Den Euro freiwillig zu beenden, wäre am günstigsten – relativ

Okay, es überrascht niemanden, schon gar nicht die Leser von bto: Der Euro hat keine Zukunft, krankt an unüberwindbaren strukturellen Problemen und die Politik der letzten Jahre hat nur die Symptome behandelt, während die Ursachen sich weiter verschärfen. Dabei war die Krise vorhersehbar. Bernard Connolly hat vor mehr als 20 Jahren ein Buch veröffentlicht: „The Rotten Heart of Europe“. Er schrieb das Buch im Urlaub, wurde dennoch nach der Veröffentlichung von der EU-Kommission, für deren Währungsabteilung er damals arbeitete, gefeuert. 2012 wurde das Buch gebraucht bei Amazon für über 800 Dollar gehandelt. Seit 2013 gibt es eine Neuauflage. Was Connolly erwartet, der übrigens auch die Krise von 2008 korrekt vorhersagte, ist hier nachzulesen. 

Nun also ein Nobelpreisträger in der FT. Joseph Stiglitz darf schreiben, was alle wissen und nicht wahrhaben wollen:

  • “That Europe, and especially the eurozone, has not been doing well since the 2008 crisis is beyond dispute. The single currency was supposed to bring prosperity and enhance European solidarity. It has done just the opposite, with depressions in some countries greater than the Great Depression.” bto: Das trifft vor allem auf Italien zu, weshalb es mein Hauptkandidat für -xit bleibt, Uscitalia.
  • There are more fundamental problems with the structure of the eurozone, the rules and institutions that guide and constitute it. These may well be insurmountable, raising the prospect that the time has come for a more comprehensive rethinking of the single currency, even to the point of unwinding it.” – bto: Die sind definitiv nicht lösbar.
  • It was almost inevitable that taking away two key adjustment mechanisms, the interest and exchange rates, without putting anything else in their place, would make macro adjustment difficult.”
  • “With countries borrowing in a currency not under their remit, and with no easy mechanism for controlling trade deficits, crises too were predictable.” bto: Allerdings habe ich von Stiglitz vorher nichts dazu gehört …
  • The alternative to adjusting nominal exchange rates is adjusting real ones — having Greek prices fall relative to German prices. But there are no rules in place that could force a rise in German prices and the social and economic costs of forcing Greek prices to fall enough are enormous. One might dream of Greek productivity growing faster than that of Germany as an alternative way of “adjusting,” but no one has figured out how to do it. So too for Spain and Portugal.” – bto: Ich habe selten so gelacht. Träumen kann man viel.
  • The rule changes needed to make the euro work are in an economic sense small.” – bto: Das sehe ich anders, es ist ökonomisch gigantisch!
  • “A common banking union, most importantly common deposit insurance; rules to curtail trade surpluses; and eurobonds or some other similar mechanism for mutualisation of debt.” – bto: Klartext, es geht um Umverteilung als Lösung. Es ist aber keine Lösung, Schulden umzuverteilen!
  • “Monetary policy to focus more on employment, growth and stability, not just inflation.” – bto: Die Helikopter kreisen.
  • Meanwhile, industrial and other policies should be orientated to helping the laggard countries catch up to the leaders.” – bto: Und das soll leichter sein? So ein Quatsch. Im Ergebnis werden die Starken auch schwach. Wie soll Portugal jemals wettbewerbsfähig werden bei der Bildung? Wie sollen schrumpfende Länder jemals ihre Schulden bezahlen?
  • Most importantly: a move away from austerity towards growth oriented policies.” – bto: Ja, ja, Helikopter lösen es auch nicht. 
  • A single currency is neither necessary nor sufficient for close economic and political co-operation. Europe needs to focus on what is important to achieve that goal. An end to the single currency would not be the end of the European project. The other institutions of the EU would remain: there would still be free trade and migration.” – bto: So, jetzt streichen wir auch Migration von der Liste und es kann noch gerettet werden. Da bin ich mehr bei dem Kommentar aus der NZZ in der letzten Woche. 
  • It is important that there can be a smooth transition out of the euro, with an amicable divorce, possibly moving to a ‚flexible-euro‘ system, with say a strong Northern Euro and softer southern euro.” bto: Vorschläge, wie man das machen könnte, gibt es. Doch ist das realistisch?
  • The hardest problem will be dealing with the legacy of debt. The easiest way of doing that is to redenominate all euro debts as ‚southern euro‘ debts. bto: Übersetzung: Wir werten alle Forderungen Deutschlands durch die Einführung einer südeuropäischen Lira ab. Das ist im Prinzip in Ordnung, weil die Schulden ja irgendwie weg müssen. Für den deutschen Staat auch nicht schlecht, er schreibt nämlich all “euro debts”! Das ist inhaltlich sehr richtig. Bedeutet aber, dass Bundesanleihen keine gute Anlage sind. Deshalb raus aus Europa!
  • The single currency was supposed to be a means to an end. It has become an end in itself — one that undermines more fundamental aspects of the European project, as it spreads divisiveness rather than solidarity.” – bto: Das ist bekanntlich auch meine Position.

Europe may have to abandon the euro to save Europe and the European project.” – bto: bingo.

DIE WELT hat ebenfalls über die Thesen des Nobelpreisträgers berichtet und dies mit einigen schönen Abbildungen garniert:

  • Der Euro wurde geschaffen, um für Wachstum und mehr Solidarität in Europa zu sorgen. Genau das Gegenteil ist eingetreten. Einige Länder stecken in einer wirtschaftlichen Depression, die größer ist als die Große Depression der 1930er-Jahre. […] Die Konstruktionsfehler des Euro scheinen unüberwindbar. Es ist Zeit, über eine Auflösung nachzudenken.
  • “Beim Wirtschaftswachstum zeigt sich inzwischen nicht nur eine gefährliche Divergenz innerhalb der Euro-Zone. Auch im Vergleich mit Nicht-Euro-Staaten wie Schweden fällt der Euro negativ auf. Insbesondere seit der Finanzkrise akzentuieren sich die Unterschiede. Beispielsweise hat Schweden die Finanzkrise inzwischen weit hinter sich gelassen, während Finnland noch immer an den Folgen laboriert. Eine Aufschwungbremse ist der Euro offensichtlich auch für Italien. Erst jüngst meldete der Internationale Währungsfonds, dass die Stiefelökonomie erst Mitte des kommenden Jahrzehnts das Vorkrisenniveau von 2007 wieder erreichen wird.”  bto: Deshalb bleibt Italien mein Kandidat für ein Uscitalia.

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Quelle: Infografik DIE WELT

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 Quelle: Infografik DIE WELT

  • “Sollte die Währungsunion in ihrer jetzigen ineffizienten Form fortbestehen, würde dies seiner Meinung nach Wohlstandsverluste von sagenhaften 200 Billionen Euro entsprechen. Diese unglaubliche Zahl kommt zustande, indem er die jährlichen Verluste bis in die Ewigkeit fortrechnet. Da Geld in der weiten Zukunft wegen der Inflation immer weniger wert ist, kommt er nicht auf einen unendlich großen Wert, sondern lediglich auf 200 Billionen Euro. Das entspricht immerhin dem 20fachen der aktuellen Wirtschaftsleistung der Euro-Zone. Sprich: Behalten die Europäer den Euro bei, müssten sie 20 Jahre umsonst arbeiten.”  bto: Das ist eine beeindruckende Zahl!
  • “Doch möglicherweise unterschätzen die Ökonomen den politischen Willen der EU-Politiker. Wenn es um das Überleben geht, haben die Regierungen schon einige Regeländerungen vorgenommen. Und so dürfte die Kanzlerin auch den italienischen Schuldenvorstoß möglicherweise hinnehmen.” bto: Ja, das tun sie und auch ich habe es immer getan. Aber auf Dauer setzt sich die Ökonomie durch! Das Einzige, was die Politiker tun, ist, den Schaden zu maximieren!

→ FT (Anmeldung erforderlich): “A split euro is the solution for Europe’s single currency”, 17. August 2016

DIE WELT: “Nobelpreisträger fordert das Ende des Euro”, 19. August 2016