Optimismus fehl am Platz?

Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal im Oktober 2013. Wer ihn liest, stellt fest: Nichts hat sich seither geändert. Europa ist weiterhin auf einem Kurs, der die Probleme aufschiebt, aber nicht fundamental angeht. Natürlich gibt die Entwicklung der Eurozone Anlass zur Hoffnung. Die Wirtschaft der Krisenländer stabilisiert sich, die Exporte wachsen deutlich, die Risikoprämien in den Kapitalmärkten sinken, Irland steht vor der Rückkehr in den Kapitalmarkt, und die EZB hat begonnen, die Bilanz zu verkürzen. Sogar die viel diskutierten Target-II-Salden der Bundesbank sind rückläufig. Entspannung allerorten. Grund genug, einen Blick auf die dahinter liegenden Trends zu werfen.
Dies tun zwei Journalisten der FT basierend auf einer Studie des Internationalen Währungsfonds und den Zahlen zur Kreditvergabe in der Eurozone.

Beginnen wir mit Ralph Atkins, der auf die Finanzierungslage blickt. Hier seine Kernpunkte:

  • Italien kann sich so billig refinanzieren, wie seit mehr als zwei Jahren nicht mehr.
  • Insgesamt sind die Zinsen in der Eurozone für alle Länder gesunken.
  • Hauptgrund war die Erklärung der EZB, „alles zu tun“, um den Euro zu erhalten. Die Märkte glauben dies, und das Risiko eines Auseinanderfallens der Eurozone scheint damit gebannt.
  • Auch das Vertrauen der Investoren in die Stabilität der Eurozone ist gestiegen. Die Reformen zeigen erste Wirkung. Spanien gilt als Vorbild.
  • Geringere Importe (wegen der tiefen Rezession) und mehr Exporte (wegen der Strukturreformen und der geringeren Lohnstückkosten) haben die Handelsdefizite reduziert (Griechenland) oder in Überschüsse verwandelt (Spanien, Italien).
  • Dies reduziert die Abhängigkeit von ausländischem Kapital: 100 Prozent der in diesem Jahr neu ausgegeben Staatsanleihen von Italien und Spanien wurden von Inländern gekauft. Insgesamt halten Inländer 60 Prozent bzw. 70 Prozent der jeweiligen Staatsschulden.
  • Das sind im wesentlichen die Banken, die billige Kredite der EZB zur Staatsfinanzierung nutzen. Im Prinzip finanziert so die EZB die Staaten – wenn auch auf dem Umweg über das Bankensystem.
  • Wenig verwunderlich haben die nationalen Regulatoren eine „Re-Nationalisierung“ der Bankgeschäfte gefördert.
  • Die Politik versucht so, eine Alternative zu hoher Inflation und Schuldenschnitten zu finden: die Inlandsfinanzierung nach japanischem Vorbild.
  • Japan, welches sich nur im Inland finanziert, konnte zu Tiefstzinsen (0,6 Prozent auf zehn Jahre) mehr als 200 Prozent Schulden im Verhältnis zum BIP anhäufen.
  • Diese „Re-Nationalisierung“ der Schuldenfinanzierung ist aber riskant, weil sie die gegenseitige Abhängigkeit von Banken und Staaten vergrößert – die eigentlich verringert werden sollte.

Kurzfristig sind damit die Risiken für den Euro gebannt. Die Frage ist, was mittelfristig passiert. Denn zum einen führen die niedrigen Zinsen zum Erlahmen der Reformbemühungen (wie hier schon diskutiert). Zum anderen ist Japan nur bedingt ein gutes Vorbild. Die Krise wurde dort bestenfalls verschleppt,  aber nicht gelöst (wie hier schon diskutiert).

Wolfgang Münchau blickt hinter die Daten der Realwirtschaft:

  • Optimisten verweisen auf die Exporterfolge Spaniens und die Lohnkostensenkung in Griechenland als Beispiele für das Gelingen der Reformbemühungen.
  • Dieser Optimismus ist jedoch nicht berechtigt: Die Verbesserung der Handelsbilanzen der Krisenländer geht nicht mit einer Verringerung der Überschüsse in Deutschland und Holland einher, was dazu führt, dass die Eurozone als Ganzes ihre Überschüsse im Welthandel vergrößert.
  • Im Unterschied zur gängigen Meinung ist dies allerdings kritisch zu sehen, weil in Folge der Exporterfolge der Euro erstarkt (siehe Entwicklung zum US-Dollar in den letzten Wochen) – was wiederum die Wettbewerbsfähigkeit der Länder schwächt und noch mehr interne Abwertung (= Reformen und Lohnkostensenkung) erfordert. (Einmal abgesehen davon, dass auch die USA und Japan – von China ganz zu schweigen – ihre Rettung in steigenden Exporten sehen…)
  • Zudem führt der bloße Blick auf die Exportzahlen Spaniens in die Irre: Nach einer Analyse des IWF sind diese Zahlen eher zyklischer Natur, nicht struktureller. Im Klartext: Es gibt gar keine wirklichen Fortschritte, was die Wettbewerbsfähigkeit betrifft. Stimmt dies, so wird die anhaltende Eurostärke den Exportfrühling rasch beenden.
  • Besorgniserregend ist der Blick auf die Nettoauslandsposition der Länder. Dies ist der Saldo zwischen dem Vermögen des Landes im Ausland und der Vermögen von Ausländern im Inland. Wenig verwunderlich stehen alle Krisenländer netto tief in der Kreide. Laut IWF werden sie dies mit minus 80 Prozent vom jeweiligen BIP auch noch im Jahre 2018 tun. Viel zu hoch.
  • Die Krisenländer müssen die Kosten der Party der letzten zehn Jahre abarbeiten. Dafür genügen die erreichten Verbesserungen bei weitem nicht aus.
    Ohne mehr Importnachfrage aus Deutschland und eine Transferunion ist laut Münchau die Krise noch lange nicht vorbei.

Ich denke, ohne eine Sanierung des europäischen Bankensystems und eine Bereinigung des Schuldenüberhangs wird es nicht auf Dauer funktionieren. Weder mehr deutsche Importe, noch eine Fiskalunion genügen, um die fundamentalen Probleme von untragbaren Schulden und unüberbrückbaren Differenzen der Wettbewerbsfähigkeit zu lösen. Japan ist kein Vorbild, sondern eher Mahnung. Billiges Geld kauft nur Zeit. Diese muss aber genutzt werden.

Ralph Atkins, FT (Login erforderlich): Debt: A deceptive calm, 27. Oktober 2013

Wolfgang Münchau, FT (Login erforderlich): Optimism about an end to the euro crisis is wrong, 27. Oktober 2013