Die EZB macht weiter wie bisher

Dieser Kommentar von mir erschien bei Cicero:

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB ist in Teilen verfassungswidrig. Wer aber glaubt, Gerichte könnten den Gang der europäischen Geld- und Wirtschaftspolitik bestimmen, der irrt.

Das Bundesverfassungsgericht hat geurteilt und die Aufregung ist groß. Das höchste deutsche Gericht mahnt an, dass die EZB transparent machen muss, wie genau sie zu ihren Entscheidungen kommt und ob sie die Nebenwirkungen ihres Handels auch ausreichend berücksichtigt hat. Dies in der Vergangenheit nicht ausreichend getan zu haben, stellt nach der Auffassung des Gerichts einen Verstoß gegen Unionsrecht dar.

Ausdrücklich kritisiert das höchste deutsche Gericht dabei die Kollegen vom Europäischen Gerichtshof: „Die Auffassung des Gerichtshofs, der Beschluss des EZB-Rates (sei) noch kompetenzgemäß, verkennt in offensichtlicher Weise Bedeutung und Tragweite des auch bei der Kompetenzverteilung zu beachtenden Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und ist wegen der vollständigen Ausklammerung der tatsächlichen Auswirkungen des Programms auf die Wirtschaftspolitik methodisch schlechterdings nicht mehr vertretbar.“

Klartext: Die Luxemburger Richter haben es sich zu leicht gemacht, als sie im Dezember 2018 der EZB Absolution erteilten. Das Urteil hat sicherlich Geschichte geschrieben. Dies aber mehr im juristischen als im wirtschaftlichen Sinne. Auch in Zukunft dürften sich die Gerichte der Mitgliedsstaaten in Einzelfällen gegen den Europäischen Gerichtshof stellen, vielleicht eine gute Nachricht mit Blick auf die nationale Autonomie.

Im wirtschaftlichen Sinne dürften die Wirkungen nicht so groß sein. Zum einen betonen die Verfassungsrichter ausdrücklich, dass sie keinen Verstoß gegen die verbotene Finanzierung der Staaten sehen. Zum anderen dürfte es den Experten der EZB leicht fallen, eine Güterabwägung zu konstruieren, die aufzeigt, dass die Alternative zum Handeln der EZB ungleich schwerere ökonomische Konsequenzen hätte. Im Zweifel den chaotischen Zerfall der Eurozone. Auch müssen Bundesregierung und Bundestag genauer hinschauen, was die EZB so treibt.

Das werden sie vielleicht, nur dass dabei etwas anderes herauskommt als in den letzten Jahren, ist auch nicht zu erwarten. Es bleibt beim Spiel des offiziellen Klagens über die „Enteignung der deutschen Sparer“ und der klammheimlichen Freude, Dank des billigen Geldes das Schaustück der „schwarzen Null“ aufführen zu können und sich um die Lösung der Eurokrise herumzudrücken.

Es geht erst richtig los

Auch für die Zukunft muss die EZB letztlich keine Einschränkungen befürchten. Schon gar nicht in Zeiten von Corona und der unweigerlich folgenden schweren Rezession. Viele Staaten der Eurozone sind viel zu hoch verschuldet, um ohne die Hilfe der EZB zu günstigen Zinsen weiter Schulden machen zu können. Deshalb auch der Streit um sogenannte Corona-Bonds. Doch was wären die Alternativen zu einer immer weitergehenden Finanzierung der Staaten durch die EZB?

Sparen und zurückzahlen – das funktioniert nicht, wie man am Beispiel Italiens beobachten kann. Trotz Sparpolitik und einem sogenannten Primärüberschuss – also einem Überschuss im Staatshaushalt vor Zinszahlungen – der deutlich über dem deutschen lag, sind die Schulden so hoch wie noch nie.

Wenig Hoffnung auf hohe Wachstumsraten

Herauswachsen aus den Schulden geht in der Theorie und war auch das Erfolgsrezept Deutschlands in den letzten Jahren. Das Problem ist nur, dass es wenig Hoffnung auf hohe Wachstumsraten gibt. Dazu sind die Schulden schon zu hoch, was das Wachstum dämpft. Die demografische Entwicklung ist zu schlecht und die Produktivitätszuwächse bleiben aus. Hier wirkt auch die zunehmender Zombifizierung der Wirtschaft negativ, eine der vielen – bekannten – Nebenwirkungen des billigen Geldes. Vermögensabgaben wären ebenfalls eine Möglichkeit, so wie sie bereits bei uns diskutiert werden. Die anderen Staaten haben keine solche Tradition und die Bereitschaft in diese Richtung zu gehen ist äußerst gering.

Schuldenrestrukturierung – eine nette Umschreibung für eine offizielle Pleite des Staates – wäre auch eine Option. Hier ist die Sorge der Eurostaaten nur zu groß, dass man, sobald es in einem Mitgliedsland passiert, Ähnliches auch in anderen erwartet. Und Kandidaten gibt es spätestens nach Corona genügend: Neben Italien sind Spanien, Portugal, Belgien und letztlich auch Frankreich auf einem Schuldenstand, der auf geordnetem Weg nicht mehr unter Kontrolle zu bringen ist.

Die letzte Option

Bleibt die letzte Option: Die EZB tut das, was auch die Bank of Japan, die Bank of England und die US-Fed tun oder tun werden: Sie geht immer mehr dazu über, die Staaten direkt zu finanzieren, natürlich über den Umweg über das private Bankensystem, um so den Anschein zu bewahren, dass es sich ja nicht um direkte Staatsfinanzierung handelt. Das genügt dann auch den Richtern in Karlsruhe. Dass es in diese Richtung geht, zeigen die Überlegungen der spanischen Regierung, den Wiederaufbaufonds für Europa mit ewigen Anleihen zu finanzieren – also mit Schulden, von denen von Anfang an klar ist, dass sie nicht getilgt werden. Was nicht offen gesagt wurde, aber implizit im Raum stand, war, wer der Käufer dieser Anleihen sein wird: ohne Zweifel die EZB.

Wir haben nicht mehr die Deutsche Mark. Wir teilen eine Währung mit 18 weiteren Staaten, die autonom über ihre Finanzen entscheiden und die überwiegend eine Tradition haben, Finanzierungsprobleme über die Notenbank zu lösen. Auch deutsche Gerichte werden das nicht verhindern können. Konkret bedeutet dies, dass wir uns darauf einstellen müssen, dass die EZB in Zukunft noch aktiver wird. Und da Euro, die in Italien geschaffen werden, überall in der Eurozone gelten, tragen wir auch die Folgen dieser Politik alle mit, ob wir nun wollen oder nicht.

Nicht klagen – mitmachen!

Damit wird deutlich, was wir tun sollten: mitmachen. Statt über Steuererhöhungen und Vermögensabgaben hierzulande zu philosophieren, sollten wir einen konkreten Vorschlag zum Umgang mit Altschulden in der Eurozone unterbreiten. In meinem neuen Buch Coronomics” rechne ich vor, wie jedes Mitgliedsland des Euro Staatsschulden in Höhe von 75 Prozent des BIP auf einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds überträgt, der von der EZB finanziert wird.

Dann wären die Staatsschulden überall wieder tragbar und wir könnten von einem deutlich tieferen Staatsschuldenniveau ausgehend endlich mehr in unser Land investieren. Inflation? Die droht bei diesem Vorgehen zunächst nicht. Mittelfristig dann schon, wenn die Staaten mit immer größeren Konjunkturprogrammen versuchen, die Wirtschaft zu beleben. Aber auch darauf können wir uns einstellen und verhindern können wir sie auch nicht. Nicht mal –das Verfassungsgericht.

→ cicero.de: “Die EZB macht weiter wie bisher”, 5. Mai 2020