FT: So müssen wir den “manipulierten” Kapitalismus reformieren
Ich bin ein großer Fan des Kapitalismus, da es die Wirtschaftsform ist, die den meisten Wohlstand schafft und aller Kritik zum Trotz dazu beiträgt, dass es der Menschheit besser geht. Auch wird er die Kraft haben, die Klimafrage zu lösen.
Dazu bedarf es aber zweifellos korrigierender Eingriffe. Diese umfassen:
- Mechanismen zur Umverteilung, um der systemimmanten Tendenz zur Konzentration von Vermögen zu begegnen;
- Regulierung, um sicherzustellen, dass “externe Kosten” wie Umweltverbrauch in die kapitalistische Rechnung einfließen;
- wirksame Anti-Trust-Aufsicht, um Marktkonzentration zu verhindern;
- Regulierung des Finanzsektors, um Risiken zu beschränken und vor allem, um die Banken in einer der Realwirtschaft dienenden Rolle zu belassen.
In jeder Hinsicht sind in den letzten Jahren Dinge nicht in die richtige Richtung gelaufen. Dabei halte ich – bekanntlich – die Umverteilung in Deutschland durchaus für funktionierend und ausreichend. Eher belasten wir die Mittelschicht zu stark. Die anderen Punkte sind sicherlich kritischer zu sehen, vor allem der Finanzsektor hat eine unangemessene Bedeutung erzielt – politisch durchaus gewünscht mit Blick auf die Verschuldung. Mittlerweile wird Kapitalismus immer mit “Finanzkapitalismus” gleichgesetzt. Ein Punkt, den man durchaus kritisch sehen muss. Denn er trägt erheblich dazu bei, dass unsere Wirtschaftsordnung so kritisch gesehen wird.
Hier setzt auch Martin Wolf in seiner Kolumne bei der FINANCIAL TIMES (FT) an:
- “The stability of what we would now call ‘constitutional democracy’ depended on the size of its middle class. It is no accident that the US and UK, long-stable democracies today succumbing to demagogy, are the most unequal of the western high-income countries.” – bto: Wie wir sehen, genügt es als Erklärung dann nicht ganz. So haben wir auch in Ländern mit deutlich gleicherer Einkommensverteilung eine politische Polarisierung. Das hat aus einer Sicht mit den geringeren Einkommenszuwächsen in der Mittelschicht durch die Globalisierung zu tun.
Quelle: FT
- “(…) we need a dynamic capitalist economy that gives everybody a justified belief that they can share in the benefits. What we increasingly seem to have instead is an unstable rentier capitalism, weakened competition, feeble productivity growth, high inequality and, not coincidentally, an increasingly degraded democracy.” – bto: Diese Analyse teile ich. Ich würde sagen, dass die Grundwurzel des Übels der Ersatz von Einkommen durch die Droge des billigen Geldes und steigender Verschuldung ist. Das hat das System von innen zersetzt.
- “The answer is not to overthrow the market economy, undo globalisation or halt technological change. It is to do what has been done many times in the past: reform capitalism. (…) If we want to preserve our freedom and democracy we need to embrace change. Here are five policy areas that need to be addressed.” – bto: Und wie dringend das ist, sehen wir auch an der Klimadebatte, die von vielen als Instrument gesehen wird, die Gesellschaft zu ändern. Dabei wäre gerade die innovative Dynamik wichtig, um mit dem Thema umzugehen.
- “First, competition. (…) US markets have become less competitive: concentration is high, leaders are entrenched and profit rates are excessive. Moreover, this lack of competition has hurt US consumers and workers: it has led to higher prices, lower investment and lower productivity growth. (…) In the past decade, Amazon, Apple, Facebook, Google, and Microsoft combined have made over 400 acquisitions globally. Dominant companies should not be given a free hand to buy potential rivals. Such market and political power is unacceptable.” – bto: Beispiel wäre der Kauf von WhatsApp durch Facebook. Das ist absolut richtig. Wir haben eine immer größere Konzentration zugelassen.
- “Second, finance. (…) the unit cost of financial intermediation has not fallen in the US over 140 years, despite technological advances. This stagnation in costs has, alas, not meant financial stability. There is also evidence that there is now simply too much credit and debt. Radical solutions exist here, too: raise the capital requirements of banking intermediaries substantially, while reducing prescriptive interventions; and, crucially, eliminate the tax-deductibility of interest, so putting debt finance on a par with equity.” – bto: Das ist natürlich Theorie. Jeder Versuch, das zu machen, würde einen globalen Margin Call mit anschließender Weltwirtschaftskrise auslösen. Zunächst müssen wir die Schulden aus der Welt schaffen. Ideen dazu gibt es, diese sind allerdings deutlich radikaler.
- “Third, the corporation. (…) The narrow focus on maximising shareholder value has exacerbated the bad side-effects. (…) the purpose of business is to solve the problems of people and planet profitably, and not profit from causing problems. That is self-evident. It is also hopeless to rely on regulation alone to save us from the consequences of myopic business behaviour, particularly when business uses its vast resources to lobby on the other side.” – bto: Aus meiner Sicht ist der Shareholder Value, den ich selber in meinen Jugendjahren mit verbreitet habe, mittlerweile völlig aus dem Ruder gelaufen. Ging es in den 1990er-Jahren überwiegend um eine effiziente Ressourcenallokation, dominiert heute das Financial Engineering. Hier ist also anzusetzen.
- “Fourth, inequality. (…) To tackle it will require a combination of policies: proactive competition policy; attacks on tax avoidance and evasion; a fairer sharing of the tax burden than in many democracies today; more spending on education, especially for the very young; and active labour market policies, combined with decent minimum wages and tax credits.” – bto: Für Deutschland geht es vor allem um eine Entlastung von Abgaben im unteren Bereich und um bessere Bildung.
- “Finally, our democracies need refurbishing. Probably, the most important concerns are over the role of money in politics and the way the media works. Money buys politicians. This is plutocracy, not democracy. (…) We need public funding of parties, complete transparency of private funding and also far greater use of consultative forums. Without political reform, little of what we need elsewhere will happen.” – bto: Jetzt leben wir in einem Land, in dem die Parteien vor allem von Steuergeld leben. Spontan würde ich sagen, dass uns das nicht viel geholfen hat. Ich denke eher, wir brauchen ein System, das langfristiges Denken erleichtert und fördert – Beispiel: Bilanz statt Kameralistik – und zudem mehr Qualifikation von Politikern fordert.
→ ft.com (Anmeldung erforderlich): “How to reform today’s rigged capitalism”, 3. Dezember 2019