“Forscher streiten über steigende Ungleichheit”
Das Thema der Ungleichheit ist wieder prominent in den Medien. Nachdem die große Piketty-Welle etwas abgeklungen war, folgte der Aufguss durch Marcel Fratzscher, der auf – wiederum nachträglich korrigierten Daten – die große Ungleichheit in Deutschland anprangerte und sogleich das Wahlkampfthema für unsere überalterte und umverteilungsorientierte Gesellschaft lieferte. Meine Sicht dazu hier:
→ Auftakt zur Umverteilungsorgie
Nun greifen sowohl F.A.Z. wie auch SZ das Thema wieder auf. Im Kern bleiben die Aussagen: a) Es ist ein Problem. b) Keiner weiß so richtig, woran es liegt. c) Auf jeden Fall muss der Staat was machen. Na, ja. Schauen wir mal:
Zunächst die SZ:
- “Es ist unumstritten, dass die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in den Industrieländern seit Jahrzehnten wieder gestiegen ist. Kaum jemand bezweifelt noch, dass zu hohe Ungleichheit schädlich für das soziale Gefüge ist.” – bto: Das ist natürlich hinlänglich schwammig formuliert. Was ist zu hoch?
- “Piketty zeigt, wie sich die Einkommen und Vermögen in den vergangenen 40 Jahren wieder auseinanderentwickelt haben, in Frankreich, in den USA, in Deutschland. (…) Und er liefert eine Erklärung gleich mit, formuliert als universelles Gesetz kapitalistischer Volkswirtschaften: Die Ungleichheit sei gestiegen und werde weiter steigen, weil die Kapitaleinkommen schneller wachsen als die Gesamtwirtschaft.” – bto: eine Formel, deren Gültigkeit klar widerlegt ist.
- “Piketty behielt recht, als er sagte, die Formel sei eine ‚gute Kommunikationsstrategie‘ für sein Thema. Vermutlich wird diese Formel einmal in einer Reihe stehen mit der Kuznets-Kurve, wegweisend, einflussreich, wertvoll – aber widerlegt. Denn das enorme Forschungsinteresse, das er ausgelöst hat, animierte Ökonomen wie Carlos Góes vom Internationalen Währungsfonds dazu, die Kapitalismus-Formel zu überprüfen.” – bto: Von Anfang an stand für Piketty das politische Ziel im Vordergrund, nicht die Qualität der Analyse. Dabei sind die von ihm gesammelten Daten durchaus interessant und ein wertvoller Beitrag, wie ich auch in meinem Buch schreibe.
- “Vor wenigen Tagen hat Góes mit einem Arbeitspapier diese Formel widerlegt. Er analysierte Daten aus 19 Industrieländern und 30 Jahren mit einer komplexen Zeitreihenanalyse, fand aber keine empirischen Belege für die von Piketty postulierte Formel. Im Gegenteil: In drei Vierteln der untersuchten Länder war der Effekt sogar umgekehrt. Pikettys zentraler Fehler sei die Annahme einer konstanten Sparquote, schreibt Góes. In Wahrheit verändere sich abhängig vom Wirtschaftswachstum deutlich, wie viel die Menschen sparten und damit auch, welchen Anteil das Kapitaleinkommen an der gesamten Wirtschaftsleistung hat.” – bto: Außerdem sind Kapitalerträge nicht unabhängig vom Wirtschaftswachstum, wie wir auch heute erleben!
- “Der noch nicht abgeschlossene Übergang von der Industrie- zur Service-Gesellschaft führt zu einer viel stärker differenzierten Nachfrage nach bestimmten Spezialfähigkeiten, die höher entlohnt werden. Je reicher ein Land wird, desto eher bleibe außerdem Raum für astronomisch hohe Einkommen. ‚Die Ungleichheit kann jetzt mehr als zuvor steigen‘, schreibt er, ‚weil ein höheres Gesamteinkommen einem Teil der Bevölkerung deutlich höhere Einkommen erlaubt, ohne dass alle anderen hungern müssen.‘” – bto: Das könnte in der Tat die Einkommensungleichheit erklären, nicht jedoch die Vermögensverteilung.
- “In diesem Kontext spielt auch die Innovation eine gewichtige Rolle – Erfindergeist wird in einer schon ungleichen Gesellschaft überproportional entlohnt, wenn er erfolgreich ist. Das betonen der Harvard-Ökonom Philippe Aghion und zahlreiche Kollegen in einem im vorigen Jahr erschienenen Paper. Mit ihren Berechnungen können sie den Anstieg der Einkommensungleichheit in den USA seit 1975 zu 17 Prozent durch Anzahl und Qualität der Innovationen erklären, gemessen anhand der Patente.” – bto: Das leuchtet ein und erklärt auch Vermögen, wie wir an den Start-up-Milliardären sehen können.
- “Die Menschen suchen sich ihre Partner anders aus als früher, eher in der gleichen Gesellschaftsschicht. Der Arzt, der die Krankenschwester heiratet, ist zur Ausnahme geworden. Das war in den USA des frühen 20. Jahrhunderts schon so, verkehrte sich bis in die Fünfzigerjahre ins Gegenteil, bis sich mit dem Verlauf des Internetzeitalters die Partnersuche wieder ins eigene soziale Milieu verlagerte.” – bto: was natürlich wieder sowohl Einkommen wie auch Vermögen etwas erklärt.
Auch die F.A.Z. nimmt das Thema nochmals auf:
- “Es gibt keine Hinweise darauf, dass die moderne Wirtschaft tatsächlich so funktioniert wie von Piketty behauptet. Vielleicht überschätzt der Franzose die Fähigkeit der Erben, ihr Vermögen zusammenzuhalten. Vielleicht sind die Steuern schon hoch genug. Vielleicht hat er etwas anderes übersehen. Sicher ist: Seine These erklärt in der Gegenwart nichts.”
- “Das hätte man früh wissen können – wenn man rechtzeitig auf die Kritiker gehört hätte. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zum Beispiel wusste Bescheid. Ein paar Monate nachdem Pikettys Buch erschienen war, lud er den Professor nach Berlin ein. ‚Ihrem Renditegesetz wird der Vorwurf gemacht, dass es nicht der Realität entspreche‘, sagte Gabriel damals. Schlimm fand er das nicht. Gabriel erzählte von SPD-Gründer Ferdinand Lassalle und seinem ‚ehernen Lohngesetz‘: Der Kapitalismus drücke alle Löhne ans Existenzminimum. Das stimmt nicht. Also könne es Piketty gleichgültig sein, ob es Kritik an seiner Folgerung gebe, sagte Gabriel, solange das Buch eine politische Bewegung auslöse.” – bto: Ich war vor Ort und konnte das miterleben.
- “So wie der SPD-Vorsitzende scheinen viele zu denken: Ob die Zahlen stimmen oder nicht, ist egal. Hauptsache, man kann sie für die eigenen politischen Zwecke einspannen. ‚Die Schere zwischen Arm und Reich geht auf.‘ Dieser Satz muss einfach wahr sein, sonst taugt er nicht als Hebel, um Steuererhöhungen und neue Wohltaten zu fordern. Da werden Zahlen selektiv präsentiert und Statistiken umgedeutet – so lange, bis die Armut möglichst groß wirkt. Viele Bürger trauen den gebeugten Statistiken, sie hören ja so oft von der aufgehenden Schere.”
- “Selten ist zu hören, dass sich in Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich seit zehn Jahren gerade nicht weiter öffnet. Vielmehr näherten sich die Einkommenskurven einander an, und die Arbeitslöhne stiegen schneller als die Kapitalerträge. Und das nicht, weil der Staat höhere Steuern verlangt oder mehr Sozialhilfe verteilt hätte. Die Trendwende begann nach den Agenda-Reformen von Gerhard Schröder – weil damals viele Arbeitslose eine neue Stelle fanden.”
– bto: Wir haben eine politische Diskussion mit nutzbringenden Zulieferern aus der “Wissenschaft”. Dabei ist es vermutlich nur konsequent, dass diese Analysen die Rolle der ständig steigenden Verschuldung und des dahinter liegenden Geld- und Bankensystems völlig ausblenden. Dabei wären die Vermögenspreise ohne den Leverage-Effekt niemals dort, wo sie heute sind. Aber die Leser von bto wissen das ja schon längst.
→ DIW vergleicht Äpfel mit Birnen in der politischen Kampagne für höhere Steuern
P. S.: Bei der Veranstaltung mit Gabriel fragte der SPD-Politiker Carsten Schneider, bezugnehmend auf mein Buch “Die Schulden im 21. Jahrhundert”, nach der Rolle von Schulden und Leverage. Piketty hat die Frage nicht beantwortet. Warum wohl?
→ F.A.Z.: “r>g”, 24. August 2016
→ SZ: “Forscher streiten über steigende Ungleichheit”, 19. August 2016