Fatal für Schuldner: Produktivität der Weltwirtschaft sinkt
Langfristig wird wirtschaftliches Wachstum von zwei Faktoren getrieben: der Erwerbsbevölkerung und der Produktivität pro Kopf. Kurzfristig kann das Wachstum abweichen, zum Beispiel wenn auf Kredit Konsum vorgezogen wird.
Angesichts des Rückgangs der Erwerbsbevölkerung kommt dem Produktivitätszuwachs in Zukunft eine überragende Rolle zu, um wirtschaftliches Wachstum zu generieren. Sonst droht aus diesem Grunde eine säkulare Stagnation, die sich überschuldete und überalternde Gesellschaften nicht leisten können. Im Klartext: Ohne Wachstum werden die offenen und verdeckten Verbindlichkeiten nicht erfüllt werden.
Bisher ging die Mehrheit der Beobachter von anhaltendem Wachstum der Produktivität aus. Immer neue Erfindungen und Produkte würden wie in den vergangenen Jahrzehnten das Wirtschaftswachstum antreiben. Einige gingen sogar davon aus, dass das Produktivitätswachstum sich in Zukunft beschleunigt, weil immer mehr Menschen in der Welt die Möglichkeit haben zur Innovation beizutragen.
Skeptiker wie Professor Robert Gordon, die von einem anhaltenden schwächeren Produktivitätswachstum ausgehen, wurden zwar gehört, blieben aber eine Minderheitsmeinung.
Nun kommen schlechte Nachrichten vom US-Think-Tank Conference Board (FT, Anmeldung erforderlich). Nach den neuesten Daten war das Produktivitätswachstum der Welt im Jahr 2013 negativ. Die Autoren sprechen von einem „dramatischen Ergebnis“. Die Schwellenländer zeigten dabei geringere Zuwachsraten als in der Vergangenheit, während die westlichen Industrieländer einen Produktivitätsrückgang verzeichnen mussten. In den USA setzt sich damit ein jahrelanger Trend abnehmender Produktivitätszuwächse fort, während Europa die Krisenfolgen spürt, China stagniert und Indien einen Rückgang der Produktivität verzeichnet.
Offensichtlich wurde das Kapital nicht in ausreichend produktive Bereiche gelenkt – wenn es überhaupt investiert wurde.
In den Industrieländern zeigt sich die Wirkung der schon seit Jahren zu tiefen Investitionsquoten, die auch in den kommenden Jahren auf diesem Niveau verharren dürften. Die Investitionsneigung bleibt gering, und Unternehmen verwenden die Überschüsse lieber für Aktienrückkäufe und Dividenden. In den Schwellenländern wurde die Flut an neuem Kapital nicht ausreichend in produktive Bereiche investiert, stattdessen dominieren Immobilienspekulation und Investitionen in unproduktive Sektoren, in China, wie an anderer Stelle besprochen, vor allem in die Staatsunternehmen.
Obwohl das Conference Board für 2014 wieder ein geringes weltweites Produktivitätswachstum erwartet, sind dies ausgesprochen schlechte Nachrichten für die Weltwirtschaft und vor allem die hoch verschuldeten Staaten des Westens. Wie wir bereits mehrfach diskutiert haben, liegt die einzige Hoffnung darin, aus den Schulden herauszuwachsen, da sparen und zurückzahlen die Abwärtsspirale verstärkt und sonst nur Schuldenschnitte und Zahlungsausfälle verbleiben.
Der Nenner (das nominale Bruttoinlandsprodukt) muss schneller wachsen als der Zähler (die Gesamtschulden eines Landes), sonst ist irgendwann Schluss. Der Nenner wächst durch:
- eine wachsende Erwerbsbevölkerung ‑ genau das Gegenteil steht uns bevor
- zunehmende Produktivität – ist angesichts der neuesten Zahlen nicht mehr zu erwarten
- steigende Preise, also Inflation. Doch die ist weit und breit nicht in Sicht. Im Gegenteil.
Realwirtschaftliches Wachstum ist auf Jahre hinaus nicht zu erwarten. Natürlich kann es ein paar gute Quartale geben, und einige Länder werden sich temporär etwas besser entwickeln als die Mehrzahl der Staaten. Strukturell spricht viel für eine säkulare Stagnation, wenn auch aus anderen Gründen als jenen, die Larry Summers anführt.
Die aktuellen Warnungen vor einer deflationären Entwicklung sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Sollte Deflation einsetzen, ist jede Hoffnung “schmerzfrei” aus der Schuldenkrise zu kommen, hinfällig. Doch genau die Weigerung der Politik, sich den Schuldenproblemen zu stellen, verstärkt den deflationären Druck. Irving Fisher – um erneut an diesen großen Ökonomen zu erinnern – hat den Zusammenhang von Schulden und Deflation schon in den 1930er-Jahren eindrücklich beschrieben. Er empfahl damals zu “Reflationieren”, also das Preisniveau der auf Kredit gekauften Güter (Aktien, Immobilien) wieder auf das Vorkrisenniveau zu heben. Obwohl diese Politik der Zentralbanken teilweise funktioniert, genügt es offensichtlich nicht, dass Problem zu bewältigen. Damit bleiben wir in einer Abwärtsspirale. Die Deflation in Zeitlupe, wie wir sie beschrieben haben, läuft weiter vor unseren Augen ab. Mit verheerenden Konsequenzen für sozialen Zusammenhalt und internationale Zusammenarbeit. Je länger die westlichen Staaten, allen voran Europa, auf diesem Weg bleiben, desto größer die Gefahr von erheblichen politischen Konflikten. Die Realitätsverweigerung der Politik mag sich bei den Europawahlen auszahlen. Aber es wird ein Pyrrhussieg sein.