EZB Politik: Enteignung oder nicht?
Letzte Woche habe ich bei Twitter etwas schnell reagiert. Kollege Markus Krall ging in einem Tweet Mark Schieritz, geschätzter “ZEIT ONLINE”-Kolumnist, harsch an. Auslöser war ein Beitrag von Schieritz, der aufzeigt, dass die Deutschen eigentlich Gewinner der Politik der EZB seien und jene, die die EZB kritisieren „Ressentiments schüren gegen die EZB, den Euro und die Europäische Union im Allgemeinen, um den Prozess der europäischen Einigung zu delegitimieren.“
Nun bin ich keiner der Schwarz-Weiß-Kritiker der EZB, müsste mir den Schuh also gar nicht anziehen, dennoch hat mich diese Aussage gestört. Kann man doch zweifellos Kritik an der EZB üben, ohne gleich im Lager der Anti-Europäer zu landen. Ohnehin halte ich es nicht so sehr mit Lagern. Hinzu kam, dass Schieritz im gleichen Artikel die Rentensteigerungen lobt. Da habe ich bekanntlich eine gänzlich andere Sichtweise.
Schieritz jedenfalls scheint sich über die Tweets richtig geärgert zu haben und twitterte dann am Abend, dass Krall und ich wohl lieber in Argentinien leben würden, wo wir 60 Prozent Zinsen bekämen:
Quelle: Twitter
Da war die Diskussion wohl ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Sicherlich nicht meine Absicht, schätze ich doch die Beiträge von Schieritz sehr, gerade auch wenn ich nicht gleicher Meinung bin. Grund genug, sich dem Thema nochmals grundlegend zu nähern. Deshalb heute vier verschiedene Beiträge, die ich dazu in bewährter Form kommentiere.
Beginnen wir mit dem Ausgangspunkt der Diskussion: „Der Mythos von der Enteignung der Sparer“ von Mark Schieritz in der ZEIT ONLINE:
- „Sie werden (…) ausgeraubt, enteignet, abgezockt. Und zwar von Mario Draghi höchstpersönlich, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), der dem deutschen Sparer den Zins wegnimmt und damit der Massenverelendung im Alter den Weg bereitet. So ungefähr ist die Debattenlage in Deutschland, seit die Bundesbank unlängst verkündet hat, dass die reale Rendite des deutschen Volksvermögens im ersten Quartal dieses Jahres negativ war, also Vermögen nach Abzug der Inflation vernichtet wurde.“ – bto: was natürlich eine tolle Schlagzeile ist, aber diese trügt, wo Schieritz mit seiner nun folgenden Kritik einen Punkt hat.
- „(…) dennoch wird das Bild vom gebeutelten Sparer und der dadurch bedingten Altersarmut der Realität nicht gerecht. Das liegt zum einen daran, dass sich das Geldvermögen der privaten Haushalte in Deutschland – Bargeld, Bankeinlagen, Aktien, Versicherungspolicen – zwar in den ersten drei Monaten dieses Jahres tatsächlich verringert hat, dafür aber in den Jahren zuvor kräftig gestiegen ist. Nach Daten der Bundesbank belief sich das Geldvermögen im Jahr 2010 auf 4.546 Milliarden Euro. Aktuell beträgt es 5.875 Milliarden Euro.“ – bto: So, da haben wir gleich mehrere Aspekte. Zum einen haben wir nicht nur Geldvermögen und gerade die Sachwerte haben in den letzten Jahren enorm gewonnen, auch wegen der Politik der EZB. Insofern sind wir noch viel reicher als 2010. Zum anderen darf man nicht einfach die zwei Zahlen miteinander vergleichen. Setzen wir eine Inflationsrate von zwei Prozent pro Jahr an, müsste das Geldvermögen in den acht Jahren auf 5.326 Milliarden steigen, nur um die Inflation auszugleichen. Dann haben wir real nur rund 500 Milliarden mehr. Nehmen wir für den Zeitraum von rund acht Jahren, ein BIP von über 3.000 Milliarden und eine Sparquote von fünf Prozent an, so haben wir alleine durch Ersparnis in diesen Jahren 1.200 Milliarden Euro gespart. Überschlägig ist der nominale Anstieg der Geldvermögen damit zu 100 Prozent erklärt. Real fehlen rund 700 Milliarden. Ja, die Rechnung ist über den Daumen. Deshalb hier etwas genauer. Daten sind Statistisches Bundesamt/Statista. (Ich bitte die Form zu entschuldigen, es ist ein einfaches Excel-Sheet):
- „Wenn das diese berühmte Enteignung sein soll, dann möchte man doch gerne noch ein wenig mehr enteignet werden.“ – bto: also ich nicht, wie meine überschlägige Rechnung zeigt. Außerdem vergisst Schieritz, dass es sich um unterschiedliche Bevölkerungsgruppen handelt. Dazu kommt er später aber meines Erachtens aus einem zu einseitigen Blickwinkel.
- „Keine Frage: Die Vermehrung des Geldvermögens ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass sich das angelegte Geld vermehrt hat. Es ist schlicht auch mehr Geld angelegt worden. Aber das konnten sich die Deutschen nur leisten, weil mehr Arbeitsplätze geschaffen wurden, die Löhne zulegten und ihnen deshalb mehr Einkommen stand. Wer nämlich nichts verdient, der kann auch nichts sparen. Und die niedrigen Zinsen haben entscheidend dazu beigetragen, dass in Deutschland so viele Arbeitsplätze entstanden und die Löhne gestiegen sind.“ – bto: Da bin ich wiederum voll bei Schieritz. Sehe ich doch auch Draghi und die EZB als Getriebene, die retten müssen, was sie nicht retten können und die Politik auch nicht retten könnte, aber auch nicht mal probiert. Aber das darf ich nicht schreiben, weil, das wäre ja „Ressentiments schüren gegen die EZB, den Euro und die Europäische Union im Allgemeinen“, um Schieritz zu zitieren.
- „Für die meisten Bundesbürger ist das Zinsniveau nicht die relevante Größe für die Altersvorsorge. 30 Prozent der Deutschen haben per Saldo, also abzüglich der Schulden, praktisch keine Ersparnis. Es nützt ihnen also überhaupt nichts, wenn die Zinsen steigen. Dafür nützt es ihnen sehr wohl etwas, wenn die Renten steigen. Und was tun die Renten gerade? Genau: Sie steigen. Und zwar allein in diesem Jahr um 3,22 Prozent in den alten Bundesländern und um 3,37 Prozent in den neuen Bundesländern.“ – bto: So, und jetzt ärgere ich mich. Ja, 30 Prozent haben nichts. Nun aber zu sagen, der Rest ist so reich und kann es deshalb bezahlen, stimmt auch nicht. Das liegt daran, dass gerade die Kleinsparer ihr Geld in Geldvermögen sparen. Damit haben wir hier ein soziales Problem, welches Schieritz zu leichtfertig wegwischt. Wenn man nun die Abgeltungssteuer für Zinseinkommen abschaffen will, dann trifft das auch nicht den Millionär, sondern den Facharbeiter, der schon ab dem 1,3-Fachen des Durchschnittseinkommens als Spitzenverdiener zählt und so besteuert wird. Das ist hoch ungerecht!
- „Erst diese Woche hat die Bundesregierung eine Stabilisierung des Rentenniveaus bis zum Jahr 2025 beschlossen. Das kann sich das Land leisten, weil die Konjunktur so gut läuft. Und warum läuft die Konjunktur so gut? Sie haben es erraten: weil die Geldpolitik die Wirtschaft stützt. Anders gesagt: Die Zinsdebatte ist bei Lichte betrachtet eine Gutverdienerdebatte.“ – bto: Es ist eine Facharbeiterdebatte. Facharbeiter werden schon heute als „reich“ behandelt, sind es aber objektiv gesehen nicht. Die Deutschen gehören schon jetzt zu den Ärmsten der Eurozone! Und es ist ein Wahnsinn, was die Regierung da betreibt, weil sie, statt zu investieren, den Konsum steigert. Meine Meinung dazu habe ich hier klar gemacht: → Renten sichert man nicht durch mehr Umverteilung!
- „(…) wie jeder Mythos hat auch dieser eine Funktion: Er soll (…) Ressentiments schüren gegen die EZB, den Euro und die Europäische Union im Allgemeinen, um den Prozess der europäischen Einigung zu delegitimieren. Bis die Errungenschaften der Nachkriegszeit in Trümmern liegen und an die Stelle des Europas der Einheit ein Europa der Nationen tritt. Was ja bekanntlich nicht ganz so gut funktioniert hat.“ – bto: Sorry, aber das hat eben nichts mit der Kritik zu tun und ist meines Erachtens nicht angemessen. Es ist eine Art der Argumentation, die wir sonst nur in der Zuwanderungsdebatte kennen. Und es spricht nicht für die Stärke des inhaltlichen Arguments. Sorry.
Auf jeden Fall lohnt es sich, etwas genauer auf das Thema zu blicken. Hier brachte die WELT in dieser Woche den Beitrag „Deutschland soll plötzlich Profiteur der EZB-Geldpolitik sein“:
- „Erst kürzlich schreckte die Nachricht auf, dass die deutschen Sozialversicherungsträger Millionen an Strafzinsen zahlen müssen, weil sie angesichts der Dauerniedrigzinsen hohe Summen ihrer Beitragszahler lieber bunkern, statt diese anzulegen.“ – bto: statt sie den Beitragszahlern zurückzugeben!
- „Sparer und Lebensversicherte hierzulande fühlen sich bereits seit Langem als die großen Verlierer in der Euro-Zone. Doch eine neue Studie der amerikanischen Investmentbank Bank of America Merrill Lynch legt nahe, dass diese Wahrnehmung zu einseitig ist. Die Sparernation Deutschland leide unter der extrem lockeren Geldpolitik nicht stärker als andere Euro-Länder (…).“ – bto: was nun nicht sagt, dass die Sparer nicht leiden. Sicher ist es so, dass alle jene weltweit leiden, die ihr Geld in geldnahen Formen sparen.
- „Rechne man die Entlastungseffekte der niedrigen Zinsen für den Schuldendienst mit ein, hat die größte Ökonomie in den vergangenen zehn Jahren von der ultralockeren Geldpolitik der EZB sogar kräftig profitiert.“ – bto: Das kann nun wirklich niemanden wundern. Natürlich haben wir enorm profitiert: a) keine Depression wie nach dem Zerfall des Euro, b) Konjunkturboom durch billiges Geld und schwachen Euro, c) Entlastung aller Schuldner, Vermögenspreisinflation macht Sachvermögensbesitzer reicher. Aber, dies geht klar zulasten einer Gruppe: jener Menschen, die nur in Geldvermögen sparen können oder wollen. Muss kein Thema sein, denke aber, es ist zu Recht ein Thema, weil es die Mitte der Gesellschaft ist. Hinzu kommt, dass dieser Boom auf Sand gebaut ist. Denn weder der Gelddruckprozess noch die damit verbundene Explosion der weltweiten Verschuldung schaffen echten Wohlstand und können – entgegen den Erwartungen vieler Beobachter – auch nicht ewig weitergehen.
- „Die Debatte in Deutschland konzentriert sich einzig auf die Kosten, die das niedrige Zinsumfeld mit sich bringt. Aber das ist eine unvollständige Sicht auf die Dinge. Die Vorteile der sehr niedrigen Geldpolitik werden eindeutig vernachlässigt.” Dazu würden etwa die geringen Verschuldungskosten oder der positive Einfluss, “den die niedrigen Zinsen auf andere Vermögensklassen wie Aktien oder Immobilien bringen” zählen. “Auch das Wirtschaftswachstum, Beschäftigung sowie Löhne und Gehälter hierzulande hätten von den sehr niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre profitiert.” – bto: So ist es ohne jeden Zweifel. Das Problem ist halt die Verteilungswirkung und diese darf nicht unterschätzt werden. Auch von jenen nicht, die sich über Populismus Sorgen machen, da es genau jene trifft, die auch so schon unter Druck sind.
- „Für ihre Analyse (…) einen Blick in die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung geworfen, die die Zinseinkünfte und -ausgaben auflistet und zwar sortiert nach privaten und öffentlichen Haushalten sowie Unternehmen. Ihre Analyse hat sie in drei Zeitabschnitte unterteilt, um detaillierter herauszufinden, welche geldpolitischen Maßnahmen letztlich für die Veränderung verantwortlich sind. (…) Ergebnis ist eindeutig: Alle Akteure haben nach der Finanzkrise niedrigere Zinseinnahmen verbucht, wenn man diese an der Wirtschaftsleistung misst.“ – bto: Auch dazu muss man eigentlich nicht groß analysieren. Die Sollzinsen sind stärker gesunken als die Habenzinsen, was sich in geringeren Margen für die Banken niederschlägt, was wiederum die Genesung des Bankensystems hemmt. Und da wir eine Konvergenz der Zinsen dank der EZB-Politik haben, verlieren natürlich die mehr, die von einem höheren Niveau kommen.
Quelle: Infografik WELT
Was wiederum auch die andere Erkenntnis der Analyse erklärt, nämlich, dass die Deutschen nicht die größten Verlierer sind, sondern die Italiener. Was in der Analyse allerdings fehlt, ist die Wirkung auf die Immobilienwerte. Hier profitieren naturgemäß die Besitzer von Immobilien mehr als Mieter. Hier liegen wir deutlich zurück. Schon vor einiger Zeit hatte die niederländische Bank ING-DIBA die Verteilungswirkung der EZB-Politik analysiert und dabei auch die Sachvermögen berücksichtigt. Das Ergebnis war wenig verwunderlich, aber ein anderes. So rechnet die ING-DIBA vor, dass vor allem Haushalte in Belgien, Italien, den Niederlanden und Spanien von dem billigen Geld profitieren. Die Vermögenswerte dort steigen, während die Belastung durch die Schuldzinsen gesenkt wurde.
Interessant an dem Chart ist übrigens auch, dass der Effekt der Geldpolitik offensichtlich abnimmt. Auch das ist natürlich zu erwarten. Die Zinssenkung wirkt nur einmal. Damit nähert sich die EZB der Wirkungslosigkeit – wenn sie da noch nicht ist – weshalb in der nächsten Phase der Krise die Helikopter kommen.
Dabei ist es nicht so einfach, nur die Zinseinnahmen und -ausgaben zu vergleichen. Es gibt noch mehr Faktoren. So zitiert die F.A.Z. eine Studie, die sich mit den Wirkungen auf Versicherungen befasst:
- “Wie viel deutsche Sparer tatsächlich verloren haben, wurde seither nur unbefriedigend beantwortet. Denn im Wesentlichen bestanden die Analysen darin, das Zinsniveau vor den EZB-Interventionen fortzuschreiben und die Kapitalerträge miteinander zu vergleichen. So kam etwa die DZ Bank im Jahr 2016 auf eine Zinseinbuße der Bürger von 344 Milliarden Euro in den sechs Jahren nach 2010.” – bto: wobei man sagen muss, dass diese Herangehensweise nicht völlig falsch ist. Es ist eine zulässige Betrachtung.
- “Forscher der Goethe-Universität (gehen) in einer gerade veröffentlichten Studie der Frage nach, welchen Einfluss geldpolitische Interventionen auf Versicherer haben. (…) Die geldpolitische Lockerung (Quantitative Easing, QE) habe einen ‚moderaten negativen Effekt‘ auf Versicherer gehabt. Je weiter sich die Finanzmärkte allerdings aus der Krise heraus bewegt hätten, desto geringer sei der Einfluss auf die Aktienkurse gewesen, die ja widerspiegeln, welche künftigen Erträge Anleger erwarten und die damit ein guter Indikator für den Effekt der geldpolitischen Intervention sind.” – bto: Das ist als solches eine ebenso denkbare Vorgehensweise. Voraussetzung ist, dass man den Effekt an den Märkten wirklich so isolieren kann. Da bin ich nicht zu 100 Prozent überzeugt.
- “Der Effekt auf einen einzelnen Versicherer hängt von seiner Größe und von seinem Anlageportfolio ab. In Staaten wie Belgien, Frankreich, den Niederlanden und Spanien, wo Versicherer sehr stark auf festverzinsliche Wertpapiere setzen, um ihre langfristigen Zinsversprechen an Kunden zu erfüllen, sei der Effekt sehr groß. Deutsche Versicherer werden in der Studie zwar nicht explizit erwähnt. Aber es gibt auch für sie Daten, und mit der starken Fokussierung auf Altersvorsorgeprodukte mit langen Garantien haben auch sie unter dem Verfall des Zinses stärker zu leiden gehabt als etwa Marktteilnehmer in den angelsächsischen oder den skandinavischen Ländern, die von der Geldpolitik vergleichsweise wenig stark getroffen waren.” – bto: So dürfte es sein.
- “Einen recht objektiven und unabhängigen Blick auf die Lage der Versicherer in Zeiten des Niedrigzinses liefert alljährlich der Finanzstabilitätsbericht der Deutschen Bundesbank. Ein Jahr nach Einführung neuer Kapitalregeln (Solvency II) hätten deutsche Lebensversicherer Ende 2016 im Median (die Hälfte der Gruppe lag darunter) 291 Prozent der erforderlichen Mittel aufgewiesen. Allerdings hätten dabei auch zwei Drittel der Unternehmen auf Übergangsregeln zurückgegriffen, die ihnen die Kalkulation erleichtern. 14 von 87 Unternehmen hätten ohne diese nicht das Mindestkapital erreicht.” – bto: Die Probleme wachsen mit jedem Jahr der Nullzinsen. Sollte es wirklich zu einem Zinsanstieg kommen, würde dieser im Portfolio der Versicherer noch schlimmere Spuren hinterlassen. Gerade bei den Versicherungen ist es die Zeit, die sich bemerkbar macht. Ein Blick nach Japan hilft hier.
Irgendwie eine nicht so klare Aussage, was aber dennoch ein Fazit erlaubt. Sparer jammern zu Recht, aber so ist nun mal in einer Welt, in der Sparer keinen ökonomischen Nutzen haben. Es gibt Gewinner an anderer Stelle, weshalb es allen netto besser geht, vor allem, wenn wir auch noch die verhinderte Depression infolge des Eurozerfalls einrechnen.
Klar ist aber auch, dass die EZB mit ihrer Politik nur das Problem verschleppt und vergrößert. Man denke nur an weiter steigende Schulden und Zombies, die nachhaltig das Wachstum dämpfen und die Schulden noch untragbarer machen. Das müssen wir kritisieren und dringend über Alternativen nachdenken.
Vor allem müssen wir immer daran denken, dass die EZB eigentlich die falsche Adresse ist, weil sie nur so handeln muss, weil die wirklich Verantwortlichen nicht handeln.
Daran erinnert FT Alphaville: „There’s only so much a central bank can do alone“:
- „Yesterday Holger Steltzner of the Frankfurter Allgemeine made clear (link in German) how he felt about
– Mario Draghi,
– Angela Merkel for allowing Mr Draghi to become president of the ECB,
– Ms Merkel for declining to insist that Jens Weidmann become the next president of the ECB,
– Anyone who believes that Italy should have a veto on the next president of the ECB, and
– Anyone who believes that Germany should have to offer something in return for its choice of the
next president of the ECB.“
- „Mr Steltzner does not approve of any of these people. Together, their actions have allowed the ECB to drop its policy rates below zero, reducing the value of savings and inflating a property bubble. He has a point. All of these things happened, and he’s right to point out the limitations of pursuing economic growth through monetary policy.“ – bto: Da stimmen wohl alle zu.
- „What Mr Steltzner misses, however, is that this all happened when regulatory and fiscal policies in the eurozone were a tangled, contractionary mess. Mr Draghi did what he did not to punish German savers, but because no other actor at any level of the EU or its member states had both the will and the power to do anything else.“ – bto: Die EZB hat auch nicht beschlossen, den Euro einzuführen. Das waren die Politiker und die sollten auch die Krise lösen. Sie weigern sich aber, weil jede Antwort politisch nicht zu verkaufen ist bzw. nichts bringt.
- „(…) there is only so much central bankers can do. The limited ability to raise or lower the price of debt is a battle axe. It is neither clean nor accurate. It’s just the tool that central banks happen to have. And for the last decade, as the Fed, the ECB and the Bank of Japan have whacked at the problems of low growth and financial instability, they have done so only because politicians, who have better tools for detailed work, have been reluctant to use them.“ – bto: wobei ich da skeptisch bin. Man kann den Euro in jetziger Form nur über die Runden bringen, nicht zum Erfolg führen.
- „This is the unique and perverse curse of central banking. They are the best places to find research in applied economics, because they do actually have to understand what is happening to make policy. Once they understand, however, they are often powerless. You could hear Ben Bernanke make this case in a speech in 2012 where he begged European and American politicians for any kind of expansionary fiscal policy. That’s not what Mr Bernanke got. Instead, he had to continue to ease credit in the United States, and watch as Mr Draghi eased credit in the eurozone, to the disappointment of Holger Steltzner of the Frankfurter Allgemeine. There’s only so much that monetary policy can do.“ – bto: Auch das kann man ganz dick unterstreichen.
Was bleibt also? Die Erkenntnis, dass
- die EZB die einzige handlungsbereite Institution war und ist, um den Euro zu erhalten;
- sie dabei ohne demokratische Legitimation eine Umverteilung vornimmt – von Geldvermögensbesitzern zu Schuldnern und Sachvermögensbesitzern;
- die Maßnahmen bisher per Saldo das Vermögen gesteigert haben, allerdings mit erheblichen Nebenwirkungen von Zombies, über steigende Schulden bis zu Target2-Salden;
- sie mit ihren Maßnahmen nur Zeit kaufen kann und es ohne eine echte Lösung zum großen Knall kommen wird;
- eine Lösung mit den Politikern, die wir haben, nicht zu erwarten ist und deshalb der Knall eine Frage der Zeit ist;
- der Knall, wenn er dann kommt, umso brutaler wird, je länger die Politik Zeit kauft;
- wir uns darauf vorbereiten müssen und es jederzeit passieren kann (Italien?), aber auch noch viele Jahre dauern.
Was die Diskussion um den Artikel von Mark Schieritz betrifft, so bleibt die Erkenntnis, dass er aus meiner Sicht die Zusammenhänge zu pauschal dargestellt hat, die Rentengeschenke fälschlich lobt und übereilig jeden Kritiker gleich in die rechte Ecke stellt. Ansonsten hat er recht.
→ zeit.de: “Der Mythos von der Enteignung der Sparer”, 30. August 2018
→ welt.de: “Deutschland soll plötzlich Profiteur der EZB-Geldpolitik sein”, 20. August 2018
→ faz.net: “Deutsche Versicherer trifft die Geldpolitik besonders”, 30. August 2018
→ faz.net: “Merkels EZB-Politik”, 27. August 2018
→ ftalphaville.ft.com: “There’s only so much a central bank can do alone”, 29. August 2018