Die Lehren aus der Inflation der 1970er
Nicht wenige Beobachter vergleichen die heutige Inflationssituation mit jener der 1970er-Jahre. Doch, welche Lehren sollte man daraus ziehen? Die FINANCIAL (FT) und die FINANZ und WIRTSCHAFT (FuW) mit ihrer Einschätzung.
Zunächst zu den Aussagen der FT:
- „For the past year, politicians and policymakers have watched the rising inflation on both sides of the Atlantic with growing disquiet. Rapidly increasing prices are the unavoidable result of the pandemic, they have said, before adding that at least the situation is nothing like the disastrous inflation of the 1970s.“ – bto: Das konnten wir gerade auch in Deutschland beobachten. Es wurde gar von Kampagnen gegen die EZB gesprochen. Allen voran die „Elite“ der deutschen Wirtschaftswissenschaft …
- „Consumer price inflation in March hit a fresh 40-year high of 8.5 per cent in the US this week and a 30-year high of 7 per cent in the UK. It has two main causes, and bears many similarities to the first oil shock of late 1973. Then, as now, both the US and UK labour markets were showing signs of excess demand.“ – bto: Deshalb wird ja behauptet, es wäre in Europa kein Problem, weil die Arbeitslosigkeit noch so hoch ist. Vergessen wird, dass ein guter Teil dieser Arbeitslosen nicht einsetzbar sind für die unbesetzen Stellen.
- „Inflation in the US and the UK is therefore both a demand-pull and a cost-push phenomenon, just like it was in the 1970s, requiring us all to relearn the lessons of that decade.”
- „(…) we have come to relearn that excessive fiscal and monetary stimulus alongside rapidly growing employment and nominal wages do not make middle-class Americans better off in aggregate if prices rise faster than incomes. (…). Despite the UK’s extremely strong labour market, real household disposable incomes are on track this year to suffer their largest fall since comparable records began in 1956.“ – bto: Das ist natürlich eine sehr unpopuläre Entwicklung. In Deutschland dürfte es nicht so schlimm sein, aber es geht in die gleiche Richtung.
- „The second lesson was reiterated by one of the founding fathers of the European single currency this week. Criticising the European Central Bank for being too slow to increase interest rates, Otmar Issing noted that the Bundesbank was by far the most successful in the 1970s when it acted decisively to bring inflation down and West Germany suffered only a mild downturn. ‘The Fed waited too long’, he said, resulting ‘double-digit inflation and a deep, deep recession’. The UK authorities made even greater mistakes.“ – bto: Und was ist mit der EZB? Ist sie wirklich in einer ganz anderen Lage als die Fed? Abgesehen von der Schuldensituation in der Eurozone?
- „Given the history and the current circumstances of excess demand, it is evident that the Federal Reserve and the Bank of England need to tighten monetary policy considerably, removing much of the stimulus that currently exists. The difficulty, as Issing himself noted, was knowing how much to remove and how quickly.“ – bto: Und wie soll man das machen? Vor allem angesichts der Politisierung der Notenbanken?
- „The global supply shock element of higher energy, fuel and food prices will naturally reduce domestic demand, and by more in countries, such as the UK, which are net importers of these products. (…) Calibrating policy as successfully as the Bundesbank did back then is extremely difficult and will require as much luck as judgment. The risk of recession on both sides of the Atlantic is now very high.“ – bto: Auf die Rezession wird dann mit noch mehr Geld reagiert werden. Wir sind am Ende des Weges angelangt und es stellt sich die Frage nach dem Wert von Geld.
- „Perhaps it is already too late, the inflation genie is out of the bottle and monetary policy needs to generate a recession to drive it out of the system. Alternatively, policymakers will be too cautious, too slow and allow inflation to persist and embed itself in the economy with the same ultimate consequences.“ – bto: Oder die Inflation erzeugt noch schlimmere Effekte.
Soweit die FT. Doch was sind die Folgen dieser Entwicklung für die Kapitalmärkte? Vergessen wir nicht, dass wir es mit so hohen Schulden und so hoch bewerteten Vermögensmärkten zu tun haben, dass wir neben dem inflationären Szenario immer auch jenes eines deflationären Kollapses auf dem Tisch haben. Hier denke ich aber, dass die Angst vor dem deflationären Szenario – verständlicherweise – so groß ist, dass es nur zu einem noch stärkeren Push in Richtung Inflation führen wird.
Die FuW fasst die Folgen der 1970er-Inflation für die Aktienmärkte zusammen:
- „Über Jahrzehnte haben wir uns an einen ziemlich stabilen Geldwert gewöhnt. (…) Die Geldwertstabilität begünstigte auch den Trend fallender Zinsen, der von den Zentralbanken noch verstärkt wurde, etwa, indem während Krisen die Leitzinsen gesenkt und die Geldschleusen weit geöffnet wurden in der Hoffnung, so die Wirtschaft schnell wieder in Gang zu bringen. Das gelang im Nachgang der Dotcom-Krise um die Jahrtausendwende, und es gelang in der Finanzkrise nach 2008. Und immer blieb trotz Geldschwemme ein Anstieg der Inflation aus.“ – bto: Aber die Vermögenspreise gingen weiter nach oben und die Schulden stiegen.
- „(…) diesmal trifft die Geldschwemme auf Strukturen in der Logistik und der Produktion, die nach Jahren der Optimierung nicht mehr die nötige Elastizität haben, um ein schnelles Einpendeln von Angebot und Nachfrage möglich zu machen. Während der Pandemie wurden Investitionen zurückgefahren und Kapazitäten reduziert, um Kosten zu sparen. Der Krieg in der Ukraine führt zu zusätzlicher Disruption. In Europa wird nun für den Frühling eine Inflationsrate von 9% erwartet. In den USA dürfte sie ebenfalls um dieses Niveau herum liegen.“ – bto: Hinzu kommt der monetäre Überhang, der in den Jahren davor geschaffen wurde. Dieser kann nun „entzünden“, so auch die Argumentation von Prof. Sinn in meinem Podcast und seinem Buch.
- In den 1970er Jahren war es so: „Auslöser für den Preisauftrieb in den USA waren damals primär die bekannten zwei Ölpreisschocks 1973 und 1979. Doch auch der Staatsschuldenaufbau durch den Vietnamkrieg, der schwache Dollar und die in den Sechzigerjahren auf breiter Front gestiegenen Realeinkommen, die den Konsum in den Industrieländern ankurbelten, dürften eine Rolle gespielt haben. Die Inflation gemessen an der Konsumentenpreisentwicklung stieg 1975 in den USA auf rund 12% und erreichte 1980 gar 15%. (…) Die US-Notenbank Fed verteuerte das Geldangebot durch die Erhöhung des Leitzinses auf bis gegen 20%. Das provozierte zwei scharfe Rezessionen, 1980 und 1982. Erst damit gelang es, die Inflationsmentalität zu brechen.“ – bto: Derzeit werden wir solche Zinsen nicht erreichen können. Zahlenbeispiel: 1983 lag die US-Verschuldung bei 170 Prozent des BIP, 1999 bei 260 Prozent und jetzt bei 350 Prozent. Steigt die Zinsbelastung auf diese 83 Billionen Dollar Schulden um einen Prozentpunkt, entspricht das 3,5 Prozent vom BIP.
Die FuW zeigt die damaligen Folgen:
- „(Der) Aktienmarkt (…) kam kaum vom Fleck. Der S&P 500 notierte 1979 nur gerade 3% höher als zu Anfang der Dekade. Doch ging es den Unternehmen in dieser Zeit nicht schlecht, die Gewinne der S&P-500-Unternehmen stiegen deutlich, wenn auch die Inflation kräftig mithalf. Steigende Gewinne und stagnierende Kurse führten dazu, dass die durchschnittliche Kurs-Gewinn-Bewertung (KGV) der S&P-500-Titel von 1970 bis 1982 von knapp 20 auf rund 8 absackte – ein historisches Tief.“ – bto: Jetzt wird man sagen, dass das nicht wieder passieren (kann). Doch wieso? Die Anleger werden real weniger Geld haben und dann mehr in Sachwerte gehen.
- „Kein Wunder titelte das US-Wirtschaftsmagazin «Business Week» im Sommer 1979 einen Artikel mit «The Death of Equities» – der Tod der Aktien. Das sollte sich allerdings bald als Trugschluss erweisen. Der sinkende Inflations- und Zinstrend ab Anfang der Achtzigerjahre läutete eine Zeitenwende ein. 1982 startete eine markante Aktienhausse – und dies, obwohl die Gewinne der S&P-500-Unternehmen in den folgenden zehn Jahren kaum stiegen. Das KGV nahm bis Anfang der Neunzigerjahre wieder auf über 20 zu.“ – bto: Auch hier würde ich mit der Analogie zu heute vorsichtig sein. Die Schuldensituation macht alles anders.
- „Die Situation heute lässt sich bewertungsmäßig sowohl mit jener von Anfang der Siebziger als auch jener Anfang der Neunziger vergleichen. Die KGV-Bewertungen sind hoch, die Leitzinsen niedrig. In den Siebzigern stagnierten in der Folge die Aktienkurse, die Neunziger dagegen bescherten weitere hohe Kursgewinne, trotz schon stolzer Bewertung. Grund für die unterschiedliche Entwicklung, wie wir mittlerweile wissen: die Inflation.“ – bto: Inflation wirkt also negativ auf die Bewertungen.
- „Ob es heute tatsächlich zu einer längeren Inflationsphase kommt, ist freilich noch unklar. (…) Die hohe Staatsverschuldung und die vielerorts stagnierende Reallohnentwicklung dürften schnell Widerstände aufkommen lassen, falls eine hartnäckig hohe Teuerung eine kompromisslose Inflationsbekämpfung seitens der Notenbanken nötig machen würde. Ein zu zaghaftes Vorgehen der Notenbanken könnte der Inflationsmentalität aber Vorschub leisten.“ – bto: Vor allem der Euro dürfte hier ein zusätzliches Problem sein.
- „Dazu herrscht heute, anders als Anfang der Neunzigerjahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, ein weit weniger positives Wirtschaftsklima vor: Handelsdispute, der Krieg in der Ukraine, die Herausforderungen des Klimawandels, die steigenden Einkommensungleichgewichte und der hohe Investitionsbedarf in Kapazitäten und Lieferketten mahnen eher zur Vorsicht. Vielleicht muss es an den Börsen erst abwärts gehen, bevor neuer Optimismus aufkommen kann.“ – bto: Der Optimismus käme dann aber aus der erneut aggressiven Geldpolitik. Ob das wirklich gut ist?