Die Inflation kehrt zurück
Louis-Vincent Gave von der Hongkonger Research Boutique Gavekal spricht mit the market über die Rückkehr der Inflation. Ich finde es interessant, weil es einen bestimmten Blickwinkel zeigt, der in den Finanzmärkten zunehmend Verfechter findet.
- „Meiner Meinung nach dreht sich die Weltwirtschaft um drei Schlüsselpreise: die Rendite zehnjähriger Treasury Notes, den Ölpreis und den Dollar. Vor zwölf Monaten waren die Zinsen und der Ölpreis im Sinkflug, während der Dollar stark war. Heute steigen die Treasury-Renditen und der Ölpreis, während der Dollar sinkt. Das Blatt hat sich komplett gewendet. Wenn ich einen Markt sehe, an dem die Zinssätze steigen und die Währung fällt, läuten die Alarmglocken.“ – bto: Wir wissen, dass das eine Folge der deutlich aggressiveren Politik der US-Regierung und Notenbank ist. Eine Flut neuer Anleihen, ein Bekenntnis zu höherer Inflation – um fast jeden Preis –, das muss sich doch entsprechend niederschlagen.
- „Wenn (…) die Zinsen steigen und die Währung fällt, ist das ein Signal, dass die Investoren flüchten. Das ist heute das Signal in Amerika: Die USA verhalten sich wie ein krankes Schwellenland.“ – bto: Da bin ich immer vorsichtig. Natürlich gibt es viel zu kritisieren. Aber umgekehrt bleiben die USA die führende Macht der Welt und der Dollar die Weltwährung. Das ist eben eine andere Situation.
- „Die meisten westlichen Staaten, am extremsten die USA, haben ihre Fiskal- und Geldpolitik in historisch beispiellosem Ausmass ausgeweitet. In gewisser Weise folgen sie dem Drehbuch, dem China nach 2008 gefolgt ist, als es einen massiven Anstieg der Fiskalausgaben und der Geldmenge zuliess. Heute hält sich Peking fiskal- und geldpolitisch zurück, während der Westen keine Grenzen mehr kennt.“ – bto: wobei der Westen schon 2009 auf einem hohen Schuldenniveau war und deshalb nicht so konnte. Heute ist es im allgemeinen Bewusstsein, dass der Point of no Return lange zurückliegt. Deshalb kann man All-in gehen!
- „Der diesjährige Schuldenaufbau in den USA hat null produktive Investitionen finanziert. Keine neuen Strassen, keine Flughäfen, Eisenbahnen, nichts. Die Regierung hat nur Geld an die Leute geschickt, damit sie zu Hause sitzen und fernsehen. Eine derartige Anhäufung unproduktiver Schulden kann sich auf zweierlei Arten niederschlagen: Entweder in den Finanzierungskosten für den Staat, also in steigenden Zinsen, oder in einer Abwertung der Währung.“ – bto: Da bin ich nicht so überzeugt. Warum sollte es so sein? Da es kein höheres Wachstum gibt und auch nicht unmittelbar Inflation, sollte es eigentlich nicht zu dieser Reaktion kommen.
- „(Die US-Notenbank wird) entscheiden müssen, ob sie die Treasury-Renditen steigen lassen oder nicht. Wenn sie eine Normalisierung auf das Niveau von vor der Covid-Krise zulassen, müssten die Zehnjahreszinsen auf etwa 2,5% steigen. (…) Wenn die Zinsen steigen, kommen die USA in einen Zyklus, in dem sie sich mehr Geld leihen müssen, nur um die Zinsen bezahlen zu können, was keine gute Position ist.“ Weshalb, so seine Schlussfolgerung die FED intervenieren wird. „(…) wenn das geschieht, würde ich sagen, dass der Dollar einen Einbruch von 20% erleiden wird.“ – bto: Das hängt allerdings davon ab, was die anderen Regionen machen. Der Euro müsste entsprechend aufwerten, was aber der Eurozone einen Stoß versetzte, den diese nicht verkraften würde. Alle müssen abwerten, wie William White so schön gesagt hat.
- „Mein Basisszenario ist, dass die Zehnjahreszinsen in den USA auf 2% steigen, woraufhin das Fed eingreift und eine Variante der Zinskurvenkontrolle einführt. In diesem Fall würde der Dollar abstürzen, die Realzinsen würden sinken und Gold würde florieren. Aber vielleicht liege ich falsch, vielleicht kriegen die Verantwortlichen im Fed kalte Füsse, wenn sie Inflationsraten von 4% sehen, und beschliessen, die Bondrenditen ungehindert steigen zu lassen.“ – bto: Das halte ich für undenkbar, weil wir dann den ultimativen Margin Call haben. Dann kollabiert das System und wir bekommen die deflationäre Depression.
- „Als sich die USA ab 2011 in Richtung Energieunabhängigkeit bewegten, schrumpfte ihr Handelsdefizit. Die Schieferöl-Revolution bedeutete, dass die USA auf einmal keine Dollars mehr exportierten mussten. (…) Die US-Ölproduktion ist bereits um 2,5 Mio. Barrel pro Tag gesunken und wird in den nächsten zwölf Monaten um weitere 2,5 Mio. Barrel sinken, weil alle grossen Ölkonzerne ihre Investitionen kürzen. (…) Amerika wird, wenn sich die Wirtschaft nach Covid erholt, wieder in grossem Umfang Öl importieren müssen und jährlich 100 bis 120 Mrd. $ in den Rest der Welt fliessen lassen. Das ist keine gute Perspektive für den Dollar.“ – bto: Das wäre aber eine gute Nachricht für den Ölpreis. („Im Bereich von 60 bis 80 $ verdienen viele Ölkonzerne übrigens gutes Geld.“)
- „China ist heute die einzige grosse Volkswirtschaft, die hohe positive Realzinsen bietet. Daher fliesst Kapital in den chinesischen Bondmarkt. Die People’s Bank of China ist die einzige namhafte Zentralbank, die öffentlich verspricht, dass sie nicht zur Euthanasie der Sparer übergehen wird.“ – bto: wobei China durchaus auch ein Problem mit der hohen inländischen Verschuldung hat. Ein geringes Zinsniveau ist auch hier wichtig.
- „Ein starker Renminbi ist eine fundamental inflationäre Kraft für die Weltwirtschaft. Unternehmen auf der ganzen Welt müssen mit chinesischen Produzenten konkurrieren. Daher treibt ein schwacher Renminbi die Preise nach unten, während ein starker Renminbi die Preise nach oben treibt. (…) das bedeutet, dass alles, was wir aus China kaufen, im Preis steigt. Es ist nicht überraschend, dass mit der Aufwertung des Renminbi die US-Zinskurve steiler wird und der Ölpreis steigt: All das ist Teil des reflationären Hintergrunds.“ – bto: Dazu kommt noch der demografische Wandel, durch den auch der Lohndruck aus China abnimmt.
- „Eine der wichtigsten deflationären Kräfte der letzten drei Jahrzehnte war China und der weltweite Trend, Produktion auszulagern. Aber jetzt befinden wir uns in einer neuen Welt (…) in der die Lieferketten innerhalb einzelner Imperien aufgeteilt werden. (…) Bis vor kurzem waren der Preis und die Qualität die wichtigste Überlegung in jeder Lieferkette. In der neuen Welt wird die Sicherheit der Lieferung am wichtigsten, auch wenn die Kosten höher sind. Das ist ein dramatischer Paradigmenwechsel.“ – bto: Das ist De-Globalisierung. Bekanntlich sehe ich das genauso, beschrieben in “Coronomics”.
- „Erstens wird es in Zukunft zwei Arten von Ländern geben: Solche, die den Covid-Schock massiv monetarisiert haben, und solche, die das nicht getan haben. Ich vergleiche diese Situation mit den späten Siebzigerjahren, als die USA, Grossbritannien und Frankreich den Ölpreisschock monetarisierten, während Japan, Deutschland und die Schweiz dies nicht taten. Das führte zu einer enormen Aufwertung des Yen, der D-Mark und des Frankens. Heute gehören das Fed und die EZB zu den Zentralbanken, die massiv monetarisiert haben, während viele Zentralbanken in Asien vernünftig blieben. Daher erwarte ich in den kommenden fünf Jahren eine signifikante Aufwertung der asiatischen Währungen, was an sich schon inflationär für die Welt ist.“ – bto: wegen der Bedeutung als Produktionszentrum der Welt. Wir werden diese Inflation importieren und die EZB wird sich freuen. Vorausgesetzt, dass sie nicht im Abwertungsspiel verliert.
- „(…) Sie müssen sich von Anleihen und US-Wachstumsaktien fernhalten. In der neuen Welt müssen Sie Aktien und Anleihen aus Schwellenländern kaufen, und innerhalb der Schwellenländer bevorzuge ich Asien. (…) Kaufen Sie Value-Aktien, den Rohstoffsektor und Schwellenländer. Und für den antifragilen Teil des Portfolios setze ich auf Renminbi-Bonds und Gold.“ – bto: Das leuchtet mir ein und ich vertrete es auch mit Blick auf den weiteren relativen Niedergang Europas.
→ themarket.ch: “Louis Gave: ‘Inflation Will Come Back With a Vengeance’”, 31. Dezember 2020