“Das deutsche Spardiktat ist ein Mythos”
Die NZZ hat Lars Feld interviewt, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung. Er hält das “deutsche Spardiktat” für einen Mythos.
- “Wir haben in der EU Regeln für die Finanzpolitik. Diese sind aber so löchrig, dass man kaum dagegen verstoßen kann. Die Defizitgrenze von 3 %, gemessen an der Wirtschaftsleistung, oder die Schuldenquote von 60 % haben zwar eine gewisse Signalfunktion. Doch das Kleingedruckte dazu füllt mittlerweile über 200 Seiten eines Vademecums der EU-Kommission. (…) Von Strenge kann da – leider – nicht die Rede sein.” – bto: Wir wissen ja, dass Frankreich nie bestraft wird. Es ist allerdings auch nicht nur ein Staatsschuldenproblem.
- “Die deutsche Regierung hat zunächst mit bilateralen Krediten und anschließend über die europäischen Rettungsfonds dafür gesorgt, dass Griechenland und andere Länder sich weiter finanzieren konnten. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als Private nicht mehr bereit waren, diesen Ländern frisches Geld zu leihen. Die eigentlich nötigen Sparanstrengungen wurden durch diese Hilfen gemindert. Länder wie Griechenland konnten dadurch essenzielle öffentliche Funktionen aufrechterhalten.” – bto: Das stimmt. Wir haben geholfen, den Konkurs zu verschleppen.
- “Nach unseren Berechnungen sind die Kapazitäten in der Euro-Zone im Schnitt voll ausgelastet. Hinzu kommen die Einsparungen aufgrund geringer Zinsausgaben. In einer solchen Situation müssten die Länder Überschüsse erzielen und damit Schulden tilgen.” – bto: Derweil diskutiert darüber, dass die EZB die Kapazitäten nicht ausgelastet seien!
- “Dass man in einem Land mit einer älter werdenden Bevölkerung die Tendenz hat, mehr Geld im Ausland anzulegen, kann einen nicht wundern. Dies gilt auch für die Unternehmen. Sie investieren ihre Gewinne im Ausland, weil sie in Asien oder in den USA eine dynamischere Wirtschaft vorfinden als zu Hause.” – bto: übersetzt: Der Handelsüberschuss ist berechtigt und kein Problem.
- Der IWF will “Deutschland dazu bewegen, einen Teil seiner Wettbewerbsfähigkeit abzugeben, damit es die anderen Länder der Euro-Zone leichter haben. Wenn solche Äußerungen kommen, rede ich nicht mehr vom Internationalen, sondern vom französischen Währungsfonds. Es kommt schon darauf an, wer an der Spitze sitzt. Und beim Währungsfonds ist das mit Christine Lagarde die ehemalige Wirtschafts- und Finanzministerin Frankreichs”. – bto: siehe auch meinen Kommentar zu Lagarde. Unglaublich, dass sie, obwohl der IWF berechnet hat, dass eine Transferunion nicht funktioniert, diese durchdrücken will.
- “(…) der Exportüberschuss (würde sich reduzieren), wenn Deutschland für private Investitionen attraktiver würde. Das geschieht indes nicht, wenn man einfach die Löhne erhöht, wie sie es fordern. Das geschieht auch nicht, wenn der Staat noch mehr Geld ausgibt. Im Gegenteil, der Staat sollte sich etwas zurücknehmen. Deutschland hat etwa mit den hohen Stromkosteneinen Standortnachteil. Und bei den Unternehmenssteuern steht nur noch Frankreich schlechter da.” – bto: Allerdings sparen unsere Unternehmen auch zu viel. Mit Blick auf die Demografie darf man gar nicht hier investieren!
- “In der Euro-Zone gibt es einen nennenswerten Exportüberschuss nur mit Frankreich. Außerhalb der Euro-Zone trifft dies auf Großbritannien und die USA zu. Bei Großbritannien und vor allem den USA hat das mit ihrer Rolle als Finanzzentren zu tun. Exportüberschüsse sind ja gleichbedeutend mit dem Anlegen von Ersparnissen im Ausland.” – bto: Und beide könnten wegen Brexit und Trump in Zukunft weniger abnehmen, das zeigt die Gefährdung!
- “Sie (setzen) voraus, dass es die Lohnzurückhaltung war, die zum deutschen Exporterfolg geführt hat. Dies lässt sich aber nicht nachweisen. Der Aufstieg der Exportwirtschaft rührt laut verschiedenen Studien nicht von niedrigeren Löhnen her, sondern liegt an der hohen Qualität, die die deutsche Industrie liefert. Die Lohnzurückhaltung hat hingegen die Arbeitslosigkeit im Inland reduziert.” – bto: Das stimmt. Allerdings ändert es nichts an dem Problem, dass wir unser Geld völlig falsch anlegen.
- “Der Euro wirkte wie eine Peitsche. Deutschland verlor durch die Währungsunion mit einem Mal seinen Zinsvorteilgegenüber den anderen Euro-Staaten. Das Land hat dann – auch wegen des Drucks, der aus der Wiedervereinigung kam – Reformen durchgeführt. Das war nicht nur die «Agenda 2010» unter Rot-Grün. Wichtig war im Weiteren auch, dass in Tarifverträgen betriebliche Bedürfnisse stärker berücksichtigt wurden. Dazu kam eine kräftige Steuerentlastung unter Kanzler Gerhard Schröder. Im Resultat lohnt es sich seither für deutsche Firmen viel mehr, im Ausland zu investieren.” – bto: Gut ist, dass er offen die Nachteile des Euro anspricht. Die Investitionen im Ausland sind ein interessanter Punkt. Ich denke, es liegt mehr an den Nebenwirkungen der demografischen Entwicklung.
- “Der Risikoausgleich in der Währungsunion im Sinne einer Versicherung sollte jedoch vielmehr über den privaten Sektor laufen, also über die Faktor- und Kreditmärkte. Darunter verstehe ich die Wanderung der Arbeitskräfte, aber auch die Kapitalflüsse und die Kreditaufnahme über Landesgrenzen hinweg. Da hat die EU noch viel zu tun. In den USA, aber auch in Kanada, in Deutschland oder der Schweiz ist der Ausgleich zwischen den Regionen über die Kredit- und die Faktormärkte viel stärker als die Absicherung über die föderale Finanzpolitik. Letztere macht nur 10 bis 15 % des Ausgleichs aus.” – bto: genau, was die Studie des IWF zeigt. Deshalb ist es unmöglich, es mit Finanztransfers hinzubekommen!
- “Sie finden meinen Namen nicht mehr unter den Vorschlägen, die im Januar unterbreitet wurden. Weil in der Gruppe Vorschläge in Richtung Transferunion an Gewicht gewonnen haben. Mit dem privaten Element der Risikoteilung über eine Vertiefung der Kapital-, Arbeits- und Kreditmärkte bin ich einverstanden. Auch die staatliche Absicherung des europäischen Abwicklungsfonds für Banken unterstütze ich. Dafür würde man die Aufgaben des bisherigen Krisenfonds ESM ausweiten. Mit einer solchen Rückversicherung sehe ich auch den Solidaritätsgedanken verwirklicht. Aber die Einführung eines neuen europäischen Finanzvehikels, das in einer Rezession Geld an die Staaten verteilt, lehne ich ab.” – bto: wie schwach diese Vorschläge waren, habe ich bei bto ausführlich diskutiert.
→ Ökonomenvorschlag zur „Rettung“ des Euros: von der Lösung eines Problems, ohne das Problem zu lösen
→ nzz.ch: “Das deutsche Spardiktat ist ein Mythos”, 4. Mai 2018