Zwischen Olaf Scholz und Alexander Hamilton liegen Welten

Wohl niemand wäre vor Kurzem noch  auf die Idee gekommen, Olaf Schulz mit Alexander Hamilton zu vergleichen. Und das nicht nur aufgrund des Werdegangs völlig zu Recht. Auch die Idee eines auf EU-Ebene aufgelegten “Wiederaufbaufonds” hat nichts mit dem Vorbild Hamiltons zu tun.

Zwei Stimmen dazu. Zunächst Hans-Werner Sinn in der F.A.Z.:

  • “Die seit 2008 schwelende Euro-Krise, die im Kern eine Wettbewerbskrise der überteuerten Länder Südeuropas ist, wird in stetem Rhythmus durch immer teurer werdende Bail-out-Aktionen der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Eurostaaten zugedeckt.” – bto: So ist es. Heimliche Schuldensozialisierung über die EZB Bilanz und Überziehungskredit bei der Bundesbank.
  • Mit den Summen wächst das Pathos. Diesmal bemühte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sogar den Vergleich mit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. In einem Interview mit der Zeit‘ zitierte er Alexander Hamilton, um eine Kreditaufnahme der EU im Umfang von zunächst 500 Milliarden Euro zu begründen (…).” – bto: Es geht um eine andere EU und den Einstieg in eine Transferunion.
  • “Das Pathos ist notwendig, um den Umstand zu überdecken, dass der EU-Kommission nach Artikel 310 und 311 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine Kreditfinanzierung ihrer Ausgaben verboten ist.” – bto: Da bin ich immer traurig, weil ich erkennen muss, dass das Festhalten an den Verträgen eine deutsche Eigenschaft ist, mit der wir ziemlich allein dastehen.
  • “Alexander Hamilton (…) hatte 1790 (…) die Schulden der Einzelstaaten zu Bundesschulden gemacht. Die Schulden sollten durch gemeinsame Importzölle bedient werden. Hamilton argumentierte, diese Schulden seien im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten (1775 bis 1783) entstanden und müssten nun auch gemeinsam getragen werden.” – bto: Corona ist ja auch irgendwie ein exogenes Ereignis. Kann man so argumentieren.
  • “Der Vergleich (…) ist schief, weil Europa anders als seinerzeit die Vereinigten Staaten noch keinen gemeinsamen Staat gegründet hat (…) Gerade Frankreich hatte sich erfolgreich gegen die gemeinsame europäische Verfassung gestemmt, weil es zwar eine Fiskalunion, nicht aber eine politische Union wollte. Außerdem ist zu bedenken, dass der amerikanische Bundesstaat die Schulden der Einzelstaaten nicht umsonst übernahm, sondern im Gegenzug die Abtretung von Gebieten verlangte.” – bto: Und jetzt bekommt Frankreich die gewünschte Lösung. Fiskalunion bei völliger Autonomie. Das ist beneidenswert, zeigt es doch die strategische Vorgehensweise.
  • “Die Vergemeinschaftung, die in den Jahren 1814 bis 1816 während des zweiten Krieges gegen die Briten nochmals wiederholt wurde, änderte das Verhalten der Einzelstaaten in einer Art und Weise, die alles nur noch schlimmer machte. Da nun Gläubiger und Schuldner davon ausgingen, dass man auch in Zukunft die Schulden der Einzelstaaten vergemeinschaften und nach Washington schieben würde, wurden in wachsendem Umfang Kredite aufgenommen (…) Die Gläubiger, die sich in der Sicherheit wähnten, dass der Zentralstaat sie schützen werde, begnügten sich mit niedrigen Zinsen, und die Schuldner waren gerne bereit, Kredit aufzunehmen, da sie nicht davon ausgingen, dass sie ihn selbst würden zurückzahlen müssen.” – bto: Das bekommen wir auch, weil das Instrument, sobald es da ist, natürlich intensiv genutzt werden wird.
  • “Im Jahr 1841 mussten Florida, Mississippi, Arkansas und Indiana ihre Zahlungsunfähigkeit erklären und stellten die Bedienung ihrer ausstehenden Anleihen ein. Andere Staaten wie Alabama, New York, Ohio und Tennessee hatten ebenfalls Zahlungsschwierigkeiten, konnten aber den formellen Konkurs gerade noch vermeiden. Insgesamt gingen neun der im Jahr 1842 existierenden 29 Staaten und Territorien der Vereinigten Staaten in Konkurs. Nichts als Streit und Unfrieden waren durch die Sozialisierung der Staatsschulden entstanden.” – bto: Aber es dauert halt. Man kann ziemlich viel Zeit kaufen, zeigt die Geschichte. Da kassiert Herr Scholz schon lange sein Pension.
  • “Der Historiker Harold James aus Princeton hat dazu lakonisch bemerkt, Hamilton habe dem neuen Staat nicht Zement, sondern Sprengstoff geliefert. In der Tat kann man eine direkte Linie vom Jahr 1842 zu dem neunzehn Jahre später einsetzenden Sezessionskrieg ziehen. Dieser Krieg ist zwar durch die ungelöste Sklavenfrage und Zollstreitigkeiten ausgelöst worden, doch die unlösbare Schuldenproblematik, so James, hat zu den Spannungen beigetragen, die sich in diesem Krieg entluden.” – bto: Beim Geld endet die Freundschaft und das sehen wir ja jetzt schon.
  • “Die Amerikaner sind aus ihrem Schaden klug geworden, denn sie reagierten darauf, indem sie strikte Schuldengrenzen für die Einzelstaaten verabredeten und der Schuldensozialisierung ein Ende bereiteten. Da ein jeder Schuldner wusste, dass er für seine Schulden selbst würde einstehen müssen, und die Gläubiger aus Angst vor dem Konkurs der Schuldner bei wachsenden Schulden höhere Zinsen verlangten, blieben Amerika weitere Schuldenexzesse auf der Ebene der Einzelstaaten fortan erspart.” – bto: wobei dort auch einige Staaten, ich denke beispielsweise Illinois, vor der Pleite stehen. Das liegt vor allem an den unterfinanzierten Pensionssystemen.
  • “(…) im Gegensatz zum Eurosystem kaufte das amerikanische System der Zentralbanken keine Anleihen der Einzelstaaten.” – bto: Das ist ein ganz wichtiger Punkt!
  • “(…) trotz der gewaltigen Schulden (…) gibt [es] Reformoptionen, die das Zerstörungswerk der Schuldensozialisierung vermeiden. Sie (…) reichen von Schuldenschnitten mit Kapitalverkehrskontrollen bis hin zu temporären Euroaustritten zum Zwecke der Währungsabwertung, wie sie in der Griechenland-Krise erwogen wurden.” – bto: Oder man geht den Weg der Monetarisierung, den ich mehrfach vorgeschlagen habe.

Fazit: Sinn hält Hamilton für das falsche Vorbild und zudem kann man festhalten, dass das, was gemacht werden soll, herzliche wenig mit Hamilton zu tun hat.

Doch nun zur FINANCIAL TIMES (FT):

  • “But how does the plan measure up against the goal of fiscal union, argued by many to be essential for the euro’s long-term survival? Fiscal union means different things to different people, but arguably there are four components: debt issuance, fiscal transfers, revenue-raising and centralised governance.” – bto: aber sicherlich auch Begrenzungen für die einzelnen Staaten, Schulden zu machen. Denn sonst kann es jeder tun und die anderen zahlen lassen.
  • “(…) Jörg Kukies, Germany’s deputy finance minister, told the Financial Times. The new element here is the proposal to pool revenue collection powers and autonomous borrowing powers at the level of the central government.‘ In multiple respects, however, the plan falls well short of Hamiltonian nation-building. There would be no mutualisation of outstanding debt. The recovery fund is intended to be a temporary measure.” – bto: Beim letzten Punkt kann ich nur lachen, denn es ist erklärtes Ziel der anderen Staaten, die Schulden zu Vergemeinschaften, also die Steuerzahler anderer Länder für die eigenen Ausgaben aufkommen zu lassen.
  • “The plan would mean the joint issuance of European debt. The European Commission has borrowed money on several occasions to help countries in difficulty, albeit not on this scale. Under this proposal, debt would be issued against future EU budget resources.” – bto: Genau darin liegt die Umverteilung.
  • “An EU bond with a triple A rating would be a safe asset, said Vitor Constâncio, former vice-president of the European Central Bank, (…) A safe asset is considered another desirable feature of fiscal union, providing a eurozone benchmark for other securities akin to US Treasury debt. But the proposed recovery fund may be too modest to make much of a difference. For the market to have a risk-free asset you need to have a lot more than €500bn to have liquidity all along the maturity curve,‘ said Erik Nielsen, chief economist at UniCredit. And an assurance that it will carry on being issued.‘” – bto: Da mache ich mir keine Sorgen. Sobald die Südländer sich durchgesetzt haben, bekommen wir schnell größere Summen – 2000 Milliarden – und es wird dauerhaft.
  • “If targeted at the worst-hit countries, €500bn, which, amounts to nearly 4 per cent of EU gross national income, could provide a chunky fiscal boost. Yet if the overall objective of the fund is to help countries avoid unsustainable debt burdens, it might not make that much difference (…) If Italy were to take €100bn from the fund, its debt-to-gross-domestic-product ratio would stand at 149 per cent at the end of next year instead of 155 per cent, according to UniCredit calculations.” – bto: Deshalb werden es viel größere Beträge. Und es zeigt auch, weshalb mein Weg der bessere wäre.
  • “To constitute a real Hamiltonian‘ moment the member states would have to go a long way and confer significant taxation powers on the EU (…) Nothing in the agreement approaches that now. (…) Already the EU is partly funded via own resources including customs duties, but additional revenue streams could help service the commission’s new debt. A truly decisive step towards fiscal union would require much larger quantities of own resources to be handed over.” – bto: Und das möchte ich mal sehen. Frankreich möchte Geld, aber sicherlich keine Autonomie aufgeben.
  • “A fiscal union would normally have a single finance minister responsible for borrowing and spending. But the Franco-German plan would do little to change the EU’s hybrid governance system. As well as approving the EU budget every seven years, national capitals also have the final say on new EU-wide taxes.” – bto: Auch das ist klar. Es ist ein Staatenbund und nur die wenigsten sehen die Vereinigten Staaten von Europa, auch Scholz nicht. Was merkwürdig ist, dass er, obwohl alle erforderlichen Voraussetzungen fehlen, bereit ist, deutsche Steuerzahler die Rechnung übernehmen zu lassen.

Auch bei der FT die Feststellung: Es ist nicht Hamilton. Was zur Frage führt, weshalb, um es mit Hans-Werner Sinn zu sagen, wir so viel Pathos brauchen. Nur um sich moralisch zu überhöhen, während man Steuergelder schlecht verwendet?

→ faz.net: “Der Hamilton-Moment”, 22. Mai 2020

→ ft.com (Anmeldung erforderlich): “Is the Franco-German plan Europe’s ‘Hamiltonian’ moment?”, 21. Mai 2020