur darauf setzen, dass ein technologisch ausgelöster Wachstumsboom die Schulkdenkrise löst, sollten wir nicht. Auch damals gab es Schuldenschnitte und Pleiten.
→ FINANZ und WIRTSCHAFT: Der doppelte Irrtum, 7. November 2016