„Was am Finanzmarkt zu Systemversagen führt“
Dieser Kommentar erschien bei WirtschaftsWoche.de:
„Diesmal ist alles anders“ sind bekanntlich die vier gefährlichsten Worte an den Finanzmärkten. Heute heißt es „Die Notenbanken retten alle.“, auch vier gefährliche Worte.
Spricht man mit Kapitalmarktexperten, kommt man schnell zu der Einschätzung: Ja, wir befinden uns in einer Blase, zumindest was die Märkte für Staatsanleihen betrifft. Und weil diese die Benchmark für jedes Portfolio und damit für die Bewertung von praktisch allen Assets sind, strahlt die Blase auf alle Märkte aus. Bill Gross, der legendäre Anleihenexperte und frühere CEO von PIMCO, warnte prominent und lautstark vor einer „Supernova“, die unweigerlich implodieren müsse. Damit widerspricht er schon mal Alan Greenspan, der doch allen Ernstes behauptete, Blasen an den Finanzmärkten ließen sich immer erst im Nachhinein feststellen. Natürlich wusste er es besser, er wollte nur nicht zugeben, dass er früher den Nachschub an Drogen, also billigem Geld, hätte stoppen sollen.
Zieht man die „Bibel“ der Finanzmarktblasen – „Manias, Panics and Crashes” von Charles Kindleberger – zurate, kann man Anzeichen einer Blase nicht auf Anhieb erkennen. Kindleberger definierte fünf typische Phasen einer Blase:
- Zunächst kommt es zu einer echten Neuerung, zum Beispiel einer neuen Technologie oder zur Öffnung eines Landes, wie zum Beispiel Russland nach 1990. In dieser Phase ändert sich etwas fundmental, was eine höhere Bewertung von Assets begründet. Erste Investoren erkennen dies.
- Dieser Anstieg führt zu einem Boom. Die Erkenntnis der ersten Investoren verbreitet sich. Der Anstieg der Preise von Finanzassets zieht weitere Investoren an. Immer mehr Käufe werden auf Kredit getätigt. Billiges Geld treibt Konjunktur und Vermögenspreise immer mehr an.
- Dieser Boom führt in die Euphorie. Jetzt merkt jeder Investor, dass er mit dem Kauf bestimmter Assets reich werden kann. Schließlich ist „nichts so ärgerlich wie ein Freund, der reich wird“ bemerken auch jene, die bisher noch keine Aktien gekauft haben und steigen plötzlich ein – wie die Schuhputzer 1929, Ärzte und Rechtsanwälte im Neuen Markt 1999 und Tagelöhner als Immobilienkäufer 2007.
- Unweigerlich kommt es zur Krise. Die Investoren, die früh eingestiegen sind, erkennen die völlige Überbewertung des Marktes. Besonders die Insider verkaufen, also diejenigen, die wirklich wissen, wie die Geschäfte laufen. Nicht zufällig dürfte der CEO von Lehman Brothers einige Hundert Millionen Aktien verkauft haben, als dies noch ging. Sobald der Verkaufsdruck zunimmt, fallen die Preise immer schneller, es kommt zum Crash. Alle wollen verkaufen, niemand will oder kann kaufen. Die Märkte werden illiquide.
- Dieser Absturz führt zu einem Überschießen der Märkte nach unten. Niemand will noch etwas von dieser Assetklasse wissen. Die Justiz deckt Betrugsfälle auf. Medien und Öffentlichkeit suchen nach einem Schuldigen für das Desaster.
Blickt man auf die Situation heute, wäre es ein Leichtes das Bestehen einer Blase zu leugnen. Von Euphorie kann keine Rede sein, einen Boom haben wir auch nicht erlebt. Lediglich ein paar gute Jahre an den Aktienmärkten, die den Einbruch der Jahre 2008/2009 korrigiert haben. Kritische Stimmen zum Zustand der Realwirtschaft und zur Bewertung von Finanzassets, vor allem US-Aktien gibt es zuhauf. Niemand findet negative Zinsen für 10-jährige Bundesanleihen und auf dem Bankkonto „euphorisierend“. Im Gegenteil: Wir alle wissen, es ist etwas fundamental faul in der Welt, in der Eurozone und an den Finanzmärkten.
Dennoch macht sich ein wichtiges Symptom der Euphoriephase breit: die Sorglosigkeit. Wir alle gehen davon aus, dass die Notenbanken uns immer wieder retten. Vermögenspreise dürfen nicht fallen, weil dann die Wirkungslosigkeit der Notenbankpolitik überdeutlich würde, und weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird es um jeden Preis verhindert werden. Jede potenzielle Krise – sei es der Brexit, seien es italienische Banken, sei es Konjunkturabschwächung in den USA – wird mit noch mehr Geld und noch tieferen Zinsen bekämpft. Was kann da schon schiefgehen?
Die Eiszeit hat uns fest im Griff und nur mit einer Politik des billigen Geldes haben die Notenbanken bis jetzt die Kernschmelze des Finanzsystems und eine weltweite große Depression verhindert. Dabei haben die Notenbanken eine gigantische Put-Option geschrieben. War es früher der „Greenspan-Put“, also die von den Börsianern implizit und nicht zu Unrecht erwartete Bereitschaft der US-Fed, sie bei Turbulenzen herauszuholen, so ist es heute der Kuroda-Dragi-Yellen-Carney-Jordan-Put. Gemeinsam tun sie alles, um den gigantischsten Margin-Call der Weltgeschichte zu verhindern.
Das Problem ist nur: Das Vertrauen der Märkte in den Put beginnt zu schwinden. Wichtige Spieler wie George Soros und Stanley Druckenmiller setzen offen auf eine neue Krise, fallende Aktienkurse und steigendes Gold. Die Tatsache, dass die Nachfrage nach 400-Unzen-Barren Gold in den USA wieder deutlich gestiegen ist, zeugt von der Nachfrage nach Gold zu „monetären Zwecken“, also zur Wertaufbewahrung.
Noch ist offen, wie es zu einem Systemversagen kommen kann, können doch die Notenbanken unbegrenzt Liquidität zur Verfügung stellen. Das Szenario eines Politikwechsels, also einer Annullierung des Puts der Notenbanken ist äußerst unwahrscheinlich. Dazu dürfte den Akteuren der Mut fehlen, und in der Eurozone ist die Politik – allen anderslautenden Lippenbekenntnissen zum Trotz – heilfroh, dass die EZB das Schuldengebäude vor dem Einsturz bewahrt. Bleibt die Sorge vor einem Vertrauensverlust in das System. Nicht in Form einer Inflation, sondern in der Anerkenntnis, dass die Notenbanken eben nur Zeit kaufen konnten. Das Problem der Überschuldung konnten und können sie nicht lösen. Dann käme es trotz des Puts zur deflationären Welle von Pleiten und Konkursen. Ein Szenario, in dem man lieber keine Assets hält, die einem Ausfallrisiko unterliegen.
→ WirtschaftsWoche.de: „Was am Finanzmarkt zu Systemversagen führt“, 7. Juli 2016