Coronomics-Schuldenschnitt aufgegriffen
Am letzten Samstag erschien bei der WirtschaftsWoche Online (WiWo) ein sehr interessanter Kommentar. Schon die Einführung lässt an Klarheit nichts missen: “Der internationale Länderfinanzausgleich nimmt Gestalt an: Deutschland muss Italien retten – aber keiner soll es merken. Stattdessen vernebelt uns die Politik mit einer Kaskade von Milliardenprogrammen die Sinne.” – bto: Besser kann man es nicht zusammenfassen. Es soll keiner merken. Genau darum geht es! Wie an dieser Stelle immer wieder kritisiert.
Dennoch lohnt es sich, die Highlights kurz zusammenzufassen:
- “Die (…) Politik (…) fordert einen ‘Wiederaufbauplan’ für Deutschland und Europa, als habe das Coronavirus Fabriken, Straßen, Brücken und Stromleitungen zerstört. (…) Die Risiken dieser Krisen sind vorerst unbedrohlich, fast unsichtbar, weil die Politik buchstäblich alles daran setzt, dass sie sich nicht ‘realisieren’: mit Kurzarbeitergeld und Lufthansa-Milliarden, Soforthilfen und Bürgschaften, Überbrückungskrediten und Notenbank-Billionen. Für die Exekutive entsteht dadurch eine Art zirkelschlüssige Win-Win-Situation. Sie beschwört das historische Ausmaß einer Krise, die angeblich nur deshalb kein historisches Ausmaß annimmt, weil sie, die Exekutive, die behauptete Krise historischen Ausmaßes so entschlossen bearbeitet, beherrscht – und scheinbar auch bannt.” – bto: um dann in Umfragen in den Himmel zu steigen!
- “Seit Mario Draghi, der damalige Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), im Juli 2012 versprach, ‘whatever it takes’ zu unternehmen, um die Krise des Euro abzuwenden, schreiben amtierende Geld-Welt-Regierende gigantischen Summen eine geradezu fetischistische Kraft zu, um Rezessionen, Abschwünge, Depressionen (und lauernde Finanzmarktakteure) zu überwältigen.” – bto: Wie toll ist das denn! Es kann jedes Problem mit beliebig viel Geld gelöst werden. Dabei galt das schon seit Greenspan, Draghi war nur die nächste (Vor-)Stufe.
- “(Da legten) Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel einen 500 Milliarden Euro schweren ‘Wiederaufbauplan’ vor. (…) Jetzt sollen 750 Milliarden Euro fließen – über die 540 Milliarden Kreditlinien, Liquiditätshilfen und Kurzarbeit-Zuschüsse hinaus, die Brüssel bereits vor sechs Wochen als ‘EU-Solidaritätspaket’ durchgewunken hat. Darüber hinaus gibt es das 750 Milliarden Euro schwere ‘Pandemic Emergency Purchase Programme’ der EZB, das der Notenbank den Ankauf von Staatsanleihen und Aktien erlaubt – ein Programm, dessen Aufstockung um weitere 500 Milliarden Euro bereits diskutiert wird.” – bto: Und von dem deutsche Politiker allen Ernstes denken, es könnte irgendwann mal ordentlich mit Steuern abgetragen werden …
- “In den USA pumpt die Notenbank mindestens 2,3 Billionen Kreditdollar in die Wirtschaft. Und die G-20-Staaten insgesamt stehen mit fünf Billionen Dollar im Wort, um, ‘den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden aus der Pandemie so gering wie möglich zu halten, das globale Wachstum wiederherzustellen, die Stabilität der Märkte aufrechtzuerhalten und die Resilienz zu stärken’.” – bto: Ich finde es fantastisch, weil es – wie auch im Buch geschrieben – die perfekte Ausrede liefert, um Dinge zu tun, die ohnehin gekommen wären.
- “(…) Italien (…) soll (…) nach den Plänen der EU in besonders hohem Maße von den geplanten Konjunkturhilfen der EU profitieren; es winken Zuschüsse in Höhe von 82 Milliarden Euro und Kredite in Höhe von 90 Milliarden Euro. Zweitens sind die Kredite für Italien nur deshalb so preiswert, weil solventere EU-Länder für deren Gültigkeit und Güte bürgen – geschenkt. Drittens verschuldet sich vor allem Italien bei der EZB, indem es seine Staatsanleihen in Frankfurt platziert.” – bto: gute Zusammenfassung der Hilfen, die das Land bereits erhält.
- “Die EU-Kommission rechnet damit, dass die Verschuldung Italiens in diesem Jahr auf 159 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, auf rund 2500 Milliarden Euro steigt. Zugleich springt die italienische Regierung ihrer verlustreichen Fluglinie Alitalia mit drei Milliarden Euro zur Seite, weil das Unternehmen bereits vor der Krise vor allem Verluste einflog und daher nicht für EU-Hilfen qualifiziert ist. Auch liegt nach Berechnungen der Credit Suisse das Pro-Kopf-Vermögen der Italiener über dem Pro-Kopf-Vermögen der Deutschen (mehr Immobilienbesitz) – und selbst wenn man die (höheren) Pensionsansprüche der Deutschen miteinberechnet: Wie wollen Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz jedem zweiten Deutschen, der kein Vermögen besitzt, in den nächsten Wochen vermitteln, die vielen Milliarden seien vor allem südlich der Alpen besonders gut angelegt?” – bto: Aber wie wir sehen, wird das gar nicht hinterfragt. Wer die Frage stellt, wird sogleich in die (nationalistische) Ecke gestellt oder es wird – leicht widerlegbar – behauptet, Italien könne die Schulden gar nicht selbst bedienbar machen.
- “Europa nimmt in diesen Wochen die Züge einer Fiskalunion an. Die EU soll sich gemeinschaftlich verschulden, eigene Steuern erheben und das Geld nach Art eines internationalen Länderfinanzausgleichs verteilen dürfen. Das ist europarechtlich heikel – und stellt vor allem keine Lösung des Problems dar, sondern seine erneute Verzeitlichung und Verschärfung: Kein Staat wird auf sein Budgetrecht und seine finanzpolitische Souveränität verzichten, auf die Gestaltung seines Steuersystems und Sozialstaatsniveaus – und die massiven Finanztransfers werden gleich nach dem Ende der Notfallsituation eine leichte Beute für Nationalpopulisten sein.” – bto: Bei den Gebern ist das meines Erachtens angezeigt, aber unwahrscheinlich. Man erinnere sich an die Ursprünge der AfD als Euro-Rettung-kritische Partei. Diese hatte niemals die Chance, eine relevante Größe zu werden. Die Bürger interessieren sich schlichtweg nicht für Wirtschaft und den eigenen Wohlstand.
- “Die entscheidende Frage ist deshalb einerseits, warum die ‘historische Krise’ nicht zum Anlass genommen wird, die Staatsschuldenfrage noch kreativer und aggressiver zu adressieren, etwa im Wege eines Schuldenschnitts, wie ihn der Ökonom Daniel Stelter vorschlägt: Die EU übernimmt Altschulden der Länder (mit Blick auf Italien und Griechenland meinethalben auch ‘solidarisch’ gestaffelt), in Höhe von 60 bis 100 Prozent des BIP, finanziert über ‘ewige Anleihen’, gekauft von der EZB – und ihre Länder verpflichten sich in einem Europa der Vaterländer vertraglich, künftig (wirklich) solide zu wirtschaften.” – bto: Ich danke für die Erwähnung. In der Tat denke ich, dass das der beste Weg wäre.
- “Die zweite Möglichkeit: Die Politik schenkte den Bürgern reinen Wein ein, auch in Deutschland, von Anfang an, stellte sich an die Spitze der Idee einer Art Bundesrepublik Transfereuropa (…) Nur sind damit noch nicht die konkreten Tatsachen benannt und die entscheidenden Fragen aufgeworfen: Deutschland (und andere Länder) müssen jetzt Italien retten, sonst ist es vorbei mit Europa – darum geht es. Und darum, wie dieses ‘neue Europa’ institutionell beschaffen sein soll. (…) Man kann der alten Ordnung viele Hundert Milliarden Euro hinterher werfen, um halbwegs zu retten, was zu retten ist. Oder aber versuchen, mit vielen Milliarden Euro Grundzüge einer neuen Ordnung zu entwerfen. Dazu bisher von der Politik: kein einziges Wort.” – bto: Woher soll diese Einsicht denn kommen? Dies setzt doch voraus, dass man einen Weg kennt. Doch genau das ist nicht der Fall. Voller Hybris denken unsere Politiker, sie könnten alle Probleme mit (unserem!) Geld lösen. Können sie aber nicht!
Doch nicht nur die WiWo greift in dieser Woche meine Ideen auf. In einem dreiseitigen Artikel diskutiert der SPIEGEL die Möglichkeiten, mit dem Schuldenberg umzugehen. Zitiert werden die Schwergewichte der deutschen Wirtschaftswissenschaften, Peter Bofinger, Jens Südekum, Lars Feld und Gabriel Felbermayr – und ich. Mir fällt dabei die Rolle des unabhängigen Ökonomen zu, der einen kreativen, aber auch “radikalen” Vorschlag zur Lösung des Schuldenproblems macht: eben meinen Schuldentilgungsfonds, an dem alle Euroländer teilnehmen und der von der EZB über hundert Jahre zins- und tilgungsfrei gestellt wird.
Damit kann niemand in der führenden Politik und bei den deutschen Wirtschaftswissenschaftlern sagen, man hätte davon noch nie etwas gehört. Zu wünschen wäre, dass es auch aufgegriffen wird.