Das Endspiel beginnt

Vor einigen Wochen erschien das Buch “Die Nullzins-Falle” von Roland Stöferle, Rahim Taghizagedan und Gregor Hochreiter. In ihrem Buch zeigen die Autoren sehr schön auf, wie die Politik des billigen Geldes nicht nur unser Finanzsystem, sondern auch unsere Gesellschaft zerfrisst. Durchaus lesenswert, wirft es doch einen anderen Blick auf die Diskussionen, die wir auch bei bto immer wieder führen.

Ich durfte das Vorwort zum Buch schreiben:

Am Freitag, den 6. März 2009 erreichte die Finanzkrise ihren Höhepunkt. Der breite amerikanische Aktienindex S&P 500, der schon in den Monaten zuvor dramatisch an Wert verloren hatte, fiel auf den niedrigen Stand von 666 Punkten. Ein Verlust von über 50 Prozent in weniger als 18 Monaten. Ökonomen und Börsianer sahen die Welt auf dem Weg in eine neue Weltwirtschaftskrise. Nicht unbegründet, brachen doch alle wichtigen Indikatoren der Wirtschaftstätigkeit stärker ein als 1930. Rückblickend war es der ideale Kaufzeitpunkt. Wer damals Aktien kaufte, freut sich heute über Gewinne von gut 400 Prozent.

Einmal mehr waren es 2009 die Notenbanken, die die Finanzmärkte und auch die Realwirtschaft gerettet haben. Mit einer wahren Flut an Liquidität gelang es, das völlig überschuldete Finanzsystem zu stabilisieren und den Märkten das Vertrauen zurückzugeben. Steigende Vermögenspreise waren die zwingende Voraussetzung, da nur so die Abwärtsspirale gestoppt werden konnte. Sonst wäre es zu einer weiteren Welle an Zwangsliquidationen, verfallenden Vermögenspreisen und Konkursen gekommen. Der gefürchtete Margin Call hätte zur Kernschmelze geführt.

Doch die Notenbanken, als Retter gefeiert, tragen in Wahrheit erhebliche Mitschuld an der Krise. Immer, wenn es an den Finanzmärkten oder in der Wirtschaft zu Turbulenzen kam, haben die Notenbanken der westlichen Welt schnell gehandelt. Zinsen wurden gesenkt und mehr Liquidität in die Märkte gepumpt. Anschließend wurden die Zinsen jedoch nie wieder auf das vorherige Niveau erhöht. So sanken die Zinsen über die Jahrzehnte immer tiefer. In Europa wurde dies durch die Einführung des Euro noch verstärkt, weil die EZB die Zinsen – aus Rücksicht auf das damals kränkelnde Deutschland – jahrelang zu tief hielt und somit erst den Schulden- und Immobilienboom in den heutigen Krisenländern ermöglichte.

Damit wurde es immer attraktiver, auf Kredit zu spekulieren. Denn je höher das System verschuldet ist, desto größer ist die Krisenanfälligkeit und umso bedrohlicher auch jede neue Krise. Deshalb mussten die Notenbanken immer heftiger intervenieren, was wiederum einen Anreiz gab, noch mehr Schulden zu machen, weil Kredite nochmals deutlich billiger wurden. Das Medikament, das die Notenbanken verordnen, verstärkt also die Krankheit.

Nach 2009 wurde die Dosis auf ein zuvor undenkbares Niveau gesteigert. Für über 11.000 Milliarden US-Dollar kauften die Notenbanken der USA, der Eurozone und Japans vorhandene Wertpapiere – überwiegend Staats- und Unternehmensanleihen. Mit der bekannten Nebenwirkung: Statt ein Sinken der Schuldenlast zu bewirken, haben die Notenbanken den Schuldenberg weiter aufgebläht. Die Welt ist mit über 325 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, 75 Prozentpunkte mehr als 2007. Waren es vor 2009 vor allem die privaten Haushalte, stieg in den letzten Jahren vor allem die Unternehmensverschuldung deutlich. In den USA trieben die Unternehmen den schuldenfinanzierten Rückkauf eigener Aktien so weit, dass sogar der IWF hier einen möglichen Auslöser für eine erneute Finanzkrise sieht.

Diese steigende Schuldenlast ist dabei kein Zufall, sondern zwingende Voraussetzung, um die Illusion der Bedienung der bestehenden Schulden aufrechtzuerhalten. Die Nebenwirkung gehört also dazu, wenn man unser Schuldgeldsystem eine Runde weiter bekommen möchte. Genauso wie die Nebenwirkung immer höherer Assetpreise verursacht, da Geld, das zunehmend weniger kostet, zwangsläufig die Besitzer von Vermögenswerten begünstigt. Nichts anderes steht hinter der von Piketty und Co. kritisierten Abkopplung der Vermögen von den Einkommen. Ohne zunehmenden Leverage (also Verschuldungsgrad) gibt es keine weiter steigenden Vermögenspreise. Blasen sind so gesehen keine zufälligen Ereignisse, sondern gehören zwangsläufig dazu.

Eine weitere Nebenwirkung ist die zunehmende Zombifizierung der Wirtschaft. Immer mehr Unternehmen und Banken existieren nur noch, weil Geld (fast) nichts kostet. Diese Unternehmen sind zwar nicht offiziell insolvent, sie tragen jedoch nicht zum Wachstum der Wirtschaft bei, sondern belasten die gesunden Unternehmen zusätzlich. In der Folge sinken die Produktivitätsfortschritte und damit das Wirtschaftswachstum. Zugleich wächst der deflationäre Druck. Überkapazitäten, Fehlinvestitionen und der wachsende Anteil neuer Schulden der nur dazu dient, die Zinsen auf den Altschulden zu bedienen, erdrücken die Realwirtschaft immer mehr.

Die immer höhere Verschuldung ist nur mit tieferen Zinsen tragbar. Schon vor Jahren warnte deshalb die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, dass wir Gefangene der Verschuldung sind. Tiefe Zinsen heute regen die Verschuldung weiter an, weshalb wir morgen noch tiefere Zinsen brauchen, um die Last überhaupt tragen zu können. Präziser: um weiterhin die Illusion aufrechtzuerhalten, die Schulden zu bedienen.

Wir stecken in der Nullzinsfalle. Die ökonomischen, gesellschaftlichen und sozialen Nebenwirkungen werden immer erdrückender, wie Ronald Stöferle, Rahim Taghizadegan und Gregor Hochreiter in ihrem lesenswerten Buch schreiben. Allerdings ist es undenkbar, dieser Falle ohne erhebliche Verluste zu entgehen. Wir stehen vor turbulenten Zeiten.