Die uneinsichtigen Starrköpfe der BIZ?
In der letzten Woche habe ich erneut – wie schon in den Vorjahren – die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich an dieser Stelle als Kronzeugen für gute Wirtschaftspolitik angeführt. Nicht alle sehen die BIZ so positiv. Martin Wolf von der FINANCIAL TIMES (FT) – ein wirklich kluger Kopf, den ich ein paar Mal live erleben durfte –, hat erneut kritisch auf die Empfehlungen geblickt. Hier seine Sicht aus der FT von der letzten Woche. Ergänzend bringe ich heute Nachmittag seine Sicht aus dem Jahr 2014 und meine damalige Kritik. Zumindest ist er konsistent.
- “The Bank for International Settlements (…) has argued for monetary and fiscal tightening, whether that makes sense, or not. Fortunately, policymakers (…) have ignored its apparent conviction that the world needed an even deeper and more prolonged recession.” – bto: Ich denke, hier hinkt er. Natürlich wäre es mehr als dämlich, eine erneute große Depression zuzulassen. Aber daraus zu schließen, dass die heutige Politik a) die einzige Möglichkeit ist bzw. b) wirklich dazu geeignet sei, die Probleme zu lösen, halte ich für mindestens ebenso falsch.
- “It is worth recalling how wrong the BIS has been in the past. In June 2010, when, as we now know, the post-crisis damage was very much with us, the BIS already asserted that ‚the time has come to ask when and how these powerful measures can be phased out‘. Oh no, it had not. The time had come to act more aggressively to accelerate the recovery and so limit the longer-term damage of the crisis.” – bto: Das mag sein, aber ich bleibe dabei, dass es eben keine Lösung ist, sondern das Kaufen von Zeit.
- “(…) the OECD (…) expects a modest pick-up in global growth this year and next. (…) So what risks lie in wait for the recovery? An obvious one is that monetary tightening will be too fast, even in the US, let alone the eurozone. Inflationary pressure remains remarkably subdued. Even the BIS, a worrywart’s worrywart, agrees that resurgence of inflation is not a large risk.” – bto: Wir sind eben in einer deflationären Welt, wobei die Notenbanken mit den tiefen Zinsen die Zombies am Leben halten, die dann wiederum die deflationären Tendenzen verschärfen.
- “(…) globally, debt is at record levels: in 2016, the stock of non-financial sector debt in the economies [of the group of 20 countries] stood at around 220 per cent of GDP, almost 40 percentage points higher than in 2007. A striking feature is the remarkably rapid growth of credit and debt in China.” – bto: wobei die Abbildung wirklich interessant ist. Es zeigt sich, dass der Anstieg der Schulden wirklich nur aus China kommt, während die Privatschulden im Westen leicht rückläufig waren:
Quelle: FINANCIAL TIMES
- “As interest rates rise, financial risks will crystallise. Yet reasons for optimism on this point also exist: the core western financial system is far better regulated and capitalised than it was in 2007; the Chinese authorities can stabilise their financial system, if necessary; no globally significant credit-driven boom is to be seen, except in China; and, finally, even though prices of highly valued equities might fall, that would not of itself cause a crisis in the credit system.” – bto: Damit wäre er mit Janet Yellen einer Meinung. Das spricht für sie.
- “(…) another danger is renewed weakness in aggregate demand. (…) But, so long as inflation remains subdued, both monetary and fiscal room for manoeuvre remains. Of course, this also argues against premature monetary tightening.” – bto: Und hier springt er nach meinem Geschmack zu kurz. Warum haben wir denn eine schwache Gesamtnachfrage? Weil wir zu viele Schulden haben, weil die alternde Gesellschaft mehr spart, weil die Produktivitätszuwächse so enttäuschen? Eine Fülle an Faktoren, die es nicht leicht machen, mit den Schulden umzugehen.
- “The (…) greatest danger is a collapse in global co-operation, perhaps even an outbreak of conflict. (…) rising inequality, a concentration of job losses at the middle-skill level and sharp declines in jobs in manufacturing in the high-income economies (…) led to the protectionism we see, notably in the US.” – bto: Dazu packt er ein Chart, welches wirklich sehr interessant ist:
Quelle: FINANCIAL TIMES
- “(…) as economies recover, we face new challenges: to avoid blowing up the world economy, while ensuring widely shared and sustainable growth. Alas, we seem likely to fail this set of challenges. The BIS talks, sensibly, of building resilience. A part of this lies in ensuring that growth becomes less dependent on debt. (…) If we fail to respond to these structural challenges, the recovery is unlikely to prove strong or lasting.” – bto: Es ist unstrittig, dass wir diese Themen angehen müssen. Wie die Welt weniger von Schulden abhängig wird, ist schwer vorstellbar. Vielleicht hilft dabei in der Tat mehr Umverteilung, wobei ich daran erinnere, dass es nun in Deutschland wahrlich nicht so ein großes Problem ist, wie immer in der Diskussion dargestellt. Wenn überhaupt muss man der Mittelschicht endlich mehr Geld lassen.
→ FT (Anmeldung erforderlich): “Risks remain amid the global recovery”, 4. Juli 2017
>Fortunately, policymakers (…) have ignored its apparent conviction that the world needed an even deeper and more prolonged recession.“ – bto: Ich denke, hier hinkt er. Natürlich wäre es mehr als dämlich, eine erneute große Depression zuzulassen. Aber daraus zu schließen, dass die heutige Politik a) die einzige Möglichkeit ist bzw. b) wirklich dazu geeignet sei, die Probleme zu lösen, halte ich für mindestens ebenso falsch.>
Wolf sagt nicht, dass die Politik die einzige Möglichkeit ist oder dazu geeignet sei, die Probleme zu lösen.
Er sagt nur, dass die Politik nicht der Überzeugung ist, dass monetär und zyklisch die Zügel angezogen werden sollten mit der vermeintlichen Folge einer tieferen und verlängerten Rezession.
Von Lösung ist bei ihm keine Rede.
Mit Verlaub, Sie urteilen zu schnell und zu oberflächlich.
Auch zur Politik der Notenbanken.
Ich habe am letzten Thread dargelegt, wie man dem Thema gerecht wird:
https://think-beyondtheobvious.com/stelter-in-den-medien/das-totalversagen-der-notenbanken/
>„(…) another danger is renewed weakness in aggregate demand. (…) But, so long as inflation remains subdued, both monetary and fiscal room for manoeuvre remains. Of course, this also argues against premature monetary tightening.“ Warum haben wir denn eine schwache Gesamtnachfrage? Weil wir zu viele Schulden haben, weil die alternde Gesellschaft mehr spart, weil die Produktivitätszuwächse so enttäuschen? Eine Fülle an Faktoren, die es nicht leicht machen, mit den Schulden umzugehen.>
Wolf argumentiert nicht schlüssig, wenn er sagt, niedrige Inflationsraten erlaubten es, eine expansive Geld- und Fiskalpolitik zu betreiben (was richtig ist) und DARAUS schließt, dass dies eine BEGRÜNDUNG gegen eine zu FRÜHE restriktivere Geld- und Fiskalpolitik sei.
Zu früh oder zu spät lässt sich nicht ALLEIN an der Inflationsrate bemessen.
Maßgebend ist der SACHVERHALT zum Zeitpunkt der beabsichtigten Veränderung und die antizipierten Folgen.
Dazu muss man vor allem auf die Arbeitslosenzahlen schauen.
In USA herrscht nahezu Vollbeschäftigung, OHNE dass die Inflation besorgniserregend zunimmt.
In USA scheint der Prozess, der in dem Chart „The middle is squeezed“ weitgehen abgeschlossen zu sein, d. h. die Beschäftigung von Menschen mit mittlerer Qualifikation ist geringer geworden und die mit Menschen geringer Qualifikation hat zugenommen ebenso wie die Beschäftigung hochqualifizierter Menschen.
Wie sich das genau verteilt, ist unklar, wobei vieles dafür spricht, dass es sich hierbei um eine Anpassung nach unten handelt: Abbau gut bezahlter Beschäftigung im verarbeitenden Gewerbe und zunehmende Beschäftigung bei den weniger gut bezahlten Dienstleistungen. Es kann auch sein, dass viele, die aus der Beschäftigung gefallen sind, nicht mehr arbeiten und vom Vermögen leben bzw. von Familienangehörigen unterstützt werden.
Solange dieser Prozess stattfindet, kann man sich schwer vorstellen, dass die Nachfrage der Privathaushalte einkommensbezogen Inflation erzeugt.
Wie auch immer, der Punkt ist:
Wenn es (auch) der Fed zu verdanken ist, dass diese Mutation der Beschäftigungsverhältnisse ohne eine Depression erfolgte, dann ist ihre Geldpolitik mindestens insoweit positiv zu sehen UND wenn sie nicht mehr tun kann, darf auch an eine Straffung der Geldpolitik gedacht werden aus den bekannten, von ihr auch vorgebrachten Gründen (Assetinflation).
>Wie die Welt weniger von Schulden abhängig wird, ist schwer vorstellbar. Vielleicht hilft dabei in der Tat mehr Umverteilung>
Helfen auf Zeit vielleicht, aber nachhaltig sicher nicht, um von den Schulden weniger abhängig zu werden – jedenfalls nicht, bei den unvermeidbar geringen Wachstumsraten.
Wo Verteilung hilft:
Bei der sozialen Absicherung der Abgehängten, hier vor allem in USA, um durch Absicherung gegen Existenznot die AKZEPTANZ der unvermeidbaren Anpassung nach unten zu erhöhen.