Die neue Welt
In dieser Kolumne geht es nicht um das, was man sich wünscht, sondern um das, auf was man sich einstellen sollte. Denn nur wer einen nüchternen Blick auf die Welt hat, kann persönlich und finanziell durch die bevorstehenden Jahre navigieren. Die Anschläge von Paris, menschenverachtend und brutal, wirken dabei wie Brandbeschleuniger schon länger währender Prozesse. In einer unheilvollen Mixtur treffen verschiedene Entwicklungen aufeinander und verstärken sich gegenseitig:
- der vom Papst als „Dritter Weltkrieg“ beschriebene Konflikt mit dem radikalen Islam, der seit Jahren an Intensität zunimmt und dessen friedliche Überwindung immer mehr als eine Utopie erscheint;
- ein Ansturm von Flüchtlingen vor Krieg und Unterdrückung und auf der Suche nach einem besseren Leben in Europa;
- eine vom Publizisten Mathias Döpfner beklemmend deutlich gemachte anhaltende Nachgiebigkeit der westlichen Kultur gegenüber dem Intoleranten – eine Nachgiebigkeit, die von der anderen Seite als Schwäche und Einladung angesehen wird, noch intoleranter zu werden.
- eine Europäische Union, die zunehmend offenbart, dass sie keine Wertegemeinschaft, sondern ein Wohlfahrtsbündnis ist, welches nur dann funktioniert, wenn immer mehr Geld zu verteilen ist; (Fällt der Treibstoff großzügiger Mittel weg, wird es für die nationalen Politiker immer schwerer, den Bevölkerungen den Nutzen von Brüssel zu verkaufen.)
- europäische Regierungen, die sich an Abmachungen nicht halten, Recht brechen und sich zugleich öffentlich außerstande erklären, zum rechtsstaatlichen Zustand zurückzukehren;
- Staaten und Private, die seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse gelebt haben und niemals in der Lage sein werden, ihre Verpflichtungen, seien es offizielle Schulden oder verdeckte Versprechen wie Renten und Pensionen, zu bezahlen;
- Regierungschefs, die auf Zeit gespielt haben, ohne die Zeit für etwas zu nutzen und die durch die Eurokrise offensichtlich gewordenen Probleme anzugehen.
Dies alles – und die Aufzählung ist keineswegs vollständig – trifft nun zusammen und verstärkt einander.
Der Krieg wird, wie jeder Krieg, teuer. Damit erhöhen sich die Schuldenlasten der Staaten, die ohnehin uneinbringlich sind. Eine Entwertung der Schulden über unpopuläre Schuldenschnitte wird damit noch unwahrscheinlicher. Naheliegender ist, den Weg zu gehen, den Staaten noch immer gegangen sind, um Kriege zu finanzieren: die Nutzung der Notenpresse, heute mit Helikopter-Geld umschrieben. Die Helikopter wären so oder so aufgestiegen, um den Schuldnern zur Hilfe zu kommen. Jetzt dürften sie schneller starten und mehr Ladung mitnehmen. Angenehmer Nebeneffekt: Die Wirtschaft in Europa dürfte sich endlich deutlicher beleben, eine Scheinblüte zwar, aber eine willkommene. Wenn sie schon aufsteigen, kann man auf diesem Wege auch die Flüchtlingsausgaben besser bewältigen, wie in einem Gastbeitrag in der SZ in der letzten Woche angeregt.
Auf der anderen Seite steht eine zunehmende Dis-Integration. Schon vor den Anschlägen von Paris zeichnete sich angesichts der im Ausland nur mit Kopfschütteln quittierten deutschen Flüchtlingspolitik ein Austritt Großbritanniens aus der EU ab – ob sich unsere Regierung dieser Konsequenzen bewusst war? Einer EU ohne Großbritannien fehlt aber eine Stimme der (ökonomischen) Vernunft und der wirtschaftlichen Freiheit. Die Rest-EU wäre noch mehr von staatsgläubigen Umverteilern dominiert. Immer mehr dürfte damit die EU zu einer „DDR light“ mutieren, in der Umverteilung und Besitzstandswahrung vor dem Schaffen neuen Wohlstands stehen.
Doch nicht nur Großbritannien wird sich von der EU entfernen. Macht die Union die Drohungen wahr, Kooperation in der Flüchtlingsfrage mit finanziellen Sanktionen zu erpressen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch andere Regierungen ihre Länder wieder aus dem nicht mehr als Wohlfahrt fördernd empfundenen Bund führen. Doch selbst wenn es nicht so weit kommt, sind Grenzziehungen innerhalb der EU schon jetzt so gut wie sicher. Schengen ist tot, noch traut es sich keiner zu verkünden. Damit fällt jedoch eines der sichtbarsten Symbole der europäischen Einigung. Das macht es leichter, auch in anderen Dingen einen restriktiven, nationalistischen Kurs zu gehen.
Womit das Schicksal des Euro besiegelt wäre. Gestartet als ökonomisches Heilversprechen ist er mittlerweile zur ökonomischen Zwangsjacke mutiert. Fehlt das Bindeglied einer funktionierenden Union, wachsen die nationalistischen Strömungen und verharrt die Wirtschaft nachhaltig in der Stagnation mit hoher Arbeitslosigkeit, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein Eurokritiker an die Macht kommt und umsetzt, was er verspricht.
Keine ruhigen Zeiten für Europa also. Für die Kapitalanleger werden meine hier gemachten Empfehlungen umso relevanter:
→ „Was wäre, wenn der Euro platzt“
→ „Vermögensanlage in Zeiten des Helikoptergeldes“
Vielleicht raufen sich unsere Regierungen ja doch noch zusammen und es kommt nicht zum Schlimmsten. Doch darauf wetten würde ich nicht. Jetzt kann man noch vorsorgen.
→ WirtschaftsWoche Online: „Die neue Welt – eine Bedrohung für den Euro“, 19. November 2015