“Leitzinsen beeinflussen Anleiherenditen, aber bestimmen sie nicht”

Passend zum Thema Zinsen von gestern, ein lesenswerter Beitrag aus der F.A.Z.:

  • Die Epoche sehr niedriger Anleiherenditen, die eine langfristige Kapitalbildung erschwert, ist ein globales Phänomen. Viele Anleger führen es alleine auf die sehr expansive Geldpolitik zurück. Würden die Notenbanken ihre kurzfristigen Leitzinsen erhöhen, gäbe es mit Sicherheit wieder höhere längerfristige Renditen, heißt es. Diese Denkweise ist seit Jahrzehnten an den Finanzmärkten etabliert. Sie ist aber auch aus der Zeit gefallen bto: wie wir gestern gesehen haben.
  • Im Dezember 2015 erhöhte die Fed den amerikanischen Leitzins zum ersten Mal seit mehreren Jahren. Nicht nur an den Finanzmärkten war damals die Ansicht weit verbreitet, der Leitzinserhöhung würden weitere folgen. (…) Zum Zeitpunkt der Leitzinserhöhung lag die Rendite zehnjähriger amerikanischer Staatsanleihen bei 2,20 Prozent. Nach der traditionellen Ansicht hätte die Rendite dieser Anleihen steigen müssen. Das Gegenteil ist geschehen: Die Rendite fiel über Monate und erreichte im Juli 2016 ein Allzeittief von 1,36 Prozent.”  bto: was auch ein Zeichen dafür sein kann, dass die Märkte eben eine Eiszeit erwarten und die Notenbanken für hilflos halten.
  • Die traditionelle Ansicht, nach der die langfristigen Anleiherenditen vom kurzfristigen Leitzins der Notenbank gesteuert werden, stützt sich auf ein ehrwürdiges Monument: die Erwartungstheorie des Zinses. (…) Da die Notenbank unbestritten den kurzfristigen Zinssatz steuert, müsste die langfristige Rendite einer Bundesanleihe aus dem aktuellen und dem für die Laufzeit der Anleihe erwarteten kurzfristigen Leitzins berechnet werden können. (…) Dabei liegen seit mindestens einem Vierteljahrhundert empirische Untersuchungen vor, die zeigen, dass sich in der Praxis Anleiherenditen so nicht bilden.”
  • Tatsächlich wirken auf die Renditen langfristiger Anleihen neben der Geldpolitik auch andere Einflüsse ein. (…) Sie sind auch schon lange wirksam, nur hat man sich lange Zeit nicht für sie interessiert. Dabei sinken die Anleiherenditen in den Industrienationen im Trend seit mindestens 30 Jahren. Für die Vereinigten Staaten lässt sich ein solcher langfristiger Trend, der allerdings immer wieder von vorübergehenden Gegentrends unterbrochen wurde, sogar seit fast 100 Jahren zeigen.” bto: 100 Jahre, das ist schon was. Übrigens 100 Jahre, in denen Schulden einen immer größeren Beitrag geleistet haben.
  • Eine These lautet, die niedrigen Renditen wären Ausdruck einer Welt, die in den Jahren nach der Finanzkrise verrückt geworden sei und in der die Geldpolitiker die Direktion des Irrenhauses übernommen hätten. In Wirklichkeit handelt es sich bei dem Renditefall um ein säkulares Phänomen.” bto: Das sehe ich genauso, wenngleich es mich stört, dass in diesen ganzen Diskussionen die Rolle der unproduktiven Verschuldung übersehen wird.
  • Eine neue Arbeit von Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich weist ein weiteres Mal nach, dass die Anleiherenditen in der Welt nicht alleine von der Geldpolitik beeinflusst werden (…). Das ist auch bemerkenswert, weil die BIZ-Ökonomen der sehr expansiven Geldpolitik unserer Zeit eigentlich sehr kritisch gegenüberstehen und aus ihrer Kritik keinen Hehl machen.” bto: Hier nachzulesen, einfach “BIZ” in die Suchmaske eingeben!
  • Ihre erste wichtige Schlussfolgerung lautet, dass die Anleiherenditen rund um den Globus im Laufe der Zeit immer stärker von der Entwicklung der Anleiherenditen in den Vereinigten Staaten beeinflusst werden. Das gilt vor allem für Schwellenländer, deren nationaler Einfluss auf ihre Anleiherenditen nur gering ist.”
  • Zu den langfristigen Einflüssen zählen unter anderem die Demografie, ein im Trend niedrigeres reales Wirtschaftswachstum in den Industrienationen und eine im Verhältnis zur Investitionsnachfrage hohe Ersparnisbildung. Die Investitionsnachfrage wird säkular beeinflusst durch einen Trend zur Informations- und Dienstleistungsgesellschaft, der weniger Großinvestitionen in Sachkapital erfordert, während eine höhere Lebenserwartung und eine angesichts der Alterung von Gesellschaften zunehmende Belastung der umlagefinanzierten Altersvorsorge die private Ersparnisbildung fördert.” bto: Faktoren, die ich gestern schon nannte.
  • Die Vielzahl der Kräfte, die auf die langfristigen Anleiherenditen wirken, gestattet nach Ansicht von Hördahl, Sobrun und Turner keine Prognose der künftigen Entwicklung. Allerdings gehen sie wie eine wohl wachsende Zahl von Ökonomen davon aus, dass in einer absehbaren Zukunft das Renditeniveau nicht mehr auf Höhen steigen wird, wie man sie vor mehreren Jahrzehnten kannte. Die „neue Normalität“ wird, zumindest für sichere Anlagen, durch niedrige Renditen gekennzeichnet sein.”- bto: nicht nur bei Anleihen, sondern bei allen Assets!
  • Das Denken über eine neue Normalität wird durch Studien von Ökonomen gefördert, nach denen der sogenannte neutrale Zins – das ist der Zins, der mit optimalem Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und niedriger Inflation vereinbar ist – in den Vereinigten Staaten auch heute, im siebten Jahr eines Konjunkturaufschwungs, immer noch nahe null liegen dürfte.” bto: was klar macht, wie groß die Probleme sind!

Versuche, die neue Normalität weg zu definieren, werden nicht funktionieren.”  bto: nein. Wir müssen damit umgehen.

→ F.A.Z.: “Leitzinsen beeinflussen Anleiherenditen, aber bestimmen sie nicht”, 17. August 2016

Kommentare (7) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Michael Stöcker
    Michael Stöcker sagte:

    Meine Fundamentalkritik am herrschenden Zinsverständnis, die ich vor 3 Jahren hier formuliert hatte (https://zinsfehler.wordpress.com/2013/09/06/allmachtsfantasien-zur-zinssetzungshoheit/) scheint sich allmählich durchzusetzen. Aber auch heutzutage soll es immer noch Menschen geben, die an die unbefleckte Empfängnis glauben. Bis die mittelalterlichen Zins- und Geldmythen aus unseren Köpfen verschwunden sein werden, werden aber wohl noch zahlreiche weitere falsche Schuldzuweisungen und riesengroße Eseleien geschehen.

    LG Michael Stöcker

    Antworten
  2. Katalin
    Katalin sagte:

    Hallo,

    es ist erfreulich, dass die FAZ auch in der Realität angekommen ist, leider nur im Blog aber immerhin, vor allem wenn man bedenkt was alles seit der Ausbruch der Krise in der FAZ zu dem Thema geschrieben wurde bzw. was viele Experten in der FAZ schreiben durften.

    Wenn noch die Regierung damit aufhören würden das Märchen von der Enteigung des dt. Sparers durch die EZB bzw. durch die Südeurop. zu erzählen, könnte man endlich damit beginnen die wahren Probleme die uns in die Krise geführt haben zu lösen.

    Denn:
    Immer wieder zu behaupten, die niederigen Zinsen enteignen den Sparer, aber gleichzeitig zu verschweigen, dass der Staat auf der anderen Seite Milliardenüberschüsse wegen dieser Zinsen einfährt, ist unseriös.

    Denn, es galt schon immer und es gilt immer noch:
    Ohne Schulden kein Vermögensaufbau.
    Wenn eines Seite immer nur Vermögen aufbauen möchte, bleibt der anderen Seite nichts anderes übrig als Schulden zu machen. Das die Schuldner irgerndwann nicht mehr in der Lage sind die Zinsen zu erwirtschaften und wir in der Krise landen wo es keine Zinsen gibt, dürfte jedem klar sein.

    Gruß

    Antworten
    • Felix Kurt
      Felix Kurt sagte:

      Hallo,
      Ob der Saldo aus allen zu bezahlenden Zinsen auf den Bestand der Bundesschulden minus dem „Zinsgewinn“ durch die negativen Zinsen auf die jüngsten Bundespapiere tatsächlich positiv, also ein Überschuss ist, dass sollte erst einmal geprüft werden. Der Bund hat jetzt wohl „mehr eingenommen“ als budgetiert. Aber ein absoluter Zinsüberschuss wird das nicht sein.

      Verständnisfrage:
      Die „eine Seite“ baut nur Vermögen auf und die andere Seite nimmt nur Schulden auf?
      D. h. risikofreier, nicht schuldenfinanzierter Vermögensaufbau, womöglich noch ohne jedes unternehmerische Risiko oder Investitionsrisiko?

      Und auf der „anderen Seite“ nur Schuldner, welche die Zinsen nicht mehr bezahlen können? Was machen die mit dem Geld?

      „Ohne Schulden kein Vermögensaufbau.“ Das scheint mir richtig. Aber der, der das geliehene Geld sinnvoll investiert ist der Schuldner und baut sich Vermögen auf.

      Antworten
      • Katalin
        Katalin sagte:

        Hallo,

        es ist ganz einfach;

        „Ohne Schulden kein Vermögensaufbau.“ Das scheint mir richtig. Aber der, der das geliehene Geld sinnvoll investiert ist der Schuldner und baut sich Vermögen auf.

        Um das Geld sinnvoll zu investieren zu können, muss ausreichend Nachfrage vorhanden sein. Nun kann man argumentieren, jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage selber, das dies nicht der Fall zeigt z.B. auch die BRD, wo zusätzliche Nachfrage aus dem Ausland kommt.

        Das flexible Arbeitsmärkte und Dergulierung nicht Wachstum schaffen können, konnte man sehr gut in den letzten 30 Jahren in den USA bobachten, wo es die flexibelsten Arbeitsmärkte und mit die niedrigsten Steuern der westl. Welt gibt, aber das Wirtschafswachstum und niedrige AL-Quote seit 30 Jahren durch die FED generiert werden (Ankurbelung der Konjuktur) d.h. Geldpolitische Lockerung in welcher Form auch immer.

        Sie, ich oder wer auch immer kann es drehen und wenden wie man es will, ohne angemssene Beteiligung aller Wirtschaftssubjekte an den Gewinnen sind die Krisen nicht zu bewältigen. Diese Beteiligung kann nur in Form von angemessenen Löhnen erfolgen. (Produktivitätssteigerungen und Inflationssausgleich)

        Gruß

    • Michael Stöcker
      Michael Stöcker sagte:

      Geldvermögen vs. Realvermögen

      Schulden sind (im Idealfall) das soziale Instrument, um in einer arbeitsteiligen Wirtschaft Sachvermögen zu bilden. Sind alle Schulden getilgt, dann gibt es auch keine Forderungen mehr. Als realer Wert bleibt das Sachvermögen (Produktionsstätten, Immobilien etc.), das Geldvermögen ist mit den Geldschulden verschwunden.

      Aber: Solange wir nicht zur Subsistenzwirtschaft zurück kehren, wird es Schulden und somit auch Geldvermögen geben. Denn Geld ist als soziale Verpflichtungsrelation nichts anderes als umlauffähige Schulden.

      Geld hat allerdings im Aggregat keinen Wert an sich, da die Geldschulden immer exakt so hoch sind wie die Geldvermögen. Oder um mit Aristoteles zu sprechen: Geld ist Mittel zum Zweck, aber niemals der Zweck an sich. Eigentlich alles alte Weisheiten, die immer wieder ignoriert werden oder aber in Vergessenheit geraten (z. B. Prediger 5:10).

      LG Michael Stöcker

      Antworten
      • Katalin
        Katalin sagte:

        Können Sie uns noch den Zusammenhang von Geld und Schulden in Bezug auf das Spraren/Investieren und Zinsen erklären und warum Realvermögen ohne das Geldvermögen auch wertlos wird und ganze Wirtschaft zerbricht und warum das Sparen d.h zu viel sparen so problematisch sein kann.
        (In einer arbeitsteiligen und modernen Wirtschaft versteht sich)

        Danke

      • Michael Stöcker
        Michael Stöcker sagte:

        Liebe Katalin, eine umfassende Antwort auf Ihre Fragen ist hier in diesem Forum kaum möglich; dafür ist die Thematik einfach zu komplex. Ich starte den Versuch einer Kurzerläuterung.

        Je höher die realen Investitionen, desto höher die realen Gewinne, desto höher die reale Ersparnis. Überinvestitionen schaffen Überkapazitäten, die wiederum auf die Preise drücken. In einer Zahlungswirtschaft gibt es kein/kaum Interesse an individuellen realen Überschüssen (was soll der Unternehmer mit einem übervollen Lager schon groß anfangen?), sondern insbesondere geht es um monetäre Überschüsse. Die kann es wiederum nur bei monetärer Expansion und/oder zunehmender monetärer Ungleichverteilung geben. Die monetäre Expansion erfolgte insbesondere durch Abzahlungsgeschäfte (siehe hierzu auch: https://zinsfehler.wordpress.com/2013/09/14/das-geschaft-mit-der-verbriefung/ ) und fiskalische Expansion. Beide Phänomene fördern und verstärken den Matthäus-Effekt.

        Realvermögen ist zwar ohne Geld nicht völlig wertlos, aber doch sehr stark im Wert gemindert. Geld ist nicht nur eine soziale Verpflichtungsrelation, sondern die soziale Errungenschaft schlechthin, da es die multilateralen hochkomplexen Interaktionen der Gesellschaft auf ein einziges Medium reduziert.

        Die monetäre Ersparnis muss zur Fristentransformation passen (beinahe unmöglich am ZLB). Ist die monetäre Ersparnis zu hoch, dann fehlt reale Nachfrage und es bilden sich Lagerbestände. Hält dieser Prozess längere Zeit an, dann folgt die Insolvenzwelle mit weiteren destruktiven deflatorischen Entwicklungen. Ist die monetäre Ersparnis zu niedrig, dann steigen die Zinsen und die Inflation. Es ist letztlich alles eine Frage der Fristentransformation. Darum ja auch die richtige und wichtige Diskussion zum Renteneintrittsalter.

        LG Michael Stöcker

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