Quo vadis Europa? – In keine gute Rich­tung, wäre die Zusam­men­fas­sung

Morgen (17. September 2023) geht es in meinem Podcast erneut um die EU. Unter dem Titel Quo vadis Europa? hat das Centrum für Europäische Politik (cep) die Lage der EU analysiert und Vorschläge für eine Reform ausgearbeitet. Abgesehen davon, dass der Titel nicht stimmt (ist die EU doch nicht ganz „Europa“), enthält die Studie dank einem klaren Blick auf die Herausforderungen wichtige Feststellungen.

Die entscheidenden Aussagen sind:

  1. Europa leidet unter einem erkennbaren Defizit an klaren Zukunftsstrategien, die eine planvolle und rationale Bewältigung anstehender Probleme ermöglichen würden.
  2. In den letzten 15 Jahren waren es weniger ‚kluge‘ politische Handlungen als vielmehr die inflationäre Politik der EZB, die das ‚Schiff Europa‘ über Wasser gehalten haben.
  3. Europa bleibt damit auch für Unternehmer und Investoren in vielen Bereichen nur ‚zweite Wahl‘, was bei Investitionsentscheidungen oftmals grundlegende Kompromisse erfordert.

Letzteres ist sicherlich eine vorsichtige und optimistische Umschreibung.

Fassen wir die Analysen zusammen.

Zunächst beschreiben die Autoren die (bekannten) externen Herausforderungen:

Fragmentierung des globalen Handels

  • „Rivalität und resilienzfokussiertes Denken stehen in einer für die Zukunft des Welthandels bedrohlichen Wechselwirkung. Denn resilienzsteigernde Maßnahmen könnten, sofern sie tatsächlich zu geografischen Verschiebungen in der Beschaffung führen, Gegenreaktionen der bislang dominierenden Anbieter provozieren (z.B. Preiskämpfe, Exportsubventionen) und so bestehende Frontstellungen noch verhärten. Bei den zukünftig kritischen Technologien und Rohstoffen ist hier insbesondere an die Bestrebungen des Westens zur teilweisen Entkopplung von China zu denken. Wachsende Konfrontation wiederum erhöht aus Sicht der Importländer das Versorgungsrisiko und motiviert so erst recht zu Entkopplung. Europa ist noch dabei, in dieser neuen handelspolitischen Tektonik seinen Platz zu suchen und droht zwischen der sich verhärtenden Frontstellung USA-China zerrieben zu werden. Die EU-Mitglieder stehen vor der Aufgabe, bestehende Wettbewerbspositionen auf wichtigen Exportmärkten zu verteidigen und zugleich den Anschluss an technologisch wichtige Zukunftsmärkte zu wahren.“ – bto: Und die Zweifel daran, dass die EU diesen Wandel besteht, sind mehr als berechtigt.

Wachsende Schäden durch den Klimawandel

Hier müssen die Autoren natürlich etwas kommentieren. Ich denke, dass das Risiko eher in der Klimapolitik der EU liegt als im Klimawandel. Nein, ich bin kein Leugner des Klimawandels, ich bin nur immer noch dafür, effiziente und effektive Maßnahmen zu ergreifen.

Die Autoren:

  • „Im Zeitraum 1980-2021 beliefen sich die wirtschaftlichen Schäden aufgrund des Klimawandels auf ca. 560 Mrd. EUR (Werte für 2021). Hiervon entfallen auf „hydrologische Ereignisse“ (Überschwemmungen) über 45 % und auf ‘meteorologische Ereignisse’ (Stürme, Blitzschlag, Hagel, Erdrutsche) fast ein Drittel. Bei ‘klimatologischen Ereignissen’ waren Hitzewellen für über 13 % der Gesamtschäden verantwortlich, während die restlichen ca. 8 % durch Dürren, Waldbrände und Kältewellen verursacht wurden. Zu den teuersten Ereignissen zählen die Überschwemmungen im Sommer 2021 in Deutschland und Belgien.“ – bto: Ob gerade die Flutschäden in Deutschland auf den Klimawandel zurückzuführen sind oder nicht vielmehr auf das Bauen in bekannten Risikogebieten und schlechtes Risk Management, wäre zu diskutieren …
  • „In der Gesamtschau wird deutlich, dass angesichts des globalen Charakters des Klimasystems und der zahlreichen Wechselwirkungen des Klimawandels mit anderen Elementen der Atmos-, Hydro-, Geo-, Bio- und Anthroposphäre alle Maßnahmen zu seiner Bewältigung sowohl durch die Vermeidung und Reduktion von Treibhausgasemissionen (Mitigation) als auch durch Anpassungsmaßnahmen (Adaptation) – diese sphären-, sektor- und grenzüberschreitenden Interdependenzen zwingend durch einen systemisch-ganzheitlichen Ansatz mit berücksichtigen müssen.“ – bto: Was heißt, ohne eine weltweite Kooperation bringt es nichts.

Globaler Technologiewettlauf

Auch den Autoren ist klar, dass die EU bei den Zukunftstechnologien immer mehr abgehängt wird:

  • „Entscheidende Impulse für einen verschärften globalen Innovationswettbewerb gingen in jünger Zeit von China aus. Ein wesentlicher Ausdruck davon ist der ehrgeizige Langfristplan ‘Made in China 2025’ der Regierung, mit dem China schrittweise bis 2049 zur global führenden Industrienation aufsteigen will. Im Kern steht die Stärkung der Innovationskraft, mit Fokus auf zehn Schlüsselindustrien. Im Bereich der Forschungsaktivitäten hat die Volksrepublik mittlerweile den Anschluss an die Weltspitze gefunden. (…) Der jüngst erschienene Critical Technology Tracker des Australian Strategic Policy Institute (ASPI) identifiziert auf Basis einer Analyse wissenschaftlicher Publikationen China als globalen Leader im Bereich High-impact-Forschung bei 37 von 44 betrachteten kritischen Technologien. Bei insgesamt 25 dieser Technologien sehen die Autoren ein mittleres bis hohes Risiko für eine zukünftige Monopolstellung Chinas, darunter anerkannte Schlüsseltechnologien wie Batterien, Photovoltaik und Nanotechnik. Bei den restlichen sieben Technologien – v.a. aus dem Bereich Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT)) – werden die USA als Leader identifiziert.“

Die USA haben bekanntlich reagiert:

  • „Die USA gehen in ihrem Inflation Reduction Act den Weg der dezentralen Anreize für private Investitionen durch Zuschüsse und Steuergutschriften. Das Oberziel ist aber dasselbe: Aufbau und Sicherung heimischer Produktionskapazitäten in Zukunftsbranchen mit hohem Innovationspotential.“

Und Europa:

  • „Für das Geschäftsmodell Europas bedeutet der verschärfte Technologiewettbewerb eine strategische Herausforderung. In der Vielfalt an Zukunftstechnologien gilt es, den für Europa richtigen Mix aus Innovations- und Adoptionsstrategien zu finden. Das Ziel einer globalen Technologieführerschaft auf breiter Front erscheint dabei unrealistisch, angesichts des bestehenden Vorsprungs Chinas und der USA.“ – bto: Interessant. Ich würde sagen angesichts von 44 kritischen Technologien, von denen keine einzige (siehe oben!) von Europa dominiert wird, sind wir offensichtlich komplett abgehängt.

Die Forderung der Autoren:

  • „Die Aufgabenstellung für Europa in einer sich technologisch neu aufstellenden Weltwirtschaft besteht damit v.a. in der klugen Fokussierung. Eigene Forschungsressourcen sollten vorrangig in den Ausbau sich abzeichnender komparativer Vorteile fließen, bestehende interne Innovationshemmnisse beseitigt werden.“ – bto: Ich würde sagen: Wir brauchen eine massive Qualitätssteigerung in der Bildung. Siehe Podcast vom letzten Wochenende!

Neue Rohstoffbedarfe

Wir wissen, Rohstoffe entscheiden über die Zukunftsfähigkeit:

  • Der anstehende Übergang in ein postfossiles Zeitalter bedeutet nicht nur den Verzicht auf Öl und Gas, sondern schafft auch neue Rohstoffbedarfe. Ob Batterien, Glasfaserkabel oder Brennstoffzellen: Die für unseren zukünftigen Wohlstand unverzichtbaren Schlüsseltechnologien sind auf die besonderen Eigenschaften bestimmter Materialien zugeschnitten. Dabei handelt es sich zumeist um seltene Metalle, die technisch nur schwer oder gar nicht ersetzbar sind.“ bto: Das ist in der Tat ein erhebliches Problem. Vor allem, wenn man diese – wie Europa – nicht besitzt.

Richtig große Vorschläge zur Lösung dieses Problems haben die Autoren naturgemäß auch nicht:

  • Der EU muss es gelingen, stabile Handelsbeziehungen zu rohstoffreichen Drittstaaten aufzubauen. Über einen guten Mix an strategischen Partnern kann die EU nicht nur Abhängigkeiten im Rohstoffzugang reduzieren. Technologiekooperation und gemeinsame Finanzinstrumente bieten auch die Chance, Teile der Wertschöpfungsketten im EU-Raum zu verankern. Auch die Entwicklung und Durchsetzung allgemein anwendbarer Umweltstandards lässt sich am besten in Zusammenarbeit mit erfahrenen Partnern vorantreiben. Parallel dazu sollte der Auf- bau von Kapazitäten zur Gewinnung von Sekundärrohstoffen beschleunigt werden. Weitere Steigerungen des Recyclingaufkommens bei den seltenen Metallen sind dafür essenziell, insbesondere über eine Erhöhung der Sammelquoten.“ bto: Tja. Ich würde die Förderung in Europa und auch den Ausbau der Kernenergie dazuzählen.

KI als Game Changer

  • „Für Europa wird KI zum Game Changer, da sie nicht nur das Rückgrat der angestrebten grün-digitalen Wirtschaftstransformation bildet, sondern auch dazu beitragen kann, den Klimawandel zu bekämpfen, das Gesundheits- wesen an den demografischen Wandel anzupassen und die Resilienz von Lieferketten durch Echtzeitüberwachung und effizientere Lagerverwaltung zu stärken. Forscher gehen davon aus, dass der Einsatz von KI für Umweltanwendungen bis zum Jahr 2030 einen ökonomischen Mehrwert von bis zu 5,2 Bio. USD leisten und die weltweiten Treibhausgasemissionen um 4 % senken könnte.“ – bto: Das ist ja interessant. Vier Prozent. So viel? Es wäre nur dann ein „Game Changer“, wenn die EU im Gegenzug Geld für den Green Deal sparen und sinnvoller einsetzen könnte.
  • „Dieser Trend zu mehr KI-Anwendungen hat erhebliche volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Auswirkungen. KI könnte die Arbeitsproduktivität in den meisten EU-Volks- wirtschaften bis 2035 um bis zu 40 % steigern. Nimmt man Europas derzeitige Vermögenswerte und seine relative Position im Digitalbereich als Ausgangspunkt, entstünden aus einer vermehrten KI-Adaption bereits bis 2030 rund 2,7 Bio. Euro, was einer Steigerung der europäischen Wirtschaftsleistung von 19 % entspräche.“ – bto: Was voraussetzt, dass KI in der EU überhaupt eine Chance hat.

Ausführlich gehen die Autoren auf den Vorsprung der USA und China ein und erläutern den Ansatz der EU vor allem auf Regulierung zu setzen. Die Schlussfolgerung überrascht demnach nicht:

  • „(…) europäische Unternehmen werden aufgrund ihres relativen Wettbewerbsnachteils gegenüber amerikanischen und chinesischen Akteuren und aufgrund der Menge an Daten, Rechenressourcen und Talenten, die für die Entwicklung dieser Systeme erforderlich sind, vermutlich nicht in naher Zukunft führende KI-Systeme ersetzen können. Stattdessen werden europäische Unternehmen weiterhin von Systemen und Datensätzen abhängen, die in anderen Wirtschaftsregionen entwickelt werden (…).  Eventuell könnte Europa einen komparativen Vorteil erlangen, wenn es den EU-Mitgliedstaaten gelingt, die detaillierten Vorschriften umzusetzen und dadurch Vertrauen in neue KI-Technologien zu schaffen und Investitionen und Talente anzuziehen.“ bto: Ich bezweifle, dass Regulierung Talente anzieht. Vor allem, wenn diese Regulierung die Gewinnmöglichkeiten deutlich einschränkt.

Gefährdung kritischer Infrastruktur

Die Autoren beschreiben den Stand der verschiedenen Initiativen in den USA, China und der EU zur Erhöhung der Sicherheit vor allem von technologischer Infrastruktur. Die EU hat viele Regularien erlassen – ob diese wirklich etwas bringen, bleibt offen.

Doch wie ist die EU aufgestellt, um diesen Problemen zu begegnen?

Dem gehen die Autoren im nächsten Kapitel unter dem Titel Interne Strukturprobleme der EU nach:

Bedrohung des Grundkonsens

  • „Die letzten Jahre sind durch eine Zunahme an politischer Konfrontation zwischen den EU-Mitgliedstaaten gekennzeichnet. Das betrifft nicht nur regulatorische Detailfragen oder die strategische Ausrichtung der EU, sondern berührt mittlerweile auch die Grundwerte der europäischen Gemeinschaft. Die Grundwerte der EU sind gemäß Art. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) die „Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte“. Zwei Mitgliedstaaten stehen im Zentrum der Kontroverse: Polen und Ungarn.“ bto: Die Themen sind bekannt. Wobei ich sagen würde, dass es zum Teil eine Entwicklung in der EU gibt, wo sich mehr Staaten zumindest beim Thema der Migration in Richtung der Haltung Ungarns bewegen.

Die EU wird durch diese Konflikte zweifellos in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt:

  • „Der Konflikt berührt die Grundfesten der EU, sowohl hinsichtlich der Verteilung der Entscheidungskompetenzen zwischen Brüssel und der nationalen Ebene als auch der Natur der Grundrechte der EU-Bevölkerung. Die Vertreter beider Regierungen bekunden mittlerweile sehr offen, dass sie die EU in dieser Hinsicht grundlegend reformieren wollen. Damit erreicht die Auseinandersetzung die Ebene elementarer gesellschaftlicher Fragen wie das Verhältnis von Individuum, Staat und Religion – und so letztendlich das Menschenbild. Der EU bleibt gar nichts anderes übrig, als hierauf mit dem ihr zur Verfügung stehenden Sanktionsinstrumentarium zu reagieren, will sie ihre Glaubwürdigkeit bewahren. Als einzig denkbarer langfristiger Ausweg aus dem Konflikt erscheint eine durch Wahlen ausgelöste Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse in Ungarn und Polen selbst.“ bto: Das lassen wir an dieser Stelle einmal so stehen.

Langwierigkeit von Entscheidungsprozessen

  • Ist die Entscheidungsfindung bereits innerhalb demokratisch verfasster Nationalstaaten tendenziell komplex und langwierig, so gilt dies erst recht für die Kooperation zwischen den derzeit 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das hat nicht nur mit den zunehmend anspruchsvollen Herausforderungen zu tun, mit denen die EU konfrontiert ist, sondern ist vielmehr strukturell angelegt. Die EU umfasst mit ihren 27 Mitgliedern 1. eine große Zahl an Mitgliedstaaten, die zudem 2. in nahezu jeder Hinsicht – Fläche, Bevölkerungsgröße, Demografie, Wirtschaftskraft, politischen Einstellungen, historischen Erfahrungen, Religion, Geographie, Klima etc. – sehr heterogen sind. Im Mehrebenen-Governance-System dieses Staatenverbunds bildet die EU die oberste Ebene, deren Entscheidungen insbesondere in Form von Rechtsakten – Verordnungen und Richtlinien – mitunter weitreichende Rechtswirkungen für ihre Mitgliedstaaten sowie deren Bevölkerung und Unternehmen haben. bto: Vor allem auch deshalb, weil die EU immer mehr Kompetenzen an sich heranzieht. Wie stark die Regelungen der EU wirken, dürften wir demnächst am Gebäudeenergiegesetz sehen – faktisch eine Enteignung vieler Bürger.

Wirkliche Hoffnung auf Besserung gibt es nicht:

  • Es liegt in der Natur der Sache, dass angesichts der Heterogenität der EU-Mitgliedstaaten der hierfür erforderliche Koordinations- und Abstimmungsaufwand erheblich ist und entsprechend Zeit in Anspruch nimmt. Dass sich dieses interne Strukturproblem der EU bei einer künftigen Aufnahme weiterer Mitgliedstaaten weiter verschärfen dürfte, liegt auf der Hand.“ – bto: Ich würde weiter gehen. Je deutlicher der Rückstand der EU wird und je spürbarer der dann nicht nur relative Niedergang des Wohlstandsniveaus, desto größer werden die Konflikte werden.

Übermäßige Bürokratie als Innovationshemmnis

  • „Im letzten Doing Business Index der Weltbank lagen die EU-Mitgliedstaaten im globalen Vergleich im Durchschnitt nur auf Rang 39. Dabei zeigt sich zugleich eine große Spannweite zwischen Dänemark (Rang 4) und Malta (Rang 88). Insbesondere die skandinavischen und die baltischen Länder kamen auf gute Bewertungen. Im EU-Durchschnitt wurde der Gründungsprozess als größte Baustelle bewertet. Auch im Hinblick auf Dauer und Kosten der notwendigen Anmeldeprozeduren wurden deutlich höhere Werte gemessen als in vielen wohlhabenden Nicht-EU-Ländern. Zudem spielen in der eigenen Wahrnehmung der Start-up-Szene Bürokratiekosten eine wichtige Rolle. In der jüngsten Ausgabe des Start-up Monitors, einer regelmäßigen, groß angelegten Umfrage unter deutschen Start-ups, nannten fast 90 % aller Befragten eine Beschleunigung und Vereinfachung von Verwaltungsabläufen als eine ihrer wichtigsten Erwartungen an die Politik.“ – bto: Es ist natürlich in Deutschland ein großes Thema, aber die EU macht es nicht leichter. Umso beeindruckender ist die Leistung Dänemarks in dieser Hinsicht.

Hohe Energiepreise

Dieser Punkt darf nicht überraschen. Natürlich sind die hohen Preise für Energie ein massives Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung.

  • Ein weiteres kostenseitiges Hemmnis stellen die im weltweiten Vergleich hohen Energiepreise in Europa dar, die 2022 in Folge des russischen Überfalls auf die Ukraine geradezu explodierten. Trotz der schnellen Kriseninterventionen der EU ist derzeit nicht erkennbar, dass diese auf ihr Vorkrisenniveau zurückfinden. Denn die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern kann auch bei stärksten Anstrengungen nicht kurzfristig beendet werden. Hohe Kosten für importierte Energieträger belasten nicht nur unmittelbar die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandortes Europa, sondern schwächen auch die für die Finanzierung von Zukunftsinvestitionen dringend notwendige heimische Kapitalakkumulation.“ – bto: Vor allem führt eine Abkehr von den fossilen Energien keineswegs niedrige Energiepreise …

Was zur realistischen Einschätzung führt:

  • Europas Politik wird deshalb auch in den nächsten Jahren noch zu kreativen Lösungen gezwungen sein, die den Schutz von Unternehmen und Verbrauchern mit der Förderung von Energiesparanreizen und der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Energiemärkte unter einen Hut bringen.“ bto: Man wird eine Kehrtwende vollziehen und weiter fossile Energien und mehr Kernenergie verwenden.

Demografischer Wandel

Auch das ist jetzt keine überraschende Information:

  • „Gemäß der jüngsten Langfristprojektionen von Eurostat soll die Bevölkerung in den EU-Ländern noch bis zum Jahr 2026 anwachsen und dann langsam, aber kontinuierlich schrumpfen. Dabei geht Eurostat für die Zukunft von weiter sinkenden Geburtenraten und einer weiter steigenden Lebenserwartung aus. Als Folge wird ein deutlicher Anstieg des Altenquotienten erwartet, von 33 % im Jahr 2022 auf 38 % im Jahr 2030 und sogar 50 % im Jahr 2050. Besonders drastisch fallen die erwarteten Anstiege für Spanien und Griechenland aus, dort soll sich der Altenquotient bis 2050 nahezu verdoppeln. Für die Zeit nach 2050 wird eine Fortsetzung dieses Trends erwartet.“ – bto: Das ist – wie gesagt – bekannt. Die daraus erwachsenden Finanzierungsprobleme der Staaten ebenfalls. Hinzu kommt der Migrationsdruck aus den Nachbarregionen mit allen damit verbundenen Problemen.
  • „Für Europa hat die erwartete demografische Entwicklung schwerwiegende wirtschaftliche, soziale und politische Konsequenzen. Ein Rückgang der Zahl an Personen im erwerbsfähigen Alter belastet unmittelbar die Produktionskapazitäten und damit die volkswirtschaftlichen Wachstumspotentiale. Bereits heute schlägt sich dies in einem Mangel an Fachkräften in einigen zukunftsrelevanten Branchen und Berufsgruppen nieder. Die Analysen der Europäischen Arbeitsbehörde (ELA) weisen auf verbreitete Knappheiten insbesondere in einigen derjenigen Berufsfelder hin, die für Zukunftstechnologien große Relevanz besitzen. So wurde für die Gruppe der MINT-Berufe generell eine besonders starke Tendenz zur Arbeitskräfteknappheit konstatiert.“ – bto: Dem könnte man mit einer Bildungsinitiative begegnen. Doch stattdessen konzentriert man sich auf die Weltrettung im Alleingang. Was für eine Ignoranz und Arroganz.

Der Euro als politische Handlungsrestriktion

Hier hätte ich jetzt erwartet, dass die Autoren das Offensichtliche sagen: dass der Euro ein, wenn nicht gar der, historische Fehler war, der die EU letztlich zum Scheitern bringt. Doch so deutlich trauen es sich die Autoren dann nicht zu sagen:

  • „Die Europäische Währungsunion ist auch heute kein sogenannter ‚optimaler Währungsraum‘. Er muss also speziell in Krisen geld- und fiskalpolitisch stabilisiert werden. Aus dem Jahr 2012 stammt der bis heute berühmte Satz des damaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) Mario Draghi: ‚Within our mandate, the ECB is ready to do whatever it takes to preserve the Euro. And believe me, it will be enough.‘ Dieser Satz hat seitdem die europäische Politik wesentlich bestimmt. Neben der fiskalischen Umverteilung, die dafür erforderlich ist, hat sich das politische Verhandlungsgleichgewicht verschoben. So mag der Brexit, so nachteilig er für Großbritannien selbst sein mag, nicht zuletzt, obgleich kein Mitglied der Währungsunion, durch deren Krise mit ausgelöst worden sein. Der Brexit wiederum hat das politische Gleichgewicht in der EU verschoben, u.a. zuungunsten Deutschlands und anderer eher stabilitätsorientierter Länder.“ – bto: Das ist eine Aussage, der man – ich – nur vollumfänglich zustimmen kann!

Doch was ist zu tun? Die Autoren definieren im nächsten Kapitel verschiedene zentrale“ Handlungsfelder. Diese orientieren sich an den externen Herausforderungen:

Handelspolitik

Drei Säulen werden hier definiert:

  • „Die erste Säule (‚Gründung strategischer Clubs‘) besteht in der Fortsetzung der gegenwärtigen Politik der vertieften Integration mit bereits heute wichtigen Handelspartnern. Dabei sollte der Fokus zukünftig besonders auf der Schaffung fairer Wettbewerbsregeln liegen, die eine ökonomisch sinnvolle Spezialisierung der Partner ermöglichen und zugleich die anstehenden technologischen Transformationsprozesse beschleunigen. Das setzt voraus, dass zukünftige Abkommen auch eine engere Abstimmung von Maßnahmen im Bereich Forschungs- und Technologieförderung vorsehen. Abstimmungsbedarf besteht auch im Feld der Klimapolitik, insbesondere bei der für den clubinternen Wettbewerb wesentlichen Frage der CO2-Bepreisung.“ – bto: Nachdem wir es nicht einmal geschafft haben, mit den USA ein Freihandelsabkommen abzuschließen (wegen der berühmten „Chlorhühnchen“), darf man skeptisch sein.

Säule 2:

  • „Die zweite Säule (‚Stärkung Konnektivität‘) besteht in der Verringerung der Distanz zu bislang wenig in EU-Lieferketten eingebundenen, aber zukünftig als Partner attraktiver werdenden Drittstaaten. Die Attraktivität kann im Ressourcenreichtum (Rohstoffe, Humankapital, Innovationskraft), aber auch in der geopolitischen Bedeutung oder den Absatzpotentialen begründet sein. Auch Distanz kann hier mehrdimensional verstanden werden: Neben der zeitlichen-räumlichen Distanz des Gütertransports und seiner Kosten spielen auch die institutionelle (unterschiedliche politische Systeme und gesellschaftliche Werte) und die regulatorische (Unterschiede in Regulierungsphilosophie und -intensität) Distanz für die Handelsbeziehungen erwiesenermaßen eine wichtige Rolle.“ – bto: Kompliziert formuliert, hofft man auf weitere Handelspartner. Diese sind jedoch, wie wir wissen, sehr umworben und Europa operiert aus einer Position der Schwäche, nicht der Stärke.

Säule 3

  • „Die dritte Säule (‚Erhöhung multilateraler Einfluss‘) zielt auf die langfristige Stärkung des Einflusses der EU auf die Welthandelsordnung ab. Gemeinsam mit ihren Partnern sollte die EU auf eine grundlegende Reform der WTO hinarbeiten.“ – bto: Da die EU gleichzeitig mit dem Klimazoll („CO2-Grenzausgleichsmechanismus“) gegen die WHO-Regeln verstoßen will, dürfte auch das mehr Hoffnung als Realität sein!

Klima- und Energiepolitik

Nach dem bisher gesagten müsste man erwarten, dass die Autoren eine grundlegende Kehrtwende fordern und vor allem auf Bildung, Innovation und Technologie setzen, um den Niedergang der Region aufzuhalten. Doch leider ist dem nicht so: Die Autoren fassen ausführlich alle Handlungen der EU zusammen und stellen das Ziel der Dekarbonisierung und vor allem den Weg, wie diese erreicht werden soll, nicht in Frage.

Nicht einmal den deutschen Atomausstieg. Dazu nur Folgendes:

  • „Jeder Mitgliedstaat behält jedoch angesichts unterschiedlicher Gegebenheiten und Präferenzen insbesondere das Recht, ‚die Bedingungen für die Nutzung seiner Energieressourcen, seine Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung zu bestimmen‘. Folglich kann z.B. Deutschland aus der Atomkraft aussteigen, während andere Mitgliedstaaten wie Frankreich sie weiter ausbauen dürfen. Vor diesem Hintergrund ist die europäische Klima- und Energiepolitik grundsätzlich von der Spannung zwischen zunehmender europapolitischer Integration einerseits und dem energiepolitischen Souveränitätsvorbehalt der Mitgliedstaaten andererseits geprägt.“ – bto: Das genügt nicht. Man kann nicht einerseits die hohen Energiekosten kritisieren, dann aber ein „Weiter so“ propagieren.

Technologiepolitik

Innovation und Technologie werden leider nur mit Blick auf den Klimaschutz definiert:

  • „Die europäische Politik im Bereich Adoption neuer Technologien ist gegenwärtig stark auf die Verbreitung der für den Übergang in eine emissionsarme Produktionsweise erforderlichen Produktionstechnologien ausgerichtet. Mit ihrem Green Deal Industrial Plan möchte sie die Skalierung sogenannter ‚Netto-Null‘-Technologien in der Europäischen Industrie voranbringen. Zu diesem Zweck sollen zum einen die Mitgliedstaaten zusätzlichen rechtlichen Spielraum für die Leistung von Investitionsförderung an ihre nationalen Unternehmen bekommen. Zum anderen sollen EU-weit grüne Investitionsprojekte unter bestimmten Voraussetzungen als strategisch definiert und bei Genehmigungsverfahren und Zugang zu Finanzhilfen priorisiert werden.“ – bto: Die naheliegende Frage, ob es sinnvoll ist, sich technologisch auf ein Thema zu beschränken, wird nicht gestellt.

Rohstoffpolitik

Passend zu den definierten Herausforderungen dann auch die Antworten im Bereich der Rohstoffpolitik. Drei Säulen werden auch hier definiert:

  • „Deren erste Säule ist die Etablierung strategischer Partnerschaften mit rohstoffreichen Drittstaaten. Die EU hat bereits eine Reihe ressourcenbezogener Partnerschaftsvereinbarungen geschlossen, und zwar mit Ägypten, Aserbaidschan, Kanada, Kasachstan, Marokko und der Ukraine. Die modernisierte Fassung des Freihandelsabkommens mit Chile soll ebenfalls ein Kapitel zur Rohstoffkooperation enthalten. Die bislang getroffenen Vereinbarungen haben aber lediglich den Charakter von Absichtserklärungen, die nur grob die Bereiche der zukünftigen Rohstoff-Zusammenarbeit skizzieren. Für die Zukunft wird es darauf ankommen, diese Kooperationen mit Leben zu füllen.“ – bto: Was bedeutet, diese Ressourcen vor den Chinesen und Amerikanern zu bekommen. Good luck.

Säule 2 ist nicht weniger schwach:

  • „Die zweite wichtige Säule ist der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft für kritische Mineralrohstoffe. Um den Aufbau von Märkten für Sekundärrohstoffe zu unterstützen, sind sowohl angebots- als auch nachfrageseitige Impulse erforderlich. Angebotsseitig müssen die Sammelquoten von Altprodukten erhöht werden. Nachfrageseitig müssen Anreize zum Einsatz recycelter Rohstoffe in der Produktion erhöht werden. Auch die Erhöhung des Reifegrads von Recycling-Technologien durch Forschung ist ein wichtiger Baustein.“ – bto: Wir wissen, dass dieses Recycling zum Teil sehr aufwändig ist und auch viel (günstige) Energie erfordert!

Und Säule 3 setzt darauf, den Materialbedarf zu senken:

  • „Die dritte Säule besteht in der Förderung nachfrageseitiger Innovation. Durch Prozessoptimierung sollten die Bedarfe an kritischen Rohstoffen langfristig reduziert werden. Verbesserungen in der Materialeffizienz, aber auch der komplette Ersatz kritischer durch weniger kritische Rohstoffe wären mögliche Wege.“ – bto: Auch hier ist die Frage, ob die Technologie sich wirklich zum Exportschlager eignet. Denn was sich bei uns rechnet, rechnet sich in vielen Schwellenländern noch jahrzehntelang nicht.

Sicherheitspolitik

Auch hier lassen es die Autoren mit der Wiedergabe der Pläne der EU-Kommission bewenden. Ich fand es nicht lohnend, es hier zusammenzufassen.

Und was ist nun das Fazit der Autoren?

  • „Unternehmer und Investoren sollten sich von diesen Überlegungen aber nicht abschrecken lassen, sondern trotz allem – rational und ohne Naivität – mögliche Chancen in Europa aufspüren und aktiv nutzen, denn: Nur so kann Europa einen erfolgreichen Weg in die Zukunft finden. Damit wird die Eingangsfrage – ‚Quo vadis, Europa?‘ – zu einer individuellen Frage, die jeder Unternehmer und Investor für sich selbst nach bestem Wissen beantworten muss.“ – bto: Wer nach dieser Lektüre noch glaubt, die Zukunft läge in der EU, der muss ein grenzenloser Optimist sein – oder aber darauf hoffen und setzen, von der EU-Planwirtschaft mit vielen Geldern verwöhnt zu werden!

cep.eu: „Quo vadis Europa?“, 8. August 2023