Derweil geht die Flickschusterei beim Euro weiter
Gestern Morgen habe ich die Warnungen von Joseph Stiglitz betrachtet. Der Euro ist gescheitert, und es ist nicht die Frage ob, sondern wann es zum Zerfall kommt, der von massiven Verlusten begleitet sein wird.
Das liegt auch daran, dass wir in den Krisenländern keinen Fortschritt sehen und die Institutionen der EU fortgesetzt ihre Regeln brechen.
Zunächst zu Italien. Thomas Mayer in der F.A.S.:
- Er berichtet von einem Treffen mit italienischen Wissenschaftlern: “Die italienische Seite war zwar mit meiner kritischen Sicht der italienischen Wirtschaftslage einverstanden, glaubte jedoch nicht an meine Prognose, dass Italien die Europäische Währungsunion (EWU) früher oder später verlassen müsse. […] Außerhalb der Währungsunion hätte eine eigene Währung doch sicherlich einen wesentlich geringeren Außenwert, so dass die italienische Wirtschaft an internationaler Konkurrenzfähigkeit gewänne. Die Antwort war, dass man der Währungsunion beigetreten sei, um eine bessere Wirtschaftspolitik herbeizuzwingen.”
- “Doch das Gegenteil ist eingetreten. Die Qualität der Politik wurde während der EWU-Mitgliedschaft deutlich schlechter. Die Weltbank berechnet für eine Vielzahl ihrer Mitgliedsländer regelmäßig einen Index zur Qualität der politischen Verwaltung eines Landes. Zwischen 1996 und 2014 fiel der Index für Italien um elf Punkte, die schlechteste Entwicklung in der Eurozone. Mit 67 von maximal 100 Punkten war Italien im Jahr 2014 das Schlusslicht unter den EWU- Mitgliedsländern. Sogar Griechenland lag mit 69 Punkten vor Italien. Innerhalb der Europäischen Union unterbieten nur Bulgarien und Rumänien den italienischen Qualitätsindex.”
- “Doch die Verteidigung des Status quo gründet in der Annahme des Primats der Politik vor wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Diese Annahme ist kaum zu halten. Der österreichische Ökonom und Finanzminister Eugen von Böhm-Bawerk bestritt schon im 19. Jahrhundert zu Recht, dass politische Macht über ökonomische Gesetze bei der Verteilung des Volkseinkommens zwischen Arbeit und Kapital langfristig dominieren könnte.”
- “Bleiben die wirtschaftlichen Umstände so unbefriedigend wie in den vergangenen 18 Jahren, wird der Wille zur fortdauernden Mitgliedschaft ausgehöhlt und die politischen Zentrifugalkräfte gewinnen die Oberhand. Der Aufstieg der eurokritischen Fünf-Sterne-Bewegung weist in diese Richtung.”
- “Aber könnten denn nicht öffentliche Transfers zwischen Ländern der Eurozone die wirtschaftlichen Unterschiede auf ein erträgliches Maß verringern? […] Da die Effektivität der offenen Transfers zweifelhaft ist und die verdeckten Transfers vielen Bürgern als illegitim erscheinen, ist die Zahlungsbereitschaft der Politiker in den Geberländern gering. Eine Aufstockung der Transfers würde auch dort die eurokritischen Kräfte stärken.”
Mayers Fazit: “Nun verortet man finstere Kräfte in Deutschland, die den Euro zum Nachteil Italiens für ihre Zwecke nutzen. Der Schluss liegt nicht mehr fern, dass man den Euro verlassen muss, wenn die finsteren Kräfte nicht zu bändigen sind.”
Hinzu kommt die immer weitergehende Aushöhlung der Grundsätze der Zusammenarbeit, wie Daniel Gros in der FINANZ und WIRTSCHAFT erläutert:
- “Laut den Regeln des Stabilitätspakts hätte die Kommission gegenüber Spanien und Portugal die Verhängung eines Bussgelds vorschlagen müssen, weil diese Länder die Zielvorgaben für ihre Haushaltsdefizite deutlich überschritten haben. Dieses Bussgeld wäre weitgehend symbolischer Art gewesen, doch die Kommission hat anscheinend entschieden, dass diese Symbolik nicht lohnt.”
- “Tatsächlich soll Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble auf mehrere Kommissionsmitglieder eingewirkt zu haben, kein Bussgeld gegen Spanien oder Portugal zu verhängen. Die deutsche Finanzpresse, die die Europäische Kommission oft wegen ihrer angeblichen Laxheit kritisiert, hat die Entscheidung kaum zur Kenntnis genommen.”
- Er blickt dann auf den Präzedenzfall von Deutschland und Frankreich, die als erste – ohne Konsequenz – den Stabilitätspakt nicht befolgten. “Die Minister leiteten in der Folge eine Reform des Stabilitätspakts ein und verlagerten den Fokus von den Gesamtdefiziten auf eine Messgrösse für die Haushaltslage, die den Zustand der Volkswirtschaft mit berücksichtigte. Die Kommission akzeptierte diese Reform und hat seitdem mehrere zusätzliche Veränderungen vorgenommen, wobei sie jedes Mal stolz erklärte, dass der Stabilitätspakt nun ‚flexibler‘ und ‚intelligenter‘ denn je sei.”
- “Heute halten Spanien und Portugal nicht einmal die neuen, flexiblen Regeln ein. Doch die von Präsident Jean-Claude Juncker geführte derzeitige Kommission war uneins, ob man diese Regeln durchsetzen solle; einige Kommissionsmitglieder wollten lieber Milde walten lassen. Schäubles Intervention scheint die Angelegenheit entschieden zu haben. Wenn es darum geht, zuzulassen, dass politische Überlegungen die Durchsetzung der Regeln beeinflussen, hat sich eindeutig nicht viel geändert.”
- “Das relative Schweigen der Öffentlichkeit und der Medien verdeutlicht die Lage. Die Haushaltsregeln geniessen nicht mehr die frühere Unterstützung.”
- “Wenn die konkretesten Elemente des Regulierungsrahmens der Eurozone nicht strikt zur Anwendung kommen, was zwingt dann die Mitgliedsstaaten, Reformen einzuleiten und ihr Schuldenniveau zu stabilisieren? Vage Ermahnungen werden nicht funktionieren. Es scheint, dass die Krise und die unhaltbar hohen Risikoaufschläge für hochverschuldete Regierungen, die darauf folgten, bereits wieder in Vergessenheit geraten sind.”
Fazit Gros: “Es ist nun klarer denn je, dass die EU-Mitgliedsstaaten innenpolitischen Zwängen Vorrang vor gemeinsamen Regeln und dem europäischen Gemeinwohl einräumen.”
bto: Wenn man so mit der Krise umgeht, darf man sich am Ende nicht wundern, wenn es knallt. Gerade aus deutscher Sicht ist das Verhalten nicht nur enttäuschend, sondern auch dumm. Es maximiert den Schaden für uns.
→ FINANZ und WIRTSCHAFT: “Das leise Sterben der Regeln in der Eurozone”, 18. August 2016