Das 160.000-Milliarden-Problem

Die Welt wird vermeintlich immer reicher. Die Unternehmensberatung McKinsey rechnet vor, dass die weltweiten Vermögen zwischen 2000 und 2021 um 160 Billionen US-Dollar gestiegen sind, von etwa 470 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf heute mehr als 600 Prozent.

Was sich wie eine gute Nachricht liest, gibt bei genauerer Betrachtung Anlass zu großer Sorge. Denn es sind nicht gestiegene Produktivität und mehr Innovationen, die den Reichtum haben anschwellen lassen, sondern billiges Geld, immer höhere Verschuldung und Spekulation.

Anders formuliert: Es ist eine Vermögensillusion, geschaffen mithilfe der Notenbanken, die glaubten, eine Deflation bekämpfen zu müssen, die zu keinem Zeitpunkt ein Problem darstellte. Sehenden Auges haben die Notenbanken so die Grundlage für die nächste, noch größere Krise gelegt.

Wahrscheinlich dürften nirgendwo so viele Ökonomen arbeiten wie in den Notenbanken dieser Welt. An den besten Universitäten ausgebildet, sollten sie verstehen, welche Risiken und Nebenwirkungen die Politik der Geldschwemme haben muss. Die Entstehung und Bekämpfung von Finanzkrisen ist nämlich fester Bestandteil der Ausbildung.

Der an der Universität Princeton lehrende Markus Brunnermeier hat mit seinem an der London School of Economics lehrenden Kollegen Ricardo Reis in diesen Tagen ein kleines Buch mit dem Titel „A Crash Course on Crises“ veröffentlicht, das auf den im Unterricht verwendeten Seminarunterlagen basiert. Darin geht es um die Ursachen von Finanzkrisen und die besten Instrumente zu deren Bekämpfung.

Realwirtschaft erholte sich nur langsam von der Finanzkrise

Wenngleich sich die Krisenfälle unterscheiden, lässt sich dennoch ein Muster erkennen: Kredite sind vorher fast immer günstig und reichlich vorhanden.

Weil diese Erkenntnis allein aber nicht ausreicht, um konkrete Blasen zu identifizieren und zu vermeiden, fordern die Autoren, dass die Wirtschaftspolitik das Wachstum der Kredite für Spekulation beschränken sollte. Diese Kreditart halten sie für zentral bei der Entstehung von Blasen.

Das ist das genaue Gegenteil dessen, was in den vergangenen Jahren passiert ist. Während die Realwirtschaft sich nur langsam von der Finanzkrise erholte, boomten die Vermögensmärkte und schufen die Vermögensillusion.

Der Milliardär und Investor Stanley Druckenmiller erklärte kürzlich, dass wir wohl die größte und breiteste Vermögenspreisblase der Geschichte haben. Druckenmiller ist bekannt und reich durch seine Spekulationen zusammen mit George Soros geworden, unter anderem gegen das britische Pfund.

Da ist es wenig tröstlich, dass Janet Yellen, heutige US-Finanzministerin und frühere Präsidentin der US-Notenbank, noch 2017 meinte, wir würden in unserem Leben keine weitere Finanzkrise erleben.

Angesichts der bisherigen Vorhersagequalität der Notenbanken, einer rekordhohen Verschuldung und Vermögenspreisblasen stehen die Chancen schlecht, dass sie recht behält. Die Turbulenzen der US-Banken infolge des Zinsanstiegs geben nur einen Vorgeschmack auf die Probleme, die noch vor uns liegen könnten.

Bisherige Instrumente gegen Finanzkrisen reichen nicht mehr aus

Brunnermeier und Reis wird der Stoff für eine erweiterte Auflage ihres Buchs nicht ausgehen. Vor allem die Kapitel zur wirtschaftspolitischen Reaktion auf Krisen dürften eine Erweiterung erfahren. Die bisher genutzten Instrumente zur Krisenbekämpfung sind allesamt stumpf geworden:

  • Die Abwertung der eigenen Währung würde angesichts der Tatsache, dass wir es mit einem Problem der gesamten westlichen Welt zu tun haben, in einen Abwertungswettlauf münden, der weiteren Schaden bewirkt.
  • Die Notenbanken können angesichts hoher und hartnäckiger Inflation nicht mehr so frei wie früher als Retter agieren, wollen sie nicht Gefahr laufen, dass Vertrauen in die Geldordnung zu zerrütten.
  • Die Staaten, früher in der Lage, Schulden auf die eigenen Bücher zu nehmen und Konjunkturprogramme zu fahren, kämpfen selbst mit zu hohen Schulden, einschließlich der Versorgungsversprechen für eine rasch alternde Gesellschaft, die sie nicht erfüllen können.

Die nächste Krise wird gänzlich andere, radikalere Maßnahmen erforderlich machen. Hoffen wir also auf ein Wunder. Vielleicht einen echten Wirtschaftsboom dank Künstlicher Intelligenz?

→ handelsblatt.com: “Die Zeit der Finanzkrisen ist nicht vorbei”, 4. Juni 2023