Abge­wirtschaftet

Die Kreditwürdigkeit eines Landes ist wichtig. Je solider die Staatsfinanzen, desto geringer der Zins, den der Staat für seine Schulden zu entrichten hat. Und mit ihm die gesamte Wirtschaft. Deshalb war die Erleichterung in Frankreich groß, als Anfang dieses Monats S&P Global Ratings das langfristige Kreditrating der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone bei AA belassen hat.

Im April hatte die konkurrierende Ratingagentur Fitch das Rating Frankreichs auf AA– gesenkt, drei Stufen unter der Bestnote AAA. Eine echte Entwarnung ist die Entscheidung von S&P jedoch nicht, die nächste Überprüfung ist bereits für Dezember angesetzt.

Bei einem laufenden Defizit von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), einem Schuldenstand von über 112 Prozent des BIP und steigenden Zinsen ist das Wackeln des Kreditwürdigkeitsratings nicht überraschend. Die gestiegenen Zinsen dürften die Zinslast des Staates nach offiziellen Prognosen von 50 Milliarden Euro im letzten Jahr auf 70 Milliarden Euro im Jahr 2027 erhöhen.

Kein Wunder also, dass Frankreich stark auf eine Schulden- und Transferunion drängt. Als Garant wird dabei Deutschland gesehen, das wie die Niederlande und Luxemburg noch über das AAA-Rating verfügt.

Doch wie lange noch? Im direkten Vergleich mit Frankreich steht Deutschland keineswegs so gut da, wie oft angenommen wird.

So sieht die Europäische Kommission im „Fiscal Sustainability Report 2021“ auf Deutschland höhere künftige Belastungen aus der Alterung zukommen als auf Frankreich. Der Konsolidierungsbedarf wäre demnach in Deutschland sogar größer als im Nachbarland.

Warum steht Deutschland nicht so gut da?

Auch ein anderer Indikator zeigt auf, dass Deutschland nicht so gut dasteht. Der Ökonom Claus Michelsen vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller rechnet in einer aktuellen Studie vor, dass Deutschlands Kapitalstock in den letzten 20 Jahren im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften erheblich an Qualität verloren hat.

Mittlerweile sind hiesige Maschinen und Anlagen sowie die Infrastruktur älter als in Frankreich und Italien. In keinem anderen der in der Studie betrachteten Länder ist der Kapitalstock in den letzten Jahrzehnten so gealtert. Nur Großbritannien hat noch einen (leicht!) älteren aufzuweisen.

Das bedeutet nichts anderes als einen erheblichen Investitionsbedarf.

So gesehen ist es verwunderlich, dass Deutschland immer noch ein AAA zugesprochen bekommt. Erklären kann man das nur mit den Soliditätsversprechen der Politik. Anscheinend glaubt man in den Ratingagenturen, dass heutige und künftige Regierungen zum Ausgleich der genannten Belastungen andere Ausgaben kürzen und die Einnahmen weiter erhöhen werden.

Schon in den vergangenen Jahren ist die Steuer- und Abgabenquote kontinuierlich gestiegen. Doch ist das realistisch, wenn gleichzeitig hohe Energiepreise und eine verkorkste Klimaschutzpolitik die Wirtschaft vergraulen und die Privathaushalte finanziell überlasten?

Noch höhere Abgaben werden den Anreiz, wieder mehr im Land zu investieren, nicht erhöhen. Wohl selten gab es einen solchen Widerspruch zwischen dem tatsächlichen Regierungshandeln und dem eigentlich erforderlichen. Der Erhalt von Wirtschaftskraft und Wohlstand findet keinen Platz auf der politischen Agenda.

Ratingagenturen hinken der Entwicklung häufig hinterher – doch das wird sich ändern müssen.