„Zombie-Banken stützen Zombie-Schuldner“
Die Verteidiger der EZB bemühen gerne die Badewannen-Theorie: Weil mehr Geld zu- als abfließt, sei ein Überlaufen der Wanne – sprich tiefe Zinsen – die zwangsläufige Folge. Doch so einfach ist es nicht.
Ist die EZB nun der böse Enteigner der Sparer oder der Retter vor dem ganz großen ökonomischen Crash? Für beide Standpunkte wurden in der hitzigen Diskussion der vergangenen Woche gute Argumente vorgebracht. Dabei ist den meisten Befürwortern und Gegnern der EZB-Politik gemein, dass sie bei der Frage nach dem Preis des Geldes, dem Zins, die eigentliche Funktionsweise unserer Geldwirtschaft nicht berücksichtigen.
Stattdessen arbeiten sie mit realitätsfernen Annahmen. Deren Eckpunkt ist die Badewannen-Theorie. Wie in einer Badewanne gebe es demnach einen Zufluss an Ersparnissen und einen Abfluss an Mitteln für neue Kredite, die Investitionen und Konsum dienen. Sei die Nachfrage nach Kredit höher, so steige der Preis für Geld, also der Zins; seien die Ersparnisse höher, so sinke der Zins. Beides jeweils so lange, bis Angebot und Nachfrage nach Geld ausgeglichen sind. Seit Jahren, so die Anhänger dieser Theorie, gebe es in der Welt zu viele Ersparnisse. Deshalb seien die Zinsen auch schon vor den Interventionen der Notenbanken niedrig gewesen, was die folgenreiche Überschuldung befördert habe. Nach der Finanzkrise sei die Nachfrage nach Krediten weiter gefallen, während das Angebot an Ersparnissen weiter gestiegen sei, weil die Menschen aus Vorsicht mehr zurücklegten.
Auf den ersten Blick leuchtet diese Argumentation ein. Auch die Schlussfolgerung, dass es deshalb nicht die Schuld der EZB sei, dass die Zinsen so tief sind, sondern eben die Folge dieses Ungleichgewichts zwischen Sparen und neuen Schulden. Anhänger dieser Denkschule fordern demnach auch deutlich negative Zinsen und eine Einschränkung der Bargeldnutzung, um die Wirkung der negativen Zinsen zu verstärken.
Weit weg von der Realität
Das Problem an der Argumentation ist jedoch, dass sie mit der Realität herzlich wenig zu tun hat. Nicht die Höhe der Ersparnisse definiert die Höhe der Schulden, sondern umgekehrt: Erst Schulden schaffen einen Ersparnisüberhang.
Das liegt an unserem Geldsystem. Was die Badewannen-Theoretiker in ihrer Argumentation vernachlässigen, ist die Mechanik der Geldschöpfung. Banken brauchen keine Einlagen, damit sie Kredite vergeben und damit neues Geld schöpfen können. Banken vergeben Kredite gegen (normalerweise) gute Sicherheiten. Sie schreiben den Kredit dem Kunden auf seinem Konto gut, womit sich die Bilanz der Bank verlängert: Auf der Aktivseite steht die Forderung aus dem Kredit, auf der Passivseite die Einlage des Kunden. Sobald dieser das neu geschaffene Geld verwendet, um etwas zu kaufen, wandert die Einlage auf ein anderes Konto eines anderen Gläubigers, vielleicht bei einer anderen Bank. Im gesamten Bankensystem gleichen sich die Einlagen in Summe wieder aus. Die Notenbank hat hier nur eine passive Rolle. Sie vollzieht die Geldschöpfung der Banken lediglich nach.
Wenn nun aber die Banken ganz ohne die Notenbanken Geld schaffen – weshalb haben wir dann so tiefe Zinsen? Es müsste doch im Interesse der Banken liegen, möglichst hohe Zinsen zu bekommen. Das gilt aber nicht, wenn hohe Zinsen die Rückzahlung vorangegangener Kredite gefährden würden.
Dies könnte die Preispolitik der Banken erklären. Sie haben in den letzten Jahrzehnten immer mehr Kredite vergeben und dabei mit immer geringerem Eigenkapital gearbeitet. Zugleich ist die Qualität der Schuldner über Zeit gesunken. Je höher ein System „geleveraged“, also mit Schulden finanziert ist, desto größer ist die Krisenanfälligkeit: Es drohen heftige Einbrüche bei den Vermögenspreisen und Pleitewellen. Deshalb haben die Banken in den vergangenen Jahrzehnten die Zinsen tendenziell immer weiter gesenkt.
Mitgeholfen haben hier zweifelsohne die Notenbanken, die die Grundsätze ordnungsgemäßer Notenbankpolitik schon vor Jahren über Bord geworfen haben. Statt Geld in Krisenzeiten nur an solvente Banken gegen gute Sicherheiten und zu hohen Zinsen herauszugeben, haben die Notenbanken signalisiert: Egal, was ihr treibt, wir hauen euch wieder raus.
Nun sind die Forderungen der Banken längst nicht mehr so werthaltig, wie ursprünglich gedacht. Übersetzt bedeutet dies, dass das Bankensystem als Ganzes bei normalen Zinsen und einer ordnungsgemäßen Bewertung der Forderungen insolvent wäre. Hierin liegt der eigentliche Grund für die tiefen Zinsen. Sie helfen den Banken die Illusion aufrechtzuerhalten, die Forderungen seien noch werthaltig. Knapp gesagt: Zombie-Banken stützen Zombie-Schuldner.
Damit kommt naturgemäß auch die Kreditschöpfungsmaschine ins Stocken. Diejenigen, die schon Schulden haben, können nicht mehr Schulden verkraften. Diejenigen, die noch Verschuldungskapazität haben, nutzen diese nicht angesichts der unsicheren Wirtschaftsaussichten. Und die Banken können keine weiteren Kredite vergeben, weil sie eigentlich insolvent sind. Deshalb wächst die Kreditvergabe langsamer als in den Jahren bis 2007.
Ausnahme Deutschland
Wir in Deutschland sind die Ausnahme, weil bei uns noch genügend Verschuldungskapazität und -bereitschaft vorhanden ist. Die vielen Ersparnisse sind dabei nichts anderes als das Spiegelbild der vielen Schulden des Auslands bei uns. Von Schulden, die eigentlich nicht mehr bedient werden können.
Natürlich spielt die EZB eine wichtige Rolle dabei, die Zinsen unten zu halten. Sie hilft den Banken dadurch, dass sie die Zinsen für vermeintlich risikofreie Anlagen so tief drückt, dass es zu keiner Flucht aus dem Bankensystem kommt. Doch auch ohne EZB würde das Bankensystem die Zinsen nach unten manipulieren. So können die Banken ihren Zombie-Status verfestigen und darauf hoffen, dass das Problem sich mit der Zeit löst. Ein Blick nach Japan zeigt uns, dass diese Hoffnung trügen dürfte!
Kritiker der EZB, wie Torsten Polleit an dieser Stelle, fordern eine Abkehr von der Politik des billigen Geldes der EZB. Doch sie verweigern eine klare Antwort bezüglich der Konsequenzen: „Das wäre zweifelsohne ein schmerzlicher Prozess für die Verschuldeten und alle sonstigen Schuldgeldprofiteure“ schreibt er lapidar.
Es wäre eine große Depression, vergleichbar mit den 1930er Jahren, ist die wahre Antwort. Nur wenn Schulden und Forderungen im gleichen Maße reduziert werden, können wir zu normalen Zinsen zurückkehren. Da der politische Wille dazu fehlt, müssen wir uns noch auf viele Jahre tiefer Zinsen einstellen. Ursache sind nicht zu viele Ersparnisse, sondern zu viele faule Schulden.
Was tun also als Investor? Strategisch – gerade auch mit Blick auf die Eiszeit mit zunehmender Unfallgefahr und Volatilität – bleibt es bei unserem Standardportfolio aus Cash, Qualitätsaktien, Immobilien und physischem Gold. Taktisch lässt man natürlich die Finger von Banken in jeder Form. Wer darauf setzt, dass die Notenbanken uns weiter helfen, den Weg der japanischen Zombifizierung zu gehen, ist mit Langläufern der USA gut bedient. Diese bringen zurzeit mehr als die italienischen Pendants. Was daran liegt, dass die USA in der Tat weniger „geleveraged“ sind als Europa. Noch.
→ WiWo.de: „Zombie-Banken stützen Zombie-Schuldner“, 28. April 2016