Auftakt zur Umver­teilungs­orgie

Lauthals bedauert die Politik das Schrumpfen der Mittelschicht, dabei hat sie diese Entwicklung selbst befeuert. Die Aufregung darüber wird missbraucht, um noch mehr Umverteilung zu begründen. Umverteilung, die letztlich wieder die Mittelschicht bezahlen muss.

Immer wenn Wirtschaftsforschungsinstitute neue Studien vorlegen, muss man besonders gründlich hinschauen. Nicht selten geht es mehr um Meinungsmache als um nüchterne Fakten. So war es bei der von Mängeln durchzogenen Studie des DIW zum wirtschaftlichen Nutzen der Flüchtlingskrise, so ist es bei dem aktuellen Aufregerthema, der schrumpfenden Mittelschicht. Auch hier musste das DIW eingestehen, die Daten in die gewünschte Richtung verfälscht zu haben.

Kein führendes Medium in Deutschland kam umhin, diese neue DIW-Studie groß aufzumachen und mitzuspielen im großen Spiel um das Wahlkampfthema des nächsten Jahres: Zeit, die „Reichen“ endlich höher zu besteuern und damit wieder für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. Am besten über mehr Rentenzahlungen und andere soziale Wohltaten.

Damit wird die Grundlage gelegt, die Politik, die erst zum Rückgang der Mittelschicht geführt hat, mit noch mehr Verve fortzusetzen. Wohin man auch blickt, es ist die Schuld der Politik, dass die Mittelschicht so unter Druck ist.

Weniger Einkommen

Es ist vor allem die Mittelschicht, die die Folgen der Globalisierung mit voller Wucht zu spüren bekommen hat. Arbeitsplätze, die als sicher galten, erwiesen sich plötzlich als gar nicht mehr so sicher. Neue Wettbewerber aus anderen Teilen der Welt waren nicht nur günstiger, sondern konnten auch technisch immer mehr mit uns mithalten. Die richtige Antwort wäre – nicht nur in Deutschland, sondern in allen Industrieländern der westlichen Welt – eine Innovations- und Bildungsinitiative gewesen. Stattdessen hat man sich damit abgefunden, dass die Löhne stagnieren oder sinken und die Lücke mit staatlichen und privaten Schulden geschlossen.

In Deutschland wurde das durch die Einführung des Euro zunächst verstärkt, wie ich hier erläutert habe. Um die Wettbewerbsfähigkeit nach der Euroeinführung wieder herzustellen, haben wir Lohnzurückhaltung geübt. Statt „work smarter, not harder“ haben wir uns darauf versteift, billiger zu sein. So sind wir Exportweltmeister geworden und streben in diesem Jahr einen Überschuss von weit mehr als acht Prozent des BIP an. Nutznießer sind in erster Linie die exportorientierten Unternehmen, deren Eigentümer und Mitarbeiter.

Der Rückgang der Einkommen war explizit gewollt, um internationale Wettbewerbsfähigkeit zu erlangen und die Arbeitslosigkeit zu senken. Ich finde nach wie vor, dass es besser ist, einen schlecht bezahlten Job zu haben als gar keinen. Doch sollte niemand, der jahrelang die Politik verfolgt, über Lohnanpassung die Arbeitslosigkeit zu senken, anschließend bedauern, dass die Löhne tatsächlich gesunken sind.

Wollte die Politik wirklich die Grundlage für relativ höhere Einkommen im internationalen Vergleich legen, so müsste sie in Bildung und Infrastruktur investieren. Stattdessen ist die absolute und relative Verschlechterung der Leistungen des deutschen Bildungssystems – von Ausnahmen wie Bayern abgesehen – unübersehbar. Die Investitionen in Infrastruktur verharren seit Jahren auf einem viel zu tiefen Niveau.

Weniger Vermögen

Es ist allgemein bekannt, dass deutsche Haushalte über weitaus weniger Vermögen verfügen als der Durchschnitt der anderen Euroländer. Hauptursache dafür ist die Art und Weise, wie wir unser Geld anlegen. Weitaus geringerer Besitz von Immobilien und Aktien, stattdessen eine Vorliebe für Sparbuch, Riester-Rente und Lebensversicherung.

Nicht zuletzt aus falsch verstandener Fürsorge und Interesse an der Finanzierung des Staates hat unsere Politik über Jahrzehnte hinweg die falschen Anreize gesetzt. Statt einer breiten Beteiligung der Bevölkerung am Produktivvermögen wurde das Sparen in niedrigrentierlichen Anlagen von der Politik mit allen Mitteln gefördert. Verbunden mit einer mangelnden Bildung mit Blick auf das Einmal-Eins der Geldanlage und Wirtschaft wurde so erreicht, dass der deutsche Mittelstand deutlich schlechter dasteht als die Bevölkerung in anderen Ländern.

Hinzu kommt, dass unsere Banken und Versicherungen als Kapitalsammelstellen, die von uns erwirtschafteten Außenhandelsüberschüsse denkbar schlecht anlegen. Wie an anderer Stelle erläutert, gehen Handelsüberschüsse immer mit entsprechendem Kapitalexport einher. Leider liegt die Summe der Handelsüberschüsse der letzten Jahre deutlich über dem Zuwachs an Auslandsvermögen. Deutlicher Beweis dafür, dass wir unsere Ersparnisse denkbar schlecht anlegen. Alleine in der Subprime-Krise haben wir über 400 Milliarden Euro verloren.

Für die Zukunft ist keine Besserung zu erwarten. Was in Griechenland ein offenes Geheimnis ist, wird sich auch in Irland, Portugal und Spanien einstellen: Ein guter Teil der privaten und öffentlichen Schulden wird nicht bedienbar sein. Die Verluste werden in Europa verteilt werden, wobei Deutschland als größtem Gläubiger entsprechende Verluste entstehen werden, die letztlich die Mittelschicht wird tragen müssen.

Die Anreize für die Geldanlage und die einseitige Ausrichtung auf den Export von Waren und Ersparnissen sind die direkte Folge der Entscheidungen unserer Politiker. Statt mehr im Inland auszugeben, sei es durch mehr Schulden des Staates oder aber eine höhere Besteuerung der Unternehmen, die ihre Gewinne eben nicht dazu nutzen, zu investieren, geben wir unser Geld an Ausländer, die in Zukunft nicht werden bezahlen können.

Bevor man also daran denkt, durch noch mehr Umverteilung an den Symptomen herumzudoktern, sollte die Politik die wirklichen Ursachen bekämpfen: zu wenig Investitionen im Inland und falsche Anreize für die Geldanlage.

Höhere Belastung

Als wäre es nicht genug, dass der deutsche Mittelstand unter stagnierenden Löhnen und einer falschen Anlagestrategie leidet, so wird er auch noch deutlich höher mit Steuern und Abgaben belastet als in anderen Ländern der OECD.

Dies liegt vor allem daran, dass die Steuerschraube bereits bei ab Jahresbruttoeinkommen von 50.000 Euro drastisch angezogen wird. Eine zunehmend unrealistische Definition eines „Besserverdieners“.

Die Belastung der Mittelschicht setzt sich bei der Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen fort. So zahlt eine Familie mit einem Brutto-Jahreseinkommen von 80.000 Euro nicht selten deutlich mehr Kindergartenbeitrag als eine Familie mit 45.000 Euro Jahresbrutto.

Wer die Mittelschicht so belastet, darf sich nicht wundern, wenn sie schrumpft. Wollte die Politik dies ändern, müsste die Belastung deutlich gesenkt werden, damit es wieder möglich ist, aus eigener Kraft durch Arbeit und Sparen reich zu werden.

Starkes Wachstum im unteren Bereich

Angesichts dieses Umfelds darf man sich nicht wundern, wenn die Abwanderung aus der Mittelschicht ins Ausland weiter anhält. Wer kennt nicht die Ärzte und Ingenieure, die lieber in der Schweiz oder den USA ihre Zukunft bauen? Auch wenn die Abwanderung in den letzten Jahren wegen der guten Konjunktur nachgelassen hat, führt dies zu einem relativen Rückgang der Mittelschicht.

Die Hauptursache für den bedauerten Rückgang der Mittelschicht dürfte jedoch im überproportionalen Anwachsen der unteren Einkommens- und Vermögensschichten liegen. Ein einfaches Rechenbeispiel illustriert dies sehr gut. Gehen wir von einer Bevölkerung von 80 Millionen im Jahr 2000 aus und nehmen eine Verteilung 10/40/50 auf die obersten 10 Prozent, die Mittelschicht und die ärmere Bevölkerungshälfte an. Kommt es aufgrund der demografischen Entwicklung und der Abwanderung zu einem Rückgang der Bevölkerung um 15 Prozent, der ausschließlich durch ein Anwachsen in den unteren Einkommensregionen kompensiert wird, sinkt der Anteil der Mittelschicht von ehemals 40 auf nur noch 34 Prozent (ein Rückgang um 15 Prozent wäre dann die Schlagzeile!). Obwohl wir eine unveränderte Bevölkerungszahl haben, ist der Mix ein deutlich anderer.

Das starke Anwachsen der unteren Einkommensschichten als Folge von Zuwanderung und Umverteilung ist folglich ein wesentlicher Grund für die Abnahme der Mittelschicht. So gibt der Sozialstaat gerade im untersten Einkommensbereich den stärksten relativen finanziellen Anreiz, Kinder zu bekommen. Das Familieneinkommen lässt sich so gerade für Nichtqualifizierte leichter und deutlicher steigern als über Arbeit. Dieser Anreiz dürfte mit ein Grund für die erschreckende Tatsache sein, dass immer mehr Kinder in Armut aufwachsen. Wobei Armut bekanntlich als Abweichung vom Mittel definiert ist.

Dass die Politik hier durchaus andere Anreize setzen könnte, liegt auf der Hand. So hatte die US-Regierung unter der Führung von Bill Clinton ein Gesetz erlassen, wonach der Staat bei alleinstehenden Frauen maximal zwei Kinder finanziell unterstützt. In der Folge ging die Geburtenrate in dieser Gruppe deutlich zurück. Bevor man nun aufschreit und dies als eine unzulässige Einmischung in das Privatleben verteufelt, sollte man sich in Erinnerung rufen, dass diese Kinder letztlich von der Mittelschicht über Umverteilung finanziert werden.

Dies trifft auch für den anderen Aspekt der Strukturverschiebung in der deutschen Bevölkerung zu: die Zuwanderung. Wie das DIW in anderen Studien herausgearbeitet hat, liegt das Einkommen von Zuwanderern deutlich unter dem durchschnittlichen Niveau in Deutschland. Auch die Bertelsmann Stiftung hat bereits vor Jahren die erhebliche Finanzierungslücke aus der Zuwanderung bemängelt. Gerade Zuwanderer aus muslimischen Ländern – so das DIW – haben weit unterdurchschnittliche Einkommen und zudem eine weitaus geringere Erwerbsbeteiligung der Frauen und zugleich eine höhere Geburtenrate.

Dass dies nicht so sein muss, zeigen andere Einwanderungsländer eindrücklich. Kanada, Australien und auch die USA sind in der Lage, gezielt qualifizierte Einwanderer anzuziehen. Dazu bräuchten wir einen deutlichen Wandel in unserer Einwanderungspolitik, mit einem an unseren Interessen ausgerichteten Auswahlprozess.

Wer die Mittelschicht stärken will, muss deren Belastung senken und damit die Mittel des Sozialstaats intelligenter verwenden. Eine Begrenzung der Leistungen mit zunehmender Kinderzahl in Harz IV Haushalten und eine gezielte Zuwanderungspolitik, wie von Fachleuten schon seit Jahren gefordert, sind die entscheidenden Hebel dafür.

Verlogene Politik

Die Beispiele verdeutlichen, dass die Politik über Jahrzehnte hinweg die Mittelschicht immer mehr ausgehöhlt hat. Wird nun eine Lösung über eine höhere Besteuerung der obersten Einkommen und Vermögen angestrebt, so ist dies sicherlich ein schöner Wahlkampfschlager, hat aber mit der Realität wenig zu tun. Natürlich wird eine höhere Besteuerung im obersten Segment etwas beitragen, aber es ist rein massemäßig nicht genug. Wie schon heute bei der Einkommenssteuer lohnt es sich erst, wenn die breite Masse der Mittelschicht mit belastet wird.

Nötig ist ein Politikwechsel der fundamentalen Art: Steuerung der Zuwanderung, Begrenzung der Sozialleistungen mit zunehmender Kinderzahl, massive Investitionen in Bildung und Infrastruktur und die Entlastung der Mittelschicht von Abgaben und Steuern. Stattdessen bastelt die Regierung an weiteren Versprechen bei Renten und Leistungen, die letztlich wieder dieselben bezahlen: die Mittelschicht.

manager-magazin.de: „Die Mittelschicht schrumpft und zahlt“, 13. Mai 2016

Kommentare (3) HINWEIS: DIE KOMMENTARE MEINER LESERINNEN UND LESER WIDERSPIEGELN NICHT ZWANGSLÄUFIG DIE MEINUNG VON BTO.
  1. Dennis Gross
    Dennis Gross sagte:

    Guten Tag,

    dieses ist nun der erste Beitrag in diesem Blog, der mir absolut missfällt. Ich stimme mit den Kernaussagen überein, dass es unter anderem durch die Politik versäumt wurde, in Deutschland wieder eine Innovationsfabrik zu errichten und durch Bildungsausbau eine klare Abhebung vom Arbeitnehmermarkt in Schwellenländern zu schaffen. Jedoch missfällt mir sehr, dass hier dargestellt wird, dass die Umverteilung auf Kinder aus Hartz IV Haushalten anscheinend keine intelligente Verwendung von staatlichen Mitteln ist.

    “Eine Begrenzung der Leistungen mit zunehmender Kinderzahl in Harz IV Haushalten”

    Ich selbst entstamme solch einem Haushalt (damals ja noch Sozialamt) und bin inzwischen als sog. “Besserverdiener” zu einem ordentlichem Steuerzahler geworden. Das es nicht die Regel ist, ist mir bewusst, jedoch liegt das an unserem Sozialsystem und mangelhafter Kinder-&Jugendförderung. Kinder werden nicht “bildungsarm” geboren, sie werden in unserem Land nur sehr viel stärker vernachlässigt als in anderen Industrienationen.
    Da in diesem Land viel zu wenige Kinder geboren werden, wären also viel mehr staatliche Unterstützung und gesellschaftliches Engagement im Bereich der Förderung unser nachfolgenden Generationen sinnvoller als eine Entlastung des Mittelstandes. Diese nachfolgende Generation wird es sein, die unsere Politik-Fehler ausbaden und gleichzeitig unseren Wohlstand im Alter zu sichern vermag. Dafür müssen wir sie aber bereits jetzt dazu fördern, anreizen und ausbilden, damit sie dann die Innovationsfabrik Deutschland vielleicht wieder zu einer führenden Rolle in der Welt verhelfen.
    Dabei sollte uns kein einziger zukünftiger Träger dieser Gesellschaft durch die Lappen gehen, ob nun mit oder ohne Migrationshintergrund, ob Kind reicher Eltern oder Kind von Sozialhilfeempfängern.
    Ganz anderes Thema, auf das ich jetzt abgerutscht bin, aber dieses musste ich jetzt mal loswerden.

    Vielen Dank für alle anderen Beiträge, die ich sehr interessiert lese Herr Stelter.

    Mit freundlichen Grüßen
    Dennis

    Antworten
    • Daniel Stelter
      Daniel Stelter sagte:

      Lieber Dennis, die verspätete Veröffentlichung ist keine Zensur, sondern der Fülle an Spam geschuldet, die manchmal die explizite Freigabe durch mich erfordert. Das nur zur Erläuterung, weshalb Ihr Kommentar erst jetzt hier für alle sichtbar erscheint (falls Sie sich das fragen). Zum Inhalt: Ich verstehe Ihre Argumentation und denke, ich habe hier und immer wieder gesagt, wie wichtig massive Investitionen in Bildung sind. Hier versagt der Staat völlig. Und ja: Es muss die nächste Generation ausbaden. Ob die Lösung in der Umverteilung liegt, wie sie das DIW vorschlägt, wage ich – auch angesichts der massiven Überersparnis in Deutschland – zu bezweifeln.

      LG

      DSt

      Antworten
  2. Nana Albert
    Nana Albert sagte:

    Hallo Herr Stelter,

    vielleicht sollten Sie ihre Aussage, dass sie es besser finden würden eine schlecht bezahlte Arbeit zu haben, als gar keine, etwas differenzieren: Haben Sie eigentlich eine Vorstellung davon, was ein körperlich anstrengender Job bereits nach zehn Jahren aus einem Menschen machen kann? Und wenn dieser dann auch noch mies bezahlt ist, entsteht Wut! Arbeit muss anders, nämlich nach wirklicher Belastung (körperlicher nämlich) eingestuft und bezahlt werden! Dort gibt es unsägliche Ungerechtigkeit, die beseitigt werden sollte!

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