Klimaschutz-Plan­wirt­schaft gefähr­det EU und Euro

Folgender Kommentar erschien bei manager magazin und danach bei FOCUS:
Ursula von der Leyen hat in der vergangenen Woche in ihrer ersten Rede zur Lage der Europäischen Union große Ziele verkündet. Das prominentestes war sicherlich die Erhöhung der Einsparungsvorgabe für den CO2-Ausstoß auf 55 Prozent bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Obwohl noch offen ist, wie genau diese Einsparungen erreicht werden sollen, sickern erste Informationen durch. So soll die Automobilindustrie nach bisher unbestätigten Berichten den CO2-Ausstoß ihrer Neufahrzeuge von 2021 bis 2030 im Durchschnitt um rund 50 Prozent statt wie bisher 37,5 Prozent senken müssen. Sogar über ein Verbot des Verbrennungsmotors wird in der EU-Kommission nachgedacht.

Die Erhöhung der Klimaschutzziele wird breit begrüßt. Endlich – so die Einschätzung – nehmen es die Europäer ernst mit dem Klimaschutz und treten der größten Herausforderung der Menschheit entgegen. Wer sollte schon dagegen sein?

Klimaschutz als Konjunkturprogramm

Schon vor Corona habe ich an dieser Stelle erklärt, dass man aus wirtschaftlichen Gründen den Klimawandel hätte erfinden müssen, gäbe es ihn nicht schon. Warum? Der Klimawandel gibt eine perfekte Möglichkeit, die jahrelange Stagnation in Europa zu überwinden und die Inflationsraten nach oben zu treiben. Beides genau das, was sich Regierungen und EU-Kommission dringend wünschen. Auch ist schon länger klar, dass die EZB, die sich selbst in einer tragenden Rolle bei diesem Thema sieht, die staatlichen Programme großzügig finanzieren würde.

Jetzt, wenige Corona-Monate später, befinden wir uns in genau dieser neuen Welt: Die direkte Finanzierung von Staaten durch die Notenbanken wird auch in der Eurozone nur noch spärlich kaschiert. Große Ausgabenprogramme und sogar die gemeinsame Verschuldung auf EU-Ebene, noch vor Kurzem heftig umstritten, sind durch Corona plötzlich Realität. Was für das Bekämpfen der Pandemiefolgen genutzt wurde, kann doch für den Kampf gegen den Klimawandel nicht schlecht sein, wird argumentiert und damit einer Politik notenbankfinanzierter Programme die Tür geöffnet.

Der Charme der neuen Schulden? Sie tun zunächst niemandem weh. Mehr Geld kommt in den Kreislauf, die Nachfrage steigt und die politisch Verantwortlichen können sich als Retter feiern lassen – und nebenbei vergessen machen, dass sie nicht unerheblichen Anteil an der Krise haben.

Dabei verfolgt die Politik in der EU einen Ansatz, den man kaum anders als zentralistisch-planwirtschaftlich bezeichnen kann. Politiker glauben offenbar, dass sie besser als der Markt wüssten, auf welchem Weg sich die Klimaschutzziele erreichen ließen: durch Vorgaben, die sogar so weit gehen, dass bestimmte Technologien zentralistisch festgelegt werden, beispielsweise Elektroauto. Dass es alternative Kraftstoffe gibt, die aus erneuerbaren Energien hergestellt werden, wird dabei verdrängt.

Natürlich wird dem entgegengehalten, dass die Anforderungen an den Umbau so gigantisch sind, dass wir es uns nicht leisten können, mit vielen verschiedenen Technologien Zeit zu verlieren. Wollen wir schnell und effizient sein, dann geht das nur, wenn die „Planbehörde“ in Brüssel den Weg vorgibt. Ich bezweifle dies.

Vorreiter muss man sich leisten können

Getragen wird das Verschärfen der Klimaschutzziele von der Überzeugung der Europäer, eine weltweite Vorreiterrolle einnehmen zu müssen – und zu können. Dass allein in Japan bis 2025 über 20 neue Kohlekraftwerke ans Netz gehen? Egal. Dass weltweit über 150 neue Kohlekraftwerke in Vorbereitung sind? Auch egal. Die erneuerbaren Energien werden – so die hiesige Hoffnung – schon bald die fossilen Energieträger überflüssig machen. Zudem wird erzählt, dass sie schon heute günstiger seien als die alten Kraftwerke – allerdings ohne zu erwähnen, dass die erneuerbaren Energien nicht immer zur Verfügung stehen und wir wegen fehlender Speichermöglichkeiten einen fossilen oder nuklearen Back-up brauchen. Deshalb müssen die Stromkosten auch steigen, je höher der Anteil der erneuerbaren Energien ist. Zu beobachten gut in Deutschland, dem Land mit den höchsten Strompreisen Europas, trotz, nein wegen des hohen Anteils der erneuerbaren Energien.

Soll man diesen Weg deshalb nicht gehen? Nein, natürlich müssen wir Maßnahmen ergreifen, um den CO2-Ausstoß zu senken. Wir müssen dabei aber aufpassen, dass wir uns nicht durch zu ambitionierte Ziele und vor allem durch einen planwirtschaftlichen Ansatz ökonomisch übernehmen.

Gerade die EU sollte davor Angst haben. Die Europäische Union verdankt ihren Erfolg dem massiven Wohlstand, den sie für die Bürger der beteiligten Staaten gebracht hat. Viele Studien unterstreichen diesen Befund, zeigen aber auch, dass es vor allem der Binnenmarkt ist, der den Wohlstand aller Nationen mehrt.

Der Euro hingegen hat zu einer immer tieferen Spaltung der EU beigetragen, weil die stärkeren Länder darin immer stärker und die schwächeren Länder immer schwächer werden. Übertüncht wird diese Entwicklung seit Jahren durch die Politik der EZB, die zunehmenden Ungleichgewichte im europäischen Zahlungssystem TARGET2 und die immer weiter steigende Staatsverschuldung. Nur so gelang es, die Illusion von Wohlstand halbwegs zu erhalten.

Mit der Corona-Krise traten die Probleme wieder offen zutage und führten zum Dammbruch: dem offenen Eintritt in eine Transfer- und Schuldenunion. Beides funktioniert nur, weil die wirtschaftliche Leistungskraft Deutschlands nun zur Besicherung zur Verfügung steht. Die Möglichkeit des deutschen Staates, die hiesigen Bürger und Unternehmen in Zukunft zu belasten, verleiht der EU-Kreditwürdigkeit. Im Klartext: Solange die deutsche Wirtschaft läuft, hält die EU zusammen.

Deutschland vor massiven Problemen

Die Fähigkeit Deutschlands, dauerhaft der Finanzier und Garant einer zunehmend schwächelnden EU zu sein, wird weder in Brüssel noch in Deutschland bezweifelt. Zu sehr sind wir getragen von den guten zehn Jahren, die hinter uns liegen, ohne zu erkennen, dass diese die Folge des billigen Geldes und des schwachen Euro waren. Die Produktivitätsfortschritte – also das Wachstum des Wohlstands – sind seit Jahren deutlich rückläufig. Die Industrie verlagert zunehmend Produktion ins Ausland und bei wichtigen Themen wie der digitalen Infrastruktur hinken wir weit hinterher. Die Energiewende – das Wall Street Journal spricht von der „dümmsten Energiepolitik der Welt“! – entwickelt sich immer mehr zur existenziellen Gefährdung für den Standort.

Es wäre also höchste Zeit für die Politik hierzulande und in der EU, sich darüber Gedanken zu machen, wie man die deutsche Wirtschaft fit macht für die Zukunft: im eigenen Interesse und um die Kreditwürdigkeit der EU und anhaltende Transfers von Deutschland in die anderen Länder zu sichern. Stattdessen passiert das Gegenteil. Die Politik überbietet sich mit Eingriffen in den Markt, die den Niedergang beschleunigen werden, und setzt auf Vorgaben und Einzelmaßnahmen, gestützt auf Studien wie diese von Greenpeace, die in der vergangenen Woche vorgestellt wurde. Kernaussagen:

  • Bis 2040 halbiert sich der Bestand an Automobilen in Europa.
  • Diese Autos müssen alle elektrisch fahren.
  • Diese sind klein und leicht, das heißt keine Elektro-SUVs.
  •  Spätestens ab 2028 sollen keine neuen Diesel, Benziner oder auch Hybride als Neuwagen zugelassen werden.
  • Bis 2040 müssen alle Pkw mit Verbrennungsmotoren von der Straße verschwinden.

Die Folgen sind eindeutig: Der Markt für Autos wird sich in Europa nach diesen Forderungen mehr als halbieren. Außerdem werden diese Autos im Kleinwagensegment konzentriert sein – Ausnahmen für Politikerlimousinen? Die Batterie ist die Kernkomponente und ihre Herstellung sehr energieintensiv – und damit teurer in Europa! Und da die dafür benötigten seltenen Erden überwiegend in China sind, können wir davon ausgehen, dass der Markt dann von asiatischen Herstellern dominiert wird. Das offizielle Ziel Chinas, schon 2025 die Hälfte der weltweit produzierten Elektrofahrzeuge herzustellen, ist durchaus realistisch und zeigt, wohin die Reise geht.

Die deutsche Automobilindustrie ist für diesen Wandel nicht gut aufgestellt. Geld wird heute mit großen und schweren Fahrzeugen verdient, nur so sind auch die relativ hohen Gehälter zu bezahlen. Gibt es nur noch elektrobetriebene Kleinfahrzeuge, wird die Luft dünn. Vermutlich zu dünn.

So wundert es nicht, dass sich die Entlassungsankündigungen häufen. Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer rechnete schon im Zuge der Corona-Krise mit 100.000 verlorenen Arbeitsplätzen. Dabei wird es nicht bleiben. Aus Sicht der Unternehmen ist es höchst rational, massiv deutsche Arbeitsplätze abzubauen und die ausländischen Standorte zu schonen oder gar aufzubauen. Dort sind perspektivisch die Rahmenbedingungen günstiger, kann doch davon ausgegangen werden, dass andere Regionen nicht ähnlich drastisch gegen die Industrie vorgehen werden.

Technischer Fortschritt braucht Zeit

Ist das also ein Plädoyer für eine Abwrackprämie? Auf keinen Fall! Denn worin liegt der Sinn, den Verkauf von Produkten zu fördern, die man verbieten will? Ist das ein Plädoyer, den Klimaschutz nicht ernst zu nehmen? Auch nicht! Es ist ein dringender Appell anzuerkennen, dass technologischer Fortschritt Zeit bedarf. Wenn man ohnehin schon schwer erreichbare Ziele verschärft und so den Druck erhöht, bringt das nur etwas, wenn die technologische Entwicklung so rasch verläuft, dass man die Ziele erreichen kann. Sonst schadet sie nur.

Womit wir beim Kernproblem der Klimaschutzpolitik in Europa sind: Die Politik beschränkt sich nicht auf die Zielsetzung (- 55 Prozent CO2), sondern will auch noch entscheiden, auf welchem Weg dieses Ziel erreicht wird. Besser wäre es, diesen Entscheid dem Markt zu überlassen. Das Vehikel dafür haben wir schon erfolgreich genutzt: den Handel mit CO2-Zertifikaten. Der Zertifikatshandel sollte in der EU auf alle Sektoren der Wirtschaft ausgedehnt werden. Die Preise für die Zertifikate sollten planbar und deutlich steigen und die Einnahmen daraus an die Bürger in Form von Steuersenkungen verteilt werden, überproportional auf die kleineren und mittleren Einkommen.

Der Vorteil liegt auf der Hand: Der Markt würde sehr schnell entscheiden, wo es am effizientesten ist, CO2 einzusparen. Gut möglich, dass die Automobilhersteller dann auf einer weniger schnellen Kurve ihren CO2-Beitrag reduzieren müssten, einfach deshalb, weil es in diesem Bereich schon jetzt besonders teuer und aufwendig ist.

Eines steht fest: Es nutzt dem Weltklima herzlich wenig, wenn der CO2-Ausstoß in anderen Regionen der Welt erfolgt, statt hier. Ebenso steht fest, dass die EU als Wohlstandsgemeinschaft keine Chance hat, wenn die Wirtschaftskraft Deutschlands wegfällt.

Wirtschaft und Klima verbinden

Das bedeutet aber auch nicht, dass man nichts tun soll. Natürlich müssen wir handeln und natürlich kann Europa einen wichtigen Beitrag leisten. Dieser Beitrag muss aber marktwirtschaftlich erfolgen durch eine spürbare und nachhaltige Bepreisung von CO2. Wir haben das Instrument erfolgreich in Europa genutzt und es war die Politik, die den Fehler gemacht hat, den Verkehrssektor nicht von Anfang an mit einzubeziehen. Noch kann die EU entscheiden, wie sie die CO2-Ziele erreichen will. Mit oder ohne Erhalt der Union. Doch ich fürchte, die Hybris der Akteure ist zu ausgeprägt, um den effizienten und effektiven Weg zu beschreiten.

Am Ende werden wir kein Ziel erreichen – weder den Klimaschutz noch den Erhalt von Wohlstand und auch nicht den Zusammenhalt der Europäer.

manager-magazin.de: “Klimaschutz-Planwirtschaft gefährdet EU und Euro”, 20. September 2020